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Lokales
Warum die schiitische Gemeinde in der Schanzenstraße zu Mülheim gehört
Und warum ich ein Mülheimer bin
Von Rainer Kippe

„Ich finde das gut, was Ihr von SSM alles macht“, sagte kürzlich eine Bekannte zu mir, „aber dass Ihr die Schiiten in den Alten Güterhallen unterstützt, finde ich falsch. Das sind doch keine Mülheimer“. Der Satz hat mich seither nicht losgelassen. "Was sind das eigentlich, Mülheimer?" habe ich mich gefragt, und: "Bin ich ein Mülheimer?“
 

Rainer Kippe
Von Geburt sicher nicht. Meine Familie kommt aus Sachsen, und ich bin in Thüringen geboren. Aufgewachsen bin ich im Fichtel-gebirge, zur Schule gegangen bin ich in Bayreuth, in Ostoberfranken oder Nordbayern, wie man will. Und ich fühle mich in dieser Gegend heute noch wohl, jedesmal wenn ich hinkomme. Meine vier Kinder sind zwar in Mülheim aufgewachsen, aber allesamt auf dem linken Rheinufer geboren, in Frankreich sozusagen.
Nach Köln bin ich mehr zufällig gekommen, im Jahre 1966. Gewiss nicht aus Liebe, ich fand (und finde) die Stadt immer noch grauenhaft. Besonders, wenn man aus Süddeutschland kommt. Zuviel Autobahnen, zuviel Bausünden. Zuwenig Respekt vor der eigenen Geschichte. Die vielbesungene Heimatliebe und vielgepriesene Gemütlichkeit zumeist mit hohlem Pathos, hinter der sich dumpfe Gier und eiskalte Abzocke verbergen, gepaart mit dreister Korruption und einer für Fremde nicht nachvollziehbaren Gleichgültigkeit der eigenen Stadt gegenüber ...Kritik wird ausgesessen, oder, wie im Falle Heinrich Böll, mit Ehrungen totgeschwiegen.
 
In Mülheim bin ich seit 1979, und wenn ich sehe, wie die eigenen Bürger diesen einstmals schönen Flecken nach dem Krieg hergerichtet haben, dann schießen mir vor Wut die Tränen in die Augen. Und es erstaunt mich immer wieder, dass diesen liebe- und respektvollen Blick auf die einstmals selbständige Kreisstadt fast nur "Zugereiste“ haben, "Imis“, wie uns der Rheinländer nennt. Die gebürtigen Mülheimer haben die Ruine ihres Rathauses am Ratsplatz genausowenig verteidigt wie die Reste der Andreä-Villa in der Düsseldorfer Straße. Die prachtvollen Barockbauten auf der Mülheimer Freiheit wurden von Ortsfremden gerettet, die Mülheimer, ob sie nun im Rat saßen, im Bürgerverein oder in den Kirchengemeinden, haben ihrem Verfall tatenlos zugesehen, oder sogar mitgemacht, wie beim Abbruch der Keupstraße, der auch von Mülheimer Neubürgern verhindert wurde, während die alteingesessene politische Oberschicht weggesehen oder sogar versucht hat, sich schamlos an der Zerstörung der eigenen Stadt zu bereichern.
 
Die Altstadt durch eine monströse Brückenrampe zerstört, der Mittelpunkt der Stadt und ihr zentraler Platz in eine Schüssel unter die Autopiste versenkt, die städtebauliche Achse zu einer Autobahn für ortsfremden Durchgangsverkehr verkommen - und alles mit Billigung und auf Beschluss der Vertreter der Bürgerschaft dieser Stadt.
 
„Ja, wat willse denn dann bei uns, wenn es Dir nit jefällt?“ höre ich fragen. Ja, was will ich in Mülheim? Oder besser: was sehe ich in Mülheim? Warum bin ich hier, und nicht zurückgegangen ins reizvolle Oberfranken mit seinen Wäldern, seinen Forellenbächen und seinen Barockkirchen?
 
Eine gute, eine berechtigte Frage. Und dennoch kann sie nur einer stellen, der von der Bedeutung, vom Beispiel, von der Kraft dieser Stadt Mülheim gar nichts verstanden hat. Der immer nur darauf schielt, was die in Köln oder in Düsseldorf oder sonstwo von uns denken. Der den Kopf gesenkt hält, weil er an Mülheim selber nichts mehr findet, was er für beifallswert hielte, der eh schon meint, dass Mülheim „Müllem“ heißt, weil hier der Müll zusammengekehrt wird, der dingliche und der menschliche.
 
Dabei hat Mülheim eine Kraft in der Vergangenheit und in der Gegenwart, die es über viele Städte hinaushebt, die im allgemeinen Ansehen weit über ihm stehen, insbesondere über die Zentrale Köln, die überall so hoch gelobt wird, und im sogenannten "Ranking“ weit oben ist. Diese Kraft ist die Zuwanderung, die sich hier durch viele Jahrhunderte vollzogen hat, und das Klima der Wertschätzung des Fremden und des gegenseitigen Respekts, das diesen Ort ausmacht, seine Magie, sozusagen.
 
Und ich meine nicht die angebliche Offenheit, die Köln für sich in Anspruch nimmt, während seine Geschichte in Wirklichkeit von Pogromen, vom Hexenhammer, vom Scheiterhaufen für fremde Prediger und von der Ausgrenzung und Vertreibung anderer Glaubensrichtungen geprägt ist. Und zwar über viele Jahrhunderte hinweg, solange, bis die Stadt bankrott war und das Armenhaus Köln an die französiche Republik gefallen ist und danach an Preußen.
 
Erholt hat sich Köln bekanntlich durch die Eingemeindungen im Rechtsrheinischen, der Städte und Dörfer also, wo Juden und Protestanten Manufakturen und Industrien schaffen durften.
 
Das Geheimnis des Erfolges Mülheims und des ganzen Rechtsrheinischen gegenüber der sturen, rechthaberischen und unduldsamen Position Kölns ist ihre Offenheit Fremden gegenüber, und Fremde heißt in dieser Zeit vor allem fremde Religionen. Ich sage hier bewusst Offenheit und nicht Toleranz, weil diese Offenheit mehr ist als nur Toleranz, mehr als das bloße "Er-tragen“ - und das heißt wörtlich übersetzt tolerare - des Fremden. Ertragen ist zu wenig, denn es ist rein passiv, es geht nicht auf den Fremden zu, spricht ihn nicht an, bindet ihn nicht ein, plant nicht mit ihm zusammen.
 
Offenheit ist das Geheimnis unseres Erfolgs. Die, die kamen und die Stadt und den Landkreis vorwärts gebracht haben, waren alles Fremde. Sie kamen aus Frankfurt wie die Familie Andreä, aus den Niederlanden wie die Familie van Hees oder aus Düsseldorf wie Zanders in Bergisch-Gladbach.
 
Diese Haltung hat in Mülheim eine gute Tradition, die auch in der Stadtgeschichte festgeschrieben ist durch die Gründung der evangelischen Gemeinden im Jahre 1610 und durch den Zuzug der Juden. Mülheim am Rhein befolgte damit bereits im 17. Jahrhundert das, was die Propheten der sogenannten Kreativwirtschaft mit ihrem Guru Richard Florida als Schlüssel für wirtschaftlichen Erfolg feiern, und zwar die drei großen T: Technologie, Talent und Toleranz, letzteres als Maßstab für ethnische, kulturelle und soziale Vielfalt. Hier gilt es für uns Mülheimer anzuknüpfen, wenn wir die Zukunft gewinnen wollen, und deshalb gehören die Türken und die Kurden in der Keupstraße und die Iraker mit Ihrer schiitischen Gemeinde und die Kongolesen mit ihrer protestantischen Gemeinde auf der Schanzenstraße nicht nur zu uns, sondern sie sind uns auch willkommen, und wir sind stolz darauf, dass sie sich in unserem Stadtviertel ansiedeln.
 
Heute schon kommt die Hälfte des Nachwuchses in Köln aus Familien mit Migrationshintergrund - bei uns in Mülheim ist das schon länger so. Daraus folgt für mich unmittelbar, wie ich mich diesen Menschen und ihren Anliegen gegenüber verhalte. Weil sie mir willkommen sind, habe ich mich1980 dafür eingesetzt, dass die Keupstraße und die Holweider Straße nicht abgebrochen werden; weil sie mir heute willkommen sind, setze ich mich dafür ein, dass die Güterhallen in der Schanzenstraße zumindest solange nicht abgebrochen werden, bis die dort arbeitenden Gemeinden einen anderen Platz in Mülheim oder sonst in Köln gefunden haben. Dabei fühle ich mich als Mülheimer, denn ich weiß mich mit dieser Haltung in unserer besten Mülheimer Tradition.
 
Zu diesem Mülheim-Gefühl möchte ich alle einladen. (PK)
 
Rainer Kippe ist Mitbegründer der Sozialistischen Selbsthilfe in Mülheim. Mehr über die SSM unter http://www.ssm-koeln.org/start/start.htm


Online-Flyer Nr. 307  vom 22.06.2011



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