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Aktueller Online-Flyer vom 17. April 2024  

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Inland
Vergewaltigungen und Prügelstrafen auch bei den Regensburger Domspatzen
Der Dom, die Spatzen und der Pfaff - Teil 2
Von Wolfgang Blaschka

Ausgesuchte Knabenstimmen zum Engelsklang eines berühmten Chores zu verschmelzen war das eine. Das andere war das strenge Strafregime unserer sadistischen Präfekten und Direktoren. Die meisten waren Priester. Die Gottgeweihten bewirtschafteten einen quirligen Tümpel quakender Frösche. Das waren wir. Dann neigten sie sich herab, und siehe da: Im Spiegel der Wasserfläche wurden sie immer öfter zu giftigen Kröten. Wir hatten Angst vor ihnen. Manchmal wurden sie schwach und fischten im trüben Gewässer. Sie, die über uns standen, und die Rohrstöcke sausen ließen, um uns zu dirigieren und abzurichten. Und gelegentlich tauchten sie ein wie in einen Jungbrunnen. Die Opfer von damals sind heute Mitte Fünfzig. Sie befinden sich immer noch im Bann ihrer früheren Qualen. – Hier der zweite Teil des Artikels über die Regensburger Domspatzen.
 

Regensburger Domturm
Alle Fotos: Wolfgang Blaschka
Der kriminelle Katholik stand für seine Generation. Es war nicht nur das Verbrechertum innerhalb der Kirche, sondern der ganzen zur Trauer unfähigen Gesellschaft im wieder aufgerüsteten Westdeutschland der postfaschistischen Ära, die erst mit ’68 allmählich zu Ende ging. Es war die Brutalität der Kriegsgeneration, die – verroht, entmenscht und verheizt – nach mittlerweile zwanzig Jahren ihre immer noch schwelende Rache nahm an uns für den verlorenen Krieg, für ihre eigene gestohlene Jugend und für all diese unglaublichen Vorwürfe wegen ihrer gigantischen Verbrechen, ihrer bodenlosen Feigheit, ihres skrupellosen Opportunismus, ihrer erbärmlichen Verlogenheit. Wo sie doch gedacht hatten, junge Helden, echte Heroen, standhafte Teutonen, kraftstrotzende Übermenschen, arische Herrenmenschen – eben stramme Deutsche – zu sein oder sein zu müssen.
 
In Wirklichkeit waren sie nichts als Strandgut eines Vernichtungsfeldzuges auch gegen sich selbst. Umso schlimmer für sie, dass ihre Tugenden allmählich nichts mehr galten, ihr selbstverleugnender Kadavergehorsam keinen Respekt mehr genoss, „ihre Zeit“ vorbei zu gehen begann. Ihre Vorstellung von Disziplin, ihr Ordnungsgefüge, ihre Anschauungen sahen sie entwertet, ihre Autorität fanden sie untergraben. Sie schlugen um sich, als kämpften sie noch einmal und immer noch einmal um den „Endsieg“ – vergebens. Panzerfahrer Meier blieb in seinem Panzer – bis zuletzt.
 
Sie fühlten sich als Opfer, und wurden – schon wieder oder immer noch – zu Tätern. Sie hatten es so beigebracht bekommen, es war ihnen eingebläut worden, sie hatten es mit der Muttermilch aufgesogen und mit jedem Sirenenalarm, bei jedem Geländespiel und beim Fahnenappell bis ins Mark verspürt: Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter. Einige erkannten genau darin ihre Berufung, hart zu werden. Härter noch als Kruppstahl, viel fester noch im Glauben. Nicht an sich selbst, im Glauben an die Menschheit oder an die Menschlichkeit, sondern an Gott. Gerade, wo doch nach Auschwitz kein Gott existieren konnte, mussten sie ihn suchen. Ihn, diese ultimative Autorität nach all der Unmenschlichkeit. Seine irdische Agentur hatte das Desaster unbeschadet überstanden, seine Niederlassungen arbeiteten unversehrt, der Apparat blieb intakt. Sie selbst waren es nicht.


Wolfgang Blaschka und seine Mitschüler der Klasse 3 in Etterzhausen
 
Manche von ihnen wurden zu Alkoholikern, Sadisten, Kinderschändern. Zu psychischen Wracks. Wohlgenährte, selbstgerechte Abfallhaufen ihrer selbst. Instinktiv merkten wir das. Kein Wunder, dass wir ihnen später nicht mit Unterwürfigkeit begegneten, sondern mit ansatzweiser Aufmüpfigkeit. Je mehr sie prügelten und droschen, desto mehr verachteten wir sie. Sie waren unglaubwürdig durch und durch. Sie waren – Erwachsene! Niemals wollten wir so werden wie die: Abschaum ihres unverdauten und umso brockenhafter ausgekotzten Deutschtums, bigotte Kleriker, die Wasser predigten und Wein tranken, von Nächstenliebe säuselten und Kinder über den Schreibtisch legten, um sie von hinten zu nehmen. Mit dem Stock oder mit dem Geigenbogen oder mit dem Schwanz, das war schon beinah einerlei. Entscheidend war die Entwürdigung – unsere wie auch die ihre. Ihre höchste Erregung fanden sie in unserer Züchtigung. Sie straften uns zur höheren Ehre Gottes wie zu ihrer eigenen Befriedigung, bis wir sangen, wie sie es wollten. Sie wähnten sich in ihrem päderastischen Eifer in pädagogischer
Mission – alles geschehe nur zu unserem Wohl. Wir würden es ihnen später zu danken wissen.
 
Es sei noch keiner umgekommen von einer harten Hand, aber viele seien zu starken Menschen erzogen worden. So müssen die Ansprachen eines Baldur von Schirach geklungen haben. So klangen sie aus dem warmen Zigarettenatem des Direktors Meier, wenn er mal philosophisch wurde, was eher selten vorkam. Manchmal fiel ihm beim angestrengten Zuschlagen die viel zu lang geglühte Zigarettenasche auf das speckig schwarzglänzende Anzugjackett über dem Priesterkragen und kullerte von dort auf den Boden. Er bemerkte es kaum, so sehr war er auf den Strafvollzug versessen. Und wenn ja, dann nur aus dem zusammengekniffenen Augenwinkel. Dann trat er wie beiläufig mit seinen Hausschuhen darauf, um sie zu zerstäuben. „Asche zu Asche, Staub zu Staub“, so träumte ich gelernter Ministrant in solchen Situationen, um meine Gedanken zu zerstreuen, bevor ich dran kam zur Abfertigung mit Weidenrute, Bambusrohr oder ausgemustertem Violinbogen. Ich durfte mir aussuchen, ob ich außen oder innen auf die Hand geschlagen werden wollte. Beim Wegziehen wurden das jeweils letzte Fünferpack Schläge noch einmal mit verabreicht. Man konnte so auf maximal 27 Hiebe kommen, wenn man – im dümmsten Fall – jedesmal beim letzten Schlag weggezogen hätte. Man zog nicht weg. Man weinte nicht. Man winselte nicht um Gnade. Sollte den Mistkerl doch der Herzinfarkt treffen, bevor er uns schwach gesehen hätte! Diese Erziehung funktionierte. Wir wurden hart. Gegen uns selbst, und auch gegeneinander. Wir sprachen einander mit Familiennamen an. Nur selten habe ich jemanden heulen gesehen.
 
Nichts hätte ich lieber getan als zu seiner Beerdigung zu jubilieren, aus übervollem Herzen, wenn auch noch mit den letzten Spreißeln in den Fingerbeugen. Allein so etwas zu denken – eine Sünde! Aber davon wusste er nichts, und ich habe es ihm auch nie gebeichtet. Er war nicht nur geschäftsführender Internatsleiter, Religionslehrer und oberster Zuchtmeister – Richter und Vollstrecker in einem –, sondern auch unser Beichtvater mit violetter Stola, der alles ganz genau wissen wollte: Unkeusches getan, gesagt, angehört, angeschaut, gedacht? Allein oder zu zwein oder zu mehreren? Wo genau und wie? Mit wem? Dabei hielt er sein Bußgesicht in ein weißes Tuch gebeugt. Wir knieten in einem Schlafsaal einzeln nacheinander auf einem Beichtschemelchenvor ihm, der am Tisch saß. Wir wurden nicht mit Namen angesprochen. – Als hätte er uns nicht an unseren Stimmen erkannt!
 
Das hatten sie schon drauf, diese Scheinheiligen. Für zehn Vater-unser und zehn Ave-Maria gab’s dann die Absolution. Aber nur, wenn genügend offenbart wurde. Ein Mitschüler, der nur zu berichten gewusst hatte, zweimal gelogen zu haben, wurde zurück in die Hauskapelle geschickt zur abermaligen Gewissenserforschung. Nach einer Viertelstunde trat er zum zweiten Mal zum Sakramentsempfang an und erzählte das Blaue vom Himmel herunter, was der Priester gern hören wollte. Für die vielen Münchhausen-Geschichten war er’s dann zufrieden, und der sündhafte Lügner bekam schließlich die ersehnte Lossprechung von seiner erlogenen Sünderei. Die Beichte ward zur Lüge. Die Lüge hatte System. Die Lüge war das System. Das System Meier: „Ich bin Dein Gott und Herr. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“. Das hätte ihm gefallen. Das Beichtgeheimnis war sein monopolistisches Kapital. Aber er fiel und fiel nicht tot um – nur manchmal hüstelte er gepresst, wenn seine bläuliche Rauchfahne ihm brennend ins Auge hinter der goldgeränderten Brille schmauchte. Die waren „zäh wie Leder“, diese Schweinepriester! Und sie schlugen scheinbar emotionslos zu mit sorgsam verborgener Fleischeslust, deren zehrende Glut sie mit Kälte überspielten, gaben sie doch nach außen den gerecht strafenden (Über-)Vater, der barmherzig Buße verabreichte.
 
Ich hätte fragen sollen, ob man bereits abgestrafte Vergehen noch mal beichten hätte sollen. Wahrscheinlich wäre mir daraufhin kein katechetischer Diskurs, sondern die Sünde der „Hoffahrt“ angehängt worden. „Hoffährtig“ zu sein war überhaupt eines der schlimmsten. Es heißt soviel wie anmaßend, stolz, aufbegehrend. Da half nur eine Extraportion Demut. Die wurde dann eingeprügelt. Ein täglicher Sado-Maso-Salon muss das gewesen sein für den Direktor dieses Etablissements, dessen Zögling ich war. Dass das grausame Prozedere bei hellichtem Tag etwas mit pervertierter Sexualität zu tun haben könnte, ahnte ich freilich damals nicht. Es tat einfach nur grausam weh. Es war wie ein letztes Aufbäumen gegen den Strom der Zeit. In ihren Köpfen war immer noch Krieg und noch längst kein Frieden. So war die offizielle Außenpolitik, und so war ihr persönliches Empfinden. Bestenfalls Waffenstillstand, Nichtkrieg, solange „die Ostgebiete vom Feind besetzt“ bzw. – „z.Zt. unter polnischer/sowjetischer Verwaltung“ standen. Die Schul-Atlanten zeigten ein geteiltes „Deutschland in den Grenzen von 1937“. Andere Karten waren zum Unterricht in Bayern gar nicht zugelassen.
 
Die CSU war so rechts, dass sie die NPD mühelos marginalisierte. Gelungene Integration nannten sie das, lange bevor sie das Wort dann auf Migranten anzuwenden lernten, nachdem sie es jahrzehntelang als Sozialpädagogen-Geschwätz abgetan hatten. Kirche und CSU waren fast ein- und dasselbe. Vor den Bundestagswahlen wurde von den Kirchenkanzeln herab den gläubigen Schäfchen in „Hirtenworten“„verkündet“, wen oder was sie zu wählen hatten. Der Zeitgeist der frühen 60-er Jahre bot reichlich schwarzbraunen Humus, fetten Nährboden für Scheinheiligkeiten aller Art. Frisch entnazifizierte Nazis allenthalben in Amt und Würden, zu Demokraten geläuterte Klerikalfaschisten in der CSU, umgemodelte Völkische bei der CDU, auffrisierte Deutschnationale in der FDP, Nationalisten in der SPD. Alle standen mit breiten Stiefeln fest auf dem Grundgesetz herum und versicherten einander, dass man „heutzutage in einer Demokratie lebe“, die Todesstrafe aber nur solange abgeschafft bliebe, wie das Volk, also sie selbst nicht die Möglichkeit zum Plebiszit hätten. Ansonsten könne man für nichts garantieren. Nur die Kommunisten waren vorsorglich oder nachsorglich (wie sonst europaweit nur noch im Franco-Spanien) verboten. Sie wären schließlich die „Hauptnutznießer“ der Todesstrafe geworden. Da müsse man schon aufpassen. Der „Iwan“ stünde sonst „binnen 48 Stunden am Rhein“.
 
In diesem Klima galt Gewalt gegen Frauen und Kinder als „Kavaliers“-Delikt, und Züchtigung als des Mannes stattliche Zier, sittliche Pflicht und moralisches Vorrecht. Auch wenn die offizielle Gesetzeslage schon längst nicht mehr so war – der Common Sense bestand immer noch. „Zucht und Ordnung“ waren keine per se anrüchigen Vokabeln, bei denen man unwillkürlich an Neonazis hätte denken müssen. Es gab ja genügend Altnazis. Wäre einer von uns Malträtierten zur Polizei ins Dorf gegangen, hätte er ziemlich wahrscheinlich links und rechts eine geschmiert bekommen mit der väterlichen Belehrung, sich augenblicklich zu schleichen und künftig besser zu überlegen, was er sage. Das sei ja doch wohl unerhört. Unglaubliche Frechheit! Solch eine unbotmäßige Aufsässigkeit! Diese Jugend heutzutage, was bildet die sich eigentlich ein?! „Ein paar saftige Watschen haben noch niemandem geschadet“. Die waren eine allgemein anerkannte Erziehungsmethode und keinesfalls ehrenrührig – wenngleich offiziell strafbewehrt. Kaum ein Unmensch hielt sich an solch „neumodische“ Gesetze, – Kindererziehung ginge doch wohl den Staat nichts an, schließlich lebten wir doch „heutzutage in einer Demokratie“, oder wie?! Als wäre damit gemeint: Da schlägt man seine Kinder eben selbst.


Klasse 4 in Etterzhausen
 
Uns haben sie regelrecht gequält. Während die „Herren“ im Speisesaal auf einem Podest tafelten (auf einem Rollwägelchen schoben sie sich die Bratenstücke, die Knödelplatten und Soßenterrinen zu) und über das obligatorische Silentium wachten, während sie sich leise unterhielten, bekamen wir unter der Woche nur bescheidene Kost, jeden Tag Kartoffeln und Erdäpfel, Erdäpfel und Kartoffeln – meist mehlige Pampe, seltener als Bratkartoffeln, Reiberdatschi oder Kartoffelbrei, doch regelmäßig schlichte Salzkartoffeln, dazu Fisch, selten Würste, aber immer verkochtes Gemüse oder lieblos angemachten Blattsalat. Keinen Nachtisch normalerweise, nichts Süßes – außer freitags Mehlspeisen. Kaum je Obst – außer sonntags Kompott und zu Nikolaus Mandarinen. Einmal gab es Wirsing. Einer meiner Mitschüler, ein Bäckerssohn, mochte ihn nicht nur nicht, sondern reagierte regelrecht allergisch darauf. Er ließ das Gemüse unberührt auf dem Teller. Als der Direktor das von seinem erhöhten Sitzplatz aus erspähte, stellte er sich neben ihn und befahl ihm aufzuessen. Der kleine Albert weigerte sich. Der Direktor packte ihn und zwang ihm die Gabel mit dem verabscheuten Essen in den Mund. Nach ein paar Schlucken übergab er sich auf den Teller. Der Direktor zwang ihm das Erbrochene wieder und wieder in den Kropf, fütterte ihn gewaltsam. Ich hätte beim Anblick dieser Pein fast selber gekotzt. Er ließ erst ab, als Paula, eine eher mütterlich wirkende Küchenhilfe mit geknotetem Haarschopf, herbeieilte und den Teller mit der Sauerei beherzt abräumte.
 
An solchen Tagen wähnte ich mich in einem Kinder-KZ. Es wurde legal betrieben in der jungen Bundesrepublik, doch das Wachpersonal war noch in deren Rechtsvorgänger sozialisiert worden. Die Erniedrigung, die Brechung des Willens, Gehorsamserzwingung, Entsolidarisierung, Disziplinierung und gnadenlose Abhärtung waren grausiges Programm. Das Wort Demokratie klang aus dem Munde alter Nazis wie eine Totschlag-Keule. Wie die immerwährende Drohung, dass man auch anders könne. Schon das Wort „Diskussion“ klang ihnen aufmüpfig. „Demonstration“ war des Teufels – außer die der blanken Macht. Mit derlei Kram mussten sich die Kleriker ohnehin nie herumschlagen. Ihr höchstes Gesetz war das des Vaticans, und das war das Recht des Allerhöchsten – von jeher jenseits irdischer Mächte.


Domspatzenheim Etterzhausen
 
Tatsächlich lebt die katholische Kirche bis heute mit ihrer ganz eigenen, internen Jurisdiktion, garantiert von jenem Konkordat von 1933, das Adolf Hitler mit Pacelli abgeschlossen hat, und das bis heute die staatlich organisierte Eintreibung der Kirchensteuern, die Bezahlung der Krankenhaus-Seelsorger und Militärbischöfe, der Gefängnispfarrer und diverser Theologie-Professoren aus öffentlicher Hand garantiert. Die Kirche darf Lehrstühle besetzen und Schwangere beraten, die teuersten Immobilien in besten Citylagen kostenfrei und ausschließlich nutzen, ohne für den Denkmalschutz zuständig zu sein. Sie betreibt Wohlfahrts-Einrichtungen mit staatlichen Zuschüssen und lässt ihr Personal ohne Sozialabgaben und Rentenversicherung arbeiten, ohne dass der Zoll kommt und sie des Landes verweist. Als Tendenzbetrieb darf sie sogar ihr weltliches Personal entlassen, wenn es sich erdreistet sich privat scheiden zu lassen oder anderweitig zu vermählen. Sie ist ein Staat im Staate, der einer ausländischen Macht gehorcht. Und diese wiederum wähnt sich ferngesteuert von einer Instanz außerhalb des Erdkreises.
 
Völkerrechtlich ist das höchst bedenklich und pikant – hat man es letztlich doch mit Aliens und deren zu Höherem berufenen Erfüllungsgehilfen zu tun. Sämtliche Klosterfrauen haben sich mit einem Außerirdischen verlobt zu fühlen, und für viele Ordensmänner gelten so grundgesetzlich garantierte Rechte wie das auf Besitz oder das auf freie Rede einfach generell nicht. Sie haben grundsätzlich zu gehorchen, dorthin zu gehen, wohin man sie schickt und als Karthäuser lebenslang den Mund zu halten. Die Priester werfen sich bei ihrer Weihe flach auf den Boden, mit demütig ausgebreiteten Armen. Den Novizinnen wird zur Profess ihr Haupthaar geschoren. Der Firmling bekommt einen symbolischen Backenstreich wie einen Ritterschlag, mit dem er zum „Streiter Christi“ rekrutiert wird. Im Prinzip bin ich also zum nächsten Kreuzzug zwangsverpflichtet, so denn wieder mal einer starten sollte von Regensburg aus wie Ende des 11. und während des 12. Jahrhunderts. Wer macht so etwas freiwillig mit? Wer gibt seine profane Menschenwürde am Weihwasserkessel bei der Kirchenpforte ab?
 
Sie machen das so „freiwillig“ wie die Soldaten, die sich entwürdigenden und brutal-patriarchalen Initiationsriten zu unterwerfen haben, bevor sie in die Männergemeinschaft der „harten Kerle“ aufgenommen werden. Dasselbe Muster bei der Bundeswehr: Erst war’s nur in einem Hochgebirgszug der Mittenwalder Gebirgsjäger, dann kamen solche Meldungen auch aus anderen Heeres-Einheiten, zuletzt auch aus anderen Waffengattungen, von der Marine bis zur Luftwaffe. Das System Militarismus funktioniert ähnlich starr wie andere streng hierarchisch gegliederten Apparate. Kotzen und gefickt werden sind ihr höchster Spaß. Im Dreck kriechen und Stiefel lecken sind ihre internen Tugenden. Ein Heidenspaß offensichtlich. Solche Institute sind aus sich heraus nicht reformierbar. Sie gehören zweifellos abgeschafft. Die Domspatzen könnten auch als weltlicher Knabenchor ihrer Kirchenmusik pflegen – auf höchstem Niveau und ohne bischöfliches Ordinariat, das an den Konzerten, Schallplattenaufnahmen und Fernsehauftritten jenes Geld verdient, das bald schon vielleicht als Entschädigung ausbezahlt werden muss – für die Verbrechen seiner Pfaffen.


Blick vom Domturm auf das Regensburger Rathaus
 
Für unsere Generation wird nichts mehr herausspringen. Die Verjährungsfristen sind längst abgelaufen. Hier genau liegt der Hase im Pfeffer: Die Verjährungsfristen vereiteln einen großen Teil der (juristischen) Aufarbeitung, sie wirken letztlich nicht als Garanten für Rechtssicherheit, sondern als pure Kinderschänder-Schutzgesetze. Jeder halbwegs berufserfahrene Psychotherapeut weiß um die lange Zeit, die verstreichen kann bei traumatisierten Opfern, ehe sie sich überhaupt erinnern, in eine tiefe Krise stürzen und dann irgendwann einmal vielleicht, wenn ihre Peiniger längst unter der Erde verrotten, bereit sind zu reden. Dennoch gilt immer noch die Regel, dass zehn Jahre nach Erreichen der Volljährigkeit der Bauer sein Recht verloren und der Kaiser seine unverdiente Ruhe hat auf Lebenszeit. Für die Opfer ist es noch lange nicht ausgestanden, wenn die Täter mümmelnde Greise sind. Da gibt es kein Vergessen, kein Vergeben. Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Daher müssen die Verjährungsfristen für Verbrechen gegen Kinder und Jugendliche generell aufgehoben werden, um wirksamen Jugendschutz zu gewährleisten. Wenn ein Erwachsener niemals darauf spekulieren könnte, dass das, was er Kindern und Heranwachsenden antut,
jemals verjähren dürfte, wäre manch ein autoritär strukturierter Mensch vielleicht etwas zurückhaltender und würde sich im „Bedarfsfall der Versuchung“ eher eine andere Stelle suchen oder gar seinen Beruf wechseln, sich zumindest beraten oder therapieren lassen, bevor er sich und andere lebenslänglich unglücklich macht. Nicht dass Strafandrohung generell Verbrechen verhindern könnte, aber ihre Aufdeckung wäre zumindest möglich. So, wie es jetzt ist, wird nicht einmal mehr staatsanwaltlich ermittelt.
 
Kirchenintern bliebe ohnehin alles unterm Deckel endlos verstaubender Akten in Geheimarchiven. Will der Staat sich nicht zum Komplizen kirchlicher Strafvereitelung machen, müsste er konsequent das Konkordat aufkündigen und die unmögliche Situation beenden, dass die Beschuldigten in eigener Sache ermitteln dürfen. Eine klare Trennung von Kirche und Staat wäre die Grundvoraussetzung, dass hinter Klostermauern wucherndes und unter frommen Händen blühendes, himmelschreiendes Unrecht nicht mehr länger gedeihen kann. – Ich sehe schon, das wird noch eine Weile dauern. Das einzige, was dagegen sofort hilft, ist Aufdeckung, Offenlegung und Aufklärung. Da sind auch die Journalisten der Süddeutschen Zeitung gefragt. Nur keinen Bammel vor der weltberühmten Institution der Regensburger Domspatzen! Vielleicht singen sie ja sogar gern. Ich wünsche es ihnen. – Der Dom wird darüber schon nicht einstürzen. Die heiligen Hallen sind doch die hellen Knabenstimmen seit Jahrhunderten gewohnt, sonn- und feiertags und sogar unter der Woche jeden Donnerstag um sieben Uhr morgens – auch ohne Publikumsbeteiligung – zum so genannten Engelamt mit Prozession durch die menschenleere Kathedrale samt Monstranz unterm Himmel zu Weihrauchschwaden und „Tantum ergo sacramentum“.
(PK)
 
Wolfgang Blaschka, Jahrgang 1957, absolvierte in den Schuljahren 1965-67 die Vorschule und anschließend das Musikgymnasium der Regensburger Domspatzen, sang im Palestrina-Chor unter dem Dirigat des damaligen Domkapellmeisters und heutigen Papst-Bruders Monsignore Georg Ratzinger, und lebt heute als freischaffender Grafiker, Autor und Filmemacher in München. 
 
Wenn Sie Wolfgang Blaschka im BR hören und sehen wollen:
http://www.br-online.de/bayerisches-fernsehen/suedwild/misshandlung-etterzhausen-blaschka-ID1269012550511.xml

Und im Videoportal des Schweizer Fernsehens:
http://videoportal.sf.tv/video?id=c47c729c-58a7-4346-81d9-b419a985bf30


Online-Flyer Nr. 247  vom 28.04.2010



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