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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Pickerts gesammelte Märchen
ARGE-Anklage eingestellt, Teil 2
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

In unserem ersten Teil hatten wir darüber berichtet, mit welchen Mitteln in der verfassungswidrigen Kölner Hartz-IV-ARGE gegen Mitglieder der Beratungshilfe des Kölner Vereins „Kölner Erwerbslose in Aktion e.V.“, die KEAs, mit Hilfe der Polizei vorgegangen wurde. Hier nun die Fortsetzung zum Verfahren des Kölner Amtsgerichts durch unseren Gerichtskorrespondenten. Die Redaktion.

Als Unwahrheit wiesen die  Angeklagten die Darstellung des Arbeitsagentur-Direktors Picker zurück, „Kunden" der ARGE und der Arbeitsagentur hätten infolge der Aktion im Eingangsbereich das Gebäude nicht mehr betreten können, ja, mehr noch, sich „eingeschüchtert" gefühlt.  Ausgerechnet durch diejenigen also, die sich anboten, ihre Interessen zu vertreten und sie über ihre Rechte bei Arbeitsagentur und ARGE informierten? „Wohl eher durch die Hundertschaft Polizei!", rief einer dazwischen. Und Anwalt Hartmann wird an dieser Stelle richtig ärgerlich: „Angesichts des Videos (der Polizei) ist das alles Unsinn, was Sie hier erzählen." Nicht einmal das begleitende Musikprogramm dürfte irgendjemanden abgeschreckt haben –  „Ich hab draußen selbst Geige gespielt", betonte Anwalt Hartmann, der als „Detlef der Geiger" schon fast so bekannt ist wie Klaus der Geiger.

Geschäftsführer muss nachsitzen

Herr Picker freilich kennt sich anscheinend nicht einmal richtig in der „Partitur" aus, nach der er eigentlich jeden Tag arbeiten müsste, als „Geschäftsführer" der Arbeitsagentur zu Köln. „Über die Rechtsposition - äh - des Eingangsbereichs – äh –  müsste ich nachgucken", stottert er wie ein schlecht vorbereiteter Prüfling beim mündlichen Examen. Da bleibt nichts anderes übrig, als Nachsitzen zu verordnen. Wie ein Schüler, der sein Mathebuch vergessen hat, muss Herr Picker auf Anweisung der Richterin nachhause, in die Arbeitsagentur, und die diversen Rechtsdokumente zusammensuchen, aus denen sich Berechtigung oder Nichtberechtigung seines Hausverbotes ergeben könnten: ARGE-Gründungsvertrag, Dienstleistungsvereinbarungen, Satzung der Arbeitsagentur. Was man nicht im Kopf hat, muss man auch als Herr Direktor in den Füßen haben.

Robocop was here

Während dieser Strafaufgabe des Zeugen Picker wurden die fünf sogenannten „Polizeivollzugsbeamten" einvernommen, die an der seinerzeitigen brachialen, zu deutsch, handfesten Aktion gegen die Ausübung unerwünschter Informations- und Meinungsfreiheit in der Eingangszone der ARGE beteiligt waren. Natürlich ohne Reflexion über die Berechtigung von Hausverbot und Polizeieinsatz, die man von Polizisten in Deutschland grundsätzlich nicht erwartet und diesem Quintett gleich gar nicht abverlangen würde.


Sozialberatung vor der ARGE durch Tacheles...

Bis auf einen sind sie alle 26 Jahre alt, doch haben sie die Ordnungs- und Polizeiideologie ihrer Vorgesetzten schon bis in die letzte Faser verinnerlicht; sie sprechen eigentlich nicht selbst, es spricht aus ihnen, als würde ein Computerprogramm ein Amtsformular vorlesen. Zackiges Auftreten ist ausgezeichnet antrainiert, und bei der  automatischen, ja mechanistischen Redeweise dieser Jünglinge dürfte es jedem Vordenker autoritärer Konditionierung warm ums Herz werden.

Im Stil von „Robocop" gibt’s Amtsgewissheiten und bürokratische Worthülsen in Serie: „Es war auf jeden Fall klar, dass ein Hausverbot vorlag",  „der Hausrechtsinhaber hatte die Beendigung des unrechtmäßigen Störungszustandes verfügt", „wir versuchten, den Beschuldigten zur Seite zu führen" (als Euphemismus für den Körpereinsatz gegen den Angeklagten Arnold); „wir mussten ihn zu Boden verbringen" (als Euphemismus für den Körpereinsatz gegen den Angeklagten Lehnert).

Polizeivideo widerlegt Anklagezeugen Picker

Allerdings gab das Video des als Zeuge vernommenen Polizeifilmkünstlers - der den Demonstranten immerhin „verständliche Emotionalität angesichts des Themas" zugestand – doch einigen Aufschluss und widerlegte auch manche Darstellung zum Beispiel des Herrn Picker. Etwa im Hinblick auf Einschüchterung von ARGE-Kundschaft durch die Zahltagaktion. Eine eher fröhlich bunte Versammlung war da zu sehen und zu hören, Reden, in denen im Gegensatz zur Aussage des Herrn Picker ausdrücklich auf das Begleitungsrecht hingewiesen wurde, unterlegt durch Musik, insbesondere natürlich Detlef Hartmanns Geigenspiel. „The sound of terror", witzelt einer aus dem Publikum. In der Tat: Augenfälliger könnte der Gegensatz nicht sein zwischen der massiven Polizeiokkupation, zwei Kontrollschleusen und Hochsicherheitstrakt in diesem Verfahren und dem politischen Volksfest mit Musik, das die martialische Haupt- und Staatsaktion ausgelöst hat
.
Gewalt – die war auch auf dem Polizeivideo erst in dem Moment zu sehen, als die Polizei auftrat. Ein Beamter verkündet das Hausverbot des angeblichen Hausrechtsinhabers. Gedränge, Geschiebe, die zwei jetzt Angeklagten werden nach der üblichen Rädelsführer-Theorie herausgepickt. Zunächst soll der Angeklagte Arnold zwecks „Personalienfeststellung" rausgezerrt werden  – polizeiliche Ausdrucksweise „zur Seite geführt". Die Anwesenden protestieren mit Rufen: „Aufhören". Unübersehbar mithin, von wem „Gewalt" ausging. Der Film wird sogar mit Beifall quittiert und dem Zuruf: „Danke, Coppola."

Keine Rechtsquelle für Hausverbot

Inzwischen ist Herr Picker zurückgekehrt. In staubigem Papier wühlen die Juristen, um irgendeinen konkreten Anhaltspunkt zu finden, wo denn die Ausübung des sogenannten Hausrechts in den an die ARGE vermieteten Räumlichkeiten der Arbeitsagentur geregelt ist, wer für die Arbeitsagentur, bezogen auf Raum, den die ARGE nutzt, überdies das Befugnis zur rechtmäßigen Stellung von Strafanträgen wahrnehmen kann – wo steht das denn?


...und Durchsetzungsversuche berechtigter Forderungen...

Da liest die Vorsitzende lang und länger aus den Regelungen des Sozialgesetzbuches über die ARGE an und für sich vor – aber, nochmals zur Erinnerung: Die Rechtskonstruktion ARGE ist nach Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts sowieso verfassungswidrig. Wie heilige Schriften werden Uralt-Rechtsermächtigungen der alten „Bundesanstalt für Arbeit" für die Direktionen ihrer alten Landesarbeitsämter rezitiert. Der ARGE-Gründungsvertrag für Köln kommt auszugsweise zum Vortrag. Und die Dienstleistungsrichtlinien für den Service, den die Arbeitsagentur der ARGE leistet wie „bauliche Instandsetzung, Reinigung der Diensträume, Hausmeisterdienste, Facility-Management".  Doch kein konkretes Wort über Hausrechtskompetenz, Berechtigung zu Hausverboten, Stellung von Strafanträgen. Da hilft auch der Ausweichschritt des Herrn Picker nicht weiter, auch der Geschäftsbetrieb der Arbeitsagentur sei ja „gestört" worden.

Pickers Selbstermächtigung

Heiterkeit ruft Pickers Rechts-Auslegung, in Ermangelung einer konkreten Rechtsermächtigung, hervor, seine Ausübung von Hausrecht, Erteilung von Hausverboten und Stellen von Strafanträgen wie diesem sei halt „gelebte Praxis" und „ständige Übung im Fall solcher Demonstrationen". Ob eben solche „gelebte Praxis" rechtmäßig ist, darum geht’s, Herr Kandidat. Selbst der Richterin geht das nicht ein: „Als Sie Ihren Posten übernommen haben, hat man  Ihnen gesagt, das hat man immer so gemacht, und das war’s?", so ihr Resümee, gekleidet in eine rhetorische Frage. Anwalt Hartmann spitzt zu: „Mündliche Absprachen gibt es nicht, schriftliche Grundlagen gibt es nicht, Sie machen’s einfach so." Setzen, sechs. Dabei hätte Herrn Picker als konsequente Vollendung seiner Rechtslogik doch noch eine konkrete Rechtsgrundlage einfallen können: In Paragraph 4 – passend zu Hartz 4 – des Kölschen Jrundjesetzes heißt es eindeutig: „Dat hanne mi immer esu jemäd".

Klägliches Prozeßdebakel - und gallige Pointe

Auf diese Rechtsfortbildung sollte nicht mehr lange gewartet werden müssen. Für die Zukunft schlagen  wir ohnehin die Verlegung derartiger Strafverfahren ins Hännesche-oder Millowitsch-Theater vor. So stieg die Stimmung, während die Anklageblase als klägliches Knallbonbon zerplatzte, und das eifrige Getuschel zwischen den Juristen ließ auch erwarten, was in derlei Prozessen allzumeist herauskommt: Verfahrenseinstellung, in Form irgendeines „Deals". Genau so kam es dann auch – allerdings mit einer geradezu zynischen Pointe, die im Publikum dann doch weniger Gelächter als Aufschrei auslöste. Der von vornherein überflüssige Prozeß wurde in der Tat eingestellt; freilich gegen ein erhebliches Bußgeld von 2.000 beziehungsweise 1.400 Euro – und nun kommt’s: zu zahlen ans „Sozialwerk der Kölner Polizei".


...könnten in Köln auf kürzestem Weg – rein demokratisch – ausgebremst werden.Fotos: arbeiterfotografie.com

Denn, so die von Protesten begleitete Tenor der Begründung, angemessen zusammengefasst: Es ist nicht klar, ob das Hausverbot berechtigt war – wahrscheinlich eher nicht –, es ist nicht klar, ob von daher der Polizeieinsatz berechtigt war, deswegen Einstellung, also keine „Vorstrafe". Aber der „Widerstand" durch „Sträuben" und „Sperren", vielleicht sogar „Zucken" – kurzum „Widerstand" gegen eine wie auch immer berechtigte oder nicht berechtigte Polizeimaßnahme, „das geht nicht" – so die junge Richterin in unreflektierter Fortsetzung einer besonders fragwürdigen obrigkeitsstaatlichen Rechts-Ideologie. Wenn der Widerstand auch „nicht so erheblich gewesen" sei.  Trotzdem und deswegen und überhaupt also sollen die Opfer der Polizeimaßnahme ein Bußgeld an die Polizei zahlen, denn die sei durch angeblichen Widerstand „geschädigt" worden. Die „Schädigung der Polizei" wurde u.a. daran festgemacht, daß sich einer der damals 24jährigen Polizeivollzugshandwerker beim Hochheben des Angeklagten einen Hexenschuss geholt haben will und zwei Tage krankgeschrieben gewesen sein soll. Wobei „Hexenschuss", zumeist auf Disposition zurückzuführen, manchmal schon beim Zubinden der Schnürsenkel auftreten kann.

Auf ein Neues?

Immerhin: Der geplante „Abschuss" des „Zahltag"-Konzepts mit Hilfe dieses Verfahrens ist der ganzen Staatsaktion zum Trotz erst einmal gescheitert. Doch ein „Sieg" für den Sozialprotest gegen Hartz IV ist das noch nicht, und noch nicht einmal eine Garantie für künftig unangefochtenes Begleitungsrecht. So schnell werden die Konstrukteure der Sozial- und Grundrechtsdemontage nicht die Waffen strecken. Gehe es doch letztlich darum, wie Martin Behrsing vom „Erwerbslosenforum Deutschland" feststellte, die Zahltag-Aktionen Stück um Stück zu kriminalisieren und das Begleitungsrecht auszuhebeln. So sieht man sich bestimmt bald wieder  - vielleicht in Saal 210.

Notfalls in Karlsruhe


Oder gar vorm Bundesverfassungsgericht. Denn das hat, wie gerade in der Woche dieses unsäglichen Strafprozesses vor dem volkstümlichen Kölner Amtsgericht bekannt wurde, das vergleichbar volksnahe Zwickauer Amtsgericht abgewatscht, weil dieses einer Hartz-IV-Bezieherin das Recht auf ARGE-unabhängige Beratung verweigern wollte.(1) Ähnlich, wie dies ja die ARGEn hierzulande, soweit sie nur irgend können, versuchen. Nun ging es im konkreten Fall um „Beratungshilfe" für anwaltlichen Beistand gegen eine Kürzungssanktion. Die Festschreibung des Rechts auf ARGE-unabhängige Beratung durch das Bundesverfassungsgericht darf aber getrost allen entgegengehalten werden, die die vergleichbare Beratung durch Selbsthilfegruppen und Initiativen wie KEA oder Erwerbslosenforum in Frage stellen wollen. Seien es nun die Leitungen der Kölner oder Bonner ARGE (hierzu: NRhZ Nr. 196 „Wie zu Feudalzeiten") oder wo immer. Oder seien es auch Ministeriale und Parlamentarier, die dem Vernehmen nach an Restriktionen gegen ARGE-unabhängige Begleitungshilfe arbeiten sollen. Also: Hände weg vom Beratungsrecht, Hände weg vom Begleitungsrecht! (HDH)

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(1) Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. Mai 2009, 1 BvR 1517/08, hierzu Pressemitteilung „Verfassungsbeschwerde gegen Versagung von Beratungshilfe erfolgreich" vom 18. Juni 2009. Näheres beim Bundesverfassungsgericht.

Online-Flyer Nr. 203  vom 24.06.2009



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