NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

Fenster schließen

Inland
Über die Rolle der Medien und des Verfassungsschutzes
15 Jahre nach dem Brandanschlag von Solingen
Von Eberhard Reinecke

In der vergangenen Woche wurde des 15. Jahrestages des Brandanschlags in Solingen gedacht. Rechtsanwalt und NRhZ-Autor Eberhard Reinecke, der mit seinem Kollegen Reinhard Schön einige der Opfer des Brandanschlages vertreten hatte, erinnert sich.

Täter aus der Neonazi Szene
 
Lese ich heute die Berichte über das Gedenken an die Opfer von Solingen so finde ich vor allem drei Aspekte bemerkenswert. Unwidersprochen wird heute von vier Jugendlichen aus der Neonaziszene gesprochen, die die Tat begangen hätten. In den 18 Monaten des Prozesses war das heiß umstritten. Die ausländerfeindlichen und rassistischen Texte der „Böhzen Onkels“ sollten ebenso „dumme Jungen Streiche“ sein, wie rassistische Eintragungen in Tagebüchern. Nur weil die Zugehörigkeit der Täter zur rechten Szene geleugnet wurde, konnten verschiedene Journalisten versuchen, ihr angeblich investigatives Süppchen mit diesem Prozess zu kochen, ohne allzusehr auf Ablehnung zu stoßen.
Solingen Brandanschlag
Nach dem Brandanschlag auf die
beiden türkischen Familien
Quelle: www.exil-club.de
Für die ZDF-Sendung „Kennzeichen D“ versuchte ein Journalist, einen Zeugen darauf festzulegen, dass drei der vier Täter noch bei ihm zu Hause waren. Der renommierte TV-Redakteur Gerd Monheim vom WDR veröffentlichte im Mai 1995 in der ARD die Dokumentation „Gesucht wird ...... die Wahrheit von Solingen“ von Michael Heuer, die ebenfalls nahelegte, drei der vier Angeklagten seien unschuldig. Noch am 14.10.1995 einen Tag nach der Urteilsverkündung mussten wir als Vertreter der Opfer in einer Presseerklärung warnen:
 
„Der 6. Strafsenat des OLG Düsseldorf hat durch sein gestriges Urteil unsere Überzeugung bestätigt, daß alle 4 Angeklagten verantwortlich sind für den "feigen Mordanschlag" und den "qualvollen und sinnlosen Tod von 5 jungen Menschen". Mit diesem Urteil werden die Opfer nicht wieder lebendig, das schlimmste aber bleibt den Überlebenden erspart: daß 3 der Täter frei herumlaufen. Mit einer in seiner Gründlichkeit überaus langen - für die Opfer oft zu langen - Beweisaufnahme hat das Gericht alle denkbaren Spuren überprüft und ist zu einem überzeugenden Schuldspruch gekommen. ......
 
Es war uns bewußt, daß rechtsradikale Gruppen eine Verurteilung nie akzeptieren könnten. Erste Reaktionen in Radio und Fernsehen lassen aber befürchten, daß dies nicht auf solche Gruppen beschränkt ist. Radio Köln meinte, das Gericht hätte nur erneut die Anklageschrift verlesen, der WDR verblieb in der aktuellen Stunde bei der offenbar für den Fall des Freispruches vorbereiteten einseitigen Berichterstattung zu Gunsten der 4 Angeklagten. Da wird als "Volkes Stimme" eine scheinbare Zuhörerin befragt, die sich als Zeugin im Prozeß bereits als enge Freundin der Familie K. zu erkennen gegeben hatte. Ein Strafrechtsprofessor wird als Beobachter des Prozesses seit 1 1/2 Jahren präsentiert, obwohl er nie im Gerichtssaal anwesend war. Nur im Nebensatz erwähnt er, den Prozeß "aus den Zeitungen" (aus welchen bitte) verfolgt zu haben. Mit dieser professoralen Aura wird dann das Urteil kritisiert. Seit Beginn des Prozesses warnen wir davor, rechtsradikale Jugendliche zu Märtyrern zu machen, doch offenbar vergeblich. .......
 
Wir bestehen nicht darauf, daß Urteile der Gerichte um Ihrer selbst Willen Respekt verdienen. Wenn aber ein Urteil nach so langer gründlicher Hauptverhandlung von Richtern gefällt wird, die offenbar für alle Möglichkeiten offen waren, dann hat es mehr verdient, als das Widerkäuen von Vorurteilen der jeweiligen Reporter.
Rechtsanwälte Brüssow, Erdal, Reinecke und Schön“
 
Heute ist die Kritik an dem Urteil verstummt. Aber: Die Opfer müssen mit den damaligen jugendlichen Tätern, die alle wieder längst aus dem Gefängnis entlassen sind, in einer Stadt leben. Zwei der vier haben ihre Tat nie gestanden. Anders als bei der RAF verlangt niemand von diesen Tätern, sich bei den Opfern zu entschuldigen und ihre konkrete Beteiligung einzuräumen.
 
Die Rolle des Verfassungschutzes
 
Bis heute ungeklärt ist die Rolle des Verfassungschutzes und seines V-Mannes Bernd Schmitt, damals Leiter der Kampfschule Hak Pao in Solingen und Präsident des Deutschen Hochleistungs-Kunstkampfverbandes (DHKKV), einem Sammelbecken von Rechtsradikalen aus der gesamten Bundesrepublik. Dabei geht es nicht um die Frage, ob Schmitt die „wahren Täter“ kennt und deckt, sondern es geht auch um dieselbe Frage wie im NPD-Verbotsverfahren: War Schmitt der V-Mann des Verfassungschutzes in der rechtsradikalen Szene, oder der V-Mann der rechtsradikalen Szene im Verfassungsschutz. Es geht aber vor allem um die Frage, welche Auswirkungen solche V-Männer auf Jugendliche haben.

H. Schnoor - Innenminister
Herbert Schnoor –
damals NRW-Inneninister
Quelle: www.im.nrw.de
Nach Angaben des damaligen Innenministers Schnoor gegenüber dem Landtag, hatte Schmitt schon vor seiner angeblichen Tätigkeit für den Verfassungsschutz bei rechtsradikalen Organisationen Saalschutz gestellt, so nicht nur für die Deutsche Liga in Köln, sondern auch bei einer Veranstaltung mit dem notorischen Auschwitz-Leugner Erwin Zündel in Bonn. Die bereits 1995 verbotene Nationalistische Front (NF) lobte Schmitt in einem Bericht über diese Veranstaltung: „Um den reibungslosen Ablauf und die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten, stellte sich der DHKKV mit seinen Kämpfern zur Verfügung. Auch an sie ein dickes Dankeschön“. Unbestritten ist, dass drei der Täter in der Kampfschule und dem Verband Mitglied waren und einer das "kanackenfreie Freitagstraining" in seinem Tagebuch besonders lobte. Freitags abends hielten sich auch häufiger alte Nazi-Offiziere in den Räumen auf. Auch wenn der damalige Innenminister Schnoor die angeblichen Hinweise von Schmitt lobte, zur Verurteilung der Täter hatte dieser in keiner Weise beigetragen.
Sicher ist dagegen, dass die jugendlichen Täter in seiner Kampfschule ausländerfeindliche und rassistische Sprüche mitbekamen. Spitzel des Verfassungsschutzes müssen also nicht nur abgezogen werden, um ein neues NPD-Verbotsverfahren zu ermöglichen, sondern auch, weil staatlich bezahlte Personen sich nicht an rechtsradikaler ideologischer Beeinflussung von Jugendlichen beteiligen dürfen.

Asylhetze und Brandanschlag

Heute gesteht selbst NRW-Minister Laschet (CDU) den engen Zusammenhang zwischen den Asylgesetzen und dem Brandanschlag ein, damals war das ein Tabu, da damit die große Mehrheit des Parlamentes der geistigen Brandstiftung beschuldigt wurde. In unseren Plädoyers hatten wir im Jahre 1995 sinngemäß ausgeführt:
 
„Innenmister Schnoor hat in einer Stellungnahme von dem Rechtsradikalismus aus der Mitte der Gesellschaft gesprochen. Die Frage ist aber, wie kommt er in die Mitte der Gesellschaft? Beginnen wir 8 Monate vor dem Anschlag, im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Ein rechtsradikaler Mob greift unter Beifall von 3000 Umstehenden eine Asylbewerberunterkunft mit Molotowcocktails an. Im entscheidenden Moment wird die Polizei abgezogen, weil angeblich eine Ablösung organisiert werden solle, die Asylbewerber sind dem Mob schutzlos ausgeliefert. Um die ganze Ungeheuerlichkeit dieses Vorganges beurteilen zu können, machen Sie ein Gedankenexperiment. Stellen Sie sich vor, im April 1968, als nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke die außerparlamentarische Opposition auf das Springerhaus zu marschierte und die ersten Molotowcocktails flogen, wäre die Polizei wegen eines Hemdenwechsels abgezogen worden. Weder der Polizeipräsident noch der regierende Bürgermeister von Berlin hätte das länger als einen Tag politisch überlebt. Auf Rostock folgte kein Rücktritt, weder eine massive Strafverfolgung noch eine massive verbale Verurteilung, sondern es wurde darüber diskutiert, dass der Bevölkerung zu viel zugemutet würde (wohlgemerkt nicht durch die Brandstifter sondern durch die Asylbewerber). Statt einer Diskussion um die Verfolgung der Straftäter, folgte die Diskussion über die Änderung der Asylgesetze, einschließlich der Änderung der Verfassung. Die Diskussion über die Asylanten“flut“, bei der Ausländer gar nicht mehr als Menschen auftauchten, fand dann ihren Höhepunkt am 26.5.1995, d.h. drei Tage vor dem Brandanschlag mit der Verabschiedung der Gesetze. Mit ihrem Hass und der Ablehnung von Ausländern standen die Täter so nun keineswegs isoliert da, sondern eben in der Mitte der Gesellschaft.“

Appell von Verwandten der Opfer
 
Heute zeigt sich aber deutlich: Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind keine Frage der Zahl der Asylbewerber. Obwohl die heute niedriger ist als je zuvor, nimmt die Ausländerfeindlichkeit nicht ab. Es führt zu nichts, vor rechten Parolen zurückzuweichen. Wie gering die Fortschritte bei der Bekämpfung des Rassismus und der Ausländerfeindlichkeit sind, macht die folgende Erklärung von Fadime und Bekir Genc vom 14.10.1995 (einen Tag nach der Urteilsverkündung) deutlich, die heute noch so aktuell ist wie damals:

„Wir, mein Bruder Bekir und ich, wenden uns heute, einen Tag nach dem Urteil, an alle jungen Leute in Deutschland und in der Türkei.

Wir haben unsere Schwestern Gürsun und Hatice, unsere Nichten Hülya und Saime und unsere Cousine Gülüstan Öztürk bei dem Brandanschlag verloren. Bekir hat schwerste Brandverletzungen davongetragen.
 
Der Richter hat das gestern richtig als sinnlose Tat bezeichnet, die auf Rassenhass beruht. Die jungen Leute, die den Brandanschlag verübten sitzen im Gefängnis und werden noch lange da bleiben. Wir haben die Schmerzen und die Trauer. Niemand hat einen Vorteil.
 
Dabei haben wir Jugendlichen, egal, ob wir Deutsche oder Türken sind, egal, welche Hautfarbe wir haben oder aus welchem Land wir kommen, gemeinsame Interessen.
 
Wir alle haben Ängste, ob wir einen Ausbildungsplatz oder Arbeit finden. Wir alle sorgen uns um unsere Umwelt. Wir müssen uns gemeinsam für Verbesserungen einsetzen. Hass spaltet nur und führt im schlimmsten Fall zu solchen schrecklichen und sinnlosen Taten, wie wir sie erleben mussten. 
So etwas sollte sich nie mehr wiederholen.“ (PK)
 
Mehr über den Autor und Rechtsanwalt Eberhard Reinecke erfahren Sie unter www.rechtsanwael.de

Online-Flyer Nr. 149  vom 04.06.2008



Startseite           nach oben