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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Wirtschaft und Umwelt
„Nationalstaat und Globalisierung“ – das aktuelle Buch zur Krise (6)
Thatcher und Greenspan
Von Jürgen Elsässer

„Jetzt ist die Zeit für ökonomische Patrioten", sagte Leo Gerard, Chef der US-Stahlarbeitergewerkschaft, im Februar 2009. Dieses Zitat wählte Jürgen Elsässer als Leitmotiv für das Schlusskapitel seines neuen Buches "Nationalstaat und Globalisierung", das für jedermann verständlich die Ursachen der heutigen Finanz- und Wirtschaftskrise analysiert. Im offenen Widerspruch zum Zeitgeist, aber auch zu Teilen der Linken, weist er nach, dass Nationalstaaten keineswegs überlebt sind. Gerade in so kritischen Situationen könnten sie flexibel agieren und reagieren – ganz im Gegensatz zu den überbürokratisierten und nationales Recht einschränkenden supranationalen Gebilden. Wir veröffentlichen dieses hochaktuelle Buch in Fortsetzungen. - Die Redaktion

Die "eiserne Lady" - Margaret Thatcher
Quelle: www.teachersparadise.com
Mit der Amtsübernahme durch Margaret Thatcher in Großbritannien (1979) wurde die Politik zugunsten des Finanzkapitals radikalisiert. Die "eiserne Lady" brach die Macht der vordem einflußreichen Gewerkschaften und schritt in ihrer zweiten Amtszeit zur vollständigen Deregulierung der Finanzmärkte. Der Big Bang von 1986 beseitigte nicht nur jede öffentliche Kontrolle von Zinssätzen und Kreditvolumina, sondern hob auch die im Land traditionelle Trennung zwischen Banken, Wertpapierhändlern und Börsenmaklern auf. Damit konnten die Sparguthaben der Masse der Bevölkerung für Casino-Spiele angezapft werden. 


Hedge-Fonds-Schutzengel Alan Greenspan
Quelle: www.alan-greenspan.com   
Noch wichtiger für die weitere Entwicklung war Alan Greenspan, der 1987 vom Berater der US-Superbank J.P. Morgan zum Chef der US-Notenbank Federal Reserve aufstieg und dieses Amt bis 2006 innehatte. Unter seiner Ägide baute sich die gewaltige Blase auf, die 2008 platzte. Diese Entwicklung war freilich keine Fehlleistung, sondern verfolgte einen strategischen Zweck. "In den 18 Jahren als Leiter des mächtigsten Finanzinstitutes hat er jede einzelne Finanzkrise genutzt, um den Einfluß der in den USA zentrierten Finanzherrschaft über die Weltwirtschaft zu fördern und zu festigen, fast immer zum großen Nachteil der Wirtschaft und des allgemeinen Wohlstandes der Bevölkerung," faßt F. William Engdahl zusammen (1).
 
Folgende Finanzinnovationen von Greenspan waren besonders verheerend:
• 1987 platzte an der New York Stock Exchange die Blase, die sich über das Geschäft mit uneinbringbaren Krediten an Schwellenländer aufgebaut hatte. Greenspan gab sein Gesellenstück, indem er – damals ein Novum in der Finanzgeschichte – Zentralbank-Geld dafür einsetzte, abstürzende Spekulanten herauszukaufen.
 
• Er verweigerte eine Regulierung der Ende der achtziger Jahre entstehenden "Raider" und Hedge-Fonds, die sich auf Firmenaufkäufe und anschließende Plünderung, also Ausschüttung des Firmeneigentums über Sonderdividenden an die Aktionäre, spezialisierten. Die Freßwut der Angreifer hätte gezügelt werden können, wenn Greenspan ihnen das Ausweichen in Steuerparadiese verboten hätte und wenn sie ihre Kaufangebote nur mit Eigenkapital hätten machen dürfen. Ohne solche Regulierungen konnten die Kriegskassen der Hedge-Fonds von den Großbanken mit großzügigen Darlehen aufgerüstet werden – der Hebelfaktor ("Leverage") war nicht selten 1 zu 20, also auf jeden Dollar Eigenkapitel kamen 20 Dollar Leihkapital. Damit waren die Heuschrecken beim Bieten um Beutefirmen kaum zu schlagen. Anschließend stellten sie die Kreditsumme in die Bilanzen der Beutefirma ein, was in kürzester Zeit auch solvente Unternehmen in die rote Zahlen drückte.
 
• Ab Mitte der neunziger Jahre explodierte das von den Hedge-Fonds verwaltete Vermögen – Sarah Wagenknecht spricht von einer annähernden Vertausendfachung in den kommenden zehn Jahren auf insgesamt knapp drei Billionen US-Dollar. Mit verantwortlich war die von Greenspan inspirierte Privatisierung der Pensionskassen, die nun die Altersanlagen ihrer Mitglieder zum Teil spekulativ bei den Heuschrecken investierten. Hinzu kamen die stark steigenden Einkommen der Superreichen, die von den Steuererleichterungen in den achtziger und neunziger Jahren profitierten.
 
• Von Anfang an legte sich Greenspan dafür ins Zeug, die 1986 in Großbritannien vorexerzierte Verschmelzung des Banksektors mit dem Spekulationssektor auch in den USA durchzusetzen. Dazu mußte das Glass-Steagall-Gesetz beseitigt werden, das als Lehre aus dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse Anfang der dreißiger Jahre erlassen worden war und die Geldanlagen von Privatleuten und Firmen davor schützte, in Spekulationsgeschäften verbrannt zu werden. Bereits in einer seiner ersten Reden als Fed-Chef im November 1987 verkündete Greenspan, daß "eine Aufhebung des Glass-Steagall-Gesetzes für bedeutende öffentliche Gewinne sorgen würde, mit einem vertretbaren Anstieg des Risikos". Der Kampf zur Abschaffung des Gesetzes dauerte 12 Jahre, allein die Chase Manhattan Bank und Citicorp gaben über 100 Millionen Dollar zur Beeinflussung von Kongreßabgeordneten aus.
 
• Als US-Präsident Bill Clinton 1999 seine Unterschrift unter die Novellierung oder besser Abschaffung des Glass-Steagall-Gesetzes setzte, wurde den Banken damit auch die Gründung von außerbilanziellen Zweckgesellschaften erlaubt, die nicht mehr der Staatsaufsicht unterlagen. Greenspan jubelte: "Während wir ins 21. Jahrhundert eintreten, werden die Überreste der Bankenprüfungsphilosophie allmählich verschwinden. (...) Außerdem muß die Zugehörigkeit zu einer Bank nicht notwendigerweise bedeuten, daß Regulierungen, die für die Banken bestimmt sind, auch für Unternehmungen gelten, die mit den Banken verbunden sind." In der Folge gründeten Geldhäuser in unkontrollierten Offshore-Steuerparadiesen Briefkastenfirmen, die ihnen risikoreiche Schuldpapiere abnahmen und dafür Kapital einsetzten, das es oft nur auf dem Papier gab.
 
• Im März 2000 gab Greenspan grünes Licht für die sogenannte Verbriefungsrevolution. In der Folge mußten die Banken ausgegebene Kredite nicht mehr in ihren Büchern halten, sondern durften sie in Wertpapiere verwandeln und weiterverkaufen, auch an ihre eigenen außerbilanziellen Zweckgesellschaften. So verschwanden die Darlehen und damit deren Risiken auf wundersame Weise aus den Bilanzen der Banken. Die Mindestkapitalvorschriften, die in den sogenannten Basel-Abkommen seit Ende der achtziger Jahre nominell verschärft worden waren, sahen eigentlich vor, daß Kreditinstitute für einen Teil des von ihnen ausgeliehenen Geldes mit Eigenkapital haften mußten. Da die ausgereichten Darlehen im Zuge der Verbriefungsrevolution aber gar nicht mehr in den Bilanzen auftauchten, konnten die Kredite phantastisch ausgeweitet werden. Für die Hedge-Fonds-Manager war klar, daß dies eine betrügerische Strategie ist, die nur im Kladderatsch enden konnte. Anstatt sich aber zu besinnen, setzten sie dem ganzen Schwindel noch die Krone auf: Die skrupellosesten Heuschrecken-Könige kauften ab dem Jahr 2006 Zockerpapiere, die auf den Zahlungsausfall der von ihnen selbst verbrieften Kredite spekulierten. Mit solchen Wetten konnte etwa John Paulson, Besitzer des gleichnamigen Fonds, im Jahr 2007 ein persönliches Einkommen von 3,7 Milliarden US-Dollar erzielen – das 250fache des Jahressalärs von Deutschbanker Josef Ackermann (vgl. FAZ, 17.04.2008).
 
Halten wir einstweilen fest: Die Weltwirtschaftskrise unserer Tage ist vor allem das Resultat der Zerstörung der nationalstaatlichen Beaufsichtigung der weltweiten Kapitalströme, wie sie im Abkommen von Bretton Woods vorgesehen war. Dieses Zerstörungswerk wurde auf den Finanzplätzen New York und London geplant und ausgeführt. (2)
 
"Vor allem in New York und in London haben wir es zu tun mit einer Kombination von hoher Intelligenz samt mathematischer Begabung, extremer Selbstsucht und Selbstbereicherung bei Abwesenheit von ausreichender Urteilskraft und von Verantwortungsbewußtsein." (Helmut Schmidt über die Ursachen der Krise, Januar 2009) (PK)

 
(1) William Engdahl wuchs in Texas auf, studierte u.a. Wirtschaftswissenschaften an der Universität Stockholm, wurde Wirtschaftsjournalist lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland und lehrt als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Wiesbaden. Sein Buch "Mit der Ölwaffe zur Weltmacht“ weist die Ölkrise von 1973 als eine im Rahmen der Bilderberg-Konferenz auf Saltsjöbaden systematisch vorbereitete Aktion aus. Seit Jahren kritisiert er die unregulierte Vergabepraxis der Derivate, die bewusst von Fed-Direktor Alan Greenspan herbeigeführt worden sei. 2009 erschien "Der Untergang des Dollar-Imperiums. Die verborgene Geschichte des Geldes und die geheime Macht des Money Trusts“. Kopp, Rottenburg 2009 
(2) Nicht näher belegte Zahlen und Zitate stammen zumeist aus Sahra Wagenknechts "Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft“, Berlin 2008, sowie von William Engdahl, „Mit der Ölwaffe zur Weltmacht. Der Weg zur neuen Weltordnung“, Rottenburg 2006

In der nächsten NRhZ-Ausgabe folgt Teil 7 Fiktives Kapital, realer Krieg“ 

 
Jürgen Elsässer, geboren 1957 in Pforzheim, ist Journalist und Autor zahlreicher Bücher über die Außenpolitik Deutschlands und die Geheimdienste (siehe NRhZ 174 bis 177). Seine Bücher wurden teilweise in sechs Sprachen übersetzt. Als Redakteur und Autor arbeitete er u.a. für die Tageszeitung junge Welt, das Monatsmagazin konkret, die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, das Kursbuch, die Tageszeitung Neues Deutschland, die Islamische Zeitung, das Online-Magazin Telepolis und die Wochenzeitungen Zeit-Fragen und Freitag. Im Januar 2009 rief er zur Gründung der “Volksinitiative gegen das Finanzkapital“ auf (siehe http://www.volks-initiative.info/). Ende Juni erschien die erste Ausgabe von COMPACT, einer monatlichen Booklet-Reihe, die er herausgibt. COMPACT kann einzeln oder im Abonnement bestellt werden. Bestellungen an: home@kai-homilius-verlag.de oder info@juergen-elsaesser.de.

Online-Flyer Nr. 205  vom 08.07.2009



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