NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

Fenster schließen

Inland
EADS im Verbund mit Daimler – Europas zweitgrößter Rüstungsriese
Den Tod bringen Waffen aus Deutschland – Teil II
Von Jürgen Grässlin

Seit Jahren rangiert Deutschland unter den Top Ten der Weltwaffen- exporteure. Als „Europameister“ lieferte die Bundesrepublik 2007 für 3,395 Milliarden US-Dollar Waffen in alle Welt – so viel wie nie zuvor. Das dokumentiert der Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI 2008 für das Vorjahr. Panzer, Kampfflugzeuge oder Kriegsschiffe, Gewehre und Munition wurden „ganz legal“ an Krieg führende NATO-Staaten und an Menschenrechte verletzende Länder geliefert. Wie in den Vorjahren bricht die Bundesregierung damit erneut ihre eigenen „politischen Grundsätze“ zum Rüstungsexport. Hier Teil II der Analyse des Bundessprechers der DFG-VK. – Die Redaktion


EADS-Eurofighter mit Lenkwaffen
Foto: www.eurofighter.com
Deutsche Waffen für NATO-Partner Türkei
 
Zum drittgrößten Empfänger deutscher Waffen avancierte 2006 laut regierungsamtlichem Rüstungsexportbericht die Türkei, im Jahr zuvor hatte der NATO-Partner noch auf Platz 6 rangiert. An die Militärs in Ankara wurden u.a. Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, militärische Landfahrzeuge, Feuerleiteinrichtungen und Munition für Pistolen, Gewehre und Kanonen im Wert von 311,7 Millionen Euro exportiert.[5]
 
Für das Jahr 2006 verweist amnesty international auf Meldungen, wonach „erneut Zivilisten an den Folgen tödlichen Schusswaffengebrauchs durch die Sicherheitskräfte“ gestorben sind. Der Paragraph 16 des revidierten Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus „ließ den direkten und ohne Vorwarnung möglichen Gebrauch von Schusswaffen zu“. Bei vielen der Demonstrationen gingen die Sicherheitskräfte laut ai „weiterhin mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Teilnehmer vor“. Zudem trafen „Berichte über Folterungen und Misshandlungen durch Beamte mit Polizeibefugnissen ein“. Noch immer verweigert der türkische Gesetzgeber das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und bieet keine Alternativen zum Militärdienst an. Der Kriegsdienstverweigerer Mehmet Torhan wurde vom Militärgericht in Sivas zu einer mehr als zweijährigen Haftstrafe verurteilt.
 
In den Kurdengebieten im Osten und Südosten des Landes registrierte die Menschenrechtsorganisation „eine Verschlechterung der Menschenrechtssituation“ im „Kontext eskalierender Kampfhandlungen“ zwischen Sicherheitskräften und bewaffneten Einheiten der PKK. „Im Zuge gewalttätiger Proteste in Diyarbakir sollen die Ordnungskräfte mit exzessiver Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen sein.“[6]
 
Vor allem gegen Kurden
 
Dass deutsche Waffen – allen voran in Lizenz bei MKEK gefertigte G3- und neuerdings HK33-Gewehre und MP5-Maschinenpistolen von Heckler & Koch – gegen Kurden zum Einsatz kommen, ist seit Jahren bekannt. Zu Zeiten des offiziell von 1984 bis 1999 währenden Bürgerkriegs war die Türkei Hauptempfänger deutscher Waffen. Bei mehreren geheimen Treffen berichteten mir Soldaten der türkischen Armee unabhängig voneinander, dass rund 80 bis 90 Prozent der rund 40.000 getöteten Kurden – viele von ihnen Zivilisten – mit G3-Gewehren erschossen wurden.[7]
 
Neben der noch immer andauernden Besetzung des Nordostens von Zypern verübte die türkische Armee in den vergangenen Jahren wiederholt völkerrechtswidrige Grenzübertritte in den Norden des Irak zur kriegerischen Auseinandersetzung mit der Guerillaorganisation PKK und setzte dabei deutsche Waffen ein.
 
Pakistan und Indien
 
Laut ai-Jahresbericht 2007 fielen im Jahr 2006 in Pakistan „zahlreiche Menschen willkürlichen Inhaftierungen und dem „Verschwindenlassen“ zum Opfer“, darunter auch Journalisten. Wieder freigelassene Personen berichteten „von Folterungen und Misshandlungen“. Die für „ungesetzliche Tötung Verantwortlichen kamen nach wie vor straffrei davon“, so amnesty international. „Mindestens 446 Menschen wurden zum Tode verurteilt“, die Zahl von 82 Hingerichteten „lag deutlich höher als in den Vorjahren“.[8] Auch im Nachbarland Indien war die Todesstrafe nicht abgeschafft, mindestens 40 Todesurteile wurden verhängt. Die Anwendung der Sicherheitsgesetze führte zu „willkürlichen Verhaftungen und Folterungen“. Personen, die für frühere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, „genossen nach wie vor Straffreiheit“.[9]
 
Die Islamische Republik Pakistan befindet sich seit ihrer Staatsgründung im Jahr 1947 im Konflikt mit dem Nachbarland Indien. Eindringlich verweist ai auf die Tatsache, dass der Dialog zwischen beiden 2006 ins Stocken geriet, vor allem, als „die indische Polizei den pakistanischen Behörden vorwarf, sie sei in die Bombenanschläge in Mumbai verwickelt gewesen“. Pakistan beschuldigte seinerseits das Nachbarland, „die Nationalisten in Belutschistan zu unterstützen“. Bei den Friedensgesprächen mit Pakistan wurden „kaum Fortschritte erzielt“.[10]
 
Mit anderen Worten: Im Jahr 2006 drohten die Konflikte zwischen den beiden Nachbarstaaten erneut zu eskalieren – was die CDU/CSU-SPD-Bundesregierung nicht davon abhielt, beide Seiten mit deutschen Waffen auszurüsten. Pakistan rückte laut Rüstungsexportbericht 2006 sogar um weitere drei Plätze nach oben und rangiert nunmehr auf Platz 10 der Empfängerliste deutscher Militärgüter. Die pakistanischen Militärs erhielten deutsche Waffen im Wert von 134,7 Millionen Euro, darunter Luftaufklärungssysteme, Kommunikationsausrüstung, Radaranlagen, Lkws und Teile für Lkws.[11]
 
Indien – im Vorjahr noch nicht unter den Top 20 der Empfängerländer deutscher Waffen geführt – erhielt 2006 deutsche Waffen im Wert von 107,9 Millionen Euro und stieg damit auf Platz 13. Die indische Armee wurde, gleichsam ganz legal, mit Panzerteilen Lkws und Schleppern ausgerüstet, zudem mit Feuerleiteinrichtungen und Bordwaffensteuersystemen für U-Boote, elektronischer Ausrüstung, Navigations- und Lenkausrüstung u.v.a.m. ausgestattet.[12]
 
Laut Informationen des Bonn International Center for Conversion (BICC), einem 1994 mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) gegründeten Friedensinstituts, erhielten im Jahr 2006 44 Länder, deren Menschenrechtssituation vom BICC als sehr bedenklich eingestuft wird, deutsche Rüstungsgüter, im Vorjahr waren es 36. BICC recherchierte, dass in 27 der Empfängerländer, die ganz legal deutsche Rüstungsgüter erhielten, schwere interne Gewaltkonflikte tobten – 2005 waren es noch 19 Länder gewesen. Nach BICC-Berechnungen besteht in 15 Empfängerländern „eine erhöhte Gefahr, dass unverhältnismäßig hohe Rüstungsausgaben die menschliche und wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen“. Zu ihnen zählen beispielsweise Ägypten, Angola, Äthiopien, Indien, der Jemen, Madagaskar, Oman, Pakistan und Vietnam.[13]
 
Kriege toben – Sektkorken knallen
 
Wann immer Kriege und Bürgerkriege toben, knallen die Sektkorken in den Chefetagen der Rüstungskonzerne. Neue Kriege bedeuten neue Waffenverkäufe, jeder beendete bedeutet Verkaufseinbußen, denn erfolgreiche Friedensverhandlungen und zivile Konfliktlösungen lassen die Profite der Rüstung produzierenden und -exportierenden Unternehmen sinken.
 
Untersuchungen der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Hamburger Universität belegten, dass 2006 weltweit 43 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt wurden. Gegenüber dem Vorjahr blieb Zahl damit auf konstant hohem Niveau. Drei neuen kriegerischen Konflikten standen drei gegenüber, die beendet worden waren. „Das Gleichbleiben der Zahl der kriegerischen Konflikte ist allerdings trügerisch“, bilanzierte AKUF Ende 2006, „da einige der ‚andauernden’ kriegerischen Konflikte erst gegen Ende des Jahres 2005 eskalierten.“[15]
 
Dies und die Tatsache, dass die Angst im so genannten „Krieg gegen den Terror“ neue Beschaffungsaufträge vieler westlich orientierter Armeen mit sich brachte, ließ die Rüstungsausgaben 2006 weiter steigen – sehr zur Freude der Waffenproduzenten und Exporteure. Die Top Ten der weltweit führenden Rüstungskonzerne dokumentiert die Dominanz US-amerikanischer und europäischer Unternehmen: Mit Boeing, Lockheed Martin, Northrop Grumman, Raytheon, General Dynamics und L-3 Communications profitieren sechs US-Rüstungsriesen von den weltweiten Kampfeinsätzen der US-Army und den Rüstungsexporten. Mit British Aerospace, der EADS, Finmeccanica und Thales komplettieren vier europäische Waffenproduzenten das Bild einer florierenden Rüstungsindustrie.
 
Daimler/EADS, Banken und Bundesländer
 
Europas zweitgrößter Rüstungsriese, weltweit die Nummer 7, war im Jahr 2006 erneut die European Aeronautic Defence and Space Company, kurz EADS mit Sitz in Amsterdam. Zum Konzern gehören der Flugzeughersteller Airbus, der Helikopterproduzent Eurocopter, die Weltraumsparte Astrium, die Geschäftsbereiche Militärische Transportflugzeuge sowie Verteidigung und Sicherheit mit dem Eurofighter-Konsortium. Die EADS ist zudem wesentlicher Anteilseigner beim Lenkflugkörperproduzenten MBDA. Größter Einzelanteilseigner der EADS ist die deutsche Daimler AG mit 22,52 Prozent des Aktienkapitals, von dem ein Konsortium aus 15 Investoren vorübergehend 7,5 Prozent der Anteile übernimmt. Dem Konsortium gehören Banken und Versicherungen (Allianz, Commerzbank, Credit Suisse, Deutsche Bank und Goldman Sachs) sowie fünf Bundesländer an: Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg und Niedersachsen sind direkt oder über eigene Förderinstitute bzw. Landesbanken beteiligt. Auch wenn die Daimler AG ihre Beteiligung an der EADS auf 15 Prozent reduziert, bleibt der Stuttgarter Konzern im Besitz der bisherigen Stimmrechte und sichert sich damit seinen immensen Einfluss auf die EADS-Geschäftspolitik.[16]

 
Vor der Daimler-Hauptversammlung 2008 | Foto: Kritische Aktionäre
 
Zu den weiteren Anteilseignern zählen Sogeade mit Lagardère und der französischen Staatsholdung Sogepa (zusammen 27,53 Prozent), die spanische Staatsholding SEPI (mit 5,49 Prozent) sowie verschiedene Institutionen, Privatanleger und Mitarbeiter (mit 43,94 Prozent).[17]
 
Platz eins des SIPRI-Rankings
 
Angesichts der exorbitanten Steigerung der weltweiten Waffenverkäufe auf 12,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2006 (im Vorjahr hatte die EADS noch Waffen im Wert von 9,6 Milliarden Dollar exportiert) rückte der Rüstungsriese nunmehr auf Platz eins des SIPRI-Rankings der Konzerne mit der größten Erhöhung bei Waffentransfers vor.[18] Dabei erwirtschaftete die EADS 2007 lediglich Profite in Höhe von 124 Millionen Dollar, u.a. bedingt durch die Verzögerungen beim A400M-Programm. Dass die Gewinne mit den kommenden Exporten des Militärtransporters in den kommenden Jahren wieder steigen werden, steht außer Frage.
 
Nach der EADS, dem mit Abstand größten Waffenlieferanten mit dem deutschen Anteilseiger Daimler AG, folgen in der SIPRI-Liste der der führenden rüstungsproduzierenden und -exportierenden Unternehmen die Daimler/EADS-Beteiligungsgesellschaften MBDA und Eurocopter auf den Plätzen 16 und 21 mit einem Rüstungsanteil von 100 bzw. 54 Prozent. Auf Rang 31 rangiert als ausgewiesener deutscher Rüstungskonzern Rheinmetall mit einem Rüstungsanteil von 40 Prozent, danach finden sich ThyssenKrupp (Rang 34 / 3 Prozent), die deutsch-französische EADS Astrium (Rang 46 / 32 Prozent), KraussMaffei-Wegmann (Rang 47 / 95 Prozent), Diehl (Rang 58 / 32 Prozent) und die MTU Aero Engines (Rang 70 / 20 Prozent).[19]
 
Rüstungsexporte stoppen!
 
Um den Rüstungsriesen Daimler AG zum Ausstieg aus der Streumunitionsbeteiligung – und letztlich zur Umstellung auf eine sinnvolle zivile Fertigung (Rüstungskonversion) zu veranlassen, hat die DFG-VK, gemeinsam mit fünf weiteren Friedensorganisationen, die Kampagne „WIR KAUFEN KEINEN MERCEDES: BOYKOTTIERT STREUMUNITION!“ ins Leben gerufen. Umfassende Hintergrundinformationen finden sich auf der von der DFG-VK betreuten Website www.wir-kaufen-keinen-mercedes.de (PK) 
 
Quellen für diesen Teil:
[5]Rüstungsexportbericht 2006, S. 24
[6]ai: Jahresbericht 2007, S. 446 ff.
[7]Grässlin, Jürgen: „Versteck dich, wenn die schießen“; München 2003, „Siegesbilanz“ S. 282; Gesamttext siehe www.juergengraesslin.com
[8]ai: Jahresbericht 2007, S. 327 ff.
[9]ebenda, S. 172 ff.
[10]Rüstungsexportbericht 2006, S. 327 und 173
[11]ebenda, S. 26
[12]ebenda, S. 28
[13]Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung, Rüstungsexportbericht
der GKKE 2007, S. 40
[14]Pressemitteilung der AKUF Universität Hamburg vom 17.12.2006
[15]Focus.de vom 09.02.2007
[17]EADS Das Unternehmen im Jahr 2007: „Harte Prüfungen. Starke Leistungen“, S. XIV
[18]SIPRI YEARBOOK 2008, Table 6.3 „Companies in the SIPRI Top 100 with the largest increase in arms sales in 2006”, p. 260
[19]a.a.O., Table 6A.2. „The SIPRI Top 100 arms-producing companies in the world excluding China, 2006“

Teil III des Beitrags folgt in NRhZ 169


Online-Flyer Nr. 168  vom 15.10.2008



Startseite           nach oben