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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Medien
Beim Dalai Lama gibt’s in den Medien auch einige Ausnahmen
Deutschland – Dalai-Land – Teil 3
Von Hans-Detlev v. Kirchbach

Eigentlich ist er fast schon so etwas wie ein Ehrenbürger der BRD; jedenfalls ist er hier anscheinend auf zyklisch wiederkehrender Durchreise, häufiger noch als unser deutscher Papst, der Ratzinger-Joseph. Auch nach der Olympiade wird er – vom 28. Juli bis 2. August 2009 – wieder in Deutschland einschweben. Rechtzeitig vor der Bundestagswahl werden ihm die Medien erneut huldigen, und Frau Merkel wird sich wie im vergangenen und in diesem Jahr wieder publikumswirksam vor seiner Heiligkeit verneigen dürfen. – Die Redaktion. 
 
Hamburger Häresien
 
Kommen wir nun aber, als abschließenden Kontrapunkt unserer kleinen Lama-Medien-Rundreise, wieder zurück nach Hamburg und damit auch aus den Niederungen deutscher Ehrendoktorate und Boulevardmedien in Gefilde ernstzunehmender Publizistik. Ohnehin scheint es in Hamburg mehr Medienmenschen als anderswo zu geben, die angesichts des Dalai Lama nicht den Verstand gleich vollständig verlieren.
 
Zum Beispiel dieser hier: "Heute wird zu Recht beklagt, daß die tibetische Kultur von den Chinesen unterdrückt wird. Darüber sollte man aber nicht vergessen, daß die tibetische Kultur aus einer Religion hervorgeht, die noch sehr viel brutaler war, und die Menschen in Tibet wie in der schlimmsten Diktatur unterdrückte. Deshalb verbietet sich jede unkritische Gefühlsduselei für den Dalai Lama."
 
Wickert
Gegen unkritische
Gefühlsduselei –
Ulrich Wickert
Quelle: einslive
Der diese bemerkenswerten Einsichten einem Millionenpublikum näherbrachte, war - genau - Ulrich Wickert, anchorman der "Tagesthemen". Nach dieser Abmoderation in den "Tagesthemen" vom 12. Oktober 1997 brach eine Lawine "zum Teil haßerfüllten Protestes" über ihn herein. So etwas hatte sich bis dato auf so weittragender Bühne noch nie ein deutscher Medienpromi über den Heiligen vom Höchsten Berge und seinen Kult zu sagen getraut. Ansonsten blieb, wenigstens was unsere Großmedien betrifft, aber auch Ruhe im Kritik-Karton. Sehen wir einmal von ganz wenigen Ausnahmen ab wie etwa einer Panorama-Sendung, die sich gleichfalls 1997 mit den Schattenseiten des vermeintlich so herzbeglückenden "alten Tibet" auseinandersetzte.
 
Helmut Schmidts kritischer "Prüfstein"
 
In der ohrenbetäubenden Eintönigkeit der Jubelhymnen wird freilich schon jeder Ton, der aus der harmonischen Reihe tanzt, als Mißklang wahrgenommen. Doch nun meldet sich da einer zu Wort, der sich an Weltruhm einerseits und Statur als Medienikone andererseits von dem umtriebigen Herrn im bunten Gewande den Rang gewiß nicht ablaufen läßt. Hamburg-Blankenese goes Himalaya. In der "Zeit" erkannte deren Ehren-Herausgeber Helmut Schmidt, "Tibet als Prüfstein" - und letztlich eine kritische Überprüfung liebgewonnener Mythen.

Anders als wesentliche Teile der Tibetszene findet er nicht, daß Tibet damit geholfen sein kann, als religiös stagnierendes ethnologisches Freilichtmuseum jenseits der Moderne zu verharren. Er rechnet ungerührt vor: "Dafür haben die Kommunisten in den letzten Jahrzehnten moderne Technologie und Infrastruktur nach Tibet gebracht, sie haben Straßen, Flugplätze und sogar eine Eisenbahn nach Lhasa (3600 Meter hoch) gebaut und die Mönche sind heute per Handy und Internet mit der Außenwelt verbunden." Da melden sich im "Zeit"-Blog gleich einige - per Internet - zu Wort, die solche Hinweise für kruden "Materialismus" und Modernismus halten, selbst aber auf "Technologie und Infrastruktur" kaum verzichten würden.

Im wesentlichen aber verschlägt es selbst der einschlägigen Kultszene schlichtweg den Atem. Das Standbild von der Alster wagt denn gerade das derart autoritätsfixierte Milieu nicht wirklich anzugreifen; da ist man schön in die eigene mentale Falle getappt. Blogs und Internetdiskussionen gibt es schon, aber all dies bleibt verhalten, und ist ja auch in Ordnung so, da ja gerade Helmut Schmidt eine kritische Grundhaltung empfiehlt.
 
H. Schmidt
„Zeit“-Ehrenherausgeber Helmut Schmidt
Quelle: Die Zeit
Nicht, daß wir ausgerechnet Helmut Schmidt jetzt unsererseits unkritisch auf den Sockel heben wollen. Aber in diesem Zusammenhang hat er doch einen wesentlichen und wichtigen Anstoß gegeben, unbeschadet des einen oder anderen sachlichen Schönheitsfehlers in seinem Artikel. Denn darauf kommt es erst einmal an - statt gleichgeschalteter Affirmation und parareligiöser Akklamation gerade im Hinblick auf Tibet und den Dalai Lama den Verstand wiederfinden. Das kann letztlich auch den Menschen zugute kommen, die heute real im autonomen Gebiet Tibet auf dem Territorium der Volksrepublik China leben. (PK)

Online-Flyer Nr. 152  vom 25.06.2008



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