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Lokales
Anmerkungen zum Kölner Integrationskonzept für MigrantInnen
Fluchtursachen made in Germany
Von Klaus Jünschke

Der Rat der Stadt Köln hat am 14.12.2006 die Verwaltung beauftragt, ein Gesamtkonzept für die Integration von Migrantinnen und Migranten zu erstellen. Dafür wurden 15 Arbeitsgruppen gebildet. Klaus Jünschke ist für den Kölner Appell gegen Rassismus in der AG Flüchtlinge. Er hat den folgenden Text geschrieben, um deutlich zu machen, dass ein emanzipatorisches Integrationskonzepts nur entwickelt werden kann, wenn dabei die globalen Ursachen von Flucht und Migration berücksichtigt werden. – Die Redaktion


Foto: arbeiterfotografie

Der Kölner Runde Tisch für Flüchtlingsfragen hat in den vergangenen vier Jahren Beachtliches geleistet, was die Unterbringung und Betreuung der in Köln in den städtischen Wohnheimen lebenden Menschen angeht. Gegenüber der früheren Abschreckungspolitik, Köln ganz offiziell durch miese Behandlung bei den Flüchtlingen in den Ruf zu bringen, die Stadt besser zu meiden, ist das ein anerkennenswerter Fortschritt. Trotzdem muss diese begrüßenswerte Entwicklung im Zusammenhang der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gesehen werden, auf dem es seit den 70er Jahren zu einer vermehrten irregulären Beschäftigung auch der hier legal lebenden MigrantInnen und Flüchtlinge gekommen ist. Die wachsende Zahl von Flüchtlingen, die seit 2004 in eigene Wohnungen ziehen konnte, darf nicht den Blick darauf verstellen, dass Flüchtlinge und „Sans Papiers“ nicht von ungefähr als „Prototypen der neoliberal konstituierten ArbeiterInnen“ bezeichnet werden, wie es der Politikwissenschaftler Tobias Pieper definiert: „flexibel, ohne soziale Sicherungssysteme den Anforderungen der Wirtschaft ausgeliefert und durch rechtliche und polizeiliche Repression in der Artikulation ihrer Rechte ruhig gestellt.“
 
Was bedeutet es für unsere Gesellschaften, wenn auf deren Arbeitsmärkten Menschen ihre Arbeitskraft für immer weniger Geld anbieten? Nicht nur dadurch, dass in der Regel Asylsuchende in Wohngebieten mit armer einheimischer Bevölkerung untergebracht wurden und werden, die bereits unter hoher Arbeitslosigkeit leidet, wurden Quellen von Feindseligkeiten gegen Flüchtlinge geschaffen. Sasskia Sassen hat schon vor Jahren auf diese Tragik hingewiesen: arme Menschen, denen im globalen Süden als auch im reichen Westen Gewalt zugefügt wurde, stehen sich in den reichen Ländern als Feinde gegenüber.
 
Flüchtlingsintegration in welches Köln?
 
Im Positionspapier „Integration in Köln“ wird das Ziel von Integration in den Worten von Maria Böhmer, der Bundesbeauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration, zusammengefasst: „Jeder soll unabhängig von seiner kulturellen und sozialen Herkunft und seines Wohnortes seine Fähigkeiten und seine Begabungen zur Geltung bringen können, in einer Gesellschaft, die Vielfalt akzeptiert und niemanden diskriminiert.“
 
Ein anderes Bild der Gesellschaft wird durch Zahlen aus dem neuesten Armutsbericht der Bundesregierung vermittelt. Demnach leben 13 Prozent aller Deutschen mit Einkünften unterhalb der offiziellen Armutsschwelle von 781 Euro pro Monat für einen Ein-Personen-Haushalt. Stark gestiegen ist die Anzahl derjenigen, die trotz Erwerbstätigkeit als arm gelten. Dass die Armen mehr und ärmer werden, und wie sehr die Reichen reicher werden, kann man in letzter Zeit in allen Zeitungen nachlesen.
 
Wenn wir unsere Gesellschaft als eine Gesellschaft denken, die Vielfalt akzeptiert und niemanden diskriminiert, dann geht es in der Umsetzung dieser Zielvorstellung um kulturelle Anerkennung und Toleranz. So wie es die bis Ende 2008 laufenden Kampagne „Vielfalt als Chance“ der Bundesintegrationsbeauftragten meint. Dieses „Vielfaltmanagement“ kommt aus den USA und ist inzwischen auch hierzulande als „Diversity Management“ in den Integrationsdebatten allgegenwärtig. Es ist in den USA entwickelt worden, um die Fähigkeiten der Arbeiter und Angestellten u.a. durch Wertschätzung ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung noch besser ausnutzen zu können. Dass dabei das oberste Prinzip Profiterwirtschaftung ist, zeigt sich spätestens dann in nicht mehr mißzuverstehender Deutlichkeit, wenn dieselben Konzerne und Banken, die in ihren Führungsstäben „Diversity Manager“ haben, bei gleichzeitig steigenden Gewinnen tausende von Mitarbeiter rücksichtslos entlassen.
 
Fluchtwege abschneiden
 
Die soziale Ungleichheit weltweit ist noch um vieles dramatischer als innerhalb der Europäischen Union. 2,8 Milliarden Menschen führen heute in Asien, Afrika und Lateinamerika einen Überlebenskampf mit weniger als zwei Dollar am Tag. Seit Jahrzehnten berichten die Welternährungsorganisation FAO und die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihren Jahresberichten, dass wieder 50 Millionen Menschen verhungert oder an leicht heilbaren Krankheiten gestorben sind.
 
Angesichts des zunehmenden Elends und der Not und der Verfolgung in vielen Ländern der Welt, müssen wir auch feststellen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die in Köln ankommen, immer weiter sinkt. Der Wohnungsversorgungsbetrieb der Stadt hatte im März 2004 noch 4.586 untergebrachte Menschen gezählt, im Juli 2007 waren es nur noch 3.783. Kamen Mitte der 90er Jahre noch jede Woche rund 30 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Köln an, so sind es heute monatlich nicht einmal drei.
 

Foto: arbeiterfotografie

Das sind die Folgen des 1993 entkernten Grundrechts auf Asyl, und es hängt auch mit den veränderten ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen zusammen, zu denen es durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zum 1.1.2005 kam. Thomas Gebauer von Medico International geht davon aus, dass jährlich über 50.000 Menschen allein im Mittelmeerraum aufgegriffen und an nordafrikanische Diktaturen überstellt werden, die man zu sicheren Drittstaaten erklärt hat, und fragt: „Wer weiß, dass die Meerenge von Gibraltar mit inzwischen 13.000 bis 15.000 Toten zum größten Massengrab Europas geworden ist?“
 

Flüchtlinge – eingezäunt in Lampedusa
Quelle: www.keine-festung-europa.eu
 Statt wirksamer Fluchtursachenbekämpfung wird Flüchtlingen der Fluchtweg abgeschnitten - mit Visumzwang, Vorkontrollen an den Flugzeugtüren, Aufrüstung der Außengrenzen. Politiker propagieren die Regionalisierung des Flüchtlingsschutzes, was nichts anderes heißt, als den Hauptaufnahmestaaten auch noch den Rest der Flüchtlinge aufzubürden

Je hermetischer die EU-Außengrenzen geschlossen werden, desto mehr sind die Flüchtlinge auf professionelle Fluchthelfer angewiesen. Und die machen das nicht umsonst. Der kriminelle Menschenhandel konnte so überhaupt erst entstehen und zu einer richtigen Wachstumsbranche werden.
 
Das nicht eingelöste Versprechen
 
Als 1993 über 10.000 Menschen in Bonn gegen die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl vergeblich demonstrierten, ist in den Bundestagstagsreden in diesem Zusammenhang versprochen worden, entschieden die Fluchtursachen zu bekämpfen. Doch das geschieht nicht nur nicht angemessen, es wird sogar noch Öl ins Feuer gegossen: Der Export deutscher Rüstungsgüter ins Ausland hat 2006 beträchtlich zugenommen. Deutschland ist in der EU der größte und weltweit hinter den Vereinigten Staaten und Russland der drittgrößte Exporteur von Kriegswaffen. Mit diesen Waffen führen Despoten und Warlords Bürgerkriege und unterdrücken ihre Völker.
 
Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für Recht auf Nahrung, glaubt, dass das, was sich in vielen armen Ländern entwickelt, erst der Auftakt für eine Epoche von intensivsten Konflikten ist: „Das sind Aufstände der nackten Verzweiflung von Menschen, die um ihr Leben fürchten und von Todesangst geplagt auf die Straße gehen.“ Als einen Faktor für das dramatische Ansteigen der Lebensmittelpreise nennt er die Umwandlung von hunderten Millionen Tonnen von Mais, Getreide, Reis in Treibstoffe. Hinzu kommt, dass Nahrungsmittel inzwischen an den Börsen Gegenstand von Spekulationen sind.

Jean Ziegler verlangt, dass die EU ihr Agrar-Dumping stoppt  Die EU finanziere den Export von Agrarüberschüssen und ruiniere damit die afrikanische Landwirtschaft: „Denn heute können Sie auf jedem afrikanischen Markt deutsches, französisches, belgisches Gemüse zur Hälfte oder zu einem Drittel des Preises gleichwertiger einheimischer Produkte kaufen.“

 
Daran mitzuwirken, dass das Bewusstsein von diesen Zusammenhängen wächst und dass oberste Priorität aller Politik die Schaffung einer Welt wird, in der niemand mehr hungert, das sollte auch die Aufgabe der Arbeitsgruppe Flüchtlinge im Rahmen der Erarbeitung eines Integrationskonzeptes für die Stadt Köln sein. (PK)

www.klaus-juenschke.de

Literatur:
Saskia Sassen: Die Kriminalisierung von Migranten. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8/2004, S. 957 – 964
 
Thomas Gebauer: Alte und neue Fluchtursachen. Vortrag in der Ev. Akademie Tutzing, 8.-10.09.2006 bei der Tagung „Kein Ort. Nirgends.“ 20 Jahre Pro Asyl.

Siehe: Newsletter Pro Asyl

Jean Ziegler: Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung. 2005 München


 

Online-Flyer Nr. 149  vom 04.06.2008



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