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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
Beinahe das Desaster in Bhopal von 1984 in den Schatten gestellt
Störfall im US-BAYER-Werk Institute
Von Philipp Mimkes

Vor einem Jahr gab es in einer der gefährlichsten Chemie-Anlagen der Welt eine schwere Explosion. Die Erschütterungen waren in West Virginia in einem Umkreis von mehr als 10 Meilen zu spüren. Eine Untersuchung des US-Kongress kam zu dem Ergebnis, dass der Störfall nahe der Stadt Charleston das „Desaster von Bhopal in den Schatten hätte stellen können“. Auf anhaltenden öffentlichen Druck gab der BAYER-Konzern vergangene Woche bekannt, die Lagerung von Giftgasen in dem Werk um 80 % zu reduzieren - ein großer Erfolg für die beteiligten Umweltverbände und eine gute Nachricht für die Anwohner. 

Beinahe-Katastrophe im BAYER-Werk Institute in West Virginia
Quelle: www.cbgnetwork.org
 
28. August 2008: Ein fünfzig Meter hoher Feuerball steigt über einer Pestizidfabrik der Bayer AG im US-Bundesstaat West Virginia auf. Augenzeugen sprechen von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“, die Erschütterungen sind in einem Umkreis von mehr als zehn Meilen zu spüren. Tausende Anwohner dürfen über Stunden ihre Häuser nicht verlassen. Sicherheitskräfte werden aus Angst vor austretenden Chemikalien abgezogen. Eine nahe gelegene Autobahn wird geschlossen. Ein Arbeiter stirbt, ein zweiter wird später seinen schweren Verbrennungen erliegen.
 
Vier Monate zuvor hatten Umweltschützer in der Hauptversammlung der Firma vor den beträchtlichen Risiken gewarnt. In dem Werk nahe der Stadt Institute, das seit 2001 zum Leverkusener Konzern gehört, kommen große Mengen des einstigen Kampfgases Phosgen und der in Bhopal ausgetretenen Chemikalie Methyl Isocyanat (MIC) zum Einsatz. An keinem anderen Ort in den USA lagern derart große Mengen MIC, mindestens das Doppelte der in Bhopal ausgetretenen Menge. Auch in der deutschen Pestizidproduktion kommt Bayer ohne solche Giftgas-Tanks aus.


Bayer-Chef Wenning lobt die Sicherheits-Einrichtungen in Institute
NRhZ-Archiv
 
Dennoch wies Bayer-Chef Werner Wenning jeglichen Handlungsbedarf zurück: die Anlagen entsprächen den „neuesten Sicherheitsstandards“ und hätten eine „ausgezeichnete Störfallbilanz“, die Behörden hätten die hohe Sicherheit „ausdrücklich gelobt“. Die Forderung nach einem Abbau der Giftgas-Tanks und einer Umstellung auf eine just in time-Produktion wurde als unqualifiziert bezeichnet. Dabei war ein Katastrophen-Szenario zu dem Ergebnis gekommen, dass im Falle eines Platzens der Tanks in einem Umkreis von bis zu fünfzehn Kilometern tödliche Vergiftungen auftreten könnten. Direkt neben den Chemieanlagen in Institute befinden sich ein Wohnviertel und die hauptsächlich von Schwarzen besuchte West Virginia State University.
 
Schwere Verstöße festgestellt
 
Auch vier Monate später, unmittelbar nach der Explosion, wiegelten Sprecher des Konzerns ab. Die Sicherheits-Einrichtungen hätten funktioniert, es seien keine Chemikalien ausgetreten, die großen MIC-Tanks lägen in einem anderen Teil der Fabrik. Erst Wochen später stellte sich heraus, dass sich weniger als 20 Meter vom Explosionsort entfernt ein überirdischer Zwischenbehälter mit mehreren Tonnen MIC befindet. Auch die Rettungsarbeiten verliefen keineswegs reibungslos: die Sicherheitskräfte wurden über Stunden hinweg vom Pförtner (!) abgewimmelt. Kent Carper, Präsident des zuständigen Verwaltungsbezirks Kanawha County, kritisierte, dass die Feuerwehr erst zweieinhalb Stunden nach der Explosion über die Gefährlichkeit der ausgetretenen Chemikalien informiert wurde. Im Falle eines Austritts von MIC oder Phosgen hätte den Anwohnern nicht geholfen werden können.
 
Die US-Arbeitsschutzbehörde OSHA führte eine Untersuchung des Störfalls durch und fand „mangelhafte Sicherheits-Systeme, signifikante Mängel der Notfall-Abläufe und eine fehlerhafte Schulung der Mitarbeiter“. Insgesamt stellte die OSHA 13 „schwere Verstöße“ gegen Sicherheitsbestimmungen fest und verhängte eine Strafe von 143.000 Dollar.
 
Untersuchungsausschuss im US-Kongress
 
Daraufhin strengte auch das staatliche Chemical Safety Board eine detaillierte Untersuchung an. Die Ergebnisse wurden Ende April in einem Untersuchungsausschuss im US-Kongress vorgestellt. Schon die Einberufung des Ausschusses durch den einflussreichen Abgeordneten Henry Waxman ist ein ungewöhnlicher Vorgang, da Störfälle normalerweise auf der Ebene der Bundesstaaten untersucht werden.
 
Noch bemerkenswerter ist die Beschlagnahmung und Veröffentlichung Hunderter firmeninterner Unterlagen im Zuge der Untersuchung. Darunter finden sich u.a. die Aufzeichnung der Gespräche zwischen Feuerwehr und Vertretern des Werks nach der Explosion, die firmeninterne Abstimmung der Medienarbeit, Empfehlungen einer von Bayer engagierten Anwaltskanzlei sowie ein Strategiepapier zwecks Wiederherstellung des Vertrauens der Öffentlichkeit. Die Unterlagen ermöglichen einen seltenen Einblick in die Krisenkommunikation eines großen Chemie-Konzerns.
 
Alarmierende Ergebnisse
 
Der vom Kongress vorgelegte Bericht kommt zu alarmierenden Ergebnissen. Die Explosion wurde durch unkontrolliert steigenden Druck in einem Rückstandsbehälter verursacht. Wegen eines Konstruktionsfehlers waren Sicherheits-Systeme, die einen solchen Druckanstieg verhindern sollen, vorsätzlich deaktiviert worden. Dies war der Werksleitung bekannt, die Katastrophe hätte daher „leicht verhindert werden können“. Die Aussage der Firma, wonach keine gefährlichen Stoffe in die Umgebung gelangten, sei „eindeutig falsch“ - tatsächlich traten rund 10.000 Liter Chemikalien aus, deren genaue Zusammensetzung unbekannt ist. Die Mitarbeiter waren mangelhaft geschult und wegen extremer Überstunden übermüdet, es fehlten worst case-Szenarien und eindeutige Vorgaben für Notfälle. Detektoren im fraglichen Teil der Anlage waren defekt, auch funktionierte die Video-Überwachung nicht. Es ist daher bis heute unklar, welche Stoffe in welcher Menge die Werksgrenze überwanden.
 
Der schwerwiegendste Teil der Ergebnisse betrifft den MIC-Tank, der sich nur 20 Meter von dem Explosionsort entfernt befindet und der zum Zeitpunkt des Unglücks sieben Tonnen Giftgas enthielt. Wörtlich heißt es: „Die Explosion in dem Bayer-Werk war besonders beunruhigend, weil ein mehrere Tonnen wiegender Rückstandsbehälter 15 Meter durch das Werk flog und praktisch alles auf seinem Weg zerstörte. Hätte dieses Geschoss den MIC-Tank getroffen, hätten die Konsequenzen das Desaster in Bhopal 1984 in den Schatten stellen können.“ Es sei reiner Zufall gewesen, dass der Behälter in eine andere Richtung flog.
 
Geheimhaltungskampagne
 
Vertreter von Bayer hatten in der Anhörung zugegeben müssen, dass die Firma Anti-Terrorgesetze dazu mißbrauchen wollte, die öffentliche Diskussion über die Sicherheitslage in Institute abzuwürgen. William Buckner, Präsident von Bayer CropScience, räumte unter Eid ein: „Es gab natürlich geschäftliche Gründe, die unserem Wunsch nach Vertraulichkeit zugrunde lagen. Hiermit sollte negative Publicity vermieden werden. Außerdem wollten wir verhindern, dass öffentlicher Druck entsteht, die Menge des gelagerten MIC zu reduzieren“. Greg Babe, Vorstandsvorsitzender von Bayer USA, ergänzte ungewöhnlich offen: „Wir haben uns hinter Anti-Terrorgesetzgebung versteckt, um Informationen zurückzuhalten.“
 
Angesichts der Lügen der Werksleitung direkt nach dem Unfall und der Behinderung der Ermittlungen urteilte der US-Kongress: „Bayer beteiligte sich an einer Geheimhaltungskampagne. Die Firma hat den Sicherheitskräften entscheidende Informationen vorenthalten, hat den Ermittlern der Bundesbehörden nur eingeschränkten Zugang zu Informationen gewährt, hat die Arbeit von Medien und Bürgerinitiativen unterminiert und hat die Öffentlichkeit unrichtig und irreführend informiert.“
 
Von der New York Times und dem Wall Street Journal bis hin zu den großen TV-Anstalten berichteten die überregionalen Medien über die Ergebnisse. Im Mittelpunkt standen dabei die Risiken von Anwohnern chemischer Anlagen und die von Bayer betriebene Geheimhaltung. USA Today schrieb in einem Kommentar: „Der Vorgang ist ein warnendes Beispiel dafür, wie leicht es für ein Unternehmen ist, eine Regierungsbehörde praktisch handlungsunfähig zu machen. Wir dürfen es Firmen wie Bayer nicht erlauben, mittels Anti-Terror-Gesetzen von minderwertigen Sicherheitsstandards abzulenken. Die einfache Wahrheit ist, dass das Risiko der Anwohner, durch einen Störfall zu sterben, viel größer ist als die Gefahr von Terroranschlägen“.
 
Leugnung bis heute
 
Die Veröffentlichung des Funkverkehrs der Feuerwehr zeigt, dass verschiedene Rettungskräfte über Stunden hinweg vergeblich versuchten, Aussagen zum Ausmaß des Störfalls, zu ausgetretenen Chemikalien und zur Bedrohung der Anwohner zu erhalten. Mehrfach wurde Feuerwehrleuten, der Polizei, der Umweltbehörde und sogar dem Leiter des Katastrophenschutzes der Zugang zum Werk verweigert. Trotzdem behauptete die Werksleitung, dass sie alle verfügbaren Informationen unmittelbar an die Rettungskräfte weitergegeben habe. Die Aussage ist einem internen Sprechzettel entnommen, auf dem sich vorgeblich positive Informationen befinden, die in den Tagen nach der Explosion gegenüber der Öffentlichkeit betont werden sollten. Hervorgehoben werden darin neben der „sehr guten Notfall-Reaktion“ das „hohe Engagement der Belegschaft“ und das „nach drei Tagen stark gesunkene Medien-Interesse“.
 
Bis heute stehen die betroffenen Anlagenteile in Institute still, in anderen Bereichen der Fabrik werden MIC und Phosgen jedoch unverändert eingesetzt. Dass die Konzernleitung gewillt ist, möglichst schnell zum business as usual zurückzukehren, zeigt ein Blick in den 200 Seiten starken Geschäftsbericht 2008: der schwerste Zwischenfall in einem Bayer-Werk seit 1999 wird mit keinem einzigen Wort erwähnt, auch der Tod der beiden Mitarbeiter ist kein Wort des Bedauerns wert. Und in der Hauptversammlung am 12. Mai tönte Bayer-Chef Wenning trotz der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses, dass die „Sicherheits-Einrichtungen in Institute funktionierten”, die “MIC-Tanks nicht betroffen waren” und “alle erforderlichen Unterlagen zu Verfügung gestellt wurden”.
 
Die Vorsitzenden von vier ständigen Ausschüssen im Repräsentantenhaus forderten Bayer unterdessen auf, die Lagerung von MIC drastisch zu reduzieren oder ganz aufzugeben und kündigten entsprechenden Gesetzes-Vorschläge an. Der Gouverneur von West Virginia, eigentlich seit Jahrzehnten ein enger Verbündeter der Chemie-Industrie, schloss sich der Forderung an und verkündete einen Erlass, wonach schwere Störfälle den Behörden künftig innerhalb von 15 Minuten gemeldet werden müssen.
 
Sogar Anti-Terrorgesetze vorgeschoben
 
Welchen Aufwand das Unternehmen betreibt, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen, zeigt der Einsatz der Kanzlei McDermott Will & Emery, die mit über 1.100 Rechtsanwälten zu den größten und teuersten Sozietäten weltweit gehört. Eine einfache e-mail des mit der Untersuchung betrauten Chemical Safety Board, in der drei Fragen zur Verwendung der Chemikalie MIC gestellt werden, wurde mit einem 5-seitigen Schreiben von Robert Gombar aus dem Washingtoner Büro der Kanzlei beantwortet. Um jedes einzelne Wort wird in dem Brief ausführlich gerungen. Gombar war früher Mitarbeiter der US-Arbeitsschutzbehörde OSHA und stellt sein Wissen nun der Industrie als Leiter der „Katastrophenreaktions-Gruppe“ von McDermott Will & Emery zu Verfügung.
 
Anwälten der Kanzlei gelang es auch, eine Mitte März geplante öffentliche Anhörung des staatlichen Chemical Safety Board zu verhindern, da eine Diskussion über die Sicherheit chemischer Anlagen angeblich gegen Anti-Terrorgesetze verstoße. Erst als sich der US-Kongress einschaltete, konnte die Anhörung mit 6-wöchiger Verspätung stattfinden. Die Kanzlei wollte der Behörde zunächst interne Unterlagen ganz vorenthalten, schließlich wurden Tausende von Dokumenten als sicherheitsrelevant klassifiziert. Das Chemical Safety Board, das mit 36 Mitarbeitern über weit geringere Kapazitäten verfügt als Bayer, war mit der Klärung der rechtlichen Fragen wochenlang ausgelastet.
 
Der Untersuchungsbericht kritisiert denn auch das Vorgehen der Werksleitung: „In den Monaten nach der Explosion setzte Bayer Öffentlichkeitsarbeit und juristische Mittel ein, um Enthüllungen über das Vorgehen der Firma zu verhindern. Bayer versuchte zudem in teilweise unzulässiger Weise, mit Hilfe von Gesetzen zur maritimen Sicherheit Informationen über die Explosion zu verheimlichen.“
 
Werbeagentur eingeschaltet
 
Die Öffentlichkeitsarbeit vor Ort betreibt Bayer mit Unterstützung der auf Krisenkommunikation spezialisierten Agentur Ann Green Communications. Einer Veranstaltung von Anwohnern und Umweltverbänden kurz nach der Explosion blieben Vertreter des Konzerns – trotz Einladung – fern. Stattdessen organisierte die Agentur wenige Wochen später eine eigene Veranstaltung. Spontane Wortmeldungen und Diskussionen waren hierbei unerwünscht, nur vorher eingereichte Beiträge wurden zugelassen; es dominierte ein ausführlicher Vortrag der Werksleitung.
 
Von Ann Green, der Leiterin der Agentur, stammt auch ein 8-seitiges Strategiepapier, das zu großen Teilen bereits umgesetzt wurde. Die Details darin überraschen zwar nicht, finden sich aber höchst selten schwarz auf weiß wieder und sind daher ganz allgemein wertvoll für die Untersuchung von Konzern-Kommunikation.
 
In der Analyse der Situation räumt das Papier zunächst ein, dass es wegen mehrerer schwerer Störfälle in den vergangenen Jahrzehnten starke Vorbehalte gegen die Werkssicherheit in Institute gibt. Anders als in den offiziellen Verlautbarungen wird die Kommunikation nach dem Unfall als fehlerhaft bezeichnet.
 
„Zuckerbrot und Peitsche“
 
Im weiteren Verlauf verfolgt das Konzept einen Ansatz nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“. Ausführlich wird zunächst beschrieben, wie mit Hilfe von Spenden und intensiver Medienarbeit das Wohlwollen der Öffentlichkeit erkauft werden soll: für die Rettungskräfte wird ein „Dankeschön-Dinner“ veranstaltet, in dessen Rahmen Spenden für Funkgeräte und Computer angekündigt werden; der benachbarten Universität werden 10.000 Dollar für Stipendien zu Verfügung gestellt; im Kunstmuseum der benachbarten Großstadt Charleston wird eine Ausstellung sowie die Vernissage gesponsort; 25.000 Dollar gehen an das West Virginia Symphony Orchestra, weitere Spenden an ein Hilfsprojekt für Bedürftige und ein Basketball-Team.
 
Gleichzeitig werden zur, so wörtlich, „Verbesserung der Reputation“ eine Reihe öffentlicher Auftritte mit dem Gouverneur (der auch für die Ausstellungs-Eröffnung gewonnen werden konnte), den Bürgermeistern der umliegenden Gemeinden, dem Präsident der Universität, dem Leiter des Katastrophenschutzes, dem Leiter der Schulbehörde und anderer wichtiger Institutionen organisiert. Sogar auf der Obama-Welle will die Agentur surfen: da die Öffentlichkeit augenscheinlich einen „change“ wolle, soll ein neuer Sprecher als „Gesicht des Werks“ aufgebaut werden. Dieser solle zum Kennenlernen lokale Journalisten und Redaktionsleiter zu Arbeitsessen einladen und über den Rotary Club in die lokale high society eingeführt werden.
 
Kritiker „marginalisieren“
 
Der Peitschen-Teil des Konzepts befasst sich mit der örtlichen Zeitung Charleston Gazette, die seit Jahren investigativ über die Risiken des Werks berichtet, sowie mit der örtlichen Bürgerinitiative People Concerned about MIC (PCMIC), die seit 25 Jahren für mehr Sicherheit in dem Werk, insbesondere den Abbau der MIC-Tanks, kämpft.
 
Wörtlich heißt es: „Wir sollten versuchen, die People Concerned About MIC zu marginalisieren und als irrelevant erscheinen zu lassen. Dies sollte gerade in der aktuell schwierigen ökonomischen Situation möglich sein, in der Arbeitsplätze so viel zählen.“ Der Ansatz für die kritische Lokalzeitung ist der gleiche: „Der gleiche Ansatz gilt für die Charleston Gazette.“ Empfohlen wird, Informationen künftig nur konkurrierenden Medien zukommen zu lassen, die Zeitung als wirtschaftsfeindlich darzustellen und der Charleston Gazette keine Interviews mehr zu geben. Die Zeitung ging auf die Attacke ausführlich ein und gab sich gelassen, man habe „breite Schultern“.
 
Für Einzelpersonen sind solche Angriffe eines Konzerns tatsächlich schwerer zu ertragen. Die Leiterin der Bürgerinitiative, Maya Nye, wird in dem Strategiepapier „ominous“ (Unheil bringend) genannt. Ihr Verhalten wird als feindlich bezeichnet, sie schrecke nicht davor zurück, mit auswärtigen Kritikern zu kooperieren (!) und die Forderung nach einem Verzicht auf Giftgase wie MIC und Phosgen aufrechtzuerhalten. Ziel von Bayer müsse es sein, ihre Kritik als „unanständig“ erscheinen zu lassen.
 
Sogar die staatlichen Behörden wurden von Bayer aufgefordert, nicht mit den People Concerned about MIC zu kooperieren. Die Werksleitung drohte zunächst, der öffentlichen Anhörung fernzubleiben, wenn Maya Nye als Sprecherin zugelassen werde, hierauf ließ sich das Chemical Safety Board glücklicherweise nicht ein. Nach der Beschlagnahmung und Veröffentlichung des Konzepts ruderte die Werksleitung rasch zurück – man habe natürlich niemanden ausgrenzen wollen und werde auf Frau Nye zugehen.
 
Druck und Drohungen auch in Deutschland
 
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) ist seit Jahrzehnten einer vergleichbaren Ausgrenzungs-Strategie von Bayer ausgesetzt. Axel Köhler-Schnura vom Vorstand des Verbands: „Seit der Gründung des Konzerns ist zu beobachten, dass Bayer mit Druck und Drohungen versucht, Information und - noch mehr - Kritik zu unterbinden. Die wirtschaftliche Macht wird rücksichtslos eingesetzt, um die Profite zu schützen. Die Wahrheit und die Interessen von Mensch und Umwelt bleiben dabei auf der Strecke.“ Köhler-Schnura wurde bereits mehrfach von Bayer verklagt.
 
Umweltgruppen forderten in der jüngsten Bayer-Hauptversammlung, Sicherheitsmängeln nicht mit der Ausgrenzung von Kritikern, sondern mit einer Verbesserung der Sicherheitslage zu begegnen. Tatsächlich wird nirgendwo in dem Strategiepapier die Option diskutiert, auf die Lagerung von MIC und Phosgen zu verzichten und ein verbessertes Image über eine entscheidend verbesserte Sicherheitslage zu gewinnen.
 
Spendenregen für „glaubwürdige“ Partner
 
Unabhängig von den Problemen in West Virginia verlegt sich Bayer seit rund zehn Jahren verstärkt auf das Sponsoring „glaubwürdiger“ Partner, z.B. Umweltgruppen, Universitäten, Hilfsorganisationen und sogar den Vereinten Nationen. Dies kostet nur einen Bruchteil klassischer Werbung – die vier bis fünfstelligen Spenden sind angesichts eines Werbe-Budgets von mehreren Milliarden sprichwörtliche peanuts - und bringt dennoch eine höhere Aufmerksamkeit. Die Veröffentlichung des Strategie-Papiers ist insofern von Bedeutung, als es dem Sponsoring die Maske vom Gesicht reißt: es geht nie um die geförderten Projekte als solche, sondern stets und ausschließlich um die damit verbundene PR.
 
Schon vor Bekanntwerden des Konzepts wurden die Empfänger des Spendenregens, u.a. das Museum von Charleston und die Universität von North Carolina, aufgefordert, sich nicht als Feigenblatt missbrauchen zu lassen. Leider fällt es den Konzernen jedoch in Zeiten knapper öffentlicher Kassen leicht, Partner mit Renommee zu finden, die sie als altruistische Förderer dastehen lassen. Die kritische Öffentlichkeit und insbesondere die Umweltbewegung sind aufgerufen, solche Aktivitäten als Ablenkungsmanöver zu enttarnen und konsequent auf Anlagensicherheit und Umweltschutz zu beharren. (PK)
 
Ausführliche Infos unter www.cbgnetwork.org/3052.html.

Online-Flyer Nr. 213  vom 02.09.2009



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