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Kommentar
Kurzkommentar zu den Demonstrationen gegen Israels Regierung
Die Unbelehrbaren implodieren
Von Evelyn Hecht-Galinski

Hatten sich am letzten Samstagabend in Tel Aviv ca. 250.000 Demonstranten versammelt und in Jerusalem ca. 30.000. In der ARD-Tagesschau wurde gar von einer Gesamtzahl der Demonstranten von 350.000 berichtet! Ein ganz neues und ungewohntes Bild aus dem jüdischen Staat.
 

Hunderttausende auf den Straßen Israels
Quelle: www.n24.de/
Sie führten Plakate mit sich, auf denen stand: "Marschiert wie die Ägypter!". Welch eine Anmaßung und Verhöhnung der Ägypter und des arabischen Frühlings! Marschierten in Ägypten doch unterdrückte, entrechtete, gefolterte und wirklich arme Menschen, die für ihre Freiheit und Rechte eintraten, so sind es in Israel "Wutbürger" des jüdischen Staates, Juden die trotz massiver Unterschiede, ob säkular, oder orthodox, gebildet , oder ungebildet, nur EINES verband, sie sind Autisten ohne Empathie für die Nöte ihrer unterdrückten, besetzten und entrechteten palästinensischen Nachbarn.
 
Sie scheren sich nicht um das Leid der Blockierten von Gaza, im größten Freiluftgefängnis der Welt, sie scheren sich nicht um die Besetzten im Westjordanland. Was schert sie das Entstehen eines Palästinenserstaates, Ein- oder Zwei-Staatenlösung, die Gefangenen, die gequälten Palästinenser an den hunderten von Checkpoints oder die Apartheidmauer, die Dörfer und Familien trennt? Was scheren sie sich um zerstörte Häuser, ob Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben werden, ob ihre Olivenbäume oder deren Ernte zerstört werden, ob ihnen der Strom oder das Wasser abgedreht wird?
 
Was also wollen diese Demonstranten? Sie wollen auch so luxuriöse und billige Häuser und Wohnungen wie sie die Siedler im besetzten und gestohlenen Land besitzen, aber sie wollen sie auf "Kernland-Boden".
 
Wohnen wie die Siedler, ein schöner Demonstrationsgrund! Inzwischen fordern die Demonstranten Änderungen im Steuer-, Gesundheits- und Bildungssystem. Gar nicht so falsch! Steuern sollten auch Siedler, Oligarchen und andere Priviligierte zahlen. Das Gesundheitssystem sollte auch gleichberechtigt für die besetzten Palästinenser da sein. Tja und das Bildungssystem sollte auch die Nakba und Herzensbildung lehren, außerdem Völkerrecht.
 
Interessanterweise ging man, nachdem sich auch Siedler an den Protesten beteiligten, auf deren Forderungen sofort ein: Über 900 neue Wohnungen in Ha Homar, eine der größten völkerrechtswidrigen Siedlungen im ständig wachsenden judaisierten Jerusalem-Gürtel.
 
In diesem Zusammenhang erscheinen mir auch die Zeilen des in Deutschland so beliebten israelischen Autors und Friedenspreisträgers des deutschen Buchhandels, David Grossmann in der FAZ vom 6.August zynisch und autistisch, typisch für das israelische Denken. O-Text: "Die Israelis protestieren - endlich. In diesem Erwachen liegt eine große Kraft. Aber in unserer Euphorie sollten wir nicht alles niederreißen." Zitat Ende.
 
Warum schreibt Grossmann nicht über die Demonstranten, dass dann, wenn diese auch gegen das begangene Unrecht an den Palästinensern demonstrieren und die Unrechts-Apartheid Mauer niederreißen würden, sich auch eine Verbesserung ihrer Lage ergeben könnte? Aber diese Themen interessieren die große Mehrheit - auch der intellektuellen Elite im jüdischen Staat - nicht. Wenn Grossmann die Werte der Demonstranten hervorhebt und die der Politiker verneint, dann vergisst er doch, dass diese Israelis diese Politiker gewählt haben und ihre verbrecherische Politik gegen das palästinensische Volk unterstützen und nicht in Frage stellen.
 
Wie sagte Außenminister Lieberman nach den Protesten? "So schlecht kann es wohl nicht gehen, die Cafés in Tel Aviv sind voll". Wie schrieb Christiane Schlötzer in der SZ vom 8. August - wohl aus Haaretz übernommen: Obwohl viele Demonstranten Netanjahu und seine Regierung kritisieren, könnten ihm die Proteste sogar nützen. Bis zu den Wahlen 2013 bleibe dem Premier noch genug Zeit, um auf die Forderungen der Unzufriedenen einzugehen. Und sollte sich der Konflikt mit den Palästinensern wieder verschärfen, würden, so das Blatt, die sozialen Proteste wieder in den Hintergrund treten.
 
Merke: Israel will alles, nur keinen Frieden. (PK)
 
Evelyn Hecht-Galinski ist Publizistin und Tochter des 1992 verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski. Mit diesem Kurzkommentar setzt sie ihre Serie fort, die sie für uns "vom Fuße des Blauen", ihrem 1186 m hohen "Hausberg" im Badischen, schreibt.
Eine andere Haltung als Evelyn Hecht-Galinski zu den Demonstranten und zu David Grossmann vertritt Werner Rügemer in seinem Artikel „Das Volk verlangt soziale Gerechtigkeit!“ in dieser NRhZ-Ausgabe.


Online-Flyer Nr. 314  vom 10.08.2011



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