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Lokales
Warum nicht alle Fotos von Jens Hagen im Stadtarchiv verschüttet wurden
Rettung durch das Kölner 68er Projekt
Von Peter Kleinert
Jens Hagen 1969 – gleichzeitig Verbindungsstudent und SDS-Mitglied
„Klar - hin und wieder packen mich Trauer und Wut über diese absurde Katastrophe. Ich bin froh, dass es in den letzten Jahren Ausstellungen und Bücher vor allem mit Fotos von Jens gab, in denen er sehr lebendig geblieben ist“, sagt Dorothee Joachim. Jens Hagens Nachlass sei drei Jahre lang bearbeitet worden, erzählt Dorothee Joachim. „Der Sozialwissenschaftler Hans Burbaum hat das gemacht. Anfang des Jahres hat er seine Arbeit abgeschlossen, ab jetzt wäre der Nachlass für die Forschung zugänglich gewesen - sechzig laufende Regalmeter, Registriernummer 1753, das vorläufige Findbuch ist 350 Seiten stark. Für eine Person ist das sehr umfangreich.“ Gefunden wurde bei den Ausgrabungen in den Trümmern des Stadtarchivs offenbar noch nichts.
Jens Hagen und Dorothee Joachim auf einer Kundgebung
In einem der zugeschütteten Kellerräume fand die Feuerwehr vor einigen Tagen 850 Regalmeter Akten, unter anderem Unterlagen von Günter Wallraff, mit dem Jens Hagen sich 1969 auf dem Polizeiübungsgelände Bork als “Reporter und Assistent“ eingeschlichen hatte. Unter dieser Tarnung nahmen sie Vorbereitungen der Polizei für einen Einsatz gegen Demonstranten in Bild und Ton auf. „Die 'eher linken' Polizisten mussten die Demonstranten spielen. Wir haben sogar erzählt bekommen, wie man einen Wasserwerfer erobert, oder wie man eine Reiterstaffel mit einem dicken Seil einkesselt", berichtete Jens Hagen später. Als er die Reiterstaffel später auf einer Demonstration wieder traf, waren die „nicht so gut auf mich zu sprechen. Wir hatten unsere Reportage nämlich in KONKRET veröffentlicht."
Foto von der Polizeiübung in Bork 1969
Nur ein paar Monate später, am 9. November 1969, erlebte Jens Hagen die Polizei als Student hautnah – bei der Besetzung des Rektorats der Uni Köln. Fürs Zerbrechen einer Türglasscheibe wurde dabei der junge Rudi Jäger festgenommen und wenige Tage später vor seiner Wohnung zusammengeschlagen. Er erlitt einen Schädelbruch und Brandwunden durch Zigaretten. Die unbekannten Täter nahmen Jäger sein Notizbuch ab, in dem APO-Adressen und Namen von Staatsschutz-Mitarbeitern verzeichnet waren.
Rudi Jäger nach dem Überfall durch Unbekannte 1969
Geboren 1944, aufgewachsen in Dinslaken, lebte Jens Hagen seit 1964 in Köln, begann mit 16 für Zeitungen zu schreiben und zu fotografieren, studierte gleichzeitig Theaterwissenschaft, Philosophie und Germanistik, arbeitete seit 1969 auch für Funk und Fernsehen, war ein Kenner der Rock-, Blues- und Song-Szene und gehörte wie Dorothee Joachim zum Kollektiv der ersten alternativen Kölner Stadt-Zeitung ANA&BELA, an der auch die Gründer der Sozialpädagogischen Sondermaßnahme Köln (SSK) Lothar Gothe und Rainer Kippe (heute SSM) beteiligt waren.
Rainer Kippe und Lothar Gothe, Gründer der Sozialpädagogischen Sondermaßnahme Köln (SSK)
Er gehörte zu den ersten Mitarbeitern der legendären WDR-Jugendsendung "Panoptikum", schrieb für "konkret", "Spontan", "underground", "DVZ", wurde Dozent, Regisseur, Mitbegründer von "Künstler für den Frieden" und aktiver Gewerkschafter. Seit 1980 arbeitete er als freier Schriftsteller und schrieb vor allem Hörspiele, Gedichte, Poeme, Satiren, Erzählungen, Drehbücher, erotische Kurzgeschichten und Romane. Veröffentlichte über zwanzig Hörspiele, vor allem Krimis, außerdem etliche Bücher, z.B. zusammen mit Günter Wallraff "Was wollt ihr denn, ihr lebt ja noch". Dieser Titel wurde im Frühjahr 2005, ein Jahr nach seinem Tod, Bestandteil einer großen Ausstellung seines Nachlasses im Stadtarchiv.
Titel der Ausstellung mit Jens Hagens Nachlass 2005 im Kölner Stadtarchiv
Foto: Karin Richert
Eigentlich, so erinnert sich Dorothee Joachim, war der Nachlass „noch im Stadium des Übergangs. Das war alles noch ganz roh, unbearbeitet. Mir war es wichtig, gerade diesen Übergang – von der persönlichen Ordnung eines Künstlers hin zu der des Archivs – zu dokumentieren. Man ging zwischen den Magazinregalen entlang, auf der einen Seite waren noch die Originalordner von Jens, auf der anderen Seite schon die säurefreien grauen Deckelkartons mit den Archivnummern. Wir haben Teile seiner Bibliothek gezeigt, die Tonbänder seiner Interviews, man konnte auch in seine Hörspiele reinhören. Jens hatte ein besonderes Sensorium entwickelt, seine Zeit wahrzunehmen und sie gleichzeitig aktiv mitzugestalten, als Künstler wie auch als gesellschaftlich aktiver Mensch, und insofern scheint mit seinem Nachlass auch ein für das Verständnis dieser Zeit wichtiges Dokument verloren zu sein.
Die Kölner Polit-Kabarett- und Rockgruppe Floh de Cologne
Immerhin sind ja durch die Ausstellung in der “fotopension“ etliche Fotos von Jens "gerettet" worden! Und zwar dadurch, dass ich die gesamte Ausstellung, d.h. alle Exponate (die ja vorwiegend alte Originalfotos, also "vintage prints" waren) hinterher einfach nicht ins Archiv zurückgebracht, sondern bei mir in meinem Lager behalten habe.“
Liedermacher Hannes Wader im Kölner Salierring Nr. 35, März 1970
So viel “Glück“ hatten die wenigsten Partner und Nachkommen bekannter Kölner BürgerInnen mit den im Stadtarchiv verschütteten Nachlässen. Einige von ihnen denken inzwischen sogar darüber nach, ob sie nicht die Versicherungssumme für das Archiv für sich beanspruchen sollen, anstatt dass es die Stadt Köln für einen Gebäudeankauf oder -neubau verwenden kann. Sie haben deshalb mit dem Kölner Rechtsanwalt Louis Peters Kontakt aufgenommen, wollen aber erst einmal abwarten, wie sich OB Fritz Schramma in einer für den 11. Mai geplanten Informationsveranstaltung zu diesen Überlegungen äußern wird. (PK)
Alle Fotos (bis auf eins) von Jens Hagen bzw. aus seinem Nachlass.
Weitere gerettete Bilder finden Sie unter “Verliebt in Jens Hagen – über die aktuelle Ausstellung in der “fotopension“ in Köln “Total real““ in der NRhZ-Ausgabe 143 vom 23.4.2008
Die Bilder für diese NRhZ-Ausgabe wurden von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann (Galerie Arbeiterfotografie) aus der „fotopension“-Ausstellung "Total real" zusammengestellt.
Online-Flyer Nr. 196 vom 06.05.2009
Warum nicht alle Fotos von Jens Hagen im Stadtarchiv verschüttet wurden
Rettung durch das Kölner 68er Projekt
Von Peter Kleinert
Jens Hagen 1969 – gleichzeitig Verbindungsstudent und SDS-Mitglied
„Klar - hin und wieder packen mich Trauer und Wut über diese absurde Katastrophe. Ich bin froh, dass es in den letzten Jahren Ausstellungen und Bücher vor allem mit Fotos von Jens gab, in denen er sehr lebendig geblieben ist“, sagt Dorothee Joachim. Jens Hagens Nachlass sei drei Jahre lang bearbeitet worden, erzählt Dorothee Joachim. „Der Sozialwissenschaftler Hans Burbaum hat das gemacht. Anfang des Jahres hat er seine Arbeit abgeschlossen, ab jetzt wäre der Nachlass für die Forschung zugänglich gewesen - sechzig laufende Regalmeter, Registriernummer 1753, das vorläufige Findbuch ist 350 Seiten stark. Für eine Person ist das sehr umfangreich.“ Gefunden wurde bei den Ausgrabungen in den Trümmern des Stadtarchivs offenbar noch nichts.
Jens Hagen und Dorothee Joachim auf einer Kundgebung
In einem der zugeschütteten Kellerräume fand die Feuerwehr vor einigen Tagen 850 Regalmeter Akten, unter anderem Unterlagen von Günter Wallraff, mit dem Jens Hagen sich 1969 auf dem Polizeiübungsgelände Bork als “Reporter und Assistent“ eingeschlichen hatte. Unter dieser Tarnung nahmen sie Vorbereitungen der Polizei für einen Einsatz gegen Demonstranten in Bild und Ton auf. „Die 'eher linken' Polizisten mussten die Demonstranten spielen. Wir haben sogar erzählt bekommen, wie man einen Wasserwerfer erobert, oder wie man eine Reiterstaffel mit einem dicken Seil einkesselt", berichtete Jens Hagen später. Als er die Reiterstaffel später auf einer Demonstration wieder traf, waren die „nicht so gut auf mich zu sprechen. Wir hatten unsere Reportage nämlich in KONKRET veröffentlicht."
Foto von der Polizeiübung in Bork 1969
Nur ein paar Monate später, am 9. November 1969, erlebte Jens Hagen die Polizei als Student hautnah – bei der Besetzung des Rektorats der Uni Köln. Fürs Zerbrechen einer Türglasscheibe wurde dabei der junge Rudi Jäger festgenommen und wenige Tage später vor seiner Wohnung zusammengeschlagen. Er erlitt einen Schädelbruch und Brandwunden durch Zigaretten. Die unbekannten Täter nahmen Jäger sein Notizbuch ab, in dem APO-Adressen und Namen von Staatsschutz-Mitarbeitern verzeichnet waren.
Rudi Jäger nach dem Überfall durch Unbekannte 1969
Geboren 1944, aufgewachsen in Dinslaken, lebte Jens Hagen seit 1964 in Köln, begann mit 16 für Zeitungen zu schreiben und zu fotografieren, studierte gleichzeitig Theaterwissenschaft, Philosophie und Germanistik, arbeitete seit 1969 auch für Funk und Fernsehen, war ein Kenner der Rock-, Blues- und Song-Szene und gehörte wie Dorothee Joachim zum Kollektiv der ersten alternativen Kölner Stadt-Zeitung ANA&BELA, an der auch die Gründer der Sozialpädagogischen Sondermaßnahme Köln (SSK) Lothar Gothe und Rainer Kippe (heute SSM) beteiligt waren.
Rainer Kippe und Lothar Gothe, Gründer der Sozialpädagogischen Sondermaßnahme Köln (SSK)
Er gehörte zu den ersten Mitarbeitern der legendären WDR-Jugendsendung "Panoptikum", schrieb für "konkret", "Spontan", "underground", "DVZ", wurde Dozent, Regisseur, Mitbegründer von "Künstler für den Frieden" und aktiver Gewerkschafter. Seit 1980 arbeitete er als freier Schriftsteller und schrieb vor allem Hörspiele, Gedichte, Poeme, Satiren, Erzählungen, Drehbücher, erotische Kurzgeschichten und Romane. Veröffentlichte über zwanzig Hörspiele, vor allem Krimis, außerdem etliche Bücher, z.B. zusammen mit Günter Wallraff "Was wollt ihr denn, ihr lebt ja noch". Dieser Titel wurde im Frühjahr 2005, ein Jahr nach seinem Tod, Bestandteil einer großen Ausstellung seines Nachlasses im Stadtarchiv.
Titel der Ausstellung mit Jens Hagens Nachlass 2005 im Kölner Stadtarchiv
Foto: Karin Richert
Eigentlich, so erinnert sich Dorothee Joachim, war der Nachlass „noch im Stadium des Übergangs. Das war alles noch ganz roh, unbearbeitet. Mir war es wichtig, gerade diesen Übergang – von der persönlichen Ordnung eines Künstlers hin zu der des Archivs – zu dokumentieren. Man ging zwischen den Magazinregalen entlang, auf der einen Seite waren noch die Originalordner von Jens, auf der anderen Seite schon die säurefreien grauen Deckelkartons mit den Archivnummern. Wir haben Teile seiner Bibliothek gezeigt, die Tonbänder seiner Interviews, man konnte auch in seine Hörspiele reinhören. Jens hatte ein besonderes Sensorium entwickelt, seine Zeit wahrzunehmen und sie gleichzeitig aktiv mitzugestalten, als Künstler wie auch als gesellschaftlich aktiver Mensch, und insofern scheint mit seinem Nachlass auch ein für das Verständnis dieser Zeit wichtiges Dokument verloren zu sein.
Die Kölner Polit-Kabarett- und Rockgruppe Floh de Cologne
Immerhin sind ja durch die Ausstellung in der “fotopension“ etliche Fotos von Jens "gerettet" worden! Und zwar dadurch, dass ich die gesamte Ausstellung, d.h. alle Exponate (die ja vorwiegend alte Originalfotos, also "vintage prints" waren) hinterher einfach nicht ins Archiv zurückgebracht, sondern bei mir in meinem Lager behalten habe.“
Liedermacher Hannes Wader im Kölner Salierring Nr. 35, März 1970
So viel “Glück“ hatten die wenigsten Partner und Nachkommen bekannter Kölner BürgerInnen mit den im Stadtarchiv verschütteten Nachlässen. Einige von ihnen denken inzwischen sogar darüber nach, ob sie nicht die Versicherungssumme für das Archiv für sich beanspruchen sollen, anstatt dass es die Stadt Köln für einen Gebäudeankauf oder -neubau verwenden kann. Sie haben deshalb mit dem Kölner Rechtsanwalt Louis Peters Kontakt aufgenommen, wollen aber erst einmal abwarten, wie sich OB Fritz Schramma in einer für den 11. Mai geplanten Informationsveranstaltung zu diesen Überlegungen äußern wird. (PK)
Alle Fotos (bis auf eins) von Jens Hagen bzw. aus seinem Nachlass.
Weitere gerettete Bilder finden Sie unter “Verliebt in Jens Hagen – über die aktuelle Ausstellung in der “fotopension“ in Köln “Total real““ in der NRhZ-Ausgabe 143 vom 23.4.2008
Die Bilder für diese NRhZ-Ausgabe wurden von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann (Galerie Arbeiterfotografie) aus der „fotopension“-Ausstellung "Total real" zusammengestellt.
Online-Flyer Nr. 196 vom 06.05.2009