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Aktueller Online-Flyer vom 25. April 2024  

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Krieg und Frieden
Interview mit Elke Koller über die letzten Atomsprengköpfe in Deutschland
Stillschweigende Teilhabe
Von Christian Heinrici

Auch wenn manche längst bekannt sein dürften, bei einigen Tatsachen ist es mehr als lohnenswert, noch einmal nachzufragen, nachzuhaken. Denn es kommt oft Überraschendes ans Tageslicht, zuweilen auch Erschreckendes, und manchmal handelt es sich dabei um Atomsprengköpfe. Es sind die einzigen von ehemals 150, die in Deutschland verblieben sind, und sie lagern in dem beschaulichen Örtchen Büchel in der Südeifel, rund 100 Kilometer südlich von Köln, zwischen Koblenz und Trier und malerischen Maaren.

dr. elke koller büchel cochem-zell Elke Koller wohnt im Landkreis Cochem-Zell, nur drei Kilometer vom Fliegerhorst Büchel entfernt und engagiert sich gegen Atomwaffen. Logischerweise kehrt sie dabei gleichsam vor der eigenen Haustüre, denn auf dem Luftwaffenstützpunkt lagern die zwanzig letzten Atomsprengköpfe in Deutschland. Die Apothekerin ist Mitglied der Friedensgruppe Zell, sowie des „Initiativkreises gegen Atomwaffen“, der mit 47 weiteren Organisationen in den Trägerkreis „Atomwaffen abschaffen“ eingebunden ist. Das kommt in der ländlichen Region nicht gut an, schon öfter ist die Aktivistin auf ihrer Arbeit angefeindet worden.

In Büchel gibt es unter etwa 1150 Einwohnern eine Ärztin, zwei Tankstellen, zwei Banken, einen Bäcker, drei Gaststätten, verschiedene Handwerker, drei Versicherungsvertreter und zwei sonstige Dienstleister – zu allen anderen „Arbeitgebern“ allerdings stellt der Fliegerhorst des Jagdbombergeschwaders 33 der Bundeswehr mit seinen etwa 2.500 „Beschäftigten“ ein „konkurrenzloses“ wirtschaftliches Übergewicht dar.

„Umweltfreundliche Intensivnutzung“

Das finden die politisch „Verantwortlichen“ der Gemeinde offensichtlich auch gut so: Auf ihrer Webseite führen sie auf drei ebenso übergewichtigen Seiten Argumente an, warum Flugplatz und Kasernen, für die Region unentbehrlich seien: Das Vorhandensein des Fliegerhorsts verhindere die Grundstückspekulation und „Die von der Bundeswehr beanspruchte Fläche wird umweltfreundlichen Intensivnutzung (sic) kommen weder Kunstdünger noch Pflanzenschutzmittel zum Einsatz. Zudem stärken eine Vielzahl von natürlichen und künstlich angelegten Kleinbiotopen auf dem Fliegerhorst das ökologische Gleichgewicht.“ Die zwanzig Bücheler Atomraketen, die in keinem Nebensatz erwähnt werden, fügen sich offenbar auch ganz ökologisch in die „kargen Böden“ ein.

Büchel Fliegerhorst Foto: Stahlkocher
Der idyllische Fliegerhorst Büchel aus der Bomberperspektive
Foto: Stahlkocher

Was zu Zeiten des Kalten Krieges schon sinnentstellt war, ist im 21. Jahrhundert erst recht militärischer Unsinn: Die größere Anzahl an Atomsprengköpfen, die bis zum Jahre 2005 in Rammstein, auf der größten Airbase außerhalb der USA, lagerten, sind längst wieder „zuhause“, sie sind in vielerlei Hinsicht überholt. Die Tornados der Luftwaffe haben ohne zwischenzutanken nur eine Reichweite bis zum NATO-Partner Polen. Unterhält Verteidigungsminister Jung die Atomwaffen dann ausschließlich zu „strategischen Zwecken“, quasi als Verhandlungspfand? Über diese und andere Fragen unterhielt sich Christian Heinrici mit Elke Koller – die Redaktion.

Ahnungslose Bevölkerung


Ist es „gesichert“, dass auf dem Fliegerhorst der Bundeswehr in Büchel nach wie vor zwanzig scharfe Atomwaffen lagern?

Ja, davon müssen wir mittlerweile ausgehen: Das Verteidigungsministerium, zumindest der ehemalige Minister Peter Struck hat in mehreren Interviews zugegeben, dass diese Atomwaffen vorhanden sind. Zumal beobachten wir regelmäßig, dass eine US-amerikanische „Squadron“ aus Spangdahlem in Büchel stationiert ist, mit der Aufgabe diese Waffen zu warten und zu schützen.

Fiat g91 jaboG33 Jörg Hammes
Martialischer Tornado von Fiat in Büchel – unten werden Atomwaffen angeschnallt | Foto: Jörg Hammes

Wie und wann haben Sie denn selbst von der Lagerung der Atomwaffen in Büchel erfahren?

Erst 1996, und zwar habe ich in unserer Lokalzeitung gelesen, dass einige Menschen vor dem Haupttor des Fliegerhorsts demonstriert haben. Diese wiederum hatten einen Artikel im „SPIEGEL“ gelesen, aus dem hervorging, dass die Atomwaffen immer noch im Fliegerhorst lagern. Der Kontakt entstand durch die „Pressehütte Mutlangen“ – dort hat es ja die Blockaden vieler Prominenter vor 25 Jahren gegeben – und sie hatten sich seitdem mit dem Thema beschäftigt.

Das heißt, weder das US-Militär, noch die Bundesregierung hat es für nötig befunden, die Bevölkerung, den Bürgermeister oder die Lokalpresse über die Lagerung der Atombomben zu informieren?


Ja, so ist es leider. Es gab natürlich einige wenige Eingeweihte. Einmal gibt es eine „Sicherungsstaffel" – das sind zivile Angehörige des Fliegerhorsts, die eine weitere Bewachungsstaffel darstellen. Ich denke auch einmal, dass eine Person wie der Landrat oder auch einzelne Bürgermeister darüber informiert worden waren, aber man hat all die Jahre absolut dichtgehalten – also, die Bevölkerung wusste es nicht.[1]

Wie sind denn die Reaktionen der Bevölkerung, die in unmittelbarer Nähe wohnt?

Sehr gespalten: Auf der einen Seite erfahren wir sehr viel Zustimmung, dass die Menschen sagen: „Es ist ein Skandal, dass wir belogen worden sind!“ und „Wir haben einfach Angst in der Nähe dieser Waffen zu leben...“

Proteste vor dem Fliegerhorst Büchel
Proteste vor dem Fliegerhorst Büchel | Foto: www.atomwaffenfrei.de

Auf der anderen Seite gibt es auch sehr viele Menschen, die vom Fliegerhorst abhängig sind, und denen hat man, seitdem es bekannt ist, immer wieder erzählt: „Nun haltet bloß still, wenn die Waffen dort wegkommen, wird der Fliegerhorst geschlossen, dann sind eure Arbeitsplätze weg, und so weiter...“ Das ist natürlich ein reines Erpressungsmanöver derjenigen, die ein Interesse daran haben, dass die Waffen in Büchel bleiben.

Von deutscher „Sicherheitsstaffel“ bewacht

Wie werden denn die Atomwaffen in Büchel gelagert, Frau Koller?

Es handelt sich um etwa 1,80 Meter lange Raketen, es sind immer vier in einem Trägersystem aufgehängt, das acht Meter tief in der Erde versenkt ist. Das ist seit den 80er Jahren so, vorher hat man die Waffen mehr oder weniger frei in den Hangars gelagert und hat sie von hier nach dorthin transportiert. Ich weiß von Bundeswehrangehörigen, die mal Ende der 60er Jahre „zum Spaß“ solch einen Atomsprengkopf auf einen Laster geladen haben und immerhin damit durchs Haupttor kamen.

Nach Aussage eines Atomwaffenexperten ist es so, dass dieser Uran-Plutoniumkern erst einmal gar nicht so viel Radioaktivität ausstrahlt. Das größte Risiko allerdings entsteht durch die Zünder: Ein unter Druck stehender Tritium-Behälter, und wenn dieses Tritium[2] austritt, kann es schon zu sehr starken radioaktiven Strahlungen kommen.

bewachung des fliegerhorsts büchel
                                                                   
(Das alles erscheint noch bedenklicher, wenn man weiß, dass die Atomwaffen neben den US-amerikanischen „Munitionsunterstützungseinheiten“ von deutschen Zivilangestellten mit einer „Hundestaffel“ bewacht werden.
                                             
Bild:
Bewachung des Fliegerhorsts Büchel)

Darf die Bundeswehr denn mit den Atomwaffen üben, sie beispielsweise auf ihre „Tornados“ schnallen?

Natürlich, für das „Anschnallen“ sind durchaus die deutschen Angehörigen des Fliegerhorsts zuständig. Für die Programmierung der Zünder die Amerikaner, und die Deutschen wissen auch nicht, wie sie eingestellt werden.

Ein Teilchen am Atom

Aber die Bundeswehr darf ihre Tornados nicht mit scharfen Atomwaffen bestücken...?

Das ist aber so vorgesehen – das nennt sich nukleare Teilhabe.
Nach unserer Auffassung darf sie es eben nicht, weil es dem Atomwaffensperrvertrag widerspricht, den Deutschland ja in den 70er Jahren unterzeichnet hat und demzufolge offiziell auch kein „Atomwaffenstaat“ ist.

Die Bundesrepublik argumentiert, dass sie die Atomwaffen lagern müsse, weil sie Teil der NATO sei. Was passiert denn im Fall eines Krieges?

Vom „Verteidigungsministerium“ bekommen wir immer zu hören, dass im Kriegsfall diese Waffen ja in der Verfügungsgewalt des amerikanischen Präsidenten bleiben. Aber in unseren Augen ist das Schwachsinn, anders kann man das nicht bezeichnen...

George W. Bush Raketenrodeo Atomwaffen Karikatur: Christian Heinrici
George W. beim „Raketenrodeo" | Karikatur: Christian Heinrici

Zumal der amerikanische Präsident ja wenigstens im Moment eine äußerst fragwürdige Gestalt ist...


Davon mal ganz abgesehen... Als die „nukleare Teilhabe“ der NATO im US-Kongress diskutiert wurde, waren einige Abgeordnete sehr unsicher: Das sei doch gegen den Nichtverbreitungsvertrag von Atomwaffen und bekamen dann die Antwort, im Kriegsfall gelte dieser Vertrag ja auch nicht mehr. Das ist natürlich widersinnig, wieso schließt man Verträge, wenn sie im Kriegsfall nicht mehr gelten?!

Die Jüngste Entwicklung der Bundeswehr, bei zahlreichen Konflikten weltweit mitzumischen ist ja schon besorgniserregend. Offensichtlich will man sich außerdem eine gewisse Position sichern, dadurch dass man diese Atomwaffen „hortet“...

Das ist das Argument für die Aufrechterhaltung der „nuklearen Teilhabe“. Unsere ganz große Befürchtung – wenn ich einmal ein wenig in die Zukunft schauen darf – ist folgende: Es ist schon zum Ausdruck gekommen, dass die USA überhaupt kein Interesse mehr an diesen Waffen haben. Sie entwickeln ja zur Zeit neuere, kleinere und „intelligentere“ Atomwaffen, die man „zielgenauer“ einsetzen wird. Unsere große Angst ist dabei, dass man diese Waffen dann irgendwann tatsächlich mal einsetzen wird und genauso, dass Deutschland dann auch diese Waffen – sogenannte „Mininukes“[3] und andere – übernimmt, wenn es die „nukleare Teilhabe“ aufrechterhält.

Frau Koller, vielen Dank für das aufschlussreiche Interview!


umrundung des fliegerhorsts büchel friedensaktivisten Vom 25. bis zum 30 August findet in Büchel unter dem Motto „Vor der eigenen Türe kehren“ eine Aktionswoche statt, damit möglichst viele Menschen die Besen schwingen und die letzten Atomwaffen aus Deutschland symbolisch in die Tonne kehren können. Aktionsgruppen werden in einem Camp zusammenkommen, bei dem frau, man und kind mit Blockaden oder einem „Go-in“ auch zivil ungehorsam sein darf – selbstverständlich gewaltfrei!

Täglich werden Gruppen und Organisationen wie die „Mayors for Peace“, gut beschützt durch die Clownsarmee, begleitet durch Pax Christi und viele andere Aktivisten und Menschen, die einfach einmal vorbeischauen, den Fliegerhorst Büchel umrunden. Jugendliche und Junggebliebene können an einem Workcamp der Friedenswerkstatt Mutlangen teilnehmen. Am Samstag, den 30.8., findet eine Großdemo und Kundgebung statt, zu der mehrere tausend Teilnehmer erwartet werden – unter ihnen auch Nina Hagen und andere Künstler und prominente Atomwaffengegner. (CH)


Weitere Informationen:
www.atomwaffenfrei.de
bye-bye-nuclear-bombs.gaaa.org

Weitere Initiativen:

www.abolition2000.org
www.mayorsforpeace.de
www.europeforpeace.eu


[1] Die Gemeinde Büchel verweist auf ihrer Webseite nicht auf die Initiativen der Atomwaffengegner, sondern lieber unverfänglich zur Feuerwehr, dem Bundeswehr Fliegerclub, dem Junggesellenverein, zu „Rosa’s Dekolädchen“ und zum Club des Action- und Gewaltspiels Counterforce („Einsatz nach eigenen Regeln“). Die nukleare Gefahr, die vom Fliegerhorst ausgeht, wird mit keinem Wort erwähnt.
[2] Tritium ist ein entscheidender Bestandteil bestimmter Kernwaffen. Werden geringe Mengen von rund zwei bis drei Gramm gasförmigen Tritiums in die Waffe eingebracht, kann es die Sprengstoffwirkung um den Faktor zwei bis zehn verstärken. Man spricht hier auch von „Boosting“.
[3] Der US-Senat hob im November 2003 ein zehn Jahre altes Verbot der Entwicklung von Mininukes auf. Seitdem darf wieder experimentiert werden.


Online-Flyer Nr. 144  vom 30.04.2008



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