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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Medien
Wie Politik und Medien Al Kaida im Sauerland entdeckten (Teil 2)
Ein Käfig voller Enten
Von Walter van Rossum

Eine "Hanswurstiade" werde zum "Königsdrama" aufgeblasen - so sieht der Medienkritiker Walter van Rossum das Szenario, das propagandistisch begabte Hauptakteure der sogenannten "Inneren Sicherheit" um die "Sauerlandzelle" aufführen - unter Applaus mehrheitlich unkritisch nachplappernder Medien. Da der Autor auch Literatur- und Theaterrezensent ist, fallen ihm billige Bühnentricks freilich direkt ins Auge, die aus "Räuber Hotzenplotz" Schillers Räuber machen sollen. Hier der 2. Teil seiner Inszenierungsanalyse. - Die Redaktion.

Joachim Wagner - “Terrorismusexperte“ der ARD
NRhZ-Archiv 
 
III. Die Räuber
 
Erinnern wir uns an die erste Meldung der Tagesschau: "Diese Kanister (mit Wasserstoffperoxyd) wurden in der Nähe von Hannover unter konspirativen Bedingungen erworben, dann gingen sie quer durch Deutschland." - Was für konspirative Bedingungen mögen das gewesen sein? Schließlich kann jeder sich den Stoff bei jedem Chemikalien- Händler beschaffen. Und bei der 35-prozentigen Wasserstoffperoxyd-Lösung, die Fritz Gelowicz und seine Freunde besorgt haben, muss man nicht einmal einen Ausweis vorlegen.

Sonderbar ist einiges andere, wollte aber den journalistischen Ermittlern nicht auffallen. Warum kaufen die Verdächtigen zwölf Fässer bei einem Händler in der Nähe von Hannover und fahren damit über 600 km quer durch Deutschland?

Der Journalist Jürgen Elsässer gehört zu den wenigen in der berichtenden und kommentierenden Zunft, die sich in puncto Sauerlandzelle eigene Gedanken jenseits der offiziellen Version machen. So auch zur Odyssee der ominösen Chemikalienfässer (siehe Ausschnitte aus seinem Buch „Terrorziel Europa“ in NRhZ 177, http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=13237): "Auf jeden Fall die drei haben dann diese Fässer, 720 kg, durch die halbe Republik in die Gegend von Freudenstadt, im Schwarzwald, gekarrt und dann im Sommer noch einmal eines dieser Fässer fast über dieselbe Distanz ins Sauerland. (...)Dieses Wasserstoff-Peroxyd ist nicht gefährlich, es sei denn, man mischt es mit anderen Substanzen. Durch die Mischung kommt man zu einem Stoff, der heißt TATP. Dieser Stoff ist tatsächlich hochexplosiv und hochgefährlich."
 
Von Anfang an wurden in der Berichterstattung Vergleiche mit den Anschlägen von Madrid und London bemüht. Allein, so Elsässer: "Es ist bisher kein Fall bekannt, wo mit dieser Substanz überhaupt irgendetwas in die Luft gesprengt worden wäre. Es wird immer gesagt: In London am 7. Juli 2005 war es diese Substanz, aber das stimmt auch nicht." Wahrscheinlich aus guten Gründen. BKA-Chef Jörg Ziercke hatte versäumt, die anderen Ingredienzien der Bombe zu nennen: Weizenmehl. Doch in der Tat wird Wasserstoffperoxyd durch solche Zutaten zu einer mörderischen Waffe, nämlich zu TATP.
 
Es gibt allerdings ein gravierendes Problem: Bereits das Drehen eines Verschlusses kann zur Explosion führen - von kleineren Erschütterungen ganz zu schweigen. Insofern gibt es kaum ungeeignetere Bomben für Terroranschläge als die, die da angeblich in Oberschledorn entstehen sollten.
 
Top-Terrorstudium bei der "Islamischen Dschihad-Union"
 
Der ARD-Film "Terrorjagd im Sauerland" lief am 2. März 2009 im Hauptabendprogramm des öffentlich-rechtlichen Leitmediums, von 21 bis 21.45 Uhr. Seinen Aussagen ist mithin höchste Bedeutung und Verlässlichkeit beizumessen, jedenfalls dem selbstgestellten Anspruch der ARD zufolge. Die Reportage zeigt ein Ausbildungslager für Terroristen, in dem die drei Sauerland-Bomber das Bombenbauen gelernt haben sollen - direkt durch "höchstqualifizierte“, so die ARD, "Ausbilder der Islamischen Dschihad Union, IJU". Der Film zeigt Bilder, die von der "IJU" selbst ins Internet gestellt worden seien und erläutert: "Sie zeigen, hier lernen junge Männer den Umgang mit Chemikalien, um daraus Bomben zu basteln."
 
Doch in dem Film sieht man nur, wie „islamistisch“ kostümierte und vermummte Menschen Brandsätze in die Gegend schleudern, deren Bauanleitung man sich in etlichen Varianten aus dem Internet herunterladen kann. Die Vorstellung, dass Terroristen in abgelegenen Camps im Hindukusch mit Wasserstoffperoxyd rumhantieren, dürfte jeden Fachmann erheitern. Aber auch die Zuschauer bekommen etwas zu lachen, sie dürfen nämlich den mutmaßlichen Terroristen im ARD-Film auch mal über die Schulter sehen und erfahren: "Wie beim Einkochen einer Soße soll zunächst die Konzentration erhöht werden, dann kommen weitere Zutaten hinein. Das ist eine äußerst gefährliche Arbeit. Eine kleine Unaufmerksamkeit und die ganze Masse kann explodieren. Doch soweit kommt es erst einmal gar nicht: die Töpfe rosten durch - eine unerwartete chemische Reaktion."
 
Irgendwie scheint die Ausbildung zum Superterroristen - als die die drei stets vorgestellt werden - nicht so richtig funktioniert zu haben. Doch der ARD-Film weiß: "Aber die drei Islamisten haben es nicht eilig, noch fühlen sie sich unbeobachtet."
 
Hasch mich, ich bin der Terrorist
 
Doch ganz so kann das nicht gestimmt haben. Was jedenfalls die hochprofessionelle "Beobachtung" der Superterroristen angeht, hat Jürgen Elsässer genauer hingeschaut: "Diese Jugendlichen hätte man beobachten können mit ´ner Besatzung von einer Dorfpolizeistelle. Man hat aber, ich glaube 500 Beamte auf sie angesetzt, und hat sie über ein halbes Jahr - allein die Kosten muss man sich vorstellen! - durch mehrere Bundesländer verfolgt. Wobei dieser Aufwand wäre bestimmt nicht nötig gewesen, weil diese drei haben keine Gelegenheit ausgelassen, auf sich aufmerksam zu machen. Einmal haben sie an einer Ampel gestoppt, als sie gemerkt haben, sie werden von einem Observationsfahrzeug verfolgt, sind rausgegangen und haben dem Observationsfahrzeug die Reifen aufgeschlitzt. Das nächste Mal sind sie zu einer US-Disco gefahren und haben vor der US-Disco randaliert, dann haben sie sich lustig gemacht über die Mikrophone, die sie in ihrem Auto vermuteten, zu Recht, und haben dann gesagt: Was macht Pepsi und was macht Coca heute. Pepsi waren die deutschen und Coca waren die amerikanischen Überwacher, die sie zu Recht vermutet haben. Also dieses Trio hat ein halbes Jahr lang durch die Bundesrepublik hindurch plakatiert: Wir sind gefährlich, bitte nehmt uns fest. Als ob sie sich als Schauspieler in einem großen Stück gefühlt hätten, was ja dann auch ein großes Stück war."
 
Oder mindestens ein gehobener Agententhriller, wie ihn die ARD-Dokumentation intoniert: "Sylvester 2006. Neun Monate vor Oberschledorn, der einzige konkrete Hinweis auf ein mögliches Anschlagsziel. Fritz Gelowicz fährt zu einer amerikanischen Kaserne im hessischen Hanau. Der Sicherheitsdienst verständigt die Polizei."
 
Doch das ist so nicht ganz richtig. Tatsächlich hielt sich Fritz Gelowicz am Sylvestertag 2006 in der Umgebung einer US-amerikanischen Kaserne auf, aber er benahm sich so auffällig, dass das Wachpersonal ihn gar nicht übersehen konnte. Der US-amerikanische Geheimdienst, der den jungen Mann schon seit längerem im Visier hatte, wandte sich jetzt an die deutschen Sicherheitsbehörden. Der entscheidende Hinweis auf die Gruppe kam also von der CIA. Das haben die deutschen Ermittler später ausdrücklich bestätigt. Und so kam es schon im Januar 2007 zu einer Hausdurchsuchung bei Gelowicz - ohne Ergebnis.
 
"Das heißt, der Mann wusste, er steht unter extremem Fahndungsdruck, er darf sich nichts zuschulden kommen lassen", so die Schlußfolgerung des investigativen Journalisten Elsässer. "Normalerweise hätte er ja abtauchen müssen, sein Äußeres verändern, sich einen neuen Pass besorgen, einen ordentlichen Anzug kaufen, sich irgendwo unauffällig einmieten in einem Hochhaus - so wie es die RAF gemacht hat - aber der hat nix davon gemacht, der blieb derselbe Fritz, der auf der Fahndungsliste stand. Und dann sind sie zum angeblichen Bombenbauen in diese Gemeinde im Sauerland gefahren, nach Oberschledorn, wo sich eigentlich nur Bauern und wanderlustige Pensionäre aufhalten. Da mussten die auffallen."
 
Terroristen lesen keinen "Focus"
 
Nicht genug damit. Im Mai 2007 erschien im Magazin Focus ein Artikel, der von großen Ermittlungen gegen eine gefährliche islamistische Gruppe berichtet, und in dem es u. a. heißt:

"Der Hanau-Trip, Ende Dezember vergangenen Jahres penibel auf Video dokumentiert, ist mit der wichtigste Bestandteil einer bislang geheim gehaltenen Ermittlung der Bundesanwaltschaft." Unzweifelhaft konnten sich die Verdächtigen in diesem Artikel wiedererkennen. Mag sein, dass Terroristen oder die Hintermänner von Al Kaida nicht den Focus lesen, aber im Juli 2007, also noch Monate vor der spektakulären Festnahme, standen Journalisten des Magazins Stern vor der Haustür von Fritz Gelowicz - Stern-Reporter Rainer Nübel war dabei: "Wir selber haben noch einen Monat, bevor die Festnahme erfolgte, mit Fritz Gelowicz in Ulm geredet, weil der damals schon als Gefährder galt, und er durchaus auch Hinweise darauf hatte, - nach unserer Einschätzung - dass er beobachtet wurde."
 
Dass sich also die jungen Männer um Fritz Gelowicz "unbeobachtet" fühlen, wie im ARD-Film behauptet wird, ist kaum anzunehmen. Nur, warum tauchen die Verdächtigen nicht ab, wenn sie doch so offensichtlich im Visier der Ermittler und sogar einiger Journalisten stehen? Warum benehmen sie sich im Gegenteil sogar so auffällig? In der Tagesschau verkündet der ARD-„Terrorismusexperte“ Joachim Wagner am Tag nach der Festnahme: "Die deutschen Sicherheitsbehörden haben über Monate geräuschlos und effektiv zusammengearbeitet. Keine Informationen sind an die Öffentlichkeit durchgesickert."
 
IV. Geheimdienste, die Erste
 
"Das Al-Kaida-Netzwerk ist in Deutschland angekommen. Alle Terroristen, die hier bisher Gewalttaten verüben wollten, haben zwar ideologisch im Sinne Al Kaidas gehandelt, waren aber nicht organisatorisch mit ihm verbunden. Die heute Verhafteten sollen dagegen die deutsche Zelle einer usbekischen Terrorgruppe bilden, die zum Al Kaida Netzwerk gehört. Sie sollen während der Anschlagsvorbereitungen einen direkten Kontakt zu hochrangigen Terroristen in Nordpakistan gehabt haben." Auch das wusste der sogenannte Terrorismusexperte der ARD unmittelbar nach den Verhaftungen im September 2007 zu berichten, und in ähnlicher Form war das überall zu lesen.
 
BKA-und Medienphantom "Islamische Dschihad-Union"
 
Seltsam bloß: Von der Islamischen Dschihad Union, der IJU, hatte bis dahin noch kaum einer je etwas gehört. Das ARD-Magazin Monitor, für seine kritischen Recherchen oft gerühmt, berichtete am 4. Oktober 2007: "Wir machen uns auf die Suche nach dieser Islamischen Dschihad Union. Eine eigene Website im Internet gibt es nicht, nur einen Eintrag auf der türkischsprachigen Dschihadisten-Seite "Sehadet Vakti". Die ist eine Art Sammelbecken von Hasstiraden und Videos aus dem bewaffneten Kampf. Der Eintrag der Islamischen Jihad Union ist dagegen auffällig dürftig: ein Foto von fünf Maskierten, eine Fahne und ein schriftliches Interview mit dem Anführer."
 
Monitor fragte beim Landesamt für Verfassungsschutz in Baden- Württemberg nach, das als besonders kompetent in Sachen Islamismus gilt - und erhielt dort von Benno Köpfer die Auskunft: "Die Islamische Dschihad Union, so wie sie sich uns darstellt, ist erst mal eine Erfindung im Internet und hat nur eine Präsenz im Internet." Aber schließlich gab es doch eine Woche nach der Verhaftung ein Bekennerschreiben im Internet? Auch daran hegt Benno Köpfer seine Zweifel, die er Monitor verrät: "Dieses Bekennerschreiben, das wir ausgewertet und gesichert haben auf einer türkischsprachigen Internetseite, ist in türkischer Sprache und nicht in englisch oder usbekisch, wie man es bei einer usbekischen Organisation, die die IJU sein soll, erwarten würde. Dann werden in diesem Bekennerschreiben konkrete Anschlags- Ziele genannt: Ramstein. Meines Wissens sind aber die Verhafteten bis zuletzt unsicher gewesen, welches Ziel sie überhaupt angreifen sollen, auf welches Objekt sie diesen Anschlag ausüben werden. Und so wird in diesem Bekennerschreiben Medienberichterstattung aufgenommen und eine Woche später kolportiert, und das lässt mich eben an dieser Authentizität zweifeln."
 
Auch Jürgen Elsässer meint: "Da hat praktisch nichts gestimmt. Da hat der Zeitpunkt der Verhaftung nicht gestimmt, da wurde die Sauerlandgemeinde Oberschledorn als Land bezeichnet(...). Die Gruppe hat aber seither eine große Medienkarriere gemacht." Das Bundeskriminalamt glaubt hingegen, Genaueres zu wissen. In einem Lagebericht heißt es: "Die IJU hat ihre Handlungsfähigkeit mit Bomben-Anschlägen gegen die amerikanische und israelische Botschaft in Taschkent ... und weiteren Anschlägen gegen den usbekischen Staat unter Beweis gestellt."
 
IJU - Homunculus aus der Geheimdienstretorte?
 
Monitor ist der Sache weiter nachgegangen und hat einen gewichtigen Zeugen ausfindig gemacht: Craig Murray, den ehemaligen britischen Botschafter in Usbekistan. Der Diplomat erklärt: "Es gibt keinen wirklichen Beweis dafür, dass die Islamische Dschihad Union existiert. Zum ersten Mal haben wir den Namen gehört, als die usbekische Regierung sie für Bombenanschläge in Taschkent verantwortlich machte. Ich war da, ich habe die Beweise selbst gesehen. Minuten nach der angeblichen Explosion. Und da waren keine Bomben. Das waren meiner Meinung nach Erschießungen von Dissidenten. Insofern ist die Islamische Dschihad Union das erste Mal als Propaganda aufgetaucht. Es war die Rede von Bomben, die es nicht gab."
 
Wer sich mit Usbekistan beschäftigt, stößt auch noch auf ein anderes Problem: Das Land wird zweifelsohne von einer blutigen Diktatur beherrscht - was auf die gute deutsch-usbekische Zusammenarbeit offenbar keinen Einfluß hat - auch auf Polizei- und Geheimdienstebene. Vielleicht deshalb kommt der frühere britische Botschafter Craig Murray zu einer ganz anderen Schlussfolgerung als das Bundeskriminalamt: "Ich persönlich glaube, dass die Islamische Dschihad Union höchstwahrscheinlich von den usbekischen Geheimdiensten erschaffen wurde. Entweder dadurch, dass sie Anschläge wie in Taschkent selbst inszeniert haben oder indem agents provocateurs naive Menschen dazu verleitet haben, Terroranschläge zu verüben."
 
Sprachregelungen machen Pressearbeit komfortabel
 
Fast ein Jahr später greift Monitor das Thema noch einmal auf, führt neue Zeugen ins Feld, die Craig Murrays These belegen. Doch, so wundert sich stern-Reporter Rainer Nübel: "Die große Mehrheit der Medien folgt ganz klar der Sprachregelung und, sagen wir mal, der Geschichtsschreibung staatlicher Stellen - allen voran der Bundesanwaltschaft und des BKA. Das gilt insbesondere für die Frage, welche Rolle denn die ominöse IJU spielt, die als terroristische Vereinigung im Hintergrund stehen soll und die Sauerlandtäter buchstäblich dirigiert haben soll." (PK)
 
Teil 3 folgt in der nächsten NRhZ 

Online-Flyer Nr. 207  vom 22.07.2009



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