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Kultur und Wissen
Buchkritik
"So macht Kommunismus Spaß"
Von Peter O. Chotjewitz

Mit viel Getöse haben die Medien die Veröffentlichung eines Buches begleitet, in dem die Autorin das Leben Ulrike Meinhofs und die gesamte deutsche Nachkriegslinke in den Dreck zieht. Hier eine Rezension des Schriftstellers und Juristen Peter O. Chotjewitz, dessen jüngstes Buch "Alles über Leonardo da Vinci" im Europa Verlag erschien. Die Redaktion.

Nach allgemeiner Lebenserfahrung könnte Frau Röhl auch mit ihrem Vater ein Problem haben. Der war bekanntlich ein fieser Ehebrecher, der die Mutter mit seinen Eskapaden aus der Villa trieb, und auch sonst ein ziemlicher Windhund, hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten als nationalliberaler Betonkopf geriert, um es mal höflich zu sagen. Außerdem bewahrte er sie davor, schon im Alter von sieben Jahren in einem Palästinensercamp für Waisenkinder durch einen Bombenangriff umgebracht zu werden, und erlaubte ihr statt dessen, sich von einem hanseatischen Knaben küssen zu lassen, der später ein bekannter Rechtsanwalt wurde und heute zum Vorstand des Verlagshauses Axel Springer gehört.

Deshalb geht Frau Röhl mit der Lebensgeschichte ihres Vaters erheblich verständnisvoller um und projiziert ihre antikommunistischen Zwangsvorstellungen vorwiegend auf die Mutter. Doch das ist nicht einmal der auffälligste Mangel dieses eitlen, selbstgerechten Werkes, dessen Zweck auch darin besteht, dem Leser zu zeigen, wie viele bedeutende Menschen die heute vierundvierzigjährige Autorin mit den Worten "Ach, Bettina" anreden.

Denn nebst allen Unfähigkeiten, über die Frau Röhl gebietet, fehlt es ihr an den Grundkenntnissen, die das Metier der Sachbuchautorin erfordert. Sie sammelt fleißig wie ein Eichhörnchen, hebt jedes Fitzelchen auf, glaubt jedes Gerücht, ist jedoch außerstande, ihr Material zu gewichten und kommt vom Hundertsten ins Tausendste.

So teilt uns die Autorin auf 700 langatmigen Seiten nicht nur alles mit, was man an familiären Nichtigkeiten erwarten muß, wenn das Buch von einer Persönlichkeit der Zeitgeschichte handelt - also Familienleben der Vorfahren, erste Liebe, Tagebuchnotizen, Kirchenbesuche, Lesefreuden, Konzertabende, Erkrankungen, Kindbett, Blumen auf dem Nachttisch, Mittagessen bei den Schwiegereltern samt Kittelschürze und Abwasch, wilde Partys - sondern belästigt uns auch mit der These, daß Ulrike Meinhof aus Enttäuschung über ihren ehebrecherischen Gatten zur Terroristin wurde.

Hätte Bettina, die sich gerne ablichten läßt, als wollte sie auf der Liste der FDP für den Gemeinderat von Bad Schussenried kandidieren, es nicht dabei belassen können, uns die erschröckliche Moritat der skrupellosen RAF-Terroristin, wie sie inzwischen in einigen hundert Büchern nachzulesen ist, zu präsentieren? Möglichst gesungen und im Stil der Neuruppiner Bilderbögen? Ulrikchen war ein Frauenzimmer, so hold und tugendhaft. Da kam aus Danzig ein junger Mann daher, der wollte Ulrike besitzen und war ein Polsterer. Oder, mal ganz was Neues: Weil sie, o, piis auribus offensivum!, den Staat als Schutzmacht des bösen Kapitalismus betrachtete?

Müssen wir wirklich auch noch Röhls Liebesbriefe an Ulrike und deren Gesäusel an den lieben Mäusebär lesen, aus dem wir nur lernen können, was man schon weiß, nämlich, daß Liebe blind macht? Daß auch Linksintellektuelle strenger Observanz Dummheiten begehen können?

Zum Thema Polsterer: Ja, auch das erfahren wir auf vier strohigen Seiten, nämlich daß Herrn Klaus R. Röhls Ahnen nicht nur Atheisten, sondern auch kaiserliche Korbstuhllieferanten waren, die den Wintergarten des Kronprinzen möblieren durften. Lauter Krümel, einer so belanglos wie der andere, so daß es irrelevant ist, wie authentisch der Kram ist - wie viel sie erfunden hat, wo sie sich von selbsternannten Informanten mit Falschmeldungen hat füttern lassen, und wer sich mit diesem eingebildeten Trutchen einen Jux gemacht hat.

Ein paar Fragen, was das Menschliche betrifft, sind dennoch vonnöten. Wie schafft es Frau Röhl, so penibel über ihr Mütterchen im Krankenbett und in der Kittelschürze zu schreiben, jedoch keinen vernünftigen Gedanken darauf zu verschwenden, warum es sich in seinen letzten zehn Lebensjahren in der bekannten Weise entwickelt hat? Was die Meinhof in den bewaffneten Kampf geführt hat. Was sie da gedacht und getan hat. Wofür sie gelebt hat und gestorben ist. Ermordet vermutlich. Aufgeknüpft in Stammheim, just in den Tagen, da sie ihre Tochter um einen Besuch in der Haftanstalt bat, wo die jedoch nicht hinfahren mochte, weil sie auf eine Fête mußte, wo der spätere Anwalt sie zum ersten Mal küssen sollte.

Das steht so im Buch, und man mag es verstehen. Bettina war noch keine vierzehn, als ihre Ulrike krepierte. Etwas schwerer ist schon zu verstehen, wie kalt es sie noch heute läßt, unter welchen Umständen die Mutter die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte. Denn das ist für Frau Röhl offensichtlich kein Problem. Sie folgt da ganz schlicht der herrschenden Meinung. Ulrike Meinhof war eine Irre, die Selbstmord beging, weil sie nicht mehr weiter wußte.

Ich frage mich: Wie gewissenlos muß ein Mensch sein, der um des literarischen Erfolges wegen versucht, das Leben der eigenen Mutter in den Dreck zu ziehen? Der nicht das Martyrium wahrhaben kann, das die auf sich nahm in der schwer verständlichen Hoffnung auf eine menschlichere Gesellschaft. Der zu keinem Mitgefühl fähig ist und so unbarmherzig auf die letzten Jahre und den Tod der Mutter herabsieht.

Frau Röhl ist, diese Feststellung legt ihr Buch nahe, ein Produkt eben jenes moralisch verrotteten gesellschaftlichen Systems, das ihre Mutter bekämpft hat - erst lernend mit jugendlichem Elan, dann viele Jahre lang als Journalistin an den Verstand appellierend, dann der verzweifelten Einsicht folgend, die der Maler Gustave Courbet 1871 während der Tage der Commune anläßlich des Attentats auf die Vendôme-Säule zweideutig formulierte: "Die einzige Politik, die ich verstehe, ist der Aufruhr!"

Eine Erklärung für Frau Röhls schreckliche Kälte gibt es immerhin. Ihr Buch ist ein Weltanschauungspamphlet. Ein Buch, das hinausreicht über die Biographien und die kleine, geistig eher unbedeutende linke Zeitschrift namens "konkret", die ihrem Vater gehörte, 1973 unterging und nicht mit der 1974 gegründeten Zeitschrift verwechselt werden kann, deren aktuelle Titelseite Sie hier sehen.

Frau Röhls Buch ist weltanschaulich, weil revisionistisch - eine Nachgeburt des Kalten Krieges aus dem Geist des Hexenjägers McCarthy, des US-Senators, der vor über 50 Jahren eine antikommunistische Welle auslöste -, und es zielt darauf ab, die gelegentlichen und nie sonderlich wirksamen sozialreformerischen Einsprengsel in der Geschichte der Bundesrepublik zu diffamieren.

So kommt es nicht darauf an, wie tragfähig die publizistische Fleißarbeit ist, die Frau Röhl darauf verwendet, das alte "konkret" auszuwerten, uns über seine diversen Mitarbeiter und Geldgeber zu informieren und dann das Ganze auf den Misthaufen der Geschichte zu kippen. Es ist nicht einmal wichtig, daß sie unfähig ist, die Zeitläufte, die sie nur aus Büchern und vom Hörensagen kennen kann, fachgerecht zu begreifen und darzustellen, wie es für eine einigermaßen saubere journalistische Arbeit nötig wäre.

Sie will in erster Linie alles durch die Scheiße ziehen, was in den letzten hundert Jahren irgendwie links war. Dem allein dient die Erbsenzählerei, mit der sie sich über das alte und zum Schluß auch ein bißchen über das neue KONKRET hermacht. Dem alleine dient die Beschäftigung mit den Eltern. Dem allein dienen Exkurse über ungezählte Personen und Ereignissen, die für ihr Thema zwar belanglos sind, denen sie jedoch längst schon mal den Stinkefinger zeigen wollte.

Bettina Röhls Spökenkiekerei ist apodiktisch in ihrer Wahnhaftigkeit. Sie kennt keinen Zweifel. Sie betrachtet die Welt durchs Glasauge und schreckt vor keinem Vorurteil zurück. Ihre Liste der Handlanger und nützlichen Idioten einer angeblichen kommunistischen Weltverschwörung schließt die ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann und Johannes Rau ebenso ein wie die erzbürgerlichen Demokraten Erich Kuby und Willy Brandt. Ihr  Verfolgungstrieb ist totalitär und kehrt sich einen Dreck um Demokratie und Rechtsstaat, die sie dennoch fortgesetzt einfordert. Ihre Empörung ist so verlogen wie ihre angebliche Liebe zur Freiheit.

Aktuelle Ausgabe von konkret
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Foto: konkret



Ginge es nach ihr, so hätte das Adenauerregime sich nicht damit begnügt, einige Tausend Kommunisten ins Gefängnis zu werfen, sondern sie auch noch einer Gehirnwäsche unterzogen, um sie zu infantilen Anhängern der freiheitlich demokratischen Grunzordnung der BRD zu machen. Ginge es nach ihr, so hätten die herrschenden Klassen in den siebziger Jahren sich nicht nur der RAF-Kader entledigt, sondern auch einige zehntausend Sympathisanten mit abgeräumt. Wie? Das sagt Frau Röhl nicht. In Umerziehungslagern vermutlich.

Doch es geht ihr, da muß ich mich wiederholen, nicht nur um diese beiden kleinen Gruppen der bundesdeutschen Radikalopposition längst vergangener Zeiten und ihre Fellowtravellers. Bettina Röhls Feindbild ist ein triviales Propagandapanorama von 360 Grad. Wer in der BRD vor 1989 jemals für soziale Reformen, friedliche Koexistenz, gerechten Welthandel und politische Lösungen von Konflikten war, wurde ihren kruden Theorien zufolge von der DDR gesteuert und finanziert. Die alte BRD - ein riesiger Schweizer Käse, in dessen Löchern sich die Agenten des Ostblocks tummelten. Daß Menschen selber denken und selbstbestimmt handeln können und daß soziale Bewegungen quasi naturwüchsig aus der Dialektik der Machtverhältnisse entstehen müssen, liegt außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Da nimmt sie nicht einmal ihre eigene Behauptung wahr, die Bürgerbewegungen in den sozialistischen Staaten, ob in Polen, Ungarn, der CSSR oder der DDR seien nicht gesteuert gewesen. Offensichtlich können Menschen nur eigenmächtig handeln, wo Diktatur herrscht. Wo aber Diktatur herrscht und wo Freiheit, entscheiden die Mächte, denen Frau Röhl ihre Liebe schenkt.

Exemplarisch vorgeführt wird das subversive Wirken des Ostblocks anhand einer Akte "konkret", die Frau Röhl erst kürzlich bei einer Bundesbehörde aufgespürt haben will, auch wenn man ihren wesentlichen Inhalt seit Jahrzehnten kennt. Daß Herr Röhl lange Zeit in der KPD war und daß die RAF eine gewisse Sympathie für die DDR hatte, wußte man seit dreißig Jahren, wenn man sich für Politik interessierte. Man brauchte nur Gerhard Löwenthals ZDF-Magazin zu gucken oder die antikommunistische Propaganda fast der gesamten Presse zu lesen. Seit der Wende wurde man mit derlei Enthüllungen förmlich zugeschissen, nicht zuletzt um PDS und Linkspartei zu desavouieren.

Die Akte "konkret", die Frau Röhl fast vollständig zitiert, belegt, wenn sie kein Fake ist, noch einmal die seit 1955 vermuteten Finanzhilfen aus dem Osten und die Kontakte der "konkret"-Macher zu KPD-Funktionären, die nach dem Verbot der Partei 1956 in die DDR geflüchtet waren. Kontakte, die freilich viele pflegten, die das Verbot für einen Justizskandal hielten oder gar mit der KPD sympathisierten, wie ich seit 1953, aber ich war halt bei Henschel in Kassel, einer der Bastionen der Partei. Wir waren recht viele, die mehr für die DDR tun wollten, als gelegentlich ein Päckchen "nach drüben" zu schicken und in der Adventszeit eine Kerze ins Fenster zu stellen. Die aus guten Gründen nach einer Alternative zur BRD suchten, die gewiß nicht in einer Übernahme der DDR-Politik im Verhältnis eins zu eins bestehen sollte.

Was an Finanzhilfen aus dem Osten allerdings verwerflich sein soll, bleibt mir unbegreiflich. Die kümmerliche Linke im Westen brauchte jede müde Mark, und außer einem Banküberfall hätte sie so ziemlich alles getan, um sie zu bekommen. Hätte sie bei der Bundeszentrale für politische Bildung oder bei Axel Springer um Unterstützung nachkommen sollen?

Auch was an unseren damaligen Gesprächen mit den Genossen im Osten skandalös sein soll, muß Frau Röhl mir erst noch erklären. Ich habe sie nie gescheut, und auch Lindenberg wollte Honecker einst vorsingen. Die DDR, die Sowjetunion, waren unerläßliche Bezugspunkte jeder linken Opposition auf der ganzen Welt. In den USA wie in  Westeuropa, besonders aber in den Kolonialstaaten, gerade dort, wo sie noch oder schon wieder unter der Fuchtel des Imperialismus standen.

Der Gedanke der internationalen Solidarität war, anders als heute, eine starke Realität in den 50er/60er Jahren und sogar noch in der Zeit, da Opportunisten wie Gorbatschow sie schon verraten hatten. Das war es ja gerade, was die Kapitulation der sozialistischen Staaten im Spätherbst 1989 so schmerzhaft machte. Sie fehlen uns bis heute. Das zeigen die Klassenauseinandersetzungen und Kriege der letzten Jahre sehr deutlich.

Im Westen wurde uns diese Solidarität damals um die Ohren gehauen. Das war verständlich, denn es herrschte Krieg. Man nahm es lachend hin. Wer Ostkontakte für verwerflich hielt, stand entweder auf der falschen Seite oder er kannte die Bedingungen des Kampfes schlecht, der wenigstens noch stattfand. Es war sehr einfach: Wer 1945 im KZ saß, hoffte auf die Rote Armee. Wer 1955 ein paar Mark für eine linke Zeitschrift brauchte, ging zur SED, und wer 1975 in der BRD keinen unfairen Prozeß wollte, siedelte in die DDR über. Wer vermeiden wollte, daß die Vereinigten Staaten in Zeiten der Globalisierung der Welt über den Kopf wuchsen, sympathisierte mit der Sowjetunion, mit China, Nordkorea, Kuba, Albanien und, mitunter, auch mit den bewaffneten Widerstandsgruppen in Westeuropa.

Nicht verständlich ist, daß wir uns heute, fast siebzehn Jahre nach Kriegsende dafür an die Brust schlagen sollen. Oder schaut Frau Röhl bereits in die Zukunft? Dürfen wir hoffen, daß dem Kapitalismus schon bald weder ein ernstzunehmender Gegner erwachsen wird? Daß uns schon bald ein neuer Kalter Krieg bevorsteht? Weiß sie mehr als ich? Immerhin darf man den Chefredakteur des "Spiegel" wohl ihren wichtigsten Mentor nennen.

Doch kann das sein? Würde man einer so lachhaften Person ein solches Geheimnis anvertrauen? Denn lachhaft ist wirklich vieles in diesem Buch. Zum Beispiel die Passagen, die von einem Altkommunisten handeln, der ihr von seiner Agententätigkeit im Westen erzählt. Er sagt, was Bettina hören will, nämlich wie er die Opposition in der BRD gelenkt habe. So macht Kommunismus Spaß, ruft sie da. Mag sein, daß es im Osten solche Witzbolde gab, die ihren Genossen im Politbüro weiszumachen versuchten, die Westlinke tanze nach ihrer Pfeife. Glaubwürdig ist es nicht.

Wer so alt ist wie ich, der weiß: Die Linke in der BRD war ein chaotischer, zerstrittener Haufen. Niemals war sie sich einig. Ihre Ideen aber, so konfus sie zum Teil waren, waren nicht gekauft. Sie war nicht käuflich, von einzelnen Karrieristen abgesehen. Ideen sind niemals käuflich. Sie sind sogar unsterblich. Wer aber käuflich ist und auch keine Ideen hat, wie die Horde der Publizisten, die ihr Frau Röhl jetzt zujubeln, wird das nicht verstehen.


Bettina Röhl: "So macht Kommunismus Spaß. Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret", Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2006, 677 Seiten, 29,80 Euro



Online-Flyer Nr. 45  vom 23.05.2006



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