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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Lokales
Mit unsauber recherchiertem WAZ-Artikel eine Straßen-Umbenennung verhindert
Wer hat Angst vor Hans Marchwitza?
Von Heinz-W. Hammer

Der Stadtredaktionsleiter der WAZ Essen, Frank Stenglein, ist dafür bekannt, dass er in seinen Artikeln gegen alles, was auch nur den Anschein von linken Positionen erwecken könnte, mit möglichst dickem Knüppel vorgeht, sei es im Feuilleton, auf den Lokalseiten oder im Politikteil – der Hüter der FDGO ist immer zum Kampf bereit. Im Gegenzug ist er dem Krupp-Konzern, also dessen Führungsspitze, sehr zugetan. Da kann es auch schon mal ein ganzes Buch voll des Lobes sein(1), und für den kleinen Hunger zwischendurch erblicken dann auch schon mal Zeitungsseiten dass Licht der Sonne, die sich vom Anzeigenteil nur in Nuancen unterscheiden.
 

Arbeiterdichter Hans Marchwitza
Nun hat sich Stenglein den Essener Arbeiterdichter Hans Marchwitza zur Brust genommen. Bereits im Titel seiner am 5. April im Lokalteil von WAZ und NRZ erschienenen Suade wird der Scharfrichter deutlich: "Eine Straße für Stalins Poeten – Wie der „Arbeiterdichter“ und hochdekorierte DDR-Funktionär Hans Marchwitza beinahe im Uni-Viertel geehrt worden wäre".(2) Dort ist nun auch online eine heftige Debatte entbrannt.
 
Da hatten sich die Essener Grünen, sonst für linksradikale Umtriebe kaum bekannt, den Vorschlag erlaubt, eine Straße nach dem antifaschistischen Schriftsteller Marchwitza zu benennen und dafür direkt die grobe Kelle bekommen. Denn was täten wir nur ohne die kommunale CDU und den örtlichen Herold der politischen Rechten, F. Stenglein? Unterwandert würden wir, kommunistisch-terroristisch indoktriniert durch von Linksaußen-Agenten Stalins und des Teufels iniitierte Straßenbenennungen. Da schaudert es den deutschen Kleinbürger. Doch die nie erlahmende Wachsamkeit des stets auf schnaubendem Rosse sitzenden Weißen Ritters Sir Stenglein hat uns noch mal so eben gerettet.
 
Denn was wäre das für eine politische Katastrophe gewesen, wenn es in Essen (endlich) eine nach dem Arbeiterschriftsteller Hans Marchwitza benannte Straße gäbe, noch dazu auf dem Territorium des Geistes, der Unvoreingenommenheit und der Intelligenz, dem Uni-Viertel. Ganz in der Tradition der Springer-Presse, die die DDR grundsätzlich in Anführungsstrichen schrieb, setzt auch Stenglein dieses Mittel bei den Begriffen Arbeiterdichter und Arbeiterdichtung ein, um dem Literaten damit zugleich posthum seine künstlerische Identität zu rauben – was für ein journalistisches Ethos!
 
Zwar kommt selbst Stenglein nicht umhin, zumindest den Titel eines Buches von Marchwitza in Klammern zu erwähnen ("Sturm auf Essen"). Ansonsten aber ergeht er sich in übelsten Beschimpfungen des Dichters, ohne auch nur ansatzweise der Leserschaft sein Werk zu erläutern. Dem CDU-Ratsherrn Hans Schippmann, dem Arbeiterliteratur bedrohlich erscheinen mag – schließlich hat er "bis zu seiner Pensionierung Geschichte an Gymnasien unterrichtet" – und den Verwaltungsbürokraten (Bezirksbürgermeister Valerius: "Die Stadtverwaltung hätte uns warnen müssen, wir haben doch gar nicht das Fachwissen.") seien daher einige Dinge ins Stammbuch geschrieben:
 
Hans Marchwitza wurde am 25. Juni 1890 in Scharley bei Beuthen geboren, nicht in Essen, wie der leitende WAZ-Redakteur Stenglein oder sein ihn beratender Geschichtslehrer Schippmann gleich unter zwei Fotos in dem Artikel schreiben ließen.(2) Erst mit 20 Jahren kam er aus Oberschlesien ins Ruhrgebiet, arbeitete hier unter härtesten Bedingungen als Bergmann und begann 1922 zu schreiben. In seinem Roman "Sturm auf Essen", um den auch Stenglein nicht herumkam, geht es um den wahrlich ruhmreichen Kampf der Roten Ruhr-Armee gegen den Kapp-Putsch. Wie in diesem, so handelten auch seine weiteren Bücher (bspw. "Die Kumiaks") vom Leben und Kampf der "kleinen Leute". Marchwitza war Mitglied der KPD und des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller und als solcher Objekt der Verfolgung durch die Faschisten nach der Machtübergabe 1933. Es folgte das tragische Schicksal vieler Antifaschisten: Emigration und Odyssee über die Schweiz, Frankreich in die USA. Rückkehr 1946 nach Deutschland, Stuttgart und 1947 Potsdam.
 
Der Leipziger Professor Dr. Alfred Klein schreibt über ihn: "…hat der Schriftstellerkumpel mit „Meine Jugend“, „Sturm auf Essen“ (…) etwas Einzigartiges für die erzählerische Weitergabe der Menschenschicksale im Ruhrgebiet geleistet – für die dortigen Leser sowieso, aber eben darüber hinaus für das deutsche Publikum überhaupt."(3) Wie man sieht, ist die Beschäftigung mit (guter) Literatur doch etwas umfassender als es uns Herr Stenglein weismachen will ("eine zweiminütige Google-Recherche im Internet" / Product Placement inclusive…). Er scheint eben bei der von ihm mit Wonne betriebenen Hofberichterstattung für Krupp, Beitz et alii(1) tatsächlich besser aufgehoben als bei der Beschäftigung mit progressiver, antifaschistischer und proletarischer Literatur.
 
Auch, wenn Rechtsausleger wie Stenglein täglich daran arbeiten: "Mit Recht in Essen vergessen" sind weder Hans Marchwitza noch die fortschrittliche Arbeiterkultur oder der antifaschistische, proletarische Widerstand. Und hierbei geht es sowohl um die Beschäftigung mit der Vergangenheit wie um die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft.
 
Darauf, Herr Stenglein, um es umgangssprachlich zusammen zu fassen, können Sie einen lassen. (PK)
 
(1) Frank Stenglein: Krupp - Höhen und Tiefen eines Industrieunternehmens, Februar 2009, Verlag Klartext, 288 Seiten
(2) http://www.derwesten.de/staedte/essen/Essen-wollte-Strasse-nach-Stalinisten-benennen-id4505802.html
(3) Zitat und weitere biographische Angaben nach Paul Sielaff in "RotFuchs", 08-2010 


Online-Flyer Nr. 297  vom 13.04.2011



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