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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Globales
Der Schweizer Förderverein "Neue Wege in Somalia" arbeitet weiter:
Ein Ambulatorium und mehr für die Armen
Von Heinrich Frei

Im Gegensatz zu den Regierungen der reichen Länder, die die Menschen am Horn von Afrika verhungern lassen, begann Verena Karrer, Hebamme und Lehrerin für Krankenpflege aus Zürich-Oerlikon, schon 1993 in Somalia zu arbeiten. Im Jahr 2002 wurde sie in Merka ermordet. Die Ergebnisse ihres Engagements wurden nach ihrem Tod durch den Förderverein "Neue Wege in Somalia" weitergeführt und ausgebaut: Er finanziert in der somalischen Stadt Merka eine Primar- und Sekundarschule, dazu eine kleine Klinik, einen Sanitätsposten und die Stadtreinigung. (1) Im Ambulatorium der "Neuen Wege" arbeiten ein Arzt, eine Apothekerin, ein Laborant, neun Krankenschwestern und Hilfspersonal. Dieser Bericht des Vizepräsidenten des Fördervereins scheint uns eine wichtige Ergänzung zu den Berichten der üblichen Medien über die Situation in Somalia zu sein. – Die Redaktion
 
Während andere Organisationen Somalia immer wieder verlassen haben,

Verena Karrer – wurde 2002
rmordet
Alle Fotos: Salim Shambo
  arbeitet der Förderverein in Somalia kontinuierlich in Merka weiter. Die Apothekerin Raba'o Abukar Sheik begann schon 1995 im Ambulatorium von "New Ways" zu arbeiten, zusammen mit Verena Karrer, die dieses Ambulatorium gegründet hatte. Auch die Krankenschwester Hawa Omar Mohamed betreut schon seit 16 Jahren Patienten im Ambulatorium.
 
Im Küstenstreifen am Indischen Ozean ein wenig Regen
 
Wie uns der Leiter der "Neuen Wege", Abdullahi Ali Mohamed am 22. Juli 2011 aus Merka schrieb, „haben die Bauern entlang des Küstenstreifens jetzt endlich eine wenig Regen bekommen, aber nur in einer Zone die nicht weiter als etwa 25 Kilometer vom Meer entfernt ist. Das bedeutet, dass der größte Teil Somalias weiter keine Niederschläge erhalten hat. Der Hunger der Menschen breitet sich so immer weiter aus. Über 6.000 Familien, die geflohen sind, haben sich in Merka und in der Nähe der Flugpiste KM-50 der Region Lower Shabelle niedergelassen. Die lokale Verwaltung wartet immer noch auf Hilfe von humanitären Organisationen, auch von uns“, schrieb Abdullahi.
 
Menschen auf der Flucht vor Dürre, Hunger und Krieg
 
Zwischen Oktober und Dezember 2010 fiel in Somalia weniger als 30 Prozent des normalen Niederschlages. Damit wurde 2011 eines der trockensten Jahre seit 1950/51. Als Folge dieser Dürre verringerte sich der Viehbestand in manchen Gebieten um 40 bis 60 Prozent. Außerdem bekam die Bevölkerung die weltweite Erhöhung der Lebensmittelpreise im Jahr 2011 sehr stark zu spüren. Die Menschen können sich deshalb immer weniger zu essen kaufen.

 
Kinder- und Patientenbetreuung im Ambulatorium der "Neuen Wege"
 
Viele Menschen in Somalia befanden sich aufgrund des Bürgerkrieges und der Trockenheit in diesem Sommer auf der Flucht. In den drei äthiopischen Flüchtlingslagern Dolo Ado, Bale und Borena leben jetzt im Juli 114.000 somalische Flüchtlinge. Das im Nordosten Kenias gelegene Flüchtlingslager Dadaab beherbergt über 400.000 Menschen. Zum Teil leben sie schon seit zwanzig Jahren in diesen Lagern. Die islamistische Shabaab-Miliz, die unter anderem den von der Hungersnot besonders stark betroffenen Süden des Landes kontrolliert, ließ Hilfeleistungen an die lokale Bevölkerung lange nicht zu. Die Begründung dieses Stopps begründet Al Shabaab damit, durch die Überflutung durch Gratis-Lebensmittel des Welternährungsprogrammes hätten die Bauern an Ort ihre Produkte nicht mehr absetzen können. – Al Shabaab wollte natürlich durch diese Restriktionen vor allem auch die Einmischung fremder Mächte verhindern, da die Organisation speziell durch die USA als Terrororganisation mit Verbindungen zu Al Kaida eingestuft wird. Angesichts der besorgniserregenden Entwicklung in Somalia änderte Al Shabaab jedoch jetzt ihre Strategie und bat Entwicklungshelfer - egal ob muslimisch oder nicht-muslimisch - um Unterstützung.
 
Die Stadt Merka wird seit drei Jahren von Al Shabaab beherrscht, ebenso wie der grösste Teil von Süd- und Zentralsomalia. Die Lage ist ruhig in Merka. Gekämpft wird in Somalia hauptsächlich in Mogadischu. Dort kämpfen Soldaten der Übergangsregierung, unterstützt durch Truppen der AMISOM aus Uganda und Burundi, gegen die Milizen der Al Shabaab.

Medikamente in der "New Way-"Apotheke
 
Ambulatorium und Sanitätsposten in Ambe Banaan
 
Der Förderverein "Neue Wege in Somalia" versuchte seit langem mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten, um seine Arbeit langfristig abzusichern. Angesichts der Lage in Somalia ist dies leider fast unmöglich. Fast alle ausländischen Hilfswerke haben sich nämlich aus Somalia zurückgezogen und auch für Mitglieder des Fördervereins ist es seit vier Jahren zu gefährlich Merka zu besuchen. Am 1. September 2010 übernahm versuchshalber die Organisation Médecins du Monde (MdM) das Ambulatorium. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freuten sich, auch über die höheren Löhne die sie von MdM erhielten. MdM investierte in die Neuausstattung des Ambulatoriums einige tausend US Dollar. Vorgesehen war auch, dass die Arbeit im Ambulatorium durch Ärzte von MdM von Nairobi aus ständig begleitet und überwacht wird. Leider wurde das Ambulatorium unter der neuen Regie von MdM schon vier Tage nach Eröffnung durch die Al Shabaab aus unerfindlichen Gründen geschlossen. Der Leiter von "New Way" in Merka, Abdullahi, schilderte dies wie folgt: „Nachdem MdM die Leitungsaktivitäten des Ambulatoriums übernommen hatte, kam ein Mitglied der lokalen Behörde ins Ambulatorium, wo über 150 Patientinnen und Patienten auf die Behandlung warteten, befahl dem Personal die Arbeit zu stoppen und forderte die Mitarbeiter und die Patienten auf nach Hause zu gehen.“
 

Mutter mit verletztem Kind - was wäre ohne das Ambulatorium?

Erst am 20. Februar dieses Jahres konnte das Ambulatorium wieder eröffnet werden, dank den Bemühungen unserer Leute und der Ältesten in Merka. Auch der Gesundheitsposten in Ambe Banaan nahm kurze Zeit später seinen Betrieb wieder auf. Leider hat Médecins du Monde nach dem Misslingen der Übernahme unserer Einrichtung Ende März 2011 auch seine zwei anderen Gesundheitszentren in Merka geschlossen: Horseed und Waghadir. MdM zog sich sogar ganz aus allen somalischen Projekten in Gebieten zurück, die von Al Shabaab kontrolliert werden.
 
Im Jahresbericht des Fördervereins schrieb die Ärztin Dr. Bigna Rambert: „Das New Ways-Ambulatorium ist wieder offen und ist mit der Schließung der Ambulatorien von Waghadir und Horseed der Organisation Médecins du Monde, für die Bevölkerung von Merka notweniger denn je geworden.“
 
Wir stehen heute mit Dr. Hersi in Nairobi in enger Verbindung. Er will uns helfen in Nairobi mit grossen internationalen Organisationen in Kontakt zu treten, die uns vielleicht unterstützen können. Dr. Hersi, ein Somalier der lange in Grossbritannien gearbeitet hat, war früher als Arzt auch in Merka tätig. Er hilft heute schon der Schweizer Organisation Swisso Kalmo, die in Merka ein Tuberkulose-Spital betreibt, das zum Teil vom Global Fund finanziert wird.
 
Brief einer Patientin, die neun Kinder hat:
 
„Ich heisse Faduma Cumar Max’ed und lebe im Quartier Bufow in Merka. In das Ambulatorium von New Ways komme ich, weil ich hier unentgeltlich behandelt werde, was sonst nirgends der Fall ist. Aus diesem Grund komme ich zu Fuss von so weit her. Unsere Lebensbedingungen sind sehr schlecht. Wir haben finanzielle Probleme, weil mein Mann arbeitslos ist und ich als Hausfrau neun Kinder habe. Wir essen pro Tag nur eine Mahlzeit. Deshalb bitten wir Sie, uns weiter zu unterstützen, damit wir weiter ambulant behandelt werden und kostenlos Medikamente bekommen.“
 
Brief von Raba'o Abukar Sheik, Apothekerin:
 
„Ich lasse den Vorstand und die Unterstützer von "New Ways" alle grüssen. Ich begann 1995 im Ambulatorium zu arbeiten. Der Tod von Verena Karrer, der Gründerin von "New Ways", war für uns das schlimmste Ereignis. Wir werden ihr Engagement nie vergessen. Dass nach den Tod von Verena Karrer der Vorstand der "Neuen Wege" in Zürich entschied, die Arbeit wie bisher fortzusetzen, bleibt für uns unvergesslich, auch Eure Bemühungen, jetzt wieder eine Organisation zu finden, die die Arbeit wie Médecins du Monde übernehmen könnte. Ich hörte, dass der Vorstand des Fördervereins in Zürich beschlossen hat, seine Aktivitäten 2013 aufzugeben. Dieser Entscheid ist sehr zu bedauern. Auf Grund der schlimmen Situation in Somalia wünschten wir, dass Ihr die Arbeit fortsetzt bis die Regierung oder eine andere Organisation die Arbeit weiterführen kann.
 
Ich möchte dem Vorstand und den Unterstützern danken für Euren langen Einsatz, den ihr nach Verena Karrer geleistet habt. Ich möchte euch ermutigen, Eure Aktivitäten für die weitere Entwicklung der Projekte zu verdoppeln. Das ganze Personal von "New Ways" und die Gemeinde sind mit dem Schweizer Volk sehr zufrieden und sehr stolz auf Euch, weil Ihr in Merka das einzige noch existierende Projekt betreibt, das basisorientierte Arbeit leistet, im Gesundheitswesen, der Stadtreinigung, der Bildung und der Landwirtschaft, was für die Gemeinde so nötig ist. - Grüsse von Raba'o Abukar Sheik“
 
Brief von Hawa Omar Mohamed, Krankenschwester:
 
„Ich erbiete dem Förderverein in Zürich meine grosse Anerkennung, weil er immer bereit ist, der armen Bevölkerung von Somalia zu helfen und das Personal von "New Ways" zu unterstützen. Ich arbeite seit 16 Jahren im Ambulatorium. Wie sie wissen, ist die Situation in Somalia sehr schlimm. Es wird unvergesslich bleiben was ihr hier für das somalische Volk geleistet habt.
Ich hörte, dass ihr das Projekt in zwei Jahren stoppen wollt. Ich wünsche mir, dass ihr uns nicht vergesst und die Arbeit so lange wie möglich fortsetzt.
Mein grosser Dank den "Neuen Wegen" für Eure Hilfe, die hier die Gemeinschaft so dringend braucht. Ich bitte Euch, die Arbeit fortzusetzen und hoffe, Ihr respektiert meinen Wunsch dass ihr Eure Arbeit fortsetzt. - Grüsse von Hawa Omar Mohamed“
 
Brief von Abdi Omar Mohamed – Stellvertretender Schulleiter:

„Ich bin einer der Lehrer der Verena Secondary School. Ich lebe in Merka. Am 9. Juli 2002 begann ich an dieser Schule zu arbeiten. Ich unterrichte seitdem Geschichte und Geografie. Ich bin verheiratet und habe elf Kinder, sieben Söhne und vier Töchter. Meine alte kränkelnde Mutter gehört auch zur Familie. Meine Familie besteht also aus 14 Personen. Mein Gehalt beträgt 125 Dollar im Monat.
Ich gebe euch hier einen Überblick wie man in Merka mit den heutigen Preisen für Nahrungsmittel lebt:
 
1. 1kg Zucker 1 US-Dollar
2. 1kg Mehl 0,5 US-Dollar
3. 1kg Reis 0,5 US-Dollar
4. 1kg Spaghetti 1 US-Dollar
5. 1kg Speiseöl 2 US-Dollar
6. 1 kg Fleisch 3 US-Dollar
 

 

Diese Kosten sind alarmierend hoch. (Sie stiegen allein in diesem Jahr um 240 Prozent. Die Redaktion) Niemand kann es sich leisten, seinen Kindern drei Mahlzeiten pro Tag anzubieten. Abgesehen von den Nahrungsmitteln gibt es ja noch andere Bedürfnisse, die ich nicht erwähnte. Ich wohne in einem Miethaus. Die Miete beträgt 10 US Dollar. Ich kann nicht mehr als ein Zimmer mieten und  muss meine Nachbarn bitten, einige von meinen Kindern in der Nacht unterzubringen. Sieben meiner Kinder sind in der Realschule und für sie habe ich jeweils 1,5 US Dollar zu bezahlen. Aufgrund der oben genannten Probleme war es mir nicht möglich, meine Tochter die seit zwei Jahren krank ist, behandeln zu lassen. Sie leidet an einer Hautkrankheit, die nicht in Merka behandelt werden kann. - Grüsse von Abdi Omar Mohamed“

Karte Somalias von Wikipedia | Quelle: Lencer/Wikipedia
 
Die Übergangsregierung kontrolliert nur einige Quartiere von Mogadischu
 
Al Shabaab kontrolliert heute Süd- und Zentralsomalia, die somalische Übergangsregierung nur einige Quartiere von Mogadischu. Diese Übergangsregierung wird dennoch international anerkannt. Sie wird laut der britischen Publikation "Africa Confidential“ jährlich mit bis zu einer Milliarde US-Dollar gestützt, dazu von der EU. Truppen der AMISOM, der Afrikanischen Union, und 9.000 Soldaten aus Uganda und Burundi schützen diese Regierung militärisch. - Die strategischen und wirtschaftlichen Interessen der USA und der Europäischen Union am Horn von Afrika scheinen durch diese Übergangsregierung langfristig am besten gesichert zu werden. Doch diese Übergangsregierung gilt als korrupt. Oft werden die Löhne der Polizisten und Soldaten nicht ausgezahlt, so dass sie ihre Waffen verkaufen oder sogar zu der Al Shabaab überlaufen. Auch die Soldaten der AMISOM aus Burundi haben kürzlich monatelang keinen Sold bekommen.
 
Al Shabaab hat in den von ihr beherrschten Gebieten strenge islamische Sitten eingeführt. Das hatte zur Folge, dass sowohl in der Primar- wie in der Sekundarschule der "Neuen Wege" in Merka die Mädchen und Jungen jetzt getrennt unterrichtet werden müssen. Aber auch das Parlament der Übergangsregierung beschloss vor zwei Jahren einstimmig, dass das islamische Recht der Scharia künftig die Grundlage für Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung in Somalia sein soll: Was das mittelalterliche islamischen Recht der Scharia betrifft, liegt Al Shabaab also auf der gleichen Linie wie die Übergangsregierung die als moderat islamistisch gilt.
 
Die Islamisten waren in einer kurzen Periode der Herrschaft der Islamischen Gerichte Somalias vereint. In dieser relativ ruhigen Periode, vor fünf Jahren, wurden die Warlords, die zum Teil auch von den USA finanziert wurden, aus Mogadischu vertrieben. Doch diese ziemlich friedliche Periode der Herrschaft der Islamischen Gerichte wurde durch den Einmarsch von äthiopischen Truppen beendet. Hinter der Invasion standen damals die USA. Sie wollten keinen neuen islamischen Staat am Horn von Afrika.
 
Die somalische Übergangsregierung kann also nicht frei entscheiden. Sie ist von ihren Geldgebern abhängig, von der Europäischen Union, von den USA und der UNO, die es nicht zulassen, dass mit Al Shabaab Verhandlungen aufgenommen werden, da sie der Terrororganisation Al Kaida nahe stehen soll. Die USA haben mit dieser Begründung wiederholt Somalia mit Flugzeugen und ferngelenkten Drohnen bombardiert, um Al Kaida-Führer zu liquidieren. Dabei sind viele Zivilisten umgekommen. Der kürzlich zurückgetretene Ministerpräsident Mohmaed Abdullahi Farmajo, ein Somalier der in den USA ausgebildet wurde, beklagt, dass die somalische Regierung nicht frei entscheiden kann, sondern strikt die Direktiven der Afrikanischen Union und des UNO-Delegierten befolgen muss. In der "Einigungskonferenz", die im August stattfinden soll, wollen diese Kreise denn auch keine Vertreter der Al Shabaab sehen. (PK)

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(1) Weitere Informationen unter: www.nw-merka.ch
Spendenkonto: „Förderverein Neue Wege in Somalia“, CH-8000 Zürich
Postfinance PC Konto 80-53042-7, IBAN: CH 62 0900 0000 8005 3042 7 – BIC: POFICHBEXXX
 


Online-Flyer Nr. 312  vom 27.07.2011



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