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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Arbeit und Soziales
Der Angriff auf unsere Seele
Brainfucking
Von Hans-Dieter Hey

Die Begriffe Neoliberalismus oder Globalisierung machen nicht die Methoden deutlich, denen Menschen heute gewaltsam ausgesetzt sind. Die Bedrohung ist größer, als bisher allgemein bewusst wird. Denn der Kapitalismus befindet sich in einer Phase der Zerstörung, die jeden von uns früher oder später ereilen wird. Sie betrifft vor allem alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche. Dies jedenfalls meinen Detlef Hartmann und Gerald Geppert aus Köln.

In ihrem Buch „Cluster – die neue Etappe des Kapitalismus" weisen sie durch umfangreiche Recherchen und Erfahrungsberichte die politisch vorangetriebenen Veränderungen nach, die spätestens seit der „Agenda 2010" in Deutschland gewaltsam durchgesetzt werden. Die wesentlichen inhaltlichen Steps werden durch den Verfasser dieses Artikels in eigenen Worten wiedergegeben.

Neue Dynamik der Ausbeutung

Ziel der neuen Initiativen soll das Auslösen von Wachstums- und Beschäftigungspotentialen sein. Das jedenfalls verkünden die Vertreter dieser „Revolution von oben" wie die Bertelsmann-Stiftung, die Unternehmensberatungen McKinsey oder Roland Berger, die Unternehmerverbände, die unternehmerfinanzierte sogenannte „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) und andere Lobbyisten. So sei das Verständnis von McKinsey als Agentur der schöpferischen Zerstörung die „...Zerstörung des Sozialen und die Unterwerfung unter die Diktate innovativen Unternehmertums, Selbstunternehmertum und Selbstflexibilisierung auf dem Weg zur Wissensgesellschaft", so Hartmann.


Die Suche nach dem Rattenrennen im FAZ-Stellenmarkt: „Die Arbeit verändert sich, sie wird schneller und spezialisierter. Einerseits beklagen die Gewerkschaften einen Rückfall in frühkapitalistische Zeiten...."
Foto: gesicher zeich(ch/g)en


Das ganze funktioniert so: Um gemeinsame ökonomische Interessen zu verfolgen, bilden sich um Bezugspunkte (Cluster) Leistungsträger der verschiedenen Art, die das gleiche Ziel verfolgen. Gerald Geppert analysiert im Buch das Prinzip der Cluster beim Global-Player Volkswagen AG sehr genau. Einstweilen mag das „Automotiv-Cluster Rhein-Main-Neckar" als erklärendes Beispiel dafür stehen. Es besteht – so die Selbstdarstellung – aus starken strategischen Allianzen, regionaler Kooperation, überregionaler Zusammenarbeit und aktiver Information und Kommunikation im Bereich der Automobilwirtschaft. Das hört sich erst mal positiv an, unterlässt aber eine Aussage zu den Menschen, die von Clusterbildung betroffen sind.

Denn hinter diesen modernen „Netzwerkgesellschaften" steckt nichts anderes als eine neue Etappe betriebswirtschaftlicher Rationalisierung durch Senkung von Logistikkosten, Transaktions- oder Lohnkosten mit einer bisher nicht gekannten Dynamik im Vergleich zu den früheren Anpassungsprozessen des „Turnaround" oder des „Change-Management". Das dies alles politisch gewollt ist, machte Dagmar Wöhrl, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, deutlich: „Daher erkennen immer mehr Regionen, dass Clusterbildung ein Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg ist". Offensichtlich macht sich in der Politik niemand Gedanken, dass ihr Handeln deutlich die Züge des Totalitarismus enthält.

Ziel der neueren Attacken sind dabei nicht nur die weitere Verbilligung des „Produktionsfaktors Arbeit" durch Zerschlagung tarifvertraglicher oder betrieblicher Strukturen, sondern auch die verbliebenen Fragmente des Sozialstaats. Aktuell wird dies eindrucksvoll durch den von Angela Merkels vorangetriebenen „Europa-Vertrag" belegt, der das Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes letztlich aufhebt. Um die Zerstörung vorhandener Strukturen auch bei den davon betroffenen Menschen durchzusetzen, wurde mit Unterstützung der meisten Medien ein geistiger Krieg zwischen Alten und Jungen, Armen und Reichen, Leistungsträgern und Sozialschmarotzern, Ausländern und Deutschen, Pisa-Geschädigten und Lernwilligen oder Siegern und Verlierern und damit letztlich unwertem und ökonomisch wertem Leben entfacht. So dient auch die Debatte um den „Krieg der Generationen" allein dem Zweck, ein „geistiges Fundament" für die weitere Zerschlagung des sozialstaatlichen Zusammenhalts zu etablieren.

„Schöpferische" Zerstörung von Menschen

Alle Methoden psychologischer Indoktrination werden genutzt, damit auch die davon Betroffenen selbst sich an diesem Prozess der „schöpferischen Zerstörung" beteiligen. Detlef Hartmann: „Sie sollen den Prozess schöpferischer Zerstörung selbst mit betreiben, um ihn in der Erschließung ihrer eigenen Kreativität, Wünsche, Begehren im Sinne der Steigerung der Produktivität zu dynamisieren." Selbstfindungsprozesse, Selbstvermarktung, Selbstaktivierung, neurolinguistische Programmierung, gruppendynamische Arbeit, Rankings, Coaching oder Selbstbeurteilung – alle Methoden der Beeinflussung werden angewandt, um Menschen in ein „Personal Mastery" hineinzutreiben und sie so ausschließlich ökonomischer Verwertbarkeit zuzuführen.

Bei dieser Form moderner Abrichtung soll eine Meisterleistung unter völliger Aufopferung der persönlichen Eigenständigkeit im Sinne einer gewollten Persönlichkeitsgestaltung und -veränderung herauskommen. Peter M. Senge schreibt dazu in seinem Buch „Die fünfte Disziplin": „Das sind die Gründe, weshalb Personal Mastery eine Disziplin sein muss. Man muss seine wahren Ziele, seine eigenen Visionen in einem kontinuierlichen Prozess klären und immer wieder neu klären." Die Persönlichkeit des Menschen, seine Identität und sein Intimbereich werden zum „Target", zum Ziel dieser Attacken erklärt. Es findet eine Gehirnwäsche sondergleichen statt, die mit dem hässlichen englischen Wort „Brainfucking" gut beschrieben werden kann. Dabei ist – so Detlef Hartmann „der Zugriff total und gewaltsam. Die Gängelung, die Qualen des Maßregelungsterrors und der Partizipationszwänge, an die die staatlichen Leistungen geknüpft sind, sind keine bloße Schikane oder Vehikel rein finanzieller Kürzung".

In einem Aufsatz beschreibt Alex Demorovic (Butterwegge/Lösch/Plak: Neoliberalismus, 2008) die Veränderung in allen Gesellschaftsbereichen: „Alle, vom Kleinkind bis zum Rentner, vom Kindergarten über die Hochschule bis zum Wasserwerk, sollen sich unternehmerisch verhalten, sollen im Wettberwerb die Erstplatzierten und Exzellenten, niemand und nichts darf einfach nur gut sein". Im Rattenrennen Jeder gegen Jeden bleiben viele auf der Strecke durch die eigene „schöpferische Zerstörung".


Ende einer Dienstfahrt
Quelle: softanarcho
Und möglicher Widerstand wird notfalls mit Gewalt gebrochen. Damit die gewünschten Veränderungen auch von den Widerspenstigen angenommen werden, werden sie mit dem Druckmittel der gesellschaftlichen Ausgrenzung, des Verlustes der Existenzgrundlage durch Erwerbslosigkeit, Hartz IV oder der Prekarisierung ihres Arbeitsverhältnisses gnadenlos durchgesetzt. In allen Bereichen kann der Angriff auf die Gesellschaft verortet werden. Beispielsweise das „Target" Hochschule. Die Isolation und Vereinzelung der Lernenden zum „unternehmerischen Studenten" oder zum „unternehmerischen Schüler", die Verschulung der Universitäten, die Unterwerfung durch Selbstkontrolle, die Einführung fragwürdiger „Rankings", die „Erziehung zu mehr Eigenverantwortung" oder die Bildung von Exzellenzclustern im Inneren der Hochschulen tragen – so Hartmann – zur „Zertrümmerung des kollektiven Charakters von Lehren, Lernen, Diskursen bei". Auch Erwerbslose werden zum „Target" durch das Fallmanagement der Arbeitsagenturen, in dem sie sich gänzlich in erzwungenen „Profilings" und manchen „Bewerbungstrainings" bis auf ihr Innerstes entblößen müssen, ständig in der Gefahr des Kürzens existenzieller Lebensgrundlagen.

Enthumanisierung der Gesellschaft

Übrig bleiben immer mehr psychisch angeschlagene, depressive oder ausgebrannte Menschen, gebrandmarkt als „unwert", nämlich behaftet mit „Krankheiten der Unzulänglichkeit" oder des „schuldhaften Fehlverhaltens", so Detlef Hartmann. Die Burnout-Epidemie der letzten Jahre macht drastisch deutlich, welche verheerenden Wirkungen die neuen Management-Formen haben können. Detlef Hartmann zitiert hierzu den Wissenschaftler A. Ehrenberg: „Betrachtet man das Burnout psychodynamisch, so liegen der zugrunde liegenden Selbstüberforderung zwar nicht zuletzt unbewältigte, im Rahmen der individuellen Biografie erworbene Muster zugrunde. Emotionale Erschöpfung ist durch Niedergeschlagenheit, Hilfs- und Hoffnungslosigkeit bis hin zum Suizid gekennzeichnet. Die negative Einstellung im Hinblick auf das Selbst, die Arbeit und das Leben im Allgemeinen. Darunter fällt auch die Tendenz zu Dehumanisierung."

Das Buch von Detlef Hartmann und Gerald Deppert ist nicht einfach zu lesen. Es kommt gerade noch zur rechten Zeit, um den Menschen die Augen für das zu öffnen, dem sie gerade jetzt gewaltsam ausgesetzt sind. (HDH)











Hartmann/Geppert:
Cluster –
Die neue Etappe des Kapitalismus

erschienen im April 2008 im Assoziadtion A Verlag, Berlin,
224 Seiten
ISBN 978-3-935936-62-0
14,00 Euro





Online-Flyer Nr. 144  vom 30.04.2008



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