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Aktueller Online-Flyer vom 30. April 2024  

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Aktuelles
Nach dem Verbrennungstod von Oury Jalloh im Polizeigewahrsam
Freispruch für die beiden Angeklagten
Von Peter Kleinert

Vor dem Landgericht Dessau ging am Montag nach 22 Monaten und 60 Verhandlungstagen das international Aufsehen erregende Strafverfahren gegen zwei Polizeibeamte zu Ende, denen die Staatsanwaltschaft ursprünglich in ihrer Anklage vorwarf, für den grausamen Verbrennungstod des schwarzen Asylbewerbers Oury Jalloh verantwortlich zu sein. Die Polizisten wurden freigesprochen, nicht weil der Richter – nach eigener Aussage – von ihrer Unschuld überzeugt war, sondern weil ihnen „keine Mitschuld nachzuweisen“ gewesen sei (s. NRhZ 89 und 111). 
Oury_Jalloh
Oury Jalloh | Quelle: NRhZ-Archiv
Mitglieder der "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh", die im Sommer zunächst unter Protest aus der Prozessbeobachtung ausgestiegen waren, protestierten jetzt im Gerichtssaal gegen das Urteil. Sie und andere Prozessbeobachter wie PRO ASYL sind davon überzeugt, dass es sich bei dem Verbrennungstod nicht um eine bloße Nachlässigkeit, sondern um Mord durch die Polizei handelte: Der bisherige Verlauf des Strafprozesses habe gezeigt, „dass dieser Todesfall nicht rückhaltlos aufgeklärt wurde; der Prozess sei eine Farce, ein Scheinprozess gewesen, weil in ihm die wesentlichen Fragen, die zur Aufklärung des Mordes hätten führen können, gar nicht erst gestellt worden seien und der rassistische Kontext vollkommen ausgeblendet wurde; diese Alibiveranstaltung habe nur dazu gedient, der demokratischen Öffentlichkeit Aufklärungswillen zu demonstrieren und den rechtsstaatlichen Schein zu wahren.

Kritische Bilanz


Die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL (Frankfurt/M.), die diesen Strafprozess durch Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner beobachten ließ, zieht eine kritische Bilanz. Wie die NRhZ berichtete, hatten am 7. Januar 2005 Dessauer Polizisten den 23 Jahre alten Bürgerkriegsflüchtling und Vater eines kleinen Kindes aus Sierra Leone aufgegriffen, weil er Reinigungskräfte auf der Straße belästigt habe. Jalloh war betrunken, weil seine Ex-Frau das gemeinsame Baby zur Adoption freigegeben hatte, wehrte sich gegen seine Festnahme und wurde daraufhin in Gewahrsam des Dessauer Polizeireviers genommen. Nach gründlicher Durchsuchung fesselten ihn die Polizisten, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einer Matratze in der Arrestzelle an Händen und Füßen und ließen ihn stundenlang allein im Zellentrakt des Polizeikellers zurück – unterbrochen nur durch gelegentliche Kontrollgänge.

kontrollierende Polizisten
Massenaufgebot von Polizisten kontrolliert Gerichtsbesucher
Foto: www.umbruch-bildarchiv.de


Diese Prozedur diente angeblich dazu, eine „Selbstgefährdung“ zu verhindern und in Ruhe seine Identität überprüfen zu können – obwohl er auf dem Polizeirevier bereits bekannt war. In der rundherum gekachelten Sicherheitszelle verbrannte Oury Jalloh auf der feuerfesten Matratze bei lebendigem Leib. Angebliche Todesursache: Hitzeschock. Unbekannt ist, wer die Matratze entzündete und wie der Brand entstand – diese Umstände sollte das gerichtliche Verfahren klären. Trotz Alarmzeichen des Brandmelders und trotz der Hilferufe, die über eine Gegensprechanlage vernehmbar waren, sollen die wachhabenden Beamten nicht rechtzeitig reagiert haben. Ein Gutachten vom Juli 2006 stellte schon vor der mündlichen Verhandlung fest: Hätten die Polizeibeamten sofort reagiert, hätte Oury Jalloh mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerettet werden können.

Protest gegen verschärfte Kontrollen für Farbige
Protest gegen verschärfte Kontrollen für Farbige | Foto: www.thecaravan.org
 
Klärungsbedürftige Fragen
 
Die 6. große Strafkammer des Landgerichts Dessau unter Vorsitz von Richter Manfred Steinhoff hatte im Verlaufe des Prozesses zu klären:
• Sind Fesselung und Fixierung eines Betrunkenen (mit fast drei Promille) an allen Gliedmaßen in einer Polizeizelle mit der Menschenwürde und dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar und sind sie – auch im strafrechtlichen Sinne – verantwortbar, wenn der Fixierte über Stunden ohne ständige Aufsicht und medizinische Betreuung bleibt?
• Wie sind die – erst bei einer zweiten Obduktion - festgestellten Verletzungen an Nase und Ohr zustande gekommen – ist Oury Jalloh vor seinem Tod womöglich misshandelt worden?
• Wie gelangte ein Feuerzeug, trotz intensiver Durchsuchung von Oury J., in die Todeszelle und warum wurden Reste davon so spät gefunden?
• Wie kann ein mit fast drei Promille stark alkoholisierter, an Händen und Füßen fixierter Mensch ein Feuerzeug aus der Hosentasche fingern und eine Matratze mit feuerfester Ummantelung anzünden, wie es die Anklage unterstellt?
• Wie kann eine (angebliche) Selbstverbrennung im Polizeigewahrsam – praktisch unter den Augen der Polizei - passieren? Hat einer der Angeklagten nicht rechtzeitig auf den Brandmelder reagiert und aus welchen Gründen? Hätte also durch rechtzeitiges Reagieren der Tod von Oury Jalloh noch verhindert werden können?
• War es Selbstanzündung, wie die Anklage behauptet, oder war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Mord aus rassistischer Motivation, wie etwa die "Initiative in Gedenken an Oury Jalloh" mutmaßt und worauf gewisse Umgereimtheiten und Umstände hindeuten könnten?
 
Früherer Fall von Pflichtwidrigkeit

Die Anwälte der Nebenklage konnten zu Beginn der öffentlichen Verhandlung einen wichtigen Erfolg verbuchen, der dazu führte, dass in dem Verfahren auch ein weiterer Todesfall verhandelt wurde, der sich bereits 2002 in derselben Zelle 5 des Dessauer Polizeireviers ereignet hatte. Damals starb der 36jährige Obdachlose Mario B. im Polizeigewahrsam, in dem er 15 Stunden verbringen musste, davon mehrere Stunden unkontrolliert. Verantwortlich waren einer der beiden jetzt angeklagten Polizeibeamten und jener Arzt, der auch die »Gewahrsamstauglichkeit« von Oury Jalloh festgestellt hatte. Zwar ist dieses Ermittlungsverfahren damals eingestellt worden, aber die Frage nach einer Pflichtwidrigkeit des Angeklagten in jenem Fall blieb offen und spielte auch in dem jetzigen Verfahren eine nicht unerhebliche Rolle. Es drängten sich jedenfalls erstaunliche Parallelen zum Todesfall Oury Jallohs auf.

 

Widersprüche und Vertuschungen
 
Nach Einschätzung von PRO ASYL sind dieser Polizeiskandal und seine justizielle Aufarbeitung „geprägt von Ungereimtheiten und Schlampereien, Gedächtnislücken und Lügen, Widersprüchen und Vertuschungen, unhaltbaren Hypothesen, verschwundenen Beweisstücken und unterlassenen Ermittlungen.“ Es gab mehrere Strafanzeigen gegen Polizeizeugen wegen Falschaussagen. Immerhin sei aber die „organisierte Verantwortungslosigkeit auf dem Dessauer Polizeirevier zutage gefördert“ worden. Gericht, Staatsanwaltschaft und Nebenklage hätten sich zwar offensichtlich Mühe gegeben, „der Tragödie auf die Spur zu kommen und die strafrechtliche Verantwortung zu klären. Aber die Verfahrensbeteiligten scheiterten dennoch an dem öffentlichen Anspruch, den Fall wirklich und umfassend aufzuklären.“ Die Brandursache sei „auch nach langen 22 Monaten und 60 Prozesstagen, nach zahlreichen widersprüchlichen Zeugenaussagen, aufwändigen Brand-Versuchsanordnungen und Brandsachverständigen-Gutachten nicht geklärt“. Am Ende forderte die Staatsanwaltschaft für einen der Polizisten nur noch eine milde Geldstrafe und plädierte beim zweiten Angeklagten sogar auf Freispruch. Oury Jallohs Bruder, der als Nebenkläger aus Afrika nach Dessau gekommen war, zeigte sich entsetzt: Sein Bruder sei nach Deutschland geflohen, weil er geglaubt habe, dieses Land sei ein Rechtsstaat. Und nun dieses Urteil.

Forderungen
 
Manche fragten deswegen nach dem Sinn eines solchen Strafverfahrens, „wenn es weder Aufklärung bringt noch die Verantwortlichen angemessen zur Rechenschaft zieht“. Deshalb dürfe dieser Prozess und die zu erwartende Entscheidung „nicht das letzte Wort sein“. PRO ASYL fordert „eine angemessene Entschädigung der Familie des im Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh – für diesen Verbrennungstod haben die Polizei und damit das Land Sachsen-Anhalt die Verantwortung zu übernehmen“, auch wenn das Gericht die angeklagten Polizeibeamten nun "mangels Beweises" freigesprochen habe. Außerdem fordert PRO ASYL die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission.
 
Darüberhinaus hält es PRO ASYL, ähnlich wie die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“, nun für notwendig, „alle Todesfälle im Polizei- und Abschiebegewahrsam und aufgrund von Polizeigewalt der letzten Jahre von einer unabhängigen internationalen Experten-Kommission untersuchen zu lassen. Denn es komme immer wieder vor, dass Angehörige sozialer Randgruppen, darunter Obdachlose, Drogenabhängige und besonders Flüchtlinge in Polizeigewahrsam und in Abschiebehaft schwer verletzt werden oder gar ums Leben kommen; häufig blieben solche Fälle unaufgeklärt und ungesühnt. Nach einer Studie der Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 bundesweit 128 Menschen im Polizeigewahrsam; dabei hätte jeder zweite Tod verhindert werden können“.

Wenn das Opfer ein Schwarzer ist
 
Fazit: „Aus dem gravierenden Befund einer organisierten Verantwortungslosigkeit, wie er sich aus dem Verfahren ergab, müssen dringend politische Konsequenzen gezogen werden – etwa was personelle Verantwortlichkeiten, Qualität gewahrsamsärztlicher Untersuchungen und Menschenrechtsbildung anbelangt. Zu fordern ist darüber hinaus, strukturelle Missstände bei der Polizei transparent zu machen und Fehlentwicklungen auch mit Hilfe von unabhängigen Kontrollinstitutionen, wie einem Polizeibeauftragten mit besonderen Kontrollbefugnissen, zu begegnen.

Gefesselt, geknebelt, lagebedingt erstickt - so starben in EU-Staaten u.a.
Kola Bankole, Joy Gardner, Amir Ageeb, Marcus Omofuma, Mariame Getu Hagos, Samson Chukwu, Semira Adamu, Osamuyia Aikpitanhi, Cheibani Wague. Und erst in der letzten Woche hat der Ausgang des sogenannten "Brechmittelprozesses" vor dem Bremer Landgericht gezeigt, dass Unwissen und berufliche Unfähigkeit durchaus Täter vor Strafe schützen, wenn das Opfer ein Schwarzer ist."

Menschenrechts-Filmpreis für „Oury Jalloh“

Mit dem Deutschen Menschenrechts-Filmpreis ausgezeichnet wurde am Samstag in Nürnberg der Film „Oury Jalloh“. „Menschenrechtsverletzungen finden nicht nur in weiter Ferne statt“, sagte Filmpreis-Koordinator Klaus Ploth. Jede vierte der 226 für den diesjährigen Menschenrechts-Filmpreis eingereichten Produktionen befasse sich mit Deutschland. Der Filmemacher Simon Jaikiriuma Paetau habe mit „Oury Jalloh“ ein Zeichen gegen eine „inhumane Verwaltungsmaschinerie“ gesetzt, heißt es in der Begründung der Jury. Auch die alltägliche Ausgrenzung von Flüchtlingen in Deutschland werde in dem halbdokumentarischen Kurzfilm thematisiert, den die Jury in der Kategorie „Amateure“ auszeichnete.  (PK)

Mehr unter www.proasyl.de


Online-Flyer Nr. 176  vom 08.12.2008



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