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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Inland
Die Schimären Transmutation und Kernfusion am KIT in Karlsruhe
Zerbrecht die Plutonium-Tritium-Diktatur! - Teil 2
Von Dietrich Schulze

Der nach Fukushima anschwellende Protest gegen die Atomenergie wird von der herrschenden Politik und der etablierten Wissenschaft mit hinhaltendem Widerstand beantwortet. In den diesjährigen Ostermärschen gegen Atomkraft und Atomwaffen wurde hingegen der doppelte Zusammenhang zwischen Energiepolitik und Frieden herausgestellt. Eine Umstellung auf ausschließlich erneuerbare Energieträger untergräbt objektiv die Kriegspolitik zur Beherrschung fremder Ressourcen. In Teil I dieser Serie berichteten wir darüber, warum Alt-Nazis unter Adenauer Kernforschung betrieben. Nun geht es u.a. um
die Kern- und Waffenforschung unter dem Dach des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), das als Zusammenschluss des Forschungszentrums Karlsruhe und der Universität Karlsruhe entstand.                                                                                                                                 

Prof. Hans-Joachim Wünsche,
Bundeswehr-Universität München,
auch Projektleiter am KIT
 
Am Tag des Beginns der Fukushima-Katastrophe wurde im Südwestfunk gemeldet, dass im Institut für Transurane ITU, eine europäische Atomforschungs-einrichtung auf dem Gelände des KIT Campus Nord, Forschung an neuen Reaktortypen unter Einsatz von 180 Kilogramm Plutonium, 50-130 Kilogramm hochangereichertes Uran, 300 Kilo- gramm schwach angereichertes Uran und 450 Kilogramm Thorium betrieben werden soll. KIT Campus Nord arbeitet seit Jahren daran und koordiniert für die Europäische Kommission ein vierzig Mio. Euro schweres Projekt mit fünfzig Partner aus Industrie, Forschungs-instituten und Universitäten, in dessen Rahmen die Machbarkeit einer solchen Anlage untersucht werden soll.
 
Dabei geht es um die Umwandlung von langlebigen Spaltprodukten in kurzlebige von „nur“ hunderten von Jahren, womit der Atommüll reduziert werden soll. Ganz abgesehen von untragbar hohen Kosten, an denen letztlich der Schnellbrüter gescheitert ist, ist die Transmutation mit Wiederaufarbeitung („Wackersdorf“) verbunden. Eine Variante ist dem Schnellbrüter ähnlich und hat kein geringeres „Restrisiko“ gegen eine Kernschmelze als die für die Atomkraft wie in Fukushima eingesetzten. Die kompliziertere Variante ist unterkritisch (keine Kernschmelze möglich) und nutzt einen Teilchenbeschleuniger. In jedem Fall bleibt Atommüll übrig.
 
Die zweite Schimäre heißt Kernfusion. Dabei geht es um die Nachahmung der Energieerzeugung der Sonne, wofür lediglich Wasser (Deuterium) und Lithium (Gestein, aus dem Tritium gewonnen wird) als unbegrenzt verfügbare Rohstoffe gebraucht werden. Daran wird weltweit geforscht und entwickelt. Im südfranzösischen Cadarache ist der milliardenschwere Versuchs-Fusionsreaktor ITER im Bau, dessen Weiterfinanzierung nicht gesichert ist. Mit der Einsetzbarkeit kann vielleicht in 40 Jahren gerechnet werden. Abgesehen davon, dass eine großtechnische Anwendung wegen astronomischer Kosten in den Sternen steht, sobald die Machbarkeit demonstriert sein würde, liefert die Kernfusion keinen Beitrag zur jetzt anstehenden Energiewende. Das für den Prozess eingesetzte Tritium ist übrigens der Rohstoff für die sogenannte „unkontrollierte Kernfusion“, die atomare Wasserstoffbombe. Im KIT wird ein Tritiumlabor mit diesem Bombenrohstoff betrieben.
 
Aus den genannten Gründen hat sich die „NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ (NatWiss) am 4. April an KIT und die Zuständigen in Bund und Land gewandt und die Einstellung der gegenwärtigen Kernfusionsforschung verlangt. Die Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer und Harald Terpe haben sich Mitte April ebenfalls für eine Beendigung des Kernfusion-Projektes ausgesprochen, weil damit die Energiewende behindert werde. Die Kanzlerin stellte sich demonstrativ hinter die Kernfusion und sicherte den Standorten Greifswald und Garching die Fortführung der Finanzierung zu, ohne sagen zu können, wo die Mittel für die Energiewende zu den Erneuerbaren herkommen sollen. Erst kürzlich hat die Energiewirtschaft den beim Pakt für die Laufzeitverlängerung zugesagten 1,5-Milliarden-Fond eingefroren. Auch sonst wird seit Fukushima in den Medien fleißig Werbung für die kostspielige Kernfusion gemacht.
 
Und im trauten Wechselspiel der beiden Schimären ziehen Transmutationsbefürworter aus der späten Verfügbarkeit der Kernfusion den Schluss, dass der Ausstieg der falsche Weg ist und unbedingt die schneller verfügbaren Transmutationsreaktoren erforscht und in Betrieb genommen werden müssen. Zu diesem gespenstischen Verlängerungsszenario exakt passend die Gründung der KIT „AREVA Nuclear Professional School“ zwecks „Stärkung des kerntechnischen Know-how“. AREVA NP ist das weltweit führende Unternehmen für die Auslegung und Errichtung von Atomkraftwerken und Forschungsreaktoren mit 18.000 Beschäftigten in allen Teilen der Welt und einem Umsatz von mehr als 3 Milliarden Euro.
In einem Beitrag für die „junge Welt“ am 23. April hat Winfried Wolf die Atomkraft als „extrem unverantwortlich, energiepolitisch unnötig und ausgesprochen unwirtschaftlich“ portraitiert, ebenfalls auf die Rolle der Nazi-Wissenschaftler aus der Gründungszeit und auf den mit Waffen-Uran betriebenen Münchener Forschungsreaktor FRM II hingewiesen. Dazu sei ergänzt, dass der dafür zuständige Prof. Wolfgang A. Herrmann, Präsident der TU München, der zweite Hochschulunterzeichner des Appells zur Laufzeitverlängerung ist. Natürlich reiner Zufall.
 
Tabubruch: Kern- und Waffenforschung unter einem Dach
 
Welcher autoritäre Geist sich im KIT mit abgeschaffter Betriebsverfassung und fast abgeschaffter wissenschaftlicher Mitbestimmung breit gemacht hat, zeigt sich in der Ablehnung der Zivilklausel für die Grundsatzung des Uni-Teils (KIT Campus Süd) durch Präsidium und Gründungssenat, trotz 450 Unterstützungsunterschriften und unter Missachtung eines internationalen Appells gegen Kernforschung und Waffenforschung unter einem Dach. Den internationalen Appell vom Mai 2009 haben über 140 internationale Persönlichkeiten wie Bürgermeister Tadatoshi Akiba von Hiroshima und Physik-Nobelpreisträger Prof. Jack Steinberger unterzeichnet. Undenkbar wäre es im
Kernforschungszentrum zum Beispiel gewesen, militärische Anwendungen der Nanotechnologie zu erforschen, wie das im jetzigen Vorbild MIT (Massachusetts Institute of Technology) mit dem „Institute for Soldier Nanotechnologies“ der Fall ist. Nun aber wird unter dem Dach des KIT militärische Forschung zu einem kognitiven Breitbandkommunikationssystem für Interventionstruppen und zivil deklarierte Forschung für kognitive unbemannte Landfahrzeuge betrieben. Diese sind als „Killer-Roboter“ hauptsächlich für das Schlachtfeld von Bedeutung und zwei Projektleiter sind direkt in der Militärforschung tätig: Prof. Hans-Joachim Wünsche (Bundeswehr-Universität München) und Prof. Jürgen Beyerer in einer Doppelrolle als Lehrstuhlinhaber am KIT und Leiter des überwiegend militärisch forschenden Karlsruher Fraunhofer-Instituts IOSB. KIT verbirgt systematisch Auskünfte bei Abgeordnetenanfragen. Die Bundesregierung hat im letzten Oktober gegenüber dem Parlament gar die 5 Jahre zuvor erteilten Auskünfte über militärrelevante Sicherheitsforschung auf Anordnung des Bundesverteidigungsministeriums unter Geheimschutz gestellt.
 
Energiewirtschaft in Gemeineigentum überführen
 
Der französische Résistance-Kämpfer und Buchenwald-Überlebende Stéphane Hessel erinnert in seiner Streitschrift „Indignez vous! Empört Euch!“ gegen die Diktatur des Finanz-Kapitalismus und die Umweltzerstörung an die europaweiten Schlussfolgerungen nach der Befreiung von Faschismus und Krieg. Am Beispiel des Programms des französischen Nationalen Widerstandsrates stellt er diese so vor: 
„Die Energieversorgung, Strom und Gas, der Kohlebergbau, die Großbanken sollten verstaatlicht werden. In diesem Sinne forderte das Programm »die Rückgabe der großen monopolisierten Produktionsmittel, der Früchte gemeinsamer Arbeit, der Energiequellen, der Bodenschätze, der Versicherungsgesellschaften und der Großbanken an die Nation», die
Errichtung einer echten wirtschaftlichen und sozialen Demokratie unter Ausschaltung des Einflusses der großen im Wirtschafts- und Finanzbereich bestehenden privaten Herrschaftsdomänen auf die Gestaltung der Wirtschaft«. Das Gemeinwohl sollte über dem Interesse des Einzelnen stehen, die gerechte Verteilung des in der Arbeitswelt geschaffenen Wohlstandes über der Macht des Geldes. »Eine rationelle Wirtschaftsverfassung, in der die Individualinteressen dem Allgemeininteresse untergeordnet sind, ohne Diktatur der Sachzwänge nach dem Vorbild faschistischer Staaten« - dies als Auftrag an die provisorische Regierung der Republik.“
 
Das alles ist in Frankreich heute genauso verschüttet wie hier. Im Ahlener Programm der CDU von 1947 heißt es, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung den Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden ist und eine Neuordnung von Grund auf notwendig ist. Die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum war damals gesellschaftlicher Konsens und muss heute zum Programm für ein demokratisches und friedliches Europa erhoben werden. Die durch den Übergang zu den Erneuerbaren geförderte Kommunalisierung ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Titel der VDI-nachrichten am 15. April „Stadtwerke rebellieren gegen Energieriesen“. Von einem Dammbruch ist gar die Rede. Die Gründerin der Elektrizitätswerke Schönau (EWS), dem ersten bürgereigenen Energieversorgungsunternehmen mit Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien, ist Anfang April in San Franzisko mit dem"Goldman Environmental Prize", einen der renommiertesten internationalen Umweltschutzpreise, ausgezeichnet worden.
 
In der vom Unabhängigen Studierenden-Ausschuss (UStA) der Uni Karlsruhe veranstalteten Podiumsdiskussion am 21. April zum Thema „Zukunft der Kernforschung am KIT“ war genau das der beherrschende Streit- und Diskussionspunkt.
 
KIT öffnet sich - Atomforschungsprogramm bleibt strittig
 
Prof. Norbert Willenbacher (KIT Institutsleiter, Bereich Angewandte Mechanik, gleichzeitig tätig für eine Planungs-, Projektierungs- und Betriebsfirma im Bereich erneuerbare Energieanlagen und Energieeffizienz) kritisierte das Missverhältnis von 10:1 in der Forschungsförderung Kerntechnik/Erneuerbare, die eigentlich unbezahlbare Kerntechnik, das EnBW-Oligopol, die Verhinderungspolitik der früheren Landesregierung bezüglich Windkraftanlagen, die dennoch erzielten Markterfolge der Erneuerbaren (z.B. rasch sinkende Stromeinspeisungsvergütung) und die Notwendigkeit einer erheblichen Aufstockung der KIT Forschungsprogramms zugunsten der Erneuerbaren. Und Harry Block (BUND, Grüner Ex-Stadtrat, kritischer EnBW-Aktionär), der die wegen der Koalitionsverhandlungen in Stuttgart verhinderte atompolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion MdB Sylvia Kotting-Uhl vertrat, überzeugte mit der Position, dass die in die Krise geratene Kerntechnik den mit den Erneuerbaren absehbaren Technologiesprung behindert, der andere Länder motivieren wird, ebenfalls auszusteigen. Hier gehe es um eine „Systemfrage“.
 
KIT Vizepräsident Dr. Peter Fritz (Vize des deutschen Atomforums) mit einem Vertreter des KITSponsors EnBW im Gefolge vertrat ungerührt von Ereignissen und Argumenten die „Weiter so“-Linie einschließlich Transmutation und Kernfusion. Im Ergebnis bleibt jedoch festzuhalten, dass das offene Interesse der Anwesenden an einer sachlichen Diskussion der kontroversen Standpunkte bestimmend war. Der UStA hat dazu beigetragen, ein Stück Transparenz zu schaffen. Der begonnene Dialog der KIT Führung mit Studierenden und der Öffentlichkeit muss fortgesetzt werden. Die Risikotechnologie Kernspaltung mit Lockmittel Transmutation und dem Gift Plutonium und das leere Zukunftsversprechen Kernfusion mit dem Gift Tritium müssen beendet werden. Die Atomforschung muss radikal - an die Wurzel gehend - gekürzt und umgestellt werden. NatWiss erklärte dazu seine Überzeugung, dass die betroffenen WissenschaftlerInnen und Beschäftigten in einem intensiven Diskussionsprozess dafür gewonnen werden können, ihre Fähigkeiten auf andere Gebiete der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung für zivile Zwecke zu verlagern.
 
Aufstehen gegen Atomkraft und Atomwaffen. Energiewende Jetzt.
 
Für die erforderliche Wende machen die großen Demonstrationen, die Brechung der 58-jährigen CDU-Herrschaft in Baden-Württemberg und die nach Fukushima wachsende Politisierung der Jugend berechtigte Hoffnung. Von Grün-Rot in Baden-Württemberg kann erwartet werden, dass kraftvolle Zeichen für die Energiewende (Umstieg auf 100 % Erneuerbare und Energie-Einsparung) und für die Zivilorientierung gesetzt werden. Wegen fehlender Aussagen im Koalitionsvertrag zur Zivilklausel für die Hochschulen des Landes sind die Delegierten der beiden Landesparteitage bereits an entsprechende übereinstimmende Wahlversprechen erinnert worden, verbunden mit der Aufforderung zur Nachbesserung.
 
Die Ostermärsche gegen Atomkraft und Atomwaffen und die Protestmärsche an 12 Atomanlagen mit mehr als 150.00 TeilnehmerInnen haben weiter Mut gemacht. Zur Erinnerung: Der erste Ostermarsch gegen Atomwaffen führte 1958 von London zum 83 km entfernten Atomwaffenlabor Aldermaston, organisiert von der "Campaign for Nuclear Disarmament", deren Präsident der zweifache Nobelpreisträger Lord Bertrand Russell war. Im Aufruf zum diesjährigen Ostermarsch Rhein-Ruhr wird ausdrücklich neben der Beendigung der Schulkooperationen mit der Bundeswehr das Ende der Militärforschung an Hochschulen gefordert. Im Ostermarsch Bremen wurde am Beispiel der Kooperation der Universität mit einem Rüstungsunternehmen, das für den geheim gehaltenen Plan eines Spionage-Satelliten arbeitet, an die Einhaltung der in Bremen gültigen Zivilklausel erinnert und an die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Militarisierung der Hochschulen.
 
Zusammenfassender Appell
 
Die Atomkraft ist ein stiller, permanenter Krieg gegen Mensch und Natur. Die Atombombe ist die finale Vernichtungs-Option. Einem Land, von dessen Boden zwei mörderische Weltkriege ausgegangen sind, steht es gut an, mit dem Ausstieg voran zu gehen. Das Zusammenwirken von Friedens- und Umweltbewegung bis hinein in die ökologisch orientierte Privatwirtschaft ist äußerst perspektivreich. Die weltweite Plutonium-Tritium-Diktatur kann und muss zerbrochen werden. (PK)
 
Dr.-Ing. Dietrich Schulze, dietrich.schulze@gmx.de
Beiratsmitglied NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit, www.natwiss.de
Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
tel +49721 385403 hy +49160 9911 3131

Dieser Beitrag erschien in der zweiten Maihälfte 2011 auch in Heft 3, Nr. 11 der "Marxistischen Blätter“ www.marxistische-blaetter.de
 
In der nächsten Ausgabe veröffentlichen wir hierzu aus Leon Grünbaums “Die Genese der Plutoniumgesellschaft - politische Konspirationen und Geschäfte" Kapitel III „Deutsches Zwischenspiel – die Affaire Greifeld".


Online-Flyer Nr. 302  vom 18.05.2011



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