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Sport
Inka Grings Fußballerin des Jahres, „Männermagazin“ kicker goutiert
Was passieren muss!
Von Bernd J.R. Henke

So lautete vor zwölfeinhalb Jahren der Leitartikel in Ausgabe Januar/Februar 1998 der Frauenzeitschrift EMMA. Die Redaktion hatte sich zusammengesetzt mit Spielerinnen, Trainerinnen, Sportfunktionärinnen, Politikerinnen und Fans. Herausgekommen war eine Liste von Forderungen im EMMA Artikel „Was passieren muss“



"Medien müssen dem Frauenfußball mehr Beachtung schenken",
Frauenzeitschrift EMMA 1998 | Quelle: EMMA
 
1998, dass war die Zeit, als die legendäre Tina Theune, die als erste Frau eine Fußballlehrerlizenz erworben hatte, auch erste DFB-Bundestrainerin in Deutschland geworden war. Sie löste den Trainer Gero Bisanz ab, der damals noch Mühe hatte, von seinen Trainerkollegen im Männerfußball akzeptiert und anerkannt zu werden. Theune sorgte für einen weiteren Generationenwechsel. Silvia Neid beendete ihre Karriere, Heidi Mohr musste jüngeren Spielerinnen Platz machen. Dafür sorgten Spielerinnen wie Ariane Hingst, Kerstin Stegemann oder Sandra Smisek für Aufsehen.
 
Die feministische Frauenzeitschrift EMMA publizierte Forderungen, die heute so aktuell wie damals sind. Vieles wurde umgesetzt oder auf den evolutionären Weg gebracht. Historisch gesehen wird diese Zeitspanne bis heute mit der Ägide Theo Zwanziger in Verbindung gebracht werden.
• Das Verbot des Zusammenspielens von Frauen und Männern muss aufgehoben werden.
• Der Mädchen- und Frauenfußball muss von Schulen und vom Deutschen Fußballbund
systematisch gefördert werden
• Auf Bundesligaebene müssen aus Amateurinnen Profis werden.
• Staatliche Förderungen für den Frauenfußball sind gefragt. Alle staatlichen Gelder sollten
quotiert an den Männer- und Frauenfußball vergeben werden.
• Die Medien müssen dem Frauenfußball mehr Beachtung schenken.


 
Fußballerin des Jahres 2010: InkaGrings, Gratulation im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion |  Foto: Karina Hessland, Erfurt
 
Geschichte trifft Gegenwart

Zur ersten Bewährungsprobe für die neue Bundestrainerin Tina Theune wurde die Europameisterschaft 1997 in Norwegen im Ullevaal Stadion in Oslo. Im Finale am 12. Juli 1997, 16:00 Uhr (MESZ) traf die Theune-Elf auf Italien, in deren Reihen die heutige Nationaltrainerin von Kanada Carolina Morace stand. Sandra Minnert und Birgit Prinz sorgten mit ihren Toren für den vierten Europameistertitel. Es war das letzte Länderspiel der Italienerin Morace im Nationaltrikot Italiens.
 
Enttäuschend war der magere Zuschauerzuspruch mit 2.221 Zuschauern. Als Carolina Morace letzten Mittwoch am 15. September mit der kanadischen Frauennationalmannschaft in Dresden ein Freundschaftsspiel gegen Deutschland bestritt, war die Kulisse unweit eindrucksvoller: 20.431 Zuschauer und Fans bejubelten im Rudolf-Harbig-Stadion die Nationalteams von Kanada und Deutschland.
 
 
Ariane Hingst-Fussballerin des Tages in Dresden im Freundschaftsspiel
Deutschland gegen Kanada am 15. September 2010
Foto: Karina Hessland, Erfurt
 
Mit von der Partie in Dresden immer noch die 31-jährige Ariane Hingst, die sich Neids Sonderlob verdiente. Die bislang unumstrittene Abwehrchefin spielte diesmal mit U-20-Weltmeisterin Kim Kulig im defensiven Mittelfeld. Die Frankfurterin war Dreh- und Angelpunkt und besonders auffällig. „Sie fühlt sich auf der Position sehr wohl und hat gezeigt, dass sie diese auch sehr gut ausfüllen kann“, lobte Neid die 31-Jährige. Zwölf Jahre Nationalspielerin, Ariane Hingst befindet sich in Höchstform, im zweiten Frühling. Hingst symbolisiert wie keine andere Nationalspielerin den Übergang des Frauenfußballs vom reinen Amateurstatus zum professionellen Sport.
 
25 Jahre Mitgliedschaft im DFB das sind 25 Jahre Widerstand
 
Im Jahr 1977 als die feministische Frauenzeitschrift EMMA von Gründerin Alice Schwarzer zum ersten Mal in den Druck ging, zählte man 200.000 Fußball spielende Frauen, 1971 waren es 70.000 Spielerinnen. EMMA Redakteurin Beate Fechtig äußerte 1998: „Heute ist Frauenfußball ein anerkannter Wettkampfsport. Das heute niemand mehr wagt, Fußball spielende Frauen öffentlich lächerlich zu machen, haben die Frauen nur sich selbst zu verdanken. Wie sagte die ehemalige Spielerin, Trainerin, Managerin und Herausgeberin Monika Koch-Emsermann, als alle Welt sowie der Verband im Jahr 1995 das silberne Jubiläum des Frauenfußballs im DFB feierte: 25 Jahre Mitgliedschaft im DFB das sind 25 Jahre Widerstand!“ 15 Jahre danach, anno 2010, boomt der Mädchen- und Frauenfußball in Deutschland. Der DFB hat mittlerweile über 1 Million weibliche Mitglieder.
 
Carolina Morace – Nationaltrainerin von Kanada im Frauenfussball
Foto:Morace
 
Legendentreffen
 
Als Spielerinnen standen sich Bundestrainerin Silvia Neid und Kanadas Cheftrainerin Carolina Morace schon unzählige Male für die DFB-Auswahl und Italien gegenüber. Unvergessen das EM-Halbfinale 1989, als Deutschland mit einem Sieg den Grundstein zum ersten europäischen Titelgewinn und zu einer bemerkenswerten Erfolgsgeschichte im Frauenfußball legte. „Wir haben uns recht lange nicht mehr gesehen, kennen uns aber seit 1984“ erzählt Silvia Neid. „Uns verbindet eine gute Freundschaft, wir hatten immer Kontakt zueinander. Sie war die beste Spielerin in Italien, sie war unglaublich gut.“
Torschützenkönigin
 
Als im Jahr 1998 die Redaktion der feministischen Frauenzeitschrift EMMA die fortschrittlichen Forderungen der Frauenfußballerinnen veröffentlichte, erzielte die damals noch sehr junge 19-jährige Inka Grings im DFB-Pokalfinale mit dem FCR Duisburg drei Tore beim 6:2-Sieg über den FSV Frankfurt. Ein Jahr später wurde sie zum ersten Mal Torschützenkönigin in der Frauenbundesliga. Die letzten drei Male war sie es in der Saison 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010, innerhalb der letzten 12 Jahre war Inka Grings sechs Mal beste Torjägerin in der 1. Bundesliga.
 
 
Marketing Gag:Chefredakteur Klaus Smentek mit Pokal im Kreise
von Bundestrainerin Silvia Neid, InkaGrings und DFB-Vizepräsidentin
Hannelore Ratzeburg | Foto: Karina Hessland, Erfurt
 
Männersportmagazin kicker-Ehrung
 
Die heute 31-jährige Inka Grings wurde im Rahmen des Länderspiels der deutschen Frauen-Nationalmannschaft gegen Kanada als "Fußballerin des Jahres" ausgezeichnet. Die Ehrung im Rudolf-Harbig-Stadion nahmen Klaus Smentek, Chefredakteur des Fachmagazins kicker, und DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg vor.
 
Die Angreiferin vom FCR 2001 Duisburg war bei der vom kicker durchgeführten Wahl von den deutschen Sportjournalisten, wie schon im Jahr zuvor, auf den ersten Platz gewählt worden. Die Bundesliga-Torschützenkönigin erhielt diesmal 201 Stimmen. Damit landete sie knapp vor ihrer Nationalmannschaftskollegin Fatmire Bajramaj (181) vom Deutschen Meister 1. FFC Turbine Potsdam. Auf Rang drei wurde Bajramajs Vereinskameradin Anna Felicitas Sarholz mit 124 Stimmen gewählt. Rekordnationalspielerin Birgit Prinz vom 1. FFC Frankfurt, zwischen 2001 und 2008 achtmal in Folge zur besten deutschen Spielerin gekürt, erhielt als Viertplatzierte 60 Stimmen.
 
 
Kicker Chefredakteur Klaus Smentek im Zwiegespräch mit Bundestrainerin
Silvia Neid  | Foto:Karina Hessland, Erfurt
 
Ergebnisberichterstattung
 
Das kicker-Sportmagazin, die Lektüre der Fußballinteressierten schlechthin in Deutschland, Traditionsblatt, schmückt sich schon seit Jahren mit der Überreichung des Preises der Sportjournalisten. Leider verschließt sich der Verlag und die Redaktion seit Jahren einer intensiveren Berichterstattung über Frauenfußball in Deutschland und in der internationalen Szene. Das kicker-Fachmagazin erklärt, dass es keinen ökonomischen Grund gäbe, da die Nachfrage nach Frauenfußball Berichten zu gering sei. Lediglich bei sportlichen Großevents bei Weltmeisterschaften, Europameisterschaften oder Champions League Erfolgen, berichtet das kicker-Sportmagazin etwas ausführlicher. Hintergrundberichte und Analysen über das Frauenfußballgeschehen national, international und regional, nähere Interviews mit Spielerinnen, TrainerInnen und Offiziellen unterbleiben. Reine Ergebnisberichterstattung, die aber dokumentenreif.
 
Glaubwürdigkeit
 
Es fragt sich, ob das jährliche Schauspiel der Preisübergabe an die beste deutsche Fußballerin nur ein preiswerter Marketing Gag ist, oder noch schlimmer: ein Akt der „Überheblichkeit eines Männersportmagazins“. Wo bleibt da die redaktionelle Unabhängigkeit, wo bleibt da Glaubwürdigkeit gegenüber 1 Million Frauenfußballerinnen in Deutschland? Die zwölf Jahre alte öffentliche Aufforderung mit Spielerinnen, Sportfunktionärinnen, Trainerinnen, Politikerinnen und Fans, dass die Medien müssen dem Frauenfußball mehr Beachtung schenken, die wöchentliche Berichterstattung zu vergrößern, erfüllt die „Institution kicker“ kaum.
 
Titelbild der Zeitschrift für Fussball Kultur: 11 Freundinnen
Frauenfussball Magazin, mindestens 6x im Jahr nur Frauenfußball
Foto:G&J
 
Puppenwagen
 
Atlanta Killinger schrieb noch in Ausgabe EMMA 8/89: „Natürlich hat der Frauenfußball noch lange nicht den Stellenwert, den der Jubel jetzt suggeriert. Dazu dominiert der Männerfußball (noch) zu stark. Fußball, das ist gerade in Deutschland ein Nationalsport. Damit kann sich fast jedes männliche Wesen identifizieren, weil's schon im Kindesalter zum Kicken auf die Straße geschickt wurde, während die Mädchen den Puppenwagen durch die Gegend schieben mussten.“
 
Kicker-Chefredakteur Klaus Smentek ist gefordert, nachhaltiger zu reagieren, aber sich nicht nur durch Ehrenpreise mit den internationalen Erfolgen der Fußballerinnen zu schmücken. Der Frauenfußball in Deutschland verdient als Breitensport wie als Spitzensport die gleichen Chancen wie der Männerfußball, auch in der regelmäßigen, nachhaltigen Weise. Männlicher Fundamentalismus auf dem Niveau eines Kaffeeservice in B-Qualität ist out. Die Hälfte vom Ball gehört den Frauen. (HDH)


Online-Flyer Nr. 268  vom 22.09.2010



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