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Kommentar
Entlehnte Güter im Neofeudalismus:
Wer wem was gibt
Von Vasile V. Poenaru
Die gegenwärtige weltweite Misere des postmodernen Lehnwesens, für die bisweilen die Phrase Zusammenbruch des Kapitalismus gebraucht wird, lässt eine auf den Märkten herumliegende Binsenwahrheit klarer erkennbar werden, die man in der Regel nicht gerne wahrhaben will und demzufolge verständlicherweise diesseits wie jenseits der Rezessionswellen kaum je begrifflich anpackt: Das wenigste gehört uns.
„Haltbare 0815-Corporate Identity“
Grafik: Christian Heinrici
Abgesehen von der Identität, würde man wohl meinen. Denn wer kann sie uns schon wegnehmen, unsere höchstpersönliche, tief eingewurzelte, multimedial festgehaltene, vielfach erprobte und tagtäglich weltweit proklamierte, wundersam beständige, mindestens bis xx/yy/zzzz haltbare ureigene Corporate Identity? Unser rechtlich, aber, Hand aufs Herz, freilich leider eben nicht auch moralisch, ethisch oder humanistisch genauestens umrissenes, immerfort geschäftiges Über-Ich? Unser heimelig empfundenes Zuhause mit ziemlich begrenzter Haftung, dem nur allzu oft zwecks der so eifrig und systematisch beschworenen Festigung des Verbrauchervertrauens bei Anlass von allerlei Experten ohne weiteres im Handumdrehen unbegrenzte Haftung bescheinigt wird? Unser Luftballon-Universum, dem jetzt freilich in allerhöchsten Gefilden die Luft ausgeht?
Wer kann uns das nehmen, was uns sozusagen aus tiefster Selbstbesinnung heraus eigen ist, etwa unsere mal kühnen, mal unbeherzten Tagträume, unsere lodernden oder aber längst abgekühlten Ideale, unsere grundlegenden Erwartungen, Ängste und Intuitionen? Unsere nationale, ja unsere internationale Zugehörigkeit? Unsere anständig eingebürgerten Gepflogenheiten oder unser ungeniert geborgtes Geld?
Lehenswesen: „wer ihnen ans Herz wuchs,
wurde belehnt...“
Wer gibt wem was? Wer teilt die prächtigen Lehen aus, anhand derer sich blitzschnell Profit schlagen lässt? Wessen Gut ist heutzutage noch ein gutes Gut, weit weg von jenen toxic assets entfernt, an denen sich plötzlich niemand mehr vergriffen haben will? Wer kann schon von sich sagen: „Ich hab’s!“ Wer pumpt frisches Blut in die Wirtschaft?
Kaiser, Könige und Fürsten waren es früher, die den Reichtum verwalteten, oder besser gesagt oft einfach nur an sich rissen und bei Gelegenheit nach Gutdünken weitergaben. Wer ihnen ans Herz wuchs, wurde belehnt und/oder bekam schwere Geldbeutel – die Vorläufer der Boni. Wer nicht, musste leer ausgehen.
Und ganz ähnlich will es sich jetzt fügen: Die Gefolgschaft der Mächtigen reiht sich um die frischgebackenen Konjunkturprogramme. Selbst wer ja eigentlich strenggenommen keinen Stimulus bräuchte, lässt sich gegebenenfalls gerne stimulieren, um gut für das Hochwasser der Finanzen versorgt zu sein. Der Staat mag Konjunktur, weswegen er schließlich all die milliardenschweren Pakete geschnürt hat, mit denen der Weihnachtsmann das ganze Jahr nur so um sich herum schleudern soll. Aber jetzt ist ja bald alles vorüber, so die Schlagzeilen.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos | www.koufogiorgos.de
Also wer wem? Der Staat uns? Der Staat „denen“? Der Bonus-Spezies? Den Rittern des Bankrott- und Misswirtschaft-Ordens? Dem munteren Spitzen-Manager-Völkchen? Mag sein. Aber der Staat hat ja nichts. Er hat nur, was wir ihm geben – oder was er sich selber druckt, ob nun Selbstverherrlichungen, Kapitulationen, Abdankungen, Resolutionen, Erlasse, Scheine oder Verschuldungspapiere. Also dann wir uns? Wir „denen“?
Die deftigen Boni, die sich beispielsweise „Verantwortliche“ der kanadischen Nortel wie der US-amerikanischen A.I.G. gleichsam als absurdes Dankeschön für ihr katastrophales Versagen in die (erstaunlich tiefen) Taschen stecken ließen, oder das 4,4-Millionen-Euro-Einkommen des Österreichischen Managers des Jahres 2007, Andreas Treichl, der, so Der Spiegel 11/2009, „dramatisch weniger deppert als die g'schätzten Kollegen in Deutschland“ gewesen sein will, indem er auf Privatkundengeschäft gesetzt habe:
„Gewöhnliche Ritter“ können auch
nicht im Kanzleramt Party machen
– Siegertyp Josef Ackermann
Foto: Marcello Casal Jr.
Ein gewöhnlicher Ritter, Reiter oder Autofahrer würde wohl nie damit bestückt worden sein, und schon gar nicht das gemeine Fußvolk der Steuerzahler.
Ein Wort mit wechselndem Gewicht: Geld – Geld – Geld. Und dann immer wieder die eine Frage: Quo vadis? Das Rad der Autoindustrie beginnt sich langsam wieder zu drehen. Abertausende Österreicher und Deutsche etwa haben „ihren Alten“ verschrotten lassen, um die Abwrackprämie zu kassieren und im nagelneuen Dacia durch die Schlingen der Rezession zu fahren. So richtig aufgeatmet hat dabei aber wohl kaum jemand. Denn der Neue ist ja kein Opel.
Den roten Strich durch die blaue Rechnung des realen Kapitalismus konnte nicht einmal das üppige April-Geschenk der G-20 in London wettmachen. Mehr heißt allerdings in diesem Fall offensichtlich weniger, soweit man den erheblichen Inflationsdruck mit in Betracht zieht. Es ist in aller Munde: Ein Minus geht durch die Welt. Politiker und Wirtschaftsexperten klammern sich daran, um letztendlich irgendwie, irgendwann, irgendwo doch noch die Finanzen zu sanieren und gestärkt aus dem schwarzen Loch ungedeckter Verschuldungen herauszukommen.
Eine Lektion in Geschichte, Politik, Finanzwissenschaft und Business-Management wird den Einwohnern des globalen Dorfes mit den brutalen Methoden depressiver Rezessionskeulen erteilt. Wir sind allesamt in mancher Hinsicht dem mutmaßlich uneinnehmbaren Hoheitsgebiet der Körperschaft einverleibt, indem nicht nur wir sie uns, sondern in erster Linie wohlgemerkt auch sie uns sich zu eigen macht. Keine Leibeigenschaft im mittelalterlichen Sinne, doch immerhin: bindende Körperschaft an und für sich als Endzweck der Menschheit.
Geprellte Ex-Kundin vor Trierer Citibank-
Bankzentrale | Foto: Christian Heinrici
Die Euro, die Dollar, die Yen in unseren privaten Geldbörsen: Sie gehören nicht uns, sie gehören dem Cäsar. Wollen wir sie ihm zurückgeben? In der Realwirtschaft wie in der fiktiven Welt aufgeblasener Finanzen heißt bare Münze: reinen Wein einzuschenken. In vino veritas. Die Propheten des Ab- und Aufschwungs melden sich zu Wort.
Seitdem aber nicht mehr in die Münze gebissen, sondern lediglich mit der Maus geklickt wird, weiß freilich keiner mehr, was denn heutzutage noch überhaupt bare Münze ist. Mit Unbehagen müssen wir uns dessen – besonders in Zeiten drastischer Einbrüche auf den Finanzmärkten – immer wieder neu besinnen. Ein besserer Deal soll her. Ein lukrativer Vertrag, von dem wir nur hoffen mögen, dass er kein asozialer sein wird.
Der Cäsar ist weg; Pleite gegangen; hat sich verrechnet, geirrt und verspekuliert. Als Ersatz-, nein, als Zwangsgeber der schlechteren Sorte müssen wir nun mit Gut und Habe auf die Wiege. Wir dürfen für die Versäumnisse eines Systems herhalten, dem wir uns allerdings sowieso schon zum großen Teil hemmungslos hingegeben haben. Wir dürfen Begriffe entlehnen, mit denen keiner etwas anfangen kann. Kulturelle Güter, die uns in unserer Wenigkeit angemessen definieren sollen. Im Zuge der Krisenbewältigung dürfen wir uns auf Dauer in vielfacher Art und Weise ganz gewaltig in die Tasche greifen lassen; das leichtfertige Monopoly-Spiel retten, in dem die Irrealität des Faktischen befangen ist; die Globalisierung einer stimulationsbedürftigen Feudalherrschaft mit begrenzter Haftung in Schwung bringen – und in aller Ewigkeit neue Zahlungen tätigen, um alte Schulden zu tilgen.
Typisches Manager-Verhalten: „Ziehen Sie im Vorübergehen 250.000 Euro Gehalt ein!" | Foto: Meyhome | Bearbeitung: L. Buderath | Quelle: pixelio.de
Die Realwirtschaft kann uns erspart bleiben, solange nur unsere überregionale Gralsuche nach dem ultimate stimulus package weiterhin stimuliert wird. Der Entgiftungskur darf sich niemand entziehen, und schon gar nicht der Mann, die Frau und das Kind auf der Straße. Da stehen wir mit unseren privaten Geldbörsen, mit all den faulen Papieren und den fleißigen Bankiers. Wir, die treue Gefolgschaft aus der Bahn geratener corporations im Wischi-Waschi-Neofeudalismus, den hunderttausend kleine, auf kommissionsbasis schreiende Marktschreier im Auftrag Seiner Majestät, des schwindenen Geldes, sozusagen immerfort stillschweigend proklamieren. Wir sehnen uns nach der verheißenen Geldschwemme – und fürchten sie zugleich. Bald werden die neuen Lehnen vergeben. Wer ist bereit? (CH)
Online-Flyer Nr. 215 vom 16.09.2009
Entlehnte Güter im Neofeudalismus:
Wer wem was gibt
Von Vasile V. Poenaru
Die gegenwärtige weltweite Misere des postmodernen Lehnwesens, für die bisweilen die Phrase Zusammenbruch des Kapitalismus gebraucht wird, lässt eine auf den Märkten herumliegende Binsenwahrheit klarer erkennbar werden, die man in der Regel nicht gerne wahrhaben will und demzufolge verständlicherweise diesseits wie jenseits der Rezessionswellen kaum je begrifflich anpackt: Das wenigste gehört uns.
„Haltbare 0815-Corporate Identity“
Grafik: Christian Heinrici
Wer kann uns das nehmen, was uns sozusagen aus tiefster Selbstbesinnung heraus eigen ist, etwa unsere mal kühnen, mal unbeherzten Tagträume, unsere lodernden oder aber längst abgekühlten Ideale, unsere grundlegenden Erwartungen, Ängste und Intuitionen? Unsere nationale, ja unsere internationale Zugehörigkeit? Unsere anständig eingebürgerten Gepflogenheiten oder unser ungeniert geborgtes Geld?
Lehenswesen: „wer ihnen ans Herz wuchs,
wurde belehnt...“
Kaiser, Könige und Fürsten waren es früher, die den Reichtum verwalteten, oder besser gesagt oft einfach nur an sich rissen und bei Gelegenheit nach Gutdünken weitergaben. Wer ihnen ans Herz wuchs, wurde belehnt und/oder bekam schwere Geldbeutel – die Vorläufer der Boni. Wer nicht, musste leer ausgehen.
Und ganz ähnlich will es sich jetzt fügen: Die Gefolgschaft der Mächtigen reiht sich um die frischgebackenen Konjunkturprogramme. Selbst wer ja eigentlich strenggenommen keinen Stimulus bräuchte, lässt sich gegebenenfalls gerne stimulieren, um gut für das Hochwasser der Finanzen versorgt zu sein. Der Staat mag Konjunktur, weswegen er schließlich all die milliardenschweren Pakete geschnürt hat, mit denen der Weihnachtsmann das ganze Jahr nur so um sich herum schleudern soll. Aber jetzt ist ja bald alles vorüber, so die Schlagzeilen.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos | www.koufogiorgos.de
Also wer wem? Der Staat uns? Der Staat „denen“? Der Bonus-Spezies? Den Rittern des Bankrott- und Misswirtschaft-Ordens? Dem munteren Spitzen-Manager-Völkchen? Mag sein. Aber der Staat hat ja nichts. Er hat nur, was wir ihm geben – oder was er sich selber druckt, ob nun Selbstverherrlichungen, Kapitulationen, Abdankungen, Resolutionen, Erlasse, Scheine oder Verschuldungspapiere. Also dann wir uns? Wir „denen“?
Die deftigen Boni, die sich beispielsweise „Verantwortliche“ der kanadischen Nortel wie der US-amerikanischen A.I.G. gleichsam als absurdes Dankeschön für ihr katastrophales Versagen in die (erstaunlich tiefen) Taschen stecken ließen, oder das 4,4-Millionen-Euro-Einkommen des Österreichischen Managers des Jahres 2007, Andreas Treichl, der, so Der Spiegel 11/2009, „dramatisch weniger deppert als die g'schätzten Kollegen in Deutschland“ gewesen sein will, indem er auf Privatkundengeschäft gesetzt habe:
„Gewöhnliche Ritter“ können auch
nicht im Kanzleramt Party machen
– Siegertyp Josef Ackermann
Foto: Marcello Casal Jr.
Ein Wort mit wechselndem Gewicht: Geld – Geld – Geld. Und dann immer wieder die eine Frage: Quo vadis? Das Rad der Autoindustrie beginnt sich langsam wieder zu drehen. Abertausende Österreicher und Deutsche etwa haben „ihren Alten“ verschrotten lassen, um die Abwrackprämie zu kassieren und im nagelneuen Dacia durch die Schlingen der Rezession zu fahren. So richtig aufgeatmet hat dabei aber wohl kaum jemand. Denn der Neue ist ja kein Opel.
Den roten Strich durch die blaue Rechnung des realen Kapitalismus konnte nicht einmal das üppige April-Geschenk der G-20 in London wettmachen. Mehr heißt allerdings in diesem Fall offensichtlich weniger, soweit man den erheblichen Inflationsdruck mit in Betracht zieht. Es ist in aller Munde: Ein Minus geht durch die Welt. Politiker und Wirtschaftsexperten klammern sich daran, um letztendlich irgendwie, irgendwann, irgendwo doch noch die Finanzen zu sanieren und gestärkt aus dem schwarzen Loch ungedeckter Verschuldungen herauszukommen.
Eine Lektion in Geschichte, Politik, Finanzwissenschaft und Business-Management wird den Einwohnern des globalen Dorfes mit den brutalen Methoden depressiver Rezessionskeulen erteilt. Wir sind allesamt in mancher Hinsicht dem mutmaßlich uneinnehmbaren Hoheitsgebiet der Körperschaft einverleibt, indem nicht nur wir sie uns, sondern in erster Linie wohlgemerkt auch sie uns sich zu eigen macht. Keine Leibeigenschaft im mittelalterlichen Sinne, doch immerhin: bindende Körperschaft an und für sich als Endzweck der Menschheit.
Geprellte Ex-Kundin vor Trierer Citibank-
Bankzentrale | Foto: Christian Heinrici
Seitdem aber nicht mehr in die Münze gebissen, sondern lediglich mit der Maus geklickt wird, weiß freilich keiner mehr, was denn heutzutage noch überhaupt bare Münze ist. Mit Unbehagen müssen wir uns dessen – besonders in Zeiten drastischer Einbrüche auf den Finanzmärkten – immer wieder neu besinnen. Ein besserer Deal soll her. Ein lukrativer Vertrag, von dem wir nur hoffen mögen, dass er kein asozialer sein wird.
Der Cäsar ist weg; Pleite gegangen; hat sich verrechnet, geirrt und verspekuliert. Als Ersatz-, nein, als Zwangsgeber der schlechteren Sorte müssen wir nun mit Gut und Habe auf die Wiege. Wir dürfen für die Versäumnisse eines Systems herhalten, dem wir uns allerdings sowieso schon zum großen Teil hemmungslos hingegeben haben. Wir dürfen Begriffe entlehnen, mit denen keiner etwas anfangen kann. Kulturelle Güter, die uns in unserer Wenigkeit angemessen definieren sollen. Im Zuge der Krisenbewältigung dürfen wir uns auf Dauer in vielfacher Art und Weise ganz gewaltig in die Tasche greifen lassen; das leichtfertige Monopoly-Spiel retten, in dem die Irrealität des Faktischen befangen ist; die Globalisierung einer stimulationsbedürftigen Feudalherrschaft mit begrenzter Haftung in Schwung bringen – und in aller Ewigkeit neue Zahlungen tätigen, um alte Schulden zu tilgen.
Typisches Manager-Verhalten: „Ziehen Sie im Vorübergehen 250.000 Euro Gehalt ein!" | Foto: Meyhome | Bearbeitung: L. Buderath | Quelle: pixelio.de
Die Realwirtschaft kann uns erspart bleiben, solange nur unsere überregionale Gralsuche nach dem ultimate stimulus package weiterhin stimuliert wird. Der Entgiftungskur darf sich niemand entziehen, und schon gar nicht der Mann, die Frau und das Kind auf der Straße. Da stehen wir mit unseren privaten Geldbörsen, mit all den faulen Papieren und den fleißigen Bankiers. Wir, die treue Gefolgschaft aus der Bahn geratener corporations im Wischi-Waschi-Neofeudalismus, den hunderttausend kleine, auf kommissionsbasis schreiende Marktschreier im Auftrag Seiner Majestät, des schwindenen Geldes, sozusagen immerfort stillschweigend proklamieren. Wir sehnen uns nach der verheißenen Geldschwemme – und fürchten sie zugleich. Bald werden die neuen Lehnen vergeben. Wer ist bereit? (CH)
Online-Flyer Nr. 215 vom 16.09.2009