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Lokales
"Räumungsverkauf“ hat das Finanzloch der Stadt Mülheim nicht beseitigt
Als nächstes ist die Jugendherberge dran
Von Lothar Reinhard

Schon zur Jahrtausendwende war Mülheim/Ruhr im Nothaushalt, weil beim Doppelhaushalt 1998/99 ein Loch von 27 Mio. DM nicht gedeckt war. Doch dieses „Dorf der Mächtigen und Klugen“ (WAZ vom 8.8.10) besaß damals noch den größten Teil des regionalen Wasserversorgers RWW, eine stadteigene Müllabfuhr und Abwasserbeseitigung sowie sehr viele RWE-Aktien. Rathaus, Bücherei, Feuerwehr, Stadtarchiv, Gesundheitshaus, Bürgerämter und alle Schulen waren wie selbstverständlich in städtischem Besitz.

Das ist nun, 10 Jahre später, nur noch bei den RWE-Aktien der Fall. Vieles andere wurde privatisiert, verkauft und zurückgemietet, z.T. per PPP-Vertrag im „eigenen“ Gebäude wie beim Medienhaus, drei großen Schulen im Paket oder dem Rathaus.


Jugendherberge am Kahlenberghang steht nun auch zum Verkauf an – aber an wen?
Foto: Armin Kowollik/VKJ
 
 
Doch Mülheim/Ruhr, Heimat und Ausgangsort von Stinnes und Thyssen, von Tengelmann, Metro und Aldi-Süd, hatte immer auch viele Vertreter in bundesweiten Spitzenpositionen. Zum Millenium war gerade Gerhard Schröders Spitzenmann Bodo Hombach nach Auffliegen seiner seltsamen Hausfinanzierung in den Balkon abgeschoben worden, bevor er später WAZ-Geschäftsführer wurde, für die er nun ex-Eon-Chef Bernodat als Sprecher von „Pro Ruhrgebiet“ ablöste. Auch Bernodat kam von Stinnes in Mülheim, genau wie der ex-Staatssekretär Baganz, davor skandalumwitterter OB mit seiner geliebten Rechtsanwältin Frau Jasper als Dauerberaterin beim Ausverkauf, die nun mit Skandalen in Duisburg oder Hamburg glänzt. Ex-Minister Müller, der per Erlass Eon den Ruhrgaskauf entgegen des Kartellrechts ermöglichte, dann den RAG-Verkauf bewerkstelligte und als Bahn-Aufsichtsratschef die Privatisierung vorantrieb, ist auch Mülheimer, genau wie der ADAC-Chef oder die neue NRW-Ministerpräsidentin. Die Liste könnte fast endlos weitergeführt werden, ja selbst die Castoren für Gorleben kommen aus Mülheim.
 
Mülheim früher
 
Der „normale“ Mülheimer aber identifizierte sich damals mit den vielen schönen Stellen und Anlagen seiner Stadt. Im Jahre 2000 besaß die Stadt noch das wunderschöne Kindererholungsheim in Keitum auf Sylt und das herrlich gelegene Schullandheim in Hohenunkeln am Rhein. Viele Erinnerungen hingen daran, genau wie an dem legendären Freibad in Styrum, der stattlichen Jugendherberge in einzigartiger Lage am Kahlenberghang an der Ruhr und natürlich dem berühmten Wasserbahnhof mit der berühmten Blumenuhr als Wahrzeichen der Stadt. An schönen Wochenenden treffen sich dort ganze Pilgerströme von Naherholern aus dem gesamten Revier, um am Leinpfad entlang bis zur JH oder in die Ruhrauen oder gar bis Kettwig zu spazieren. Das eigentliche Gesicht der Stadt aber war geprägt von der Schloßbrücke mit dem Stadtbadgebäude und dem Gartendenkmal daneben einerseits sowie dem Blick auf Ruhranlagen bis zum Wasserbahnhof auf der anderen Seite. Auf der anderen Brückenseite dann das wunderschöne RWW-Gebäude und die Stadthalle am Ufer beiderseits der Brücke. Ein wahrhaft gelungenes Ensemble.
 
Der Viktoriaplatz gab trotz Hajek-Brunnen den Blick frei auf das Museum im herrlichen Gebäude der Alten Post und fernab im Uhlenhorst das „Tal der Könige“, die geschichtsträchtigen Villen der ehemaligen Stahlbarone. Am anderen Ende der Stadt die Heimaterde, eine Kruppsche Arbeitersiedlung als Gartenstadt vom Feinsten.
 
Mülheim heute dank OB Baganz und OB Mühlenfeld
 
Und dann fegten die kurze Baganz-Ära und die folgende Dagmar Mühlenfeld-Periode wie ein Karibik-Hurrikan über das öffentliche Eigentum, die Schönheiten und die Zugänglichkeit der schönsten Stellen der Stadt Mülheim hinweg.
 
Keitum weg, Hohenunkeln weg, RWW-Anteile verkauft, Stadtbad für Luxuswohnungen verschenkt, Gartendenkmal zerstört, Freibad erst geschlossen, nach Riesenaufstand der Bürger wieder geöffnet und dann zum blödsinnigen Naturbad umgebaut, was nun geschlossen werden soll, die Blumenuhr am Wasserbahnhof beinahe abgeschafft, das Klo daneben auf der Schleuseninsel geschlossen und nach Riesenaufstand wieder geöffnet,
 
Die Aufgabe des Museums wurde gerade noch einmal mit viel Bürgerwiderstand abgewendet, die Thyssen-Villa aber wurde zu Luxuswohnungen ausgebaut, u.a. für RWE-Chef Großmann, der Streithof daneben für einen ex-Chef von Karstadt, die evangelische Akademie zum Edelhotel privatisiert, kurzum: Im „Tal der Könige“ ist für die Öffentlichkeit fast nix mehr zugänglich.
 
Thyssen-Krupp wollte für die Heimaterde mit irrsinniger großflächiger Innenbebauung den Marktwert vergrößern, nur ein riesiger Aufstand der Bürger konnte das Schlimmste verhindern, bevor die Siedlung 2005 an wechselnde Heuschrecken verkauft wurde, die z.T. mit Brachialgewalt Stück für Stück die Sozialstruktur veränderten.
 
Und dann sollte auch noch der idyllische Ortseingang Mendener Straße mit fantasielosen Luxushäuschen inkl. Lärmschutzwand verschandelt werden. Auch der herrliche Blick von Oppspring oder Tilsiter Straße ins Rumbachtal soll mit Bebauung von Schulten-Baumers Acker den vielen Spaziergängern dort genommen werden, das geplante Petrikirchenhaus, der geplante Drogeriemarkt im letzten Grüngürtel in Speldorf und, und und….
 
...und die Feuerwache
 
Erst Ende September wurde die überdimensionierte neue Feuerwache in Mülheim-Broich eröffnet, gebaut PPP-artig mit der SMW GmbH (MWB - Mülheimer WohnungsBau e.G., Spasskasse, Hoffmeister Projektentwicklung GmbH). Nun soll sie bereits verkauft werden - als Finanzprodukt, denn sie ist langfristig von der Stadt gemietet. „Ein gutes Geschäft“, sagt SMW, wobei die Genossenschaft des Mülheimer WohnungsBau und die Sparkasse ja eigentlich nicht als Spekulanten im weltweiten Geschäft mit Finanzprodukten vorgesehen sind. Gut, der Hoffmeister braucht anscheinend Geld nach dem Kaufhof-Debakel und dem Ruhrbanium-Flop sowie dem riskanten Kauf von Ruhrbania-Baufeld 2 als Trümmerhaufen, doch dürfen MWB und Sparkasse deshalb ein derartiges Geschäft mit den öffentlichen Geldern überhaupt tätigen? MWB-Chef Esser, gleichzeitig SPD-Chef, sagt ja, s.u.: „Wir wissen, dass wir ein öffentliches Projekt gemacht haben. Aber wir gehören nicht zu denen, die so tun, als ginge uns der Rest nichts an.“
 
Für einen SPD-UB-Vorsitzenden hört sich das sehr schlecht an. Ganz so, als hätte es die Immobilienkrise, die Heuschrecken-Debatte, Woolworth- oder Karstadt-Pleite uswusf. nie gegeben...
 
Richtig perfide wird es aber, wenn dann die unglaubwürdige Mülheimer SPD versucht, dennoch zu punkten, indem sie aus dem „guten Geschäft“ eine Stiftung machen will. Man glaubt es kaum. Das Geschäft ist doch nur deshalb so „gut“, weil hier mit einer absoluten Pflichtaufgabe der Stadt gehandelt wird, die auf 20 Jahre mit Einredeverzicht (wahrscheinlich überhöhte) Einnahmen durch die Stadt garantiert. Ein echtes Schnäppchen für Immobilien- oder Hedgefonds, um damit weiter zu spekulieren. Vielleicht kauft ja als erster Cerberus, denn Höllenhund passt gut zur Feuerwehr, oder?
 
Luxuseigentumswohnungen statt Jugendherberge?
 
Und nun steht auch noch der Verkauf der Jugendherberge für fantasielose Luxuseigentumswohnungen an. Es ist unfassbar, was man/frau einer Stadt in nur einem Jahrzehnt alles antun kann, wenn der große Ausverkaufsrausch die Mächtigen befallen hat.
 
Was für ein Kultur- und Natur-Banausentum! Übrigens: Das Haushaltsloch der Stadt Mülheim beträgt allein für 2010 ca. 100 Mio. Euro. s.o.! Der ganz große „Räumungsverkauf“ des öffentlichen Eigentums hat also das Finanzloch der Stadt nicht beseitigt. Im Gegenteil: Es wurde immer größer, genau wie Intransparenz, Filz und Korruption! Doch das sind weltweit ohnehin immer siamesische Zwillinge.
 
Das aktuelle Angebot zur Umnutzung der Jugendherberge ist in keiner BV und in keinem Ausschuss oder Rat erwähnt, geschweige denn vorgestellt worden. Die MBI fordern, dass dies und mögliche andere Alternativkonzepte, die die Verwaltung geheim gehalten hat, der Öffentlichkeit vorgelegt werden, bevor die Jugendherberge an eine Immobiliengesellschaft verhökert wird!
 

Zu diesem Thema erreichte mich als MBI
-Ratsmitglied dieser Brief des Vereins für
Kinder- und Jugendarbeit in sozialen
Brennpunkten (www.vkj.de):
„Sehr geehrter Herr Reinhard
Wie ich aus der Mülheimer Presse entnehmen konnte, soll die Jugendherberge "Am Kahlenberg" nun an einen Investor verkauft werden. Ich bedaure diesen Schritt sehr und bin überzeugt, dass dies die falsche Entscheidung ist. Mit unserem Konzept (eingereicht im März 2009) "Kinderherberge Villa Kunterbunt" haben wir, aus meiner Sicht, ein zukunfts-weisendes Konzept für den Erhalt der Jugendherberge vorgelegt.
 
Der Zuschuss, den wir in unserer Berechnung zu Grunde legten, wurde uns von der Stadt Mülheim so übermittelt. Wir sind weiterhin überzeugt - auch ohne diesen Zuschuss - mit Unterstützung von Sponsoren - die Kinderherberge mit unserem Konzept tragfähig und zukunftssicher zu betreiben. Wir sind ein Verein mit 142 hauptamtlichen Mitarbeitern und unsere Umsatzerlöse beziffern sich nach der letzten Bilanz auf 6 Mio. Euro, Tendenz steigend. Näheres können Sie auf unserer Homepage unter www.vkj.de nachlesen.
 
Auch einen Erwerb der Jugendherberge können wir uns ernsthaft vorstellen. Hier ist uns, in einem Gespräch in Mülheim, ein Preis von unter einer Million genannt worden. Wir haben diesbezüglich auch schon Gespräche mit unserer Hausbank (Sparkasse Essen) eingeleitet. Auch zur Tengelmann-Gruppe haben wir bereits Kontakt aufgebaut.
 
Um nun aber auch verbindliche Zusagen der Sponsoren einzuholen benötige ich klare positive Signale der Stadt Mülheim, um die entsprechende Summe zum Erwerb auch einzuwerben.
Vielleicht überdenken Sie Ihre Entescheidung nochmals, um den Kindern in Mülheim und Umgebung auch weiterhin eine Nahraumerholung zu ermöglichen.

Mit freundlichen Grüßen,
VKJ Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten Ruhrgebiet e.V.“
 
Ratsentscheidung am 16. Dezember?
 
Der Rat soll nun am 16.12. entscheiden. Der VKJ soll bis zum 1.12. ein endgültiges Angebot abgeben. Das ist sehr knapp, nachdem der einzige Bieter, der das wunderschöne Gebäude der Öffentlichkeit belassen wollte, vorher überhaupt nicht berücksichtigt wurde!


Bild: VKJ
 
Die drei Kaufinteressenten, mit denen bisher allein verhandelt wurde, waren:
1. Der Mülheimer Immobilien-Tycoon Shell, dem u.a. die Immobilien von Mediamarkt und Real in Speldorf gehören.
2. Die Firma Kölbl-Kruse mit Sitz in Essen, aber auch Mülheimer, zuletzt berühmt geworden durch das dreiste Stück mit der Immobilie für das Landesarchiv in Duisburg, das sie für 3 Mio. dem Land vor der Nase wegschnappten und dann für ca. 25 Mio. an das Land verkauften. Dieses Husarenstück konnte nur durch gezielte Indiskretion geschehen. Laut WAZ von heute ermittelt die Staatsanwaltschaft nun gegen OB Sauerland persönlich (Die WAZ beruft sich dabei auf WDR-Berichte).
3. Der dritte Bieter war das türkische „Forum Bildungszentrum Mülheim“, ein undurchsichtiger Verein, der aber auch kein Konzept vorlegte, nur ein Kaufpreisangebot über 315.000 €. Kölbl-Kruse hatten 890.000 geboten, Shell 900.000 €, beide für den Umbau in Luxus-Eigentumswohnungen.

Nun warten die Mülheimer BürgerInnen gespannt auf den 16. Dezember und darauf, ob die JH dann durch Ratsbeschluß an den VKJ geht. Spätestens nach dieser Veröffentlichung sollten sie ihm nicht nur die Daumen drücken... (PK)
 
Lothar Reinhard ist Fraktionsvorsitzender der Mülheimer BürgerInitiatven (MBI) im Stadtrat.


Online-Flyer Nr. 277  vom 24.11.2010



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