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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Inland
Anwohnerklagen gegen militärische Nutzung des Flughafens Leipzig
Wichtige Entscheidung am 15. Juli
Von Hans Georg

Für den uneingeschränkten Nachtflugbetrieb des Militär- und Frachtflughafens Leipzig plädieren der Leipziger Oberbürgermeister Jung (SPD) und die tragenden Parteien der Großen Koalition in Sachsen, CDU und SPD. Der Nachtflugbetrieb ist Teil des Nachschubsystems für die Kriege im Irak und in Afghanistan. Ihnen werden über Leipzig im Durchschnitt 1.500 US-Soldaten zugeführt oder aus dem Mittleren Osten in die USA verbracht - täglich.

Militärflughafen Leipzig
Nicht mit Ruhm, sondern mit Tomatenketchup von Demonstranten bekleckerter, aus Afghanistan zurückgekehrter Tormado
Quelle: Aktionsgemeinschaft Flughafen - natofrei


Laut Statistik der "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen" (ADV) werden dieses Jahr etwa 47.500 US-Militärs den sächsischen Flughafen als Tank- und Versorgungsstopp nutzen. Das sind 47 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Hintergrund ist die steigende Kampftätigkeit der in Mittelost operierenden Besatzungstruppen, die mit einer Militarisierung der frontfernen Etappe einhergeht.
 
Sammelklage der Anrainer
 
Gegen die deswegen zunehmenden Belastungen laufen Anrainer des Flughafens Sturm. Allein beim Deutschen Fluglärmdienst (DFLD) gingen im Juni 10.107 Beschwerden ein. Auch der deutsche Frachtriese DHL und Lufthansa Cargo nutzen die Nachtzeiten für den Flugbetrieb. Beide Unternehmen stehen im Verdacht, den US-Nachschub durch Logistikdienste zu ergänzen. Als NATO-Dienstleiter ist das deutsch-russische Unternehmen Ruslan SALIS ebenfalls auf dem Flughafen Leipzig tätig.
 
Am 15. Juli will das Bundesverwaltungsgericht über die Sammelklage mehrerer Anwohner entscheiden. "Wir hoffen zumindest auf einen Teilerfolg", sagt der Sprecher einer Leipziger Bürgerinitiative im Gespräch mit dieser Redaktion, "um die durchgehende Militarisierung der Gesellschaft zu erschweren." Nach Angaben der Bürgerinitiative starten und landen in Leipzig sechs bis sieben US-Maschinen pro Tag, die in beiden Richtungen verkehren. Etwa 47 Prozent der Flugbewegungen finden zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens statt. Dieser Nachtbetrieb ist für den Frontnachschub ideal, da die Zwischenlandungen ohne Rücksicht auf transkontinentale Zeitverschiebungen geplant werden können.
 
Verdienstkreuz als Belohnung
 
Die Kriegsbeihilfe spült dem Flughafenbetreiber (Mitteldeutsche Flughafen AG) jährlich Millionen in die Kasse. Als Eigentümer fungieren der Freistaat Sachsen (76 Prozent), das Land Sachsen-Anhalt (13 Prozent) sowie die Städte Halle, Dresden und Leipzig.[1] Persönliche Verantwortung für die mutmaßliche Beteiligung an einem Angriffskrieg, der gegen das UN-Recht und die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland verstößt, tragen die Mitglieder des Aufsichtsrats. Darunter befinden sich mehrere Landesminister und Oberbürgermeister, aber auch Vertreter deutscher Gewerkschaften sowie Interessenten der privaten Luftfahrtindustrie. Neben dem Geschäftsführer der REWE Pauschaltouristik sitzt der frühere Kölner Studentenfunktionär und heutige Präsident des Deutschen ReiseVerbands (DRV) Klaus Läpple im Aufsichtsrat.

Klaus Läpple
Vom Studentenvertreter zum Tourismusfunktionär – Klaus Laepple
Foto: Limberg/DRV.de


Kommilitonen zu Felde.[2] Seine Tätigkeit, unter anderem auf dem heutigen Kriegsumschlagplatz Leipzig, trug Läpple im vergangenen Jahr das Bundesverdienstkreuz am Bande ein.
 
Priorität für US-Nachtfluggebot
 
Weil die militärische Nutzung ausgeweitet werden soll, steht der Bau eines gesonderten Terminals bevor. Damit sollen die bisherigen
OB Burkhardt Jung
Für uneingeschränkten Nachtflug-
betrieb – Leipzigs SPD-OB Jung,
der hier hätte stehen können

Bild: NRhZ
 Berührungen zwischen Zivil- und Kriegslogistik unmöglich gemacht werden. Priorität hat die Durchsetzung des US-Nachtfluggebots. "Die Region braucht uneingeschränkten Nachtflugbetrieb", erklärte der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der Mitglied des Aufsichtsrats ist, Ende Juni.[3] "Geschlossenheit" fordert CDU-Ministerpräsident Tillich angesichts zunehmender Proteste der Bevölkerung. "Im Hinblick auf die Fluglärmdebatte" müsse zwar Rücksicht auf die "Lebensqualität" genommen werden, "zuvorderst aber stehe 'klar und unmissverständlich' das Bekenntnis zum Flughafen", zitiert die Mitteldeutsche Flughafen AG die Rangabfolge der von Vorstandsmitglied Jung verfolgten Ziele.

Mehr Beschwerden wegen Lärmpegel
 
Da pro Nacht bis zu 60 Flugzeuge starten und landen, stiegen mit dem Lärmpegel auch die Beschwerden. In der ersten Jahreshälfte trafen beim Deutschen Fluglärmdienst (DFLD) über 25.000 Hilferufe ein. Meldeten sich im April 4.500 Anwohner, waren es im Mai bereits 5.900 und im Juni 10.013. Seit Monatsanfang Juli verzeichnet die Leipzig-Statistik zwischen 350 und 400 Meldungen pro Tag. "Keinen Eingang (...) finden dabei Anrufe, Faxe oder Anschreiben Betroffener an den Airport, so dass davon auszugehen ist, dass die tatsächliche Anzahl der Beschwerden um ein Vielfaches höher ist", heißt es in einer Pressemitteilung der Bürgerinitiative "BI gegen Flug- und Bodenlärm".[4]


Eindrucksvolle Demonstration gegen Kriegsflughafen
Quelle: Aktionsgemeinschaft Flughafen - natofrei


Die nachdrücklichen Forderungen der betroffenen Anwohner, durch Gespräche mit der Flughafen AG zu erträglicheren Lärmwerten zu kommen, weist das Unternehmen strikt zurück. Auch eine Intervention der Partei Bündnis 90/Die Grünen ist gescheitert. Die Fraktion hatte im Leipziger Stadtrat beantragt, ein Mediationsverfahren durchzuführen. Wie bei anderen deutschen Konzernen in öffentlicher Hand [5] werden gesellschaftliche Dialogbegehren als Eingriffe in die Unternehmensfreiheit behandelt. Steuerbürger, mit deren Abgaben die Aktivitäten bezahlt werden (für den Flughafen Leipzig floss annähernd eine Milliarde Euro an Staatssubventionen), sehen sich als subalterne Petenten behandelt. Statt zu einem Dialogforum ist die Flughafen AG lediglich zu einem "Informationsforum" bereit - das Unternehmen will seine Entscheidungen als Marktsouverän verkünden, einer Beratung mit den tatsächlichen Eigentümern jedoch nicht nachkommen.
 
Nach Teilerfolg nun Bundesverwaltungsgericht
 
Anwohnerklagen hatten im November 2006 zu einem Teilerfolg geführt. Demnach dürfen nur Expressfrachtflugzeuge nachts starten und landen. Daraufhin änderte der Regierungspräsident Leipzig den Planfeststellungsbeschluss mit einer signifikanten Ergänzung: Zwar wurde der nächtliche Flugbetrieb ziviler Passagiermaschinen ausgeschlossen - nicht aber der Frontverkehr für die Kriege in Zentralasien. Mit dieser Differenzierung (zwischen zivilem und militärischem Passagierverkehr) gestand die Behörde erstmals öffentlich ein, dass sie von der kriegerischen Nutzung genaue Kenntnis hat. Für die Beihilfe an den Gewaltoperationen kann sie - ebenso wie der Aufsichtsrat - zur Verantwortung gezogen werden.
 
Am 15. Juli wird das Bundesverwaltungsgericht Leipzig entscheiden, ob die militärische Umwidmung rechtens ist. "Die Militärmaschinen werden wir vor Gericht nicht verbieten lassen können", sagt Michael Teske von der Interessengemeinschaft Nachtflugverbot. "Aber die Einschränkung dieser Flüge auf die Tageszeit kann Leipzig für den Nachschub uninteressant machen." (PK)
 
Unter www.german-foreign-policy.com/
finden Sie das EXTRA-Dossier Drehkreuz Leipzig.

 
[1] Mitteldeutsche Flughafen AG, Vorstand
[2] Scherben und vertane Chancen. Die Zeit, Nr.17/1968
[3] Parteiübergreifend Zustimmung zu Flughafen und DHL; Airmail Nr.6/2008
[4] Bürgerinitiative gegen Flug- und Bodenlärm; 01.07.2008
[5] s. dazu Keinen Cent, Zentralbahnhof Berlin, Gegen Widerstand sowie unser EXTRA-Dossier Elftausend Kinder

Online-Flyer Nr. 154  vom 09.07.2008



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