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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Inland
Vize-Bundesanwalt will erquälte Aussagen nutzen - Neue Folterdebatte
Baum der „Erkenntnis“, mit Blut gedüngt
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Rainer Griesbaum ist anscheinend ein Liebhaber mythischer Obstbäume. „Früchte vom verbotenen Baum" müssten deutsche Ermittler schon verköstigen dürfen, meinte der stellvertretende Generalbundesanwalt auf dem gerade abgehaltenen 67. Deutschen Juristentag zu Erfurt. Freilich begehrt es den sympathisch dreinblickenden Graubart weniger nach leiblichen Genüssen als nach den Resultaten körperlicher Qualen.


Strafermittler Rainer
Griesbaum | Foto:
Michael Latz / ddp

Mindestens die „Erkenntnisse" befreundeter ausländischer Folterexperten will der famose Sekundant der hinlänglich bekannten Monika Harms für  seine  „Terrorermittlungen" nutzen. Unter Schmerzen und Schreien erfolterte „Aussagen" sollten „nicht pauschal als unrettbar bemakelt verworfen werden",  so ließ sich der aufs Grundgesetz vereidigte zweithöchste Strafermittler in angemessen schauerlichem Bürokratendeutsch vernehmen. Eine weitere Runde in der unsäglichen Folterdebatte ist mithin von höchster Stelle         eröffnet. Letztendliches Ziel: Durch die Hintertür die Folter und jegliche sonstige staatsschützerische Skrupellosigkeit in Zeiten wachsender sozialer Verwerfungen und Konflikte in Rechtssystem und tägliche Normalität dieser „Republik" einschmuggeln.

Griesbaum-Reform in „einschlägiger“ Tradition

Der neu aufgekochte Folterbrei ist schon deshalb keinesfalls nur auf dem Ast jenes Griesbaum gewachsen, dessen Absägen durch Frühpensionierung man zwar erhoffen darf, keinesfalls aber erwarten sollte. Vielmehr stehen seine wie Selbstverständlichkeiten vorgetragenen "Rechtseinsichten" gänzlich in der nach wie vor obwaltenden, unter Griesbaums Chefin  deutlich spürbaren, Tradition der bekannten „furchtbaren Juristen". Doch müssen wir auch ohne Foltereinwirkung einräumen, daß sich Herrn Griesbaums Hoffnung auf Ermittlungsdurchbrüche durch Knochenbrüche auf kriminalgeschichtliche Vorbilder von wahrhaft beeindruckender Beweiskraft stützen kann. Denken wir nur an jene von unserem Kardinal Meisner stets mit Inbrunst beschworenen goldenen Zeiten, da das christliche Abendland noch so waltete und wütete, wie es die Harms, Griesbaum & Co. sicher gerne heute noch sähen.

Ergebnisorientiert – vom Hexenhammer...


Griesbaums Chefin –       
Monika Harms
Quelle: GBA
Schließlich bot jene ruhmreiche Epoche für Strafverfolger dank Abwesenheit lästiger Grundrechte geradezu traumhafte Bedingungen, auf die unsere „Terrorbekämpfer“ von heute allzu gerne wieder zurückgreifen würden. Seinerzeit gewalteten vorbildlich professionelle Ermittler, insbesondere die unsentimental ergebnisorientierten Hexenjäger des bis ins 18. Jahrhundert durchgequälten allchristlichen Mittelalters, ihres Amtes. Sie förderten mit intensiver körperlicher Zuwendung zur jeweiligen DelinquentIn Verbrechensformen zutage, von denen man seit der Abschaffung der Folter nichts mehr gehört hat. Zum Beispiel Brunnenvergiftung und Hagelschlag durch Flüche oder Krankhexen mit bösem Blick.
 
Heute dagegen muß man sich, wirklich schade für Ermittlungsjunkies ebenso wie für bunte Volkserziehungspostillen a la Bild und Express, mit der aufgebauschten Inhaftierung angeblicher Dschihad-Touristen am Kölner Flughafen begnügen. Damals aber – und was wären das für Ermittlungserfolge, und was für Schlagzeilen! – damals gestanden zum Beispiel buhlerische Hexen, auf dem Schwanze des Satans zum Blocksberg geritten zu sein, und Juden gestanden die Schächtung von Christenkindern, worauf sich noch der christgläubige „Stürmer" berief. Man sieht also, welcher Art solide fundierter Wahrheit man mit ein bißchen weniger Federlesens ganz schnell näher kommen könnte. Der Markgraf von Baden hingegen, welcher am 9.9.1767 in seinem Dominat die Folter ausdrücklich wegen der „Unzuverlässigkeit dieses Beweismittels“ abschaffte, muß wohl ein aufklärungsverdorbenes Weichei gewesen sein – wenn man nicht annehmen will, dass wesentliche Teile der BRD-Polit- und Justizelite noch hinter die Einsichten eines Duodezfürsten des 18. Jahrhunderts zurückfallen.

...bis Guantanamo und Abu Ghraib


 Rainer Griesbaum: Da war doch was?
 Cartoon: Gudrun Bischoff
Gegen solch verstaubte Humanitätsduselei verkünden jedoch heute maßgebliche Wortführer aus dem Leitimperium von Freiheit und Menschenwürde, Bushs Amerika, täglich die Unverzichtbarkeit der Tortur im postmodernen Dauerkrieg gegen das Böse an und für sich.  Politiker und Juristen bekennen dort geradezu stolz, dass sie für die „freie Welt“ oder was sie dafür halten, auch Kinder foltern lassen würden. Genau das taten und tun ihre Handlanger auch im Irak und Afghanistan, zum Beispiel. Denn aus Kindern werden mal Leute und damit Terroristen. Dank Krieg, Todesstrafe und Folter ist diese unsere freiheitliche Weltordnung  ansonsten so sicher und friedlich. 

Zwar jammern verblendete Nachläufer der „verderblichen Aufklärung“ jetzt schon, bevor die Folterwerkzeuge hierzulande wieder richtig zum Einsatz gekommen sind, was für ein zivilisatorischer Rückschritt solch Rückkehr zu bewährten Befragungsformen doch angeblich sei.

Voll im Trend: Fortschritt durch Rückschritt

Doch welch ein Fortschritt wäre dieser Rückfall für die moderne aufklärungsorientierte Kriminalistik! Könnte sie doch umstandslos alle Tat- und(!) Denk-Verbrechen aufklären, die sie und ihre politische Auftragsebene sich überhaupt nur auszudenken vermöchte! Wer würde nicht gestehen, der Schwippschwager Bin Ladens zu sein, oder ein Außerirdischer, oder Angela Merkel 2005 nicht gewählt zu haben, wenn denn nur die rechte Intensität von – sagen wir – physischem Anreiz die Erinnerung auf die jeweils staatlich gewünschte Bahn lenken würde! Nein, wer da noch Einwände hat, macht sich jetzt schon als Sicherheitsrisiko und Terrorsympathisant verdächtig. Mindestens, so muß man deren Aussagen ohne weiteres deuten, bei Wolfgang Schäuble, Monika Harms und Rainer Griesbaum.

Vorschlag für die Folter-Testphase

Freilich rege ich vor Wiedereinführung der Folter an, dieselbe versuchsweise und beweiseshalber an jenen auszuprobieren, welche sie seit Jahren und immer wieder zu fordern nicht ablassen. Wer eine Methode oder mindestens deren Nutzung befürwortet, sollte seine Erfolgsprognose selbst erst einmal unter Beweis stellen. Erinnert sei hier an das Vorbild medizinischer Pioniere wie Sauerbruch und Forßmann, die noch umstrittene Verfahren erst einmal an sich selbst ausprobiert haben. Auch ist dem Blogger „Coriolan" zuzustimmen, der auf der linken Seite www.duckhome.de den Vergleich zu Köchen zog, die ihre eigenen Rezepte zunächst selber verköstigen sollten. Mal schaun, welche Verbrechen jene Promi- Herrschaften aus Politik und Juristerei, die sich mit gewissem Gratismut als ideologische Neu-Pioniere der „peinlichen Befragung" profilieren, unter Einwirkung von Daumenschrauben, Streckbank etc. so alles gestehen. Man könnte ihnen ja überhaupt zwecks Bereinigung der Kriminal-Aufklärungsstatistik einfachheitshalber sämtliche ungeklärten Straftaten der letzten 30 Jahre anlasten. Von umfassenden Geständnissen ist bei geeigneter Methodik auszugehen.

Schatten und Erbe der „furchtbaren Juristen“

Da wir aber nicht ganz so weit noch gediehen sind, noch ein kurzer Blick in die jüngere Geschichte der Bundesanwaltschaft: Ein einziges Mal, jedenfalls in diesem Jahr, hat die Bundesanwaltschaft etwas Nützliches getan. Wenn auch mit Widerwillen, wie man angesichts eben der Historie dieser Einrichtung getrost annehmen darf, und zudem nur dank Druck von außen. Am 10. Januar 2008 verkündete sie die Aufhebung des Urteils gegen den angeblichen „Reichstags- Brandstifter“ Marinus van der Lubbe, der im Juni 1934 durch das Fallbeil hingerichtet worden war. Immerhin zehn Jahre aber ließ sich die für solche Feststellungen zuständige Bundesanwaltschaft Zeit. Das zugrunde liegende „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege" stammt immerhin schon aus dem Jahre 1998. Dieser längst überfällige, symbolische Akt geht auch nicht auf die Initiative der Harms-Griesbaum-Behörde zurück, sondern auf  Druck internationaler antifaschistischer Kreise und insbesondere auf das intensive Engagement des Berliner Rechtsanwaltes Reinhard Hillebrand.

 
Marinus von der Lubbe | Foto: KAOS-Archiv

Einen NS-Täter selbst der höchsten Kategorie hat die Bundesanwaltschaft allerdings nie unter Anklage gestellt – im Gegenteil: Ein NS-Täter mindestens gehobener Kategorie schaffte es immerhin, zum Generalbundesanwalt zu avancieren: Wolfgang Immerwahr Fränkel konnte seine u.a. als Ankläger sogenannter „Rassenschande“ beim Leipziger Nazi-Reichsgericht schon hoch profilierte Karriere mit der Ernennung zum obersten Strafverfolger und Kommunistenjäger der BRD ruhmreich krönen. Der als „Fanatiker der Todesstrafe“  wohlberufene Fränkel bekleidete in Leipzig übrigens eine vergleichbare Stellung wie heute Herr Griesbaum in Karlsruhe: Er war stellvertretender Reichsanwalt des NS-Staates. Glanzlos vollzog sich dagegen sein Abgang. Dankenswerterweise – und bis heute von historisch-dokumentarisch höchstem Wert – veröffentlichte die DDR nämlich im Jahre 1962 die Biographien einer Reihe NS-belasteter Spitzenjuristen des freiheitlich-demokratischen Weststaates, darunter die Historie des Wolfgang Fränkel. Diese Veröffentlichung ging später in die berühmt gewordenen „Braunbücher" ein. (1) Wolfgang Fränkel aber mußte abtreten, wenn auch nur aus Gründen der Gesichtswahrung für die westdeutsche Anklagebehörde.

Dornen für den Staatsanwalt

Was das alles mit Herrn Griesbaum zu tun hat? Wir wollen nicht so kleinlich sein und dem Vize-Generalbundesanwalt seine Jobausübung vorhalten. Etwa dass er, mehr als jeder andere Jurist in der Bundesrepublik, eine Begnadigung von Christian Klar nach einem Vierteljahrhundert Haft weiterhin verhindert, während zehntausende NS-Täter nicht eine Sekunde lang gesessen haben, auch nicht der Justiztotschläger Vize-Reichsanwalt und General-Bundesanwalt a.D. Wolfgang Fränkel.(2)


Christian Klar – im TV-Interview mit Günter Gaus | Foto: NRhZ-Archiv

Christian Klars Begnadigung zu verhindern, ist eben die institutionelle Rolle und Aufgabe des zweitgenerellsten Bundesanklägers. Doch spätestens angesichts der Folterthematik und der nachgerade skrupelfreien Selbstverständlichkeit, mit der Monika Harms' Stellvertreter eine weitere Schleuse für die Invasion der Barbarei ins angeblich rechtsstaatliche Justizsystem öffnet, ist man schon versucht, an den einschlägigen „genius loci" dieser Karlsruher Behörde zu denken und eine institutionell fortwirkende ideologische Kontinuität zu vermuten.

Danke für die Aufklärung, Herr Griesbaum

Folterdebatte – Todesstrafengemurmel – Funktionäre der Staatsjustiz und auch der Bundesanwaltschaft waren immer mit dabei, sobald in der Geschichte der BRD solche „Diskurse“ aufkamen. Es ist ja nicht das erste Mal, wenn wir uns nur an den „Deutschen Herbst“ erinnern.

Mindestens in dieser Hinsicht also findet die deutsche Justiz, oder mindestens eine wichtige Institution innerhalb derselben, doch wieder erkennbar zu sich selbst zurück.

Eben darauf unversehens aufmerksam gemacht zu haben, vielleicht rechtzeitig noch, dafür wollen wir Herrn Griesbaum, dem stellvertretenden General-Straf-„Aufklärer“ unserer Republik danken. Dafür also, wider Willen wirklich als „Aufklärer“ gewirkt zu haben. Immer wieder ist ja lehrreich, aus berufenem Munde zu hören, was die herrschenden Kreise vorhaben. Nun also sind wir wieder einmal aktuell vorgewarnt. 

Deshalb, aber auch nur deshalb, widersprechen wir der These von „Duckhome“, der schon zitierten justizkritischen linken Website: „Rainer Griesbaum ist ein völlig überflüssiger Mensch“. (3) (PK)

(1) Das Braunbuch im Netz: www.braunbuch.de
(2) Ein Ermittlungsverfahren gegen Fränkel stellte das Oberlandesgericht Karlsruhe Oberlandesgericht Karlsruhe am 3. September 1964 sang- und klanglos ein – da er seine Todesstrafenanträge guten Gewissens gestellt habe – „Rosen für den Staatsanwalt“…
(3) www.duckhome.de


Online-Flyer Nr. 166  vom 01.10.2008



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