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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Präsident Morales auf dem Klimagipfel: "Die Menschheit steht am Scheideweg"
“Planet Erde oder Tod“
Von Peter Kleinert

Der Hauptfeind der Mutter Erde ist der Kapitalismus, so die Kernaussage der Rede, mit der Boliviens Präsident Evo Morales am Dienstag vergangener Woche den Weltklimagipfel in Cochabamba eröffnet hatte. Die Abschlusserklärung am Donnerstag - ausgearbeitet von 17 Arbeitsgruppen zum Klimawandel und dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt - warnte eindringlich: "Die Zukunft der Menschheit ist in Gefahr". Für die Einhaltung der Menschenrechte und die "Harmonie mit der Natur" sei es notwendig, die "Rechte der Mutter Erde" juristisch bindend festzuschreiben.


Wollen gemeinsam mit Umweltaktivisten handeln: Morales und Chávez in Cochabamba
Quelle: abi.bo
 
Zehn Rechte der Natur, darunter das Recht auf Leben, Sauberkeit von Luft und Wasser, Schutz vor Verschmutzung und genetischer Manipulierungsollen danach durch Gesetze garantiert werden. Über deren Einhaltung soll in Zukunft ein internationales Klimagericht wachen, um die Länder zu bestrafen, die der Natur massiven Schaden zufügen, so die Abschlusserklärung.
 
Ob die Weltgemeinschaft tatsächlich einen "zerstörerischen Kapitalismus" wolle, für den die "Menschen nur Konsumenten und Arbeitskräfte" sind, solle ein weltweites Referendum zeigen. In seiner Abschlussrede in Anwesenheit von Venezuelas Präsident Hugo Chávez kündigte Gastgeber Morales für Bolivien einen "Sozialismus in Harmonie mit der Mutter Natur" an. Damit widersprach er Kritikern, die das ressourcenreiche Land (Gas, Eisenerz, Lithium) auf dem Weg in eine rücksichtslosen Industrialisierung sehen. Angelehnt an den kubanischen Kampfruf "Patria o Muerte!" (Heimat oder Tod!) rief Boliviens erster indigener Präsident ein "Planeta o Muerte!" in die feiernde Menge im Stadion von Cochabamba, wo sich während der drei Tage rund 5.000 Delegierte aus 174 Ländern und über 25.000 bolivianische Aktivisten getroffen hatten.
 
Auch mehr Mitbestimmung in Sachen Klima wurde gefordert. Nach den enttäuschenden Erfahrungen der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen, wo sich die G8-Staaten mit ihrer "Kopenhagen-Erklärung" über den Rest der Staatengemeinschaft hinweggesetzt hatten, müsse die Diskussion über Gründe und Folgen des Klimawandels endlich demokratischer werden. Es sei "inakzeptabel", das Feld einer kleinen Gruppe von "Regierungen und Unternehmen der sogenannten entwickelten Länder in Komplizenschaft mit einem Teil der Wissenschaftsgemeinde" zu überlassen, heißt es in der Cochabamba-Deklaration. Der Klimawandel dürfe nicht allein auf das "Problem des Temperaturanstiegs" reduziert werden. Angesagt sei Fundamentalkritik. Als Ursache von Gletscherschmelze, Dürre und steigendem Meeresspiegel müsse das kapitalistische System hinterfragt werden. Die Entscheidung, wie es mit dem blauen Planeten weitergeht, "steht einzig und allein allen Völkern zu".
 
Bolivien steht zu den Forderungen des Alternativgipfels
 
"Damit unsere Forderungen respektiert werden, müssen wir uns zusammentun", rief Morales den angereisten Mitgliedern sozialer Bewegungen, Umweltaktivisten und Akademiker zu. Die  entscheidenden "Schlacht" dafür werde auf der UN-Klimakonferenz im mexikanischen Cancún Ende des Jahres stattfinden. Sein Land werde dort jedenfalls die Forderungen von Cochabamba vertreten. Hatte Kopenhagen als maximale Erderwärmung lediglich das 2-Grad-Limit ohne verpflichtende CO2-Reduktionen genannt, will das vom Klimawandel hart getroffene Andenland nur einen möglichen Temperaturanstieg um maximal 1,5 Grad zulassen, erklärte Boliviens UN-Repräsentant Pablo Solón. Die Forderungen kämen "von Unten", damit "die Oben" zuhören, so Außenminister David Choquehuanca.
 
Wenn die Forderungen der Völker Ende des Jahres in Mexiko nicht akzeptiert würden und das Kyoto-Protokoll nicht respektiert werde, werde die auf dieser Konferenz zum Schutze der Mutter Erde entstandene internationale Organisation eine Klage beim internationalen Gerichtshof in Den Haag einreichen, damit alle Länder ihre Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll erfüllen, kündigte Morales an. Die Erklärung von Cochabamba werde er gemeinsam mit Vertretern der sozialen Bewegungen aus aller Welt UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon in New York überreichen, so Morales am Freitag. Die Arbeit für den Klima- und Umweltschutz gehe nun erst richtig los.
 
Die Menschheit steht am Scheideweg
 
Solange man das kapitalistische System nicht verändere, hätten alle Aktivitäten, auch eine wie dieser Gipfel in Bolivien, nur einen "begrenzten und prekären Charakter", hatte Morales bereits in seiner Eröffnungsrede am ersten Tag erklärt. Die Menschheit stehe am Scheideweg, sie könne den Weg des Kapitalismus weitergehen oder einen Weg einschlagen, der zu Harmonie mit der Natur und Respekt vor dem Leben führe. Wörtlich: "Es kann nur dann ein Gleichgewicht mit der Natur geben, wenn es ein Gleichgewicht unter den Menschen gibt. Es kann keine Harmonie mit der Mutter Erde geben in einer Welt, in der sich fünfzig Prozent des Reichtums auf diesem Planeten bei einem Prozent der Bevölkerung konzentrieren." Dieses neue Wertesystem begründe sich auf dem Prinzip der Solidarität und der Gerechtigkeit, auf Respekt vor den Menschenrechten und der Mutter Erde, auf dem Schutz des gemeinsamen Erbes der Menschheit wie Atmosphäre, Wasser und Biodiversität. Garant für den Frieden zwischen den Menschen und mit der Mutter Erde sei in organisatorischer Hinsicht das neue sozialistische kommunitäre System, das in seiner Funktionsweise jegliche Formen des Kolonialismus und des Imperialismus beseitigen könne. Staaten, die einen gewissen Grad an Verbesserungen benötigten und den Weg der Industrialisierung suchten , um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen zu können, dürften auf keinen Fall den Weg der sogenannten entwickelten Länder gehen, "denn diese haben eine ökologische Narbe hinterlassen, die fünfmal größer ist als das, was der Planet ertragen kann", führte der Präsident weiter aus und betonte in diesem Kontext die Bedeutung der sozialen Bewegungen, und hier vor allem der indigenen, als wahrhaftes Vorbild für ein alternatives Entwicklungsmodell.


Eduardo Hughes Galeano
Quelle:de.academic.ru
Grußbotschaften an den Klimagipfel in der 2560 Meter hoch in den Anden gelegenen viertgrößten Stadt Boliviens, deren 625.000 Einwohner im Jahr 2000 mit ihrem “Wasserkrieg“ gegen die Privatisierung der Wasserversorgung durch den U.S.-amerikanischen Bechtel-Konzern erfolgreich waren, wurde vor allem der Brief des uruguayischen Schriftstellers Eduardo Hughes Galeano bekannt. Hier der von Klaus E. Lehmann übersetzte Text: 
Auch wenn ich nicht bei Euch sein kann, möchte ich doch auf irgendeine Weise Euer Treffen als Treffen meiner Leute begleiten. Um da zu sein ohne dabei zu sein, sende ich Euch also diese Worte. Ich möchte Euch sagen, dass hoffentlich alles Mögliche getan werden kann, und auch das Unmögliche, damit dieser Gipfel der Mutter Erde ein erster Schritt hin zum kollektiven Ausdruck der Völker sei, die zwar nicht die Weltpolitik bestimmen, die aber unter ihr leiden. Hoffentlich werden wir dazu in der Lage sein, diese beiden Initiativen des Compañero Evo voran zu treiben: das Tribunal der Klimagerechtigkeit und das weltweite Referendum gegen ein Machtsystem, das auf Krieg und Verschwendung beruht, das menschliche Leben gering schätzt und die Flagge des Meistbietenden auf unsere irdischen Güter setzt.
 
Hoffentlich werden wir dazu in der Lage sein, wenig zu reden und viel zu tun. Die Inflation der Worte, die in Lateinamerika schädlicher ist als die monetäre Inflation, hat uns großen Schaden zugefügt und tut dies auch weiterhin. Und außerdem und vor allem haben wir die Heuchelei der reichen Länder satt, die uns den Planeten nehmen, während sie pompöse Reden schwingen, um diese Beschlagnahmung zu bemänteln.
 
Es gibt Leute, die sagen, dass die Heuchelei der Tribut ist, den das Laster an die Tugend entrichtet. Andere sind der Meinung, dass die Heuchelei der einzige Beweis für die Existenz des Unendlichen sei. Und das Gerede von der so genannten internationalen Gemeinschaft, diesem Club von Bankiers und Kriegstreibern, beweist, dass beide Definitionen richtig sind.
Ich will dagegen die Kraft der Wahrheit preisen, die aus den Worten und aus dem Schweigen hervorgeht, welche die Gemeinschaft des Menschen mit der Natur ausstrahlt. Und es ist auch kein Zufall, dass dieser Gipfel der Mutter Erde in Bolivien abgehalten wird, in dieser Nation der Nationen, die dabei ist, sich nach zwei Jahrhunderten eines verlogenen Lebens selbst wieder zu entdecken.
 
Bolivien hat gerade den zehnten Jahrestag des Sieges der Volksbewegung im Wasserkrieg gefeiert, als es die Bevölkerung von Cochabamba vermochte, eine allmächtige Firma aus Kalifornien zu besiegen, die sich auf Grund der Machenschaften einer Regierung, die sich als bolivianisch bezeichnete und sehr großzügig mit dem Besitz anderer umging, zum Besitzer des Wassers aufschwingen wollte. Dieser Krieg um das Wasser war eine der Schlachten, die dieses Land auch weiterhin zur Verteidigung seiner natürlichen Ressourcen führt oder vielmehr zur Verteidigung seiner Übereinstimmung mit der Natur. Dabei gibt es Stimmen der Vergangenheit, die in die Zukunft hinein sprechen.
 
Bolivien ist eine der amerikanischen Nationen, in der es die indigenen Kulturen verstanden haben zu überleben, und diese Stimmen ertönen, trotz langer Zeiten der Verfolgung und Missachtung, heutzutage stärker als jemals zuvor. Die ganze Welt, die verstört wie ein Blinder im Kugelhagel umherirrt, sollte auf diese Stimmen hören. Sie lehren uns, die wir nichts als kleine Menschlein sind, dass wir einen Teil der Natur darstellen und verwandt mit allem sind, was Beine, Pfoten, Flügel, Flossen oder Wurzeln hat. Die europäische Eroberung verurteilte die Indigenas, die diese Gemeinschaft lebten, wegen Götzenanbetung. Sie wurden wegen ihres Naturglaubens ausgepeitscht, enthauptet und bei lebendigem Leibe verbrannt.
Seit jenen Zeiten der europäischen Renaissance ist die Natur entweder zur Ware oder zum Hindernis für den menschlichen Fortschritt geworden. Und bis zum heutigen Tag hat sich diese Trennung zwischen uns und ihr soweit fortgesetzt, dass es immer noch Menschen guten Willens gibt, die zwar um die bedürftige, so misshandelte und verletzte Natur besorgt sind, sie aber doch nur von außen betrachten.
 
Die indigenen Kulturen dagegen sehen die Natur von Innen: Indem ich sie ansehe, sehe ich mich selbst; was ich gegen sie tue, ist gegen mich selbst gerichtet; in ihr finde ich mich selbst, meine Beine beschreiten ihren Weg. Begehen wir also diesen Gipfel der Mutter Erde und hoffen wir, dass auch die Schwerhörigen die Kunde vernehmen: Menschenrechte und Naturrechte sind zwei Bezeichnungen für dieselbe Würde. (PK)
 
Eduardo Hughes Galeano (geb. am 3. September 1940 in Montevideo, Uruguay) ist Journalist, Essayist und Schriftsteller. Mit zwanzig Jahren wurde er stellvertretender Chefredakteur der MARCHA, einer Zeitschrift für Kultur und Politik in Montevideo. Später war er leitend bei mehreren linksgerichteten Zeitschriften tätig; 1976 ging er ins spanische Exil, wo er bis zum Ende von Uruguays Militärdiktatur 1985 blieb. 1971 erschien die erste Fassung seines wichtigsten Werkes Las venas abiertas de América Latina (dt. Die offenen Adern Lateinamerikas), welches sich mit der Geschichte Lateinamerikas, insbesondere den Kolonialherrschaften alter und neuerer Prägung auseinandersetzt.
 
Dieser Bericht wurde aus Beiträgen von Benjamin Beutler, Klaus E. Lehmann, Kerstin Sack und Roswitha Yildiz für das Internetportal amerika21.de zusammengestellt.  


Online-Flyer Nr. 247  vom 28.04.2010



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