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Lokales
Zum Weltfrauentag 2010:
Frauenrechte im Iran gefordert
Von Ali Safaei-Rad

Am 8. März war Weltfrauentag. Anlass genug, den Blick auf die Situation der Frauen in einem Land zu werfen, in dem es nicht „nur“ um berufliche Gleichstellung, um Lohndiskriminierung, soziale Zurücksetzung oder öffentliche Diffamierung alleinerziehender Mütter sowie den Kampf um das Abtreibungsrecht geht, sondern um Grundanerkennung der Menschenwürde von Frauen und allzu oft auch um Leben und Tod. Deswegen veranstalteten unter der „Federführung“ der „Antifa Teheran“ verschiedene Initiativen am letzten Dienstag im Naturfreundehaus Köln-Kalk einen Informationsabend über den „Kampf der Frauen im Iran“ um ihre Grundrechte.



Einladungsplakat: So will der Islam die Frauen sehen

Befreiung erkämpft – und betrogen
 
Hatten namentlich Frauen in den Jahren 1978 und 1979 die Proteste gegen das Shah-Regime mitgetragen und entscheidend zu dessen Sturz beigetragen, so schnappte doch schließlich die Falle über ihnen zu, die das Religionspatriarchat Ayatollah Khomeinis kunstreich gegen sie aufgestellt hatte. Den wortreichen Versprechungen einer freien, selbstbestimmten und gleichberechtigten Zukunft der Frauen in einem neuen Iran folgte die einleuchtende Beteuerung, man müsse erst noch die wichtigsten Probleme des Iran lösen, dann aber seien die Frauen dran. Und schließlich waren die Frauen wirklich „dran“. Es erfolgte die rabiate Rückkehr zu rigidem, patriarchalem Geschlechterregiment, das für Frauen – angeblich strengstens an den Worten des Propheten und dem Koran ausgerichtet – nur eine dienende, untergeordnete, zweitrangige Rolle übrig hatte – und bis heute hat.

Symbolisch begann der religiöse Unterwerfungsterror mit Khomeinis Anordnung, dass Frauen öffentliche Einrichtungen nur verschleiert betreten dürften. Und noch heute werden radikale Strafmaßnahmen gegen Frauen und Mädchen ergriffen, die sich öffentlich sehen lassen, ohne mit dem anbefohlenen Schleier „ihre Reize zu verhüllen“. Frauen gelten nichts oder nur die Hälfte vor Gericht, Frauen können nicht erben, Frauen werden zwangsverheiratet, Frauen erleiden für sogenannte Unzucht und nicht zuletzt bei Ehebruch den Tod. (siehe hierzu auch: „Galgen für eine 16jährige“, Rezension einer BBC-Dokumentation über die Hinrichtung der jugendlichen Atefeh wegen sogenannter „Unzucht“, NRhZ Nr. 85 vom 07.03.2007).

Ende der Duldsamkeit:
 
Nun aber scheint das Fass der Duldsamkeit überzulaufen. An entscheidender Stelle waren mithin Frauen Trägerinnen der Unruhen, die nach den iranischen Präsidentenwahlen des letzten Sommers einsetzten. Unabhängig davon, wer denn nun objektiv wirklich diese Wahlen gewonnen hat, haben es eben viele Frauen – und keineswegs nur aus den „bürgerlichen“ oder intellektuellen Schichten – satt, als Menschen einer niederen Klasse behandelt zu werden. Ein breites Bündnis aus Frauen, organisiert oder unorganisiert, hat sich nach Aussage der

Parastou: „Unerhörter eman-
zipatorischer Vorgang"
  VeranstaltungsinitiatorInnen zusammengefunden, um – gleich unter welcher iranischen Regierung – endlich das Versprechen gleicher Menschenrechte für die Hälfte der iranischen Bevölkerung einzufordern. Die Gruppierungen und Kampagnen heißen „Gleichheit“, „Trauernde Mütter“oder „Nein zur Steinigung“. Um die Bandbreite der oft sehr individuellen Koalitionen der Widerständlerinnen zu verdeutlichen, unterstrich eine Referentin: „Auch religiöse Frauen beteiligen sich an den Aktionen, und ihre Forderungen sehen sie nicht im Gegensatz zum Iran, und verweisen dafür auf entsprechende Äußerungen einiger Ayatollahs.“
Wie auch immer sich die Frauen im einzelnen positionieren. Allein, dass Frauen derart laut ihre Stimme erhöben und für ihre Rechte auf die Straße gingen, sei ein geradezu unerhörter emanzipatorischer Vorgang für ein islamisches Land, befand die Podiumsteilnehmerin Parastou, die an der Kölner Universität studiert.
 
Entwicklung zur Autonomie
 
Überhaupt hätten, so die Referentinnen, sich seit der Revolution von 1979, besonders aber als Reflex gerade auf die Unterdrückung der Frauen durch das neue Regime, die Frauen sich viel weiter entwickelt, als es im Ausland gemeinhin wahrgenommen werde. Konnten sich Frauen in den siebziger Jahren nur in bestimmten politischen Organisationen oder Parteien engagieren, so wurden sie, wie eine Diskussionsrednerin meinte, sogar von der kommunistischen Tudeh-Partei kaum als eigenständige Kraft wahrgenommen: „Wir mussten für unsere Rechte immer im wesentlichen allein kämpfen." Die iranischen Feministinnen, hieß es auf der Veranstaltung, seien heute sehr stark und könnten selbst bestimmen, wofür und gegen wen sie kämpfen wollen. So kennzeichnet das, was im Iran als Frauenbewegung sicht- und hörbar wird, heute vor allem eine ausgeprägte Selbstständigkeit und Vielgestaltigkeit.


Iranische Feministinnen: Kämpfen für Menschenrechte
Fotos: Jochen Lubig, Arbeiterfotografie.com

Die Frauen der Kölner Veranstaltung standen daher auch nur für Ausschnitte aus dem breiten Spektrum der bewegten iranischen Frauen, das eben von islamisch orientierten Frauen, die genauso für ihre Rechte kämpfen, bis zu kommunistischen Strömungen reicht. Die Exiloppositionellen gehören überwiegend zum linken Spektrum und weisen einen intellektuellen Hintergrund auf. Sie haben natürlich, worauf in der Diskussion auch hingewiesen wurde, eine andere Betrachtungsweise als viele Frauen auf dem iranischen Lande. Dort, meinte eine Referentin, hätten die religiösen Kräfte noch den stärksten Rückhalt, und dort seien wohl auch die meisten WählerInnen Ahmadinedschads zu vermuten. Aber auch dort gärt es unter den Frauen, die nicht mehr auf den zweiten Platz verwiesen werden wollen.
 
Sexistischer Terror

Doch die andere Seite der Medaille wiegt derzeit noch schwerer als die desallmählichen Wandels: Das Imperium der patriarchalen (Staats-)Gewaltschlägt zurück. Nach den Protesten des letzten Jahres, so unterstrich eine Rednerin, habe das Regime umfassende Gewaltmaßnahmen gegen die Oppositionellen eingeleitet, vor allem gegen beteiligte Frauen, die „Haft, Folter, Schauprozesse mit langen Haftstrafen und auch schon Todesurteile“ erleiden müssten. Diese Repressionen würden „systematisch und brutal eingesetzt“, meinte die Aktivistin. „Neue Formen der Bekämpfung von Andersdenkenden“, die aber aus der Weltgeschichte diktatorischer Systeme nur allzu bekannt sind, sah sie unter anderem in der Bildung und Abrichtung staatlich dirigierter „Schlägertrupps“, die auf RegimekritikerInnen gehetzt und von der Kette gelassen würden – bis hin zum „Verschwindenlassen und zu extra-legalen Hinrichtungen“ von Menschen.

Letztere bieten aus der Sicht autoritärer Regimes wohl vor allem den „Vorteil“, dass sie im Gegensatz zu gerichtlich verhängten Todesurteilen nicht offiziell vermeldet werden und mithin in der Weltpresse auch nicht als Justizterror auftauchen. Bestenfalls durch die Veröffentlichung durch oppositionelle Kreise geraten diese halboffiziellen, staatlich protegierten Morde dann an die Öffentlichkeit. Doch sie bleiben im Unsichtbaren und verstärken gerade dadurch den beabsichtigten Einschüchterungseffekt. Die Rednerin hob besonders hervor, das für die Frauen das Gefängnis eine zusätzliche sexistische Terrorisierung bedeute: „Sie werden geschlagen, beschimpft, erniedrigt – und vergewaltigt. Und zwar tagelang!“
 
Mit der Zeitmaschine ins Mittelalter
 
Manche in Deutschland halten es für adäquat, die angeblich vom Medienmainstream koordiniert durchgeführte „Diffamierungskampagne gegen den Iran“ zu verharmlosen und neigen dazu, gerade solche Berichte und

Für Terror gegen Frauen verantwortlich:
Mahmud Ahmadinedschad
Foto: Daniella Zalcman/Wikipedia
  Meldungen als Stimmungs- und Sensationsmache, als Propaganda abzutun. Früher hieß es in ähnlichem Zusammenhang hierzulande „Greuelpropaganda“. Die iranische Expertin erklärte plausibel, warum gerade Vergewaltigungen in Gefängnissen des Iran nicht nur als individuelle Willkür vorkommen, sondern geradezu als logische Konsequenz extremistisch ausgelegter islamischer Rechtsvorstellungen zu sehen seien:
„Jungfrauen dürfen nicht hingerichtet werden. Denn sonst kämen sie als Jungfrauen ins Paradies. Deswegen ist es verboten, Jungfrauen hinzurichten.“ Insofern würde eine solche Todeskandidatin beispielsweise „einen Tag vor der Hinrichtung mit einem Gefängniswärter zwangsverheiratet“ und müsse dann den gewaltsamen Vollzug dieser „Ehe“ über sich ergehen lassen. „Am nächsten Tag wartet auf sie der Galgen und der Tod.“
 
Reform oder Systemwechsel?
 
Dass derlei Zustände unhaltbar sind, darüber sind sich alle im weitesten Sinne oppositionellen Kräfte im Iran wie auch exiliranische Gruppen einig. Dissens tritt freilich ein, wenn es um die Frage geht, ob das als „Islamische Republik“ bezeichnende System moderierbar, reformierbar und zivilisierbar ist oder schlechthin in dieser Form abgeschafft werden muss. So gab es denn auch auf der Veranstaltung im Naturfreundehaus Köln unterschiedliche Auffassungen, ob es beispielsweise ausreiche, eine Begrenzung und Beschneidung der Macht zu verlangen, die der sogenannte „Wächterrat“ im „real existierenden Iran“ ausübt. Die Aufhebung seiner Überwachungsrechte sei eine zu kurz gegriffene Forderung, kritisierte eine Referentin. Der Wächterrat sei deshalb schlechthin abzuschaffen. Auch seien freie Wahlen in der Islamischen Republik nicht möglich.

Dieses System, befand sie, sei daher „nicht reformierbar“. Am Ende könne nur eine vollkommene Umwälzung zielführend sein, mit der Grundvoraussetzung einer politischen Entmachtung der Religion und der Trennung von religiösem Anspruch und staatlicher Norm. Damit hätte der Staat wenigsten einen ersten Schritt in Richtung struktureller Modernität getan. Die iranische Gesellschaft als Ganze aber müsse noch einen Prozess der Aufklärung durchlaufen, wie er in Europa wenigstens ansatzweise gelungen sei. In dieser Richtung fand sich letztlich die Veranstaltung zu einem Grundkonsens zusammen. In der nächsten Ausgabe der NRhZ können unserer Leserinnen und Leser die Stimmen junger Iraner aus Köln zur aktuellen Situation und den Perspektiven des Iran lesen und hören. (HDH)
 


Online-Flyer Nr. 240  vom 10.03.2010



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