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Inland
Bündnis „Atomausstieg selber machen“ ruft zu Aktion gegen Konzerne auf
„Stromwechsel gegen Volksverdummung!“
Von Peter Kleinert
Foto: Philip Reynaers / Greenpeace
Die im Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“ zusammengeschlossenen Organisationen reagieren damit auf den „Versuch der Atomkonzerne, sich an den Sorgen der Menschen vor steigenden Energiepreisen und dem Klimawandel zu laben“, heißt es in dem Aufruf. Wenn sie Angela Merkels aktuelle Ankündigung in der Bild am Sonntag gekannt hätten, wäre diese "Lautsprecherin" der Energiekonzerne wohl auch in dem Aufruf erwähnt worden. Merkel in der "BamS": Deutschland könne auf absehbare Zeit nicht auf Atomkraft verzichten. "Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Laufzeiten unserer sicheren Kernkraftwerke in Deutschland verlängern."
Verlogene Klimaschutzrhetorik
Die Behauptung, mit einer Laufzeitverlängerung alter und störanfälliger Atomkraftwerke ließe sich die Energiepreisentwicklung stoppen, die die vier Konzerne RWE, E.on, Vattenfall Europe und Energie Baden-Württemberg zu einem großen Teil selbst zu verantworten haben, sei „an Durchsichtigkeit kaum zu überbieten“, erklärt das Bündnis. Es seien zum Beispiel diese Konzerne, die den Wert der ihnen zu 90 Prozent kostenlos zugeteilten CO2-Emissionszertifikate voll auf ihre Kunden abwälzten, so Dr. Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). „Allein dieser Schluck aus der Pulle schwemmt den vier Unternehmen, die uns jetzt angeblich beim Strompreis entlasten wollen, bis 2012 rund 35 Milliarden Euro in die Kassen.“ Laut Analyse des Öko-Instituts würde E.on mit 27,5 Milliarden Euro am meisten profitieren.
Windkraftanlage eines AKW-Gegners vor dem EON- und Vattenfall-Kernkraftwerk Brokdorf | Foto: Paul Langrock/Zenit / Greenpeace
Die Klimaschutzrhetorik der Konzerne und ihrer Lautsprecher in der Politik sei so verlogen wie die Behauptung, eine Laufzeitverlängerung könne den Preisanstieg abbremsen. „Was ist vom Klimaengagement von Unternehmen zu halten, die für ihre Atomkraftwerke unter dem Slogan ´ungeliebte Klimaschützer´ Abermillionen Euro ihrer Kunden verprassen und auf der anderen Seite dieses Land mit einer neuen Generation von Kohlekraftwerken überziehen wollen, die nach ihrer Inbetriebnahme soviel Treibhausgase ausstoßen würden wie der gesamte Verkehrssektor? Und wie glaubwürdig sind Unternehmen, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern für den Fall des Weiterbetriebs der Reaktoren günstigere Strompreise versprechen, nachdem diese seit Jahren ohne Unterlass steigen – obwohl all die Atomkraftwerke am Netz sind, die jetzt auf wundersame Weise für Preisstabilität sorgen sollen?“ fragt das Aktionsbündnis.
Riesenprofite durch abgeschriebene Reaktoren
In Wahrheit gebe es für die faktische Aufkündigung des von den Konzernspitzen selbst unterschriebenen Atomvertrages exakt drei Motive: „Erstens die Aktienkurse. Zweitens der Profit. Drittens die Gehaltsvorstellungen ihrer Manager.“ Je nach Leistungsstärke bringe ein einziger abgeschriebener Reaktor mit jedem Jahr Laufzeitverlängerung zwischen 250 und 400 Millionen Euro Gewinn vor Steuern in die Konzernkassen, rechnet das Aktionsbündnis vor. „Besonders perfide“ sei die vor allem von der Union forcierte Diskussion über Gewinne, die dann teilweise in Erneuerbare Energien investiert werden müssten. „Das ist exakt das, was die Unternehmen ohnehin tun müssen, wenn sie im Wettbewerb mit den mittelständischen Unternehmen mittelfristig überleben wollen, die die Energiewende bis heute tragen.“ Es gebe nicht die geringste Veranlassung, die profitabelsten Unternehmen des Landes auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung zusätzlich zu päppeln. Außerdem habe der Präsident des Deutschen Atomforums und frühere E.on-Vorstand, Walter Hohlefelder, dazu bereits im Bundestagswahlkampf 2005 in einem Anfall von Ehrlichkeit alles gesagt: Erstens würden die Strompreise bei einer Laufzeitverlängerung keineswegs sinken, und zweitens sei eine Gewinnabschöpfung „ordnungspolitisch völlig inakzeptabel“, erklärte Hohlefelder damals gegenüber der Berliner Zeitung.
Kampf gegen Erneuerbare Energien
Am Tag, an dem die Laufzeitverlängerung tatsächlich beschlossen werde, erwartet das Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“ deshalb zwei Reaktionen der Konzerne: „Die klare Ablehnung von Gewinnausschüttungen zugunsten der Stromverbraucher und die Wiederaufnahme ihres Kampfes gegen Erneuerbare Energien in der Stromerzeugung.“ Beispielsweise würden dann die geplanten und genehmigten Offshore-Windpark-Projekte in Nord- und Ostsee, die die dominierenden Konzerne in den vergangenen Jahren in großer Zahl aufgekauft haben, niemals realisiert, weil sonst viel zuviel Strom ins System käme. „Betriebswirtschaftlich bliebe den Unternehmen nach einer Laufzeitverlängerung gar nichts anderes übrig, als die Ausbaudynamik der Erneuerbaren Energien zu brechen. Die Energiewende wäre zu Ende, ehe sie richtig begonnen hat.“
Auch bei der Behauptung von der „Renaissance der Atomenergie“ herrsche offenbar ein hohes Maß an selektiver Wahrnehmung. Denn im Gegensatz zu den hochprofitablen abgeschriebenen Altanlagen seien neue Atomkraftwerke in liberalisierten Strommärkten nicht konkurrenzfähig. Was derzeit weltweit ablaufe, sei deshalb lediglich eine „Renaissance der Ankündigungen“. 1990 habe die offizielle Statistik der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien 83 Reaktorbaustellen ausgewiesen, 1998 waren es 36 und aktuell 34. Von diesen sind 12 Meiler seit über zwanzig Jahren im Bau. Die Zahl der Atomkraftwerke auf der Welt sinke wegen der bereits begonnenen Abschaltung von Altreaktoren. Die tatsächlich große Zahl von Absichtserklärungen aus der Politik in einigen wichtigen Ländern werde durch die wenigen realen Baustellen massiv relativiert.
Subventionen und Garantien für Reaktorneubauten
In ganz Westeuropa seien zwei Meiler im Bau, in den USA einer: Das Projekt Watts Bar 2 (Tennessee), dass vor 36 Jahren (1972!) gestartet wurde und zwischenzeitlich 23 Jahre eingemottet war. Diese Baustelle an einem Standort, an dem auch Tritium für US-Atombomben hergestellt wird, sei der einzige vorzeigbare „Erfolg“ der fast achtjährigen Amtszeit des glühenden AKW-Anhängers George W. Bush. Überall wo Politiker die Stromunternehmen zum Reaktorbau drängten, verlangten diese Subventionen und Stromabnahmegarantien, um gegen andere Methoden der Stromproduktion wettbewerbsfähig zu werden. Tatsächlich seien in den vergangenen Jahren im Durchschnitt zwei Gigawatt Atomstromleistung vornehmlich in Asien ans Netz gegangen. Bei der Windenergie waren es allein 2007 etwa 20 Gigawatt.
„Die Energiekonzerne RWE, E.on, Vattenfall und EnBW und die Atomparteien CDU, CSU und FDP haben sich im vollem Bewusstsein der möglichen katastrophalen Folgen entschieden, den Fundamentalkonflikt um die Atomenergie in Deutschland wieder aufzunehmen. Sie werden ihren Willen bekommen. Und dabei hunderttausende Kunden verlieren“, prophezeit das Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“.
Warnung vor „Atomwahlkampf“
Unter Hinweis auf den am vergangenen Mittwoch erst mit zwei Tagen Verspätung bekannt gewordenen Austritt von uranhaltiger, radioaktiver Flüssigkeit aus der französischen Atomanlage Tricastin an der Rhone warnt das Bündnis vor einem „Atomwahlkampf“ im kommenden Jahr. „Wer in Deutschland mit Atomkraft Wahlen gewinnen will, muss wissen: Absolut sicher an den Atomanlagen sind nur die regelmäßigen Störfälle.“ Daran wird auch SPD-Vordenker Erhard Eppler nichts ändern, der einen Tag vor dem Unglück von Tricastin dem SPIEGEL mitteilte, er sei für „einen Energiekonsens, wie ein modernes Industrieland ihn braucht“. Die SPD könnte sich doch bereit erklären, einige alte Meiler „länger laufen zu lassen“, wenn die CDU bereit sei, gemeinsam in die Verfassung zu schreiben, neue Atomkraftwerke werden nicht mehr gebaut“. Dass dieser Vorschlag, den die Medien sofort aufgriffen, genau den Interessen der Konzerne entspricht, hat das Aktionsbündnis – siehe oben – in exakten Zahlen nachgewiesen.
AKW-Unfall in Frankreich verharmlost
Aus dem Atomkraftwerk Tricastin in Südfrankreich waren am Montag vergangeneer Woche 30.000 Liter radioaktive Uranlösung ausgetreten. Ein Teil davon gelangte in zwei Flüsse. Die Antiatomkraftgruppe »Sortir du nucléaire« warf den Behörden vor, den Zwischenfall zu verharmlosen. Nach Einschätzung des Greenpeace-Atomexperten Heinz Smital sind Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung nicht auszuschließen. Der Unfall zeige, daß die Atomtechnologie trotz mehrerer Sicherheitsbarrieren „hochgefährlich“ und unbeherrschbar bleibe.
Bekannt geworden durch Pannenserie 2007 – Vattenfall-AKW Krümmel
Foto: Martin Langer / Greenpeace
Die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) erklärte, der Umstand des Bade- und Angelverbotes zeige, dass erhebliche Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung bestünden. Hinsichtlich der freigesetzten Uranmengen und der Abschätzung der Gefahr müsse man, wie beim Thema Atomenergie üblich, mit gezielten Falschinformationen rechnen. Die Gefahr für die Bevölkerung sei insofern nicht abschätzbar.
Stromwechsel innerhalb von fünf Minuten
Das Überwechseln zu ökologischen Stromanbietern sei „innerhalb von fünf Minuten“ möglich, erklärt die DUH. Sie verweist deshalb auf die Internetseite www.atomausstieg-selber-machen.de[[www.atomausstieg-selber-machen.de]] und unter die kostenfreie Ökostrom-Hotline: 0800 762 68 52 (werktags 9.00 bis 17.00 Uhr). Dort erhalte jeder die für einen Stromwechsel notwendigen Informationen.
Einer der Ökostrom-Anbieter, den man auf dieser Seite findet, ist LichtBlick. Den hatte sich die von Konzernanzeigen abhängige Financial Times in dem Artikel “Schummelei bei Ökostrom” am 11. Juni vorgeknöpft – wohl um zu beweisen, dass das Umsteigen von AKW-Stromgegnern doch überhaupt keinen Sinn mache. LichtBlick, so die FT, würde ja auch “Atom- und Kohlestrom an seine Kunden” liefern.
Financial Times und LichtBlick
Die Trägerverbände von „Atomausstieg selber machen“ stellen zu dem Financial Times-Artikel fest: Dieser Vorwurf beziehe sich nach ihrer Kenntnis auf „exakt 0,5 bis 1,5 Prozent des Stroms“, der von LichtBlick bei unerwartet hoher Nachfrage an der Leipziger Strombörse gekauft werde. Den Trägerverbänden sei zwar vor dem FT-Artikel nicht bekannt gewesen, dass LichtBlick in Ausnahmefällen “grauen Strom” an der Strombörse einkaufe. Zur Kompensation werde dafür aber nach Aussage von LichtBlick „grüner Strom“ in mindestens gleicher Menge an der Börse verkauft. Die anderen drei von „Atomausstieg selber machen“ empfohlenen Ökostromanbieter handeln nicht an der Strombörse, sondern setzen nach eigenen Angaben auf “offene Lieferverträge”. Die Umweltverbände würden jetzt „sehr genau prüfen, welche realistischen Möglichkeiten es gibt, Bedarfsspitzen zu decken. Die Kunden haben ein Recht darauf, dass LichtBlick zukünftig vollständige Transparenz gewährleistet und alles in Erwägung zieht, um vermeidbare Reste von Atom- und Kohlestrom aus dem Angebot zu nehmen.“
Unabhängiger Ökostrom der einzige Weg, sich zu wehren
Fazit des Aufrufs: „Unabhängiger Ökostrom ist der einzige Weg für Verbraucher, sich dagegen zu wehren, dass ihr Stromgeld bei Atom- und Kohlekonzernen landet. Das Angebot von LichtBlick ist mindestens zu 99 Prozent besser als der Strom von Vattenfall, E.ON, RWE und EnBW. Stromkunden von EWS Schönau, Greenpeace Energy, Naturstrom und auch von LichtBlick tun viel dafür, dass Atomkraftwerke abgeschaltet und keine neuen Kohlekraftwerke errichtet werden.“
Das Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“ hat sich im Herbst 2006 zusammengeschlossen, nachdem die Atomkonzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW die von ihnen oder ihren Vorgängerunternehmen selbst unterzeichnete Vereinbarung über den Atomausstieg faktisch aufgekündigt hatten und für den Weiterbetrieb ausgerechnet der ältesten und gefährlichsten Atomkraftwerke in Deutschland kämpfen.
Zu den Teilnehmern und Unterstützern des Bündnisses gehören: Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), Bund der Energieverbraucher e.V., Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), campact!, Deutscher Naturschutzring/ Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände e.V. (DNR), Forum Umwelt und Entwicklung, genanet – Leitstelle Gender, Umwelt, Nachhaltigkeit, Greenpeace Deutschland e.V., GRÜNE LIGA e.V., Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Jugendbündnis Zukunftsenergie, Klar! Kein Leben mit atomaren Risiken!, Mütter gegen Atomkraft e.V., NaturFreunde Deutschlands e.V., Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), ROBIN WOOD e.V., urgewald e.V., WWF Deutschland und www.ausgestrahlt. (PK)
Siehe auch: Den Reichen nehmen und den Armen geben!
Online-Flyer Nr. 155 vom 16.07.2008
Bündnis „Atomausstieg selber machen“ ruft zu Aktion gegen Konzerne auf
„Stromwechsel gegen Volksverdummung!“
Von Peter Kleinert
Foto: Philip Reynaers / Greenpeace
Die im Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“ zusammengeschlossenen Organisationen reagieren damit auf den „Versuch der Atomkonzerne, sich an den Sorgen der Menschen vor steigenden Energiepreisen und dem Klimawandel zu laben“, heißt es in dem Aufruf. Wenn sie Angela Merkels aktuelle Ankündigung in der Bild am Sonntag gekannt hätten, wäre diese "Lautsprecherin" der Energiekonzerne wohl auch in dem Aufruf erwähnt worden. Merkel in der "BamS": Deutschland könne auf absehbare Zeit nicht auf Atomkraft verzichten. "Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Laufzeiten unserer sicheren Kernkraftwerke in Deutschland verlängern."
Verlogene Klimaschutzrhetorik
Die Behauptung, mit einer Laufzeitverlängerung alter und störanfälliger Atomkraftwerke ließe sich die Energiepreisentwicklung stoppen, die die vier Konzerne RWE, E.on, Vattenfall Europe und Energie Baden-Württemberg zu einem großen Teil selbst zu verantworten haben, sei „an Durchsichtigkeit kaum zu überbieten“, erklärt das Bündnis. Es seien zum Beispiel diese Konzerne, die den Wert der ihnen zu 90 Prozent kostenlos zugeteilten CO2-Emissionszertifikate voll auf ihre Kunden abwälzten, so Dr. Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). „Allein dieser Schluck aus der Pulle schwemmt den vier Unternehmen, die uns jetzt angeblich beim Strompreis entlasten wollen, bis 2012 rund 35 Milliarden Euro in die Kassen.“ Laut Analyse des Öko-Instituts würde E.on mit 27,5 Milliarden Euro am meisten profitieren.
Windkraftanlage eines AKW-Gegners vor dem EON- und Vattenfall-Kernkraftwerk Brokdorf | Foto: Paul Langrock/Zenit / Greenpeace
Die Klimaschutzrhetorik der Konzerne und ihrer Lautsprecher in der Politik sei so verlogen wie die Behauptung, eine Laufzeitverlängerung könne den Preisanstieg abbremsen. „Was ist vom Klimaengagement von Unternehmen zu halten, die für ihre Atomkraftwerke unter dem Slogan ´ungeliebte Klimaschützer´ Abermillionen Euro ihrer Kunden verprassen und auf der anderen Seite dieses Land mit einer neuen Generation von Kohlekraftwerken überziehen wollen, die nach ihrer Inbetriebnahme soviel Treibhausgase ausstoßen würden wie der gesamte Verkehrssektor? Und wie glaubwürdig sind Unternehmen, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern für den Fall des Weiterbetriebs der Reaktoren günstigere Strompreise versprechen, nachdem diese seit Jahren ohne Unterlass steigen – obwohl all die Atomkraftwerke am Netz sind, die jetzt auf wundersame Weise für Preisstabilität sorgen sollen?“ fragt das Aktionsbündnis.
Riesenprofite durch abgeschriebene Reaktoren
In Wahrheit gebe es für die faktische Aufkündigung des von den Konzernspitzen selbst unterschriebenen Atomvertrages exakt drei Motive: „Erstens die Aktienkurse. Zweitens der Profit. Drittens die Gehaltsvorstellungen ihrer Manager.“ Je nach Leistungsstärke bringe ein einziger abgeschriebener Reaktor mit jedem Jahr Laufzeitverlängerung zwischen 250 und 400 Millionen Euro Gewinn vor Steuern in die Konzernkassen, rechnet das Aktionsbündnis vor. „Besonders perfide“ sei die vor allem von der Union forcierte Diskussion über Gewinne, die dann teilweise in Erneuerbare Energien investiert werden müssten. „Das ist exakt das, was die Unternehmen ohnehin tun müssen, wenn sie im Wettbewerb mit den mittelständischen Unternehmen mittelfristig überleben wollen, die die Energiewende bis heute tragen.“ Es gebe nicht die geringste Veranlassung, die profitabelsten Unternehmen des Landes auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung zusätzlich zu päppeln. Außerdem habe der Präsident des Deutschen Atomforums und frühere E.on-Vorstand, Walter Hohlefelder, dazu bereits im Bundestagswahlkampf 2005 in einem Anfall von Ehrlichkeit alles gesagt: Erstens würden die Strompreise bei einer Laufzeitverlängerung keineswegs sinken, und zweitens sei eine Gewinnabschöpfung „ordnungspolitisch völlig inakzeptabel“, erklärte Hohlefelder damals gegenüber der Berliner Zeitung.
Kampf gegen Erneuerbare Energien
Am Tag, an dem die Laufzeitverlängerung tatsächlich beschlossen werde, erwartet das Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“ deshalb zwei Reaktionen der Konzerne: „Die klare Ablehnung von Gewinnausschüttungen zugunsten der Stromverbraucher und die Wiederaufnahme ihres Kampfes gegen Erneuerbare Energien in der Stromerzeugung.“ Beispielsweise würden dann die geplanten und genehmigten Offshore-Windpark-Projekte in Nord- und Ostsee, die die dominierenden Konzerne in den vergangenen Jahren in großer Zahl aufgekauft haben, niemals realisiert, weil sonst viel zuviel Strom ins System käme. „Betriebswirtschaftlich bliebe den Unternehmen nach einer Laufzeitverlängerung gar nichts anderes übrig, als die Ausbaudynamik der Erneuerbaren Energien zu brechen. Die Energiewende wäre zu Ende, ehe sie richtig begonnen hat.“
Auch bei der Behauptung von der „Renaissance der Atomenergie“ herrsche offenbar ein hohes Maß an selektiver Wahrnehmung. Denn im Gegensatz zu den hochprofitablen abgeschriebenen Altanlagen seien neue Atomkraftwerke in liberalisierten Strommärkten nicht konkurrenzfähig. Was derzeit weltweit ablaufe, sei deshalb lediglich eine „Renaissance der Ankündigungen“. 1990 habe die offizielle Statistik der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien 83 Reaktorbaustellen ausgewiesen, 1998 waren es 36 und aktuell 34. Von diesen sind 12 Meiler seit über zwanzig Jahren im Bau. Die Zahl der Atomkraftwerke auf der Welt sinke wegen der bereits begonnenen Abschaltung von Altreaktoren. Die tatsächlich große Zahl von Absichtserklärungen aus der Politik in einigen wichtigen Ländern werde durch die wenigen realen Baustellen massiv relativiert.
Subventionen und Garantien für Reaktorneubauten
In ganz Westeuropa seien zwei Meiler im Bau, in den USA einer: Das Projekt Watts Bar 2 (Tennessee), dass vor 36 Jahren (1972!) gestartet wurde und zwischenzeitlich 23 Jahre eingemottet war. Diese Baustelle an einem Standort, an dem auch Tritium für US-Atombomben hergestellt wird, sei der einzige vorzeigbare „Erfolg“ der fast achtjährigen Amtszeit des glühenden AKW-Anhängers George W. Bush. Überall wo Politiker die Stromunternehmen zum Reaktorbau drängten, verlangten diese Subventionen und Stromabnahmegarantien, um gegen andere Methoden der Stromproduktion wettbewerbsfähig zu werden. Tatsächlich seien in den vergangenen Jahren im Durchschnitt zwei Gigawatt Atomstromleistung vornehmlich in Asien ans Netz gegangen. Bei der Windenergie waren es allein 2007 etwa 20 Gigawatt.
„Die Energiekonzerne RWE, E.on, Vattenfall und EnBW und die Atomparteien CDU, CSU und FDP haben sich im vollem Bewusstsein der möglichen katastrophalen Folgen entschieden, den Fundamentalkonflikt um die Atomenergie in Deutschland wieder aufzunehmen. Sie werden ihren Willen bekommen. Und dabei hunderttausende Kunden verlieren“, prophezeit das Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“.
Warnung vor „Atomwahlkampf“
Unter Hinweis auf den am vergangenen Mittwoch erst mit zwei Tagen Verspätung bekannt gewordenen Austritt von uranhaltiger, radioaktiver Flüssigkeit aus der französischen Atomanlage Tricastin an der Rhone warnt das Bündnis vor einem „Atomwahlkampf“ im kommenden Jahr. „Wer in Deutschland mit Atomkraft Wahlen gewinnen will, muss wissen: Absolut sicher an den Atomanlagen sind nur die regelmäßigen Störfälle.“ Daran wird auch SPD-Vordenker Erhard Eppler nichts ändern, der einen Tag vor dem Unglück von Tricastin dem SPIEGEL mitteilte, er sei für „einen Energiekonsens, wie ein modernes Industrieland ihn braucht“. Die SPD könnte sich doch bereit erklären, einige alte Meiler „länger laufen zu lassen“, wenn die CDU bereit sei, gemeinsam in die Verfassung zu schreiben, neue Atomkraftwerke werden nicht mehr gebaut“. Dass dieser Vorschlag, den die Medien sofort aufgriffen, genau den Interessen der Konzerne entspricht, hat das Aktionsbündnis – siehe oben – in exakten Zahlen nachgewiesen.
AKW-Unfall in Frankreich verharmlost
Aus dem Atomkraftwerk Tricastin in Südfrankreich waren am Montag vergangeneer Woche 30.000 Liter radioaktive Uranlösung ausgetreten. Ein Teil davon gelangte in zwei Flüsse. Die Antiatomkraftgruppe »Sortir du nucléaire« warf den Behörden vor, den Zwischenfall zu verharmlosen. Nach Einschätzung des Greenpeace-Atomexperten Heinz Smital sind Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung nicht auszuschließen. Der Unfall zeige, daß die Atomtechnologie trotz mehrerer Sicherheitsbarrieren „hochgefährlich“ und unbeherrschbar bleibe.
Bekannt geworden durch Pannenserie 2007 – Vattenfall-AKW Krümmel
Foto: Martin Langer / Greenpeace
Die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) erklärte, der Umstand des Bade- und Angelverbotes zeige, dass erhebliche Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung bestünden. Hinsichtlich der freigesetzten Uranmengen und der Abschätzung der Gefahr müsse man, wie beim Thema Atomenergie üblich, mit gezielten Falschinformationen rechnen. Die Gefahr für die Bevölkerung sei insofern nicht abschätzbar.
Stromwechsel innerhalb von fünf Minuten
Das Überwechseln zu ökologischen Stromanbietern sei „innerhalb von fünf Minuten“ möglich, erklärt die DUH. Sie verweist deshalb auf die Internetseite www.atomausstieg-selber-machen.de[[www.atomausstieg-selber-machen.de]] und unter die kostenfreie Ökostrom-Hotline: 0800 762 68 52 (werktags 9.00 bis 17.00 Uhr). Dort erhalte jeder die für einen Stromwechsel notwendigen Informationen.
Einer der Ökostrom-Anbieter, den man auf dieser Seite findet, ist LichtBlick. Den hatte sich die von Konzernanzeigen abhängige Financial Times in dem Artikel “Schummelei bei Ökostrom” am 11. Juni vorgeknöpft – wohl um zu beweisen, dass das Umsteigen von AKW-Stromgegnern doch überhaupt keinen Sinn mache. LichtBlick, so die FT, würde ja auch “Atom- und Kohlestrom an seine Kunden” liefern.
Financial Times und LichtBlick
Die Trägerverbände von „Atomausstieg selber machen“ stellen zu dem Financial Times-Artikel fest: Dieser Vorwurf beziehe sich nach ihrer Kenntnis auf „exakt 0,5 bis 1,5 Prozent des Stroms“, der von LichtBlick bei unerwartet hoher Nachfrage an der Leipziger Strombörse gekauft werde. Den Trägerverbänden sei zwar vor dem FT-Artikel nicht bekannt gewesen, dass LichtBlick in Ausnahmefällen “grauen Strom” an der Strombörse einkaufe. Zur Kompensation werde dafür aber nach Aussage von LichtBlick „grüner Strom“ in mindestens gleicher Menge an der Börse verkauft. Die anderen drei von „Atomausstieg selber machen“ empfohlenen Ökostromanbieter handeln nicht an der Strombörse, sondern setzen nach eigenen Angaben auf “offene Lieferverträge”. Die Umweltverbände würden jetzt „sehr genau prüfen, welche realistischen Möglichkeiten es gibt, Bedarfsspitzen zu decken. Die Kunden haben ein Recht darauf, dass LichtBlick zukünftig vollständige Transparenz gewährleistet und alles in Erwägung zieht, um vermeidbare Reste von Atom- und Kohlestrom aus dem Angebot zu nehmen.“
Unabhängiger Ökostrom der einzige Weg, sich zu wehren
Fazit des Aufrufs: „Unabhängiger Ökostrom ist der einzige Weg für Verbraucher, sich dagegen zu wehren, dass ihr Stromgeld bei Atom- und Kohlekonzernen landet. Das Angebot von LichtBlick ist mindestens zu 99 Prozent besser als der Strom von Vattenfall, E.ON, RWE und EnBW. Stromkunden von EWS Schönau, Greenpeace Energy, Naturstrom und auch von LichtBlick tun viel dafür, dass Atomkraftwerke abgeschaltet und keine neuen Kohlekraftwerke errichtet werden.“
Das Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“ hat sich im Herbst 2006 zusammengeschlossen, nachdem die Atomkonzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW die von ihnen oder ihren Vorgängerunternehmen selbst unterzeichnete Vereinbarung über den Atomausstieg faktisch aufgekündigt hatten und für den Weiterbetrieb ausgerechnet der ältesten und gefährlichsten Atomkraftwerke in Deutschland kämpfen.
Zu den Teilnehmern und Unterstützern des Bündnisses gehören: Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH), Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), Bund der Energieverbraucher e.V., Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), campact!, Deutscher Naturschutzring/ Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände e.V. (DNR), Forum Umwelt und Entwicklung, genanet – Leitstelle Gender, Umwelt, Nachhaltigkeit, Greenpeace Deutschland e.V., GRÜNE LIGA e.V., Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Jugendbündnis Zukunftsenergie, Klar! Kein Leben mit atomaren Risiken!, Mütter gegen Atomkraft e.V., NaturFreunde Deutschlands e.V., Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU), ROBIN WOOD e.V., urgewald e.V., WWF Deutschland und www.ausgestrahlt. (PK)
Siehe auch: Den Reichen nehmen und den Armen geben!
Online-Flyer Nr. 155 vom 16.07.2008