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Aktueller Online-Flyer vom 09. Mai 2024  

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Kultur und Wissen
Ein Buch über „Aufstieg und Fall von Finanzkapital und Militärmacht“
Bye bye, USA?
Von Heiner Karuscheit und Jürgen Elsässer

Die Welt am Wendepunkt: Entfesselte Finanzmärkte, kollabierende Staaten, implodierende Währungen. Was kommt als nächstes? Krieg gegen Iran? Gegen Nordkorea? Wird Israel türkische Kanonenboote torpedieren, die eine neue Gaza-Hilfsflotille begleiten? Wer regiert die USA? Obama? Goldman-Sachs? - Wird die Hypermacht USA durch ihre finanziellen und militärischen Engpässe gelähmt - oder beginnt sie, wild um sich zu schlagen? Wo stehen die europäischen Staaten, da ihre Gemeinschaftswährung erodiert? Das sind einige der Fragen, die Jürgen Elsässer im Kopf herumschwirrten, als er für die NRhZ diese Einführung zu Heiner Karuscheits neuem Buch „BYE BYE, USA – Aufstieg und Fall von Finanzkapital und Militärmacht“ schrieb, aus dem wir hier einige Auszüge bringen. – Die Redaktion
 
Auf einen Nenner gebracht, sahen die beiden ver- gangenen Jahrzehnte den Einsatz der beiden Haupt-instrumente, welche die US-Hegemonie tragen. Flankiert von imperialer Balancepolitik, schickte die Clinton-Administration in den 90er Jahren des 20.Jahrhunderts das Finanzkapital unter der Parole der "economy first" ins Feld. Als dessen Einsatz nicht reichte, um die Vorherrschaft zu festigen, spielte die Cheney-Bush-Administration im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts mit der "Vorwärtsstrategie der Freiheit" die militärische Karte aus. Dabei erlitt sie einen vollständigen Fehlschlag, der eine erneute Umorientierung erforderte.
 
In Fortsetzung der bereits von Cheney-Bush im Irak eingeleiteten Politik der Schadensbegrenzung hat sich die seit Anfang 2009 amtierende Regierung Obama auch in Afghanistan auf eine Exit-Strategie festgelegt. Analog zum Vorgehen im Irak sollen mit einer vorübergehenden Truppenverstärkung als Begleitmusik durch Bestechung "gemäßigter" Taliban und den Kauf von ganzen Stämmen Verhältnisse geschaffen werden, die einen gesichtswahrenden Rückzug der US-Truppen ermöglichen.
 

Obama - auch in Afghanistan auf
Exit-Strategie festgelegt
NRhZ-Archiv
Einige wenige Angehörige des politisch-militärischen Establish- ments vertreten die Auffassung, dass einzelne Korrekturen nicht ausreichen, sondern dass die Lasten der globalen Hegemonial- politik insgesamt zu hoch sind. Christoper Preble, ein ehemaliger Marineoffizier und heute Abtei- lungsleiter in einer Denk- fabrik, hat herausgearbeitet, dass die Aufrechterhaltung des militäri- schen Übergewichts die USA ökonomisch und strategisch überfordert und sie "weniger sicher, weniger wohlhabend und weniger frei" macht. Er plädiert dafür, den globalen Vorherr- schaftsanspruch aufzugeben, die Rüstung zu reduzieren und sich auf eine multipolare Weltordnung einzustellen. (1)
 
Eine derartige Position stellt indes eine Ausnahmeerscheinung dar. Grundsätzlich bleiben die in Washington geführten Debatten "im Rahmen eines hegemonialen Rollenverständnisses gefangen." (2) Obama beruft sich als Vorbild auf F.D.Roosevelt und seine New-Deal-Politik; es geht ihm darum, "unter veränderten Bedingungen die dem Entwurf amerikanischer Weltpolitik nach 1945 zugrundeliegende Rolle als Führungsmacht im Sinne eines liberalen oder 'wohlwollenden' Hegemons zu rekonstruieren". (3) Diese Wiederaufnahme einer Politik des "demokratischen Imperialismus" bedeutet konkret, an die vor 2002 verfolgte Politik anzuknüpfen, wie Brzezinski das schon früh gefordert hat. (4) Als ob zwischendurch nichts geschehen wäre und der Politikwechsel keine Gründe gehabt hätte, versucht die Obama-Administration, zu der imperialen Balancepolitik zurück zu kehren, die bis zur Ausrufung der Bush-Doktrin maßgeblich war.
 
Zur Entlastung des Staatshaushalts hat die Regierung die bemannte Weltraumfahrt eingestellt und bemüht sich zur Minderung der Abhängigkeit von teuren Öleinfuhren um eine neue Energie- und Klimapolitik. Aber mehr als diese sekundären Sparmaßnahmen erfolgt nicht, denn an der Beibehaltung der militärischen Dominanz lässt die Obama-Administration keinen Zweifel. (5) Eine substanzielle Reduzierung der Rüstungsausgaben, um Spielraum für die notwendige Re-Industrialisierung und Modernisierung der USA zu gewinnen, ist von ihr so wenig zu erwarten wie die Unterwerfung der Wallstreet.
 
Zur Verbesserung seiner Wahlchancen hat Obama einen neuen Anlauf zur Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung unternommen, von der vor allem diejenigen profitieren würden, die sich in prekären (Arbeits-)Verhältnissen befinden. Zwar ist es ihm im Gegensatz zu Clinton gelungen, seine Reform verabschieden zu lassen, aber zu welchem Preis? Clinton hatte versucht, eine staatliche Krankenversicherung zu etablieren – und scheiterte damit. Dagegen hatte Obama Erfolg, weil er auf den öffentlichen Versicherungsstatus verzichtete. Stattdessen zahlt der Staat jetzt den privaten Krankenversicherungen aus dem gesellschaftlichen Steueraufkommen die Prämien für über 30 Millionen neu zu Versichernde. Auch wenn die Reform aufgrund einiger Regulierungsmaßnahmen gegen die willkürlichen Aufnahme- und Beitragsregeln der Versicherungen nicht deren Zustimmung fand, bedeutet sie letztlich einen Kotau vor dem Geldkapital.


Hatt die Zustimmung der Massen - F.D.Roosevelt
NRhZ-Archiv
 
Roosevelt konnte in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Politik für das Kapital im allgemeinen gegen die realen Kapitalisten durchsetzen, weil er sich mit seinem Programm des New Deal auf die Zustimmung der Massen stützen konnte. Davon ist die Obama-Regierung weit entfernt. Das fortgesetzte Vorherrschaftsstreben nach außen verhindert die hegemoniale Stabilisierung nach innen, und der fehlende gesellschaftliche Rückhalt verhindert den Bruch mit einer Weltmachtpolitik, die die USA ausbluten lässt. Zwischen Finanzkapital und Militär, den beiden Stützen der Hegemonialpolitik, wird nicht nur die amtierende Regierung zermahlen wie zwischen zwei Mühlsteinen; ebenso ergeht es den Grundlagen der Vormachtpolitik selber.
 
In seiner großen historischen Vergleichstudie zum Thema "ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000" hat der Historiker Paul Kennedy sich mit den Zusammenhängen zwischen Weltmachtpolitik und wirtschaftlichen Grundlagen einerseits sowie der Untergrabung dieser Grundlagen durch strategische Überdehnung andererseits befasst. Für ihn ist keine Frage, dass die Geschichte des Aufstiegs und Falls der führenden großen Mächte "eine auf lange Frist sehr signifikante Korrelation von Produktionskapazität und Staatseinnahmen auf der einen und militärischer Stärke auf der anderen" zeigt. (6) Das 1987 erschienene Werk endete mit der Feststellung, dass die USA auf demselben Weg seien wie die großen Mächte davor und dass der Abstieg in eine "multipolare" Welt unvermeidlich sei.
 
Die Auflösung der UdSSR hat diesen Prozess vorübergehend aufgeschoben, aber nur, um ihn in den letzten Jahren beschleunigt ablaufen zu lassen. Gleich ob ein neuer Krisenschub den Dollar zusammenbrechen lässt, eine weitere politisch-militärische Niederlage den Ausschlag gibt oder ein anderes Ereignis den point of no return markiert - der Fall der Hegemonialmacht ist nur eine Frage der Zeit. (PK)
  
(1) vgl. die kürzlich erschienene Studie von Preble
(2) Rudolf 2010, S. 13
(3) Rudolf 2010, S. 51
(4) Brzezinski 2007
(5) Rudolf 2010, S. 67
(6) Kennedy, S. 12 f
 
"Bye bye, USA – Aufstieg und Fall von Finanzkapital und Militärmacht"
von Heiner Karuscheit, hrsg. von Jürgen Elsässer
104 Seiten, Taschenbuchausgabe, 2010
Kai Homilius Verlag, COMPACT Band 19, 7.50 €
www.compact-reihe.de


Online-Flyer Nr. 254  vom 16.06.2010



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