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Globales
Deutschem Konzern werden in Brasilien massive Umweltverstöße vorgeworfen
Anklage gegen ThyssenKrupp-Tochter
Von Christian Russau und Peter Kleinert

Die Staatsanwaltschaft von Rio de Janeiro hat gegen ein Tochterunternehmen des deutschen Industriekonzerns ThyssenKrupp und mehrere Verantwortliche für das Mega-Stahlwerk CSA in der Nähe der brasilianischen Metropole Anklage erhoben. Die Companhia Siderúrgica do Atlântico (TKCSA), der Projektleiter des Stahlwerks, Friedrich-Wilhelm Schäfer, sowie der Umweltdirektor, Álvaro Francisco Barata Boechat, werden massiver Umweltverstöße bezichtigt.
 

Sorgt für Ärger - Deutsches Stahlwerk in
der Nähe von Rio
Quelle der Fotos: http://amerika21.de
Sollten die Vorwürfe gerichtlich bestätigt werden, drohen den Projektverantwortlichen bis zu 19 Jahre Haft. Möglich sind auch Strafzahlungen, die komplette oder teilweise Schließung der Anlage, der zeitweise Ausschluss von Staatsaufträgen für einen Zeitraum von fünf Jahren sowie die Aberkennung von Steuererleichterungen, teilte die Staatsanwaltschaft mit.
 
"Ein Stahlwerk der Ausmaße wie CSA, dass im Jahr 2010 fertig gestellt wurde, darf es nicht unterlassen, angemessene Sicherheits- und Kontrolltechnologie einzubauen, die dazu dienen sollte, jegliche Emission von Schadstoffen in Luft und Wasser vorzubeugen und zu kontrollieren", erläuterte Staatsanwalt Daniel Lima Ribeiro. Seit dem Betriebsstart im Juni 2010 habe das 70 km von Rio de Janeiros Stadtzentrum entfernt liegende Stahlwerk weit über den zulässigen Grenzwerten liegende Schadstoffe in die Umgebung abgegeben. Die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei auf ein Gutachten des Instituts für Geowissenschaften der Bundesuniversität Rio de Janeiro, nach dem die zulässigen Grenzwerte in der Umgebung des Stahlwerks bei einigen Schadstoffen um bis zu 600 Prozent überschritten wurden. Die vom Stahlwerk ausgestoßenen Schadstoffe stellten eine "Bedrohung der menschlichen Gesundheit dar, vor allem für die direkten Anwohner im Gebiet von Santa Cruz", so die Presseerklärung der Staatsanwaltschaft.
 
Die Klage gegen ThyssenKrupp erfolgte, nachdem Anwohner Umweltverstöße bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hatten. Die Staatsanwaltschaft teilte in ihrer Pressemitteilung zudem mit, dass im Rahmen des Verfahrens auch gegen den Werkschutz des Unternehmens ermittelt wird. Dieser soll Mitglieder so genannter Mafiamilizen beschäftigen. Die seit 2007 gegen das Stahlwerk protestierenden Fischer, denen durch den Bau des Stahlwerks ihre Lebensgrundlage geraubt wurde, hatten seit 2008 wiederholt von den Bedrohungen durch diese paramilitärischen Gruppen berichtet.
 

Fischerfamilien protestieren gegen das
Stahlwerk
Die Fischer, die auf ihr Anliegen bereits Anfang 2010 auf der Aktionärsversammlung von ThyssenKrupp in Bochum aufmerksam gemacht hatten, verklagten das ThyssenKrupp-Stahlwerk auf Verdienstausfälle beim Fischfang vor den Zivilgerichten in Rio de Janeiro. Die Tageszeitung Folha de São Paulo berichtete Ende November 2010, dass die in den sieben Zivilklagen zusammengeschlossenen 5.763 Fischer bis zu je 300.000 Reais Entschädigung fordern – dies entspräche einem Gesamtbetrag von umgerechnet bis zu 756 Millionen Euro.


Vertriebener Fischer - hat seinen Lebensunterhalt verloren und fühlt sich wie ein Flüchtling im eigenen Land
 
Der zweite Hochofen des umstrittenen Stahlwerks im Stadtgebiet von Rio de Janeiro wurde trotzdem am 17. Dezember 2010 hochgefahren. Dies war dem Unternehmen nur durch einen Erlass des Gouverneurs des Bundesstaates, Sérgio Cabral, möglich. Dieser hatte laut Medienberichten befürchtet, dass ThyssenKrupp 800 Arbeiter entlassen könnte, sollte der Hochofen nicht in Betrieb genommen werden dürfen.
 
Nur wenige Tage nach dem unter strengen Umweltauflagen erfolgten Hochfahren des zweiten Hochofens traf die Anwohner des sechs Milliarden Euro teuren Werkkomplexes die Staubbelastung erneut mit voller Wucht. Zum Jahreswechsel wurden die Häuser der Bewohner der Avenida João XXIII, an der das Stahlwerkgelände direkt anschließt, mit der aus Metalloxiden bestehenden Staubschicht bedeckt, berichtete die Tageszeitung Globo in ihrer Ausgabe vom 26.12. 2010. Eine Anwohnerin berichtete gegenüber amerika21, dass nach dem Hochfahren des zweiten Hochofens die "Staubbelastung so schlimm wie nie war".
Es gibt aber auch andere Vorwürfe gegen ThyssenKrupp: Ein hochrangiger Funktionär des brasilianischen Gewerkschaftsverbandes CUT wurde bei dem Versuch, im Rahmen seiner Gewerkschaftsarbeit die Mitarbeiterunterkünfte der TKCSA aufzusuchen von einem der dortigen "Sicherheitskräfte" unter Schusswaffengebrauch daran gehindert. "Die haben uns dort rausgeschmissen. Mit Revolver am Kopf", sagte Gewerkschafter Jadir Batista auf einer Anhörung der Menschenrechtskommission des Bundesstaates Rio de Janeiro, ALERJ. Alle Aktivisten der Gewerkschaft würden mit Waffengewalt vom Gelände vertrieben, so Batista. (PK)
Hierzu auch in unser Film "Ein Traum von fetter Beute" über den Erzabbau im brasilianischen Regenwald für deutsche Stahlkonzerne.


Online-Flyer Nr. 285  vom 19.01.2011



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