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Kultur und Wissen
68 und die Folgen – im Blickwinkel von Günter Zint
„Träume geben Kraft zum Kämpfen“
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

„Wir hatten millionenfache Träume in den aufregenden Sechziger Jahren", sagt der Fotograf Günter Zint als einer, der seinen Ideen treu geblieben und für die Verwirklichung seiner Träume bis heute eingetreten ist. Der Mensch Günter Zint ist einer der glaubwürdigen Vertreter des Aufbruchs der 68er Bewegung, die mit dem nahtlosen Übergang von der NS-Bürokratie und den von ihr produzierten Notstandsgesetzen  aufräumen wollte. Kampf dem Vietnam-Krieg, Kampf den Diktaturen in Europa, lauteten die Forderungen. Die eindrucksvollen Fotografien von Günter Zint sind in der Galerie Arbeiterfotografie zu sehen. Am 17. April steht Zint für Fragen zur Verfügung.

Vor vierzig Jahren, im April 1968, einen Tag vor seiner Ermordung, der Drohungen vorausgingen, sprach der schwarze Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King über seinen Versuch, den Amerikanern seinen Traum von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit nahezubringen („To tell America about a dream that I had had“). Er habe auf der Spitze des Berges gestanden und – in Vorausahnung seines Todes – das „Gelobte Land“ gesehen. Am 4. April 1968 war die legendäre Persönlichkeit ML King ausgeschaltet. Denn Träumer werden erschlagen. „Lasst uns den Träumer erschlagen, dann werden wir sehen, was aus seinen Träumen wird“ (1. Mose 37,20). So lautet die Inschrift in Memphis, Tennessee, am Tatort.


Berlin, 1968 (in der Mitte der heute rechtsradikale Horst Mahler)

„Hätte mir in den 60er Jahren jemand erzählt, dass in den Neunziger Jahren wieder Minderheiten gejagt und getötet werden und dass faschistische Parteien wieder Zulauf haben und Kriege mitten in Europa toben, ich hätte ihm geraten, nicht so miese Trips einzuwerfen und seinen Dealer zum Teufel zu jagen“, wettert Günter Zint im waschechten Milieu-Jargon, denn bürgerliche Anpassung steht bei dem heute 66jährigen nicht mehr zu befürchten. „Hätte mir in den Siebziger Jahren jemand erzählt, dass am Anfang des neuen Jahrtausend weltweit wieder Kriege toben, und die Amerikaner aus Vietnam nichts gelernt haben, ich hätte ihm nicht geglaubt.“

Traum- und Medienindustrien sind seit dem 20. Jahrhundert damit befasst, den Menschen einzugeben, wovon es sich zu träumen lohnt. Und nicht von ungefähr starteten die 68er ihre Attacken gegen die Springer-Presse. „Im Ergebnis können die Massenmedien bis heute mit einem im wesentlichen unerschütterlichen Vertrauen der Betrachter von Fotos in ihren Wahrheitsgehalt rechnen. Im Ergebnis... hat sich die Kulturindustrie in den fotografischen Abbildern eines der vielseitigsten Instrumente zur Desorientierung über deren eigene Bedürfnisse geschaffen“, konstatiert der 1976 mit Berufsverbot aus dem öffentlichen Lehrbetrieb verbannte Kunsthistoriker Richard Hiepe. Als Herausgeber der „Tendenzen“ und als Münchner Galerist war Hiepe einer der ersten, der die Fotografie – besonders die von Günter Zint – in seinen Kunstbetrieb mit aufnahm.


Berlin, 1968

Wie die heutige Presse mit der Geschichtsaufarbeitung umgeht, wird ringsum offenbar. Eines der erschreckendsten Beispiele ist das Pamphlet eines Götz Aly, der die Ansprüche der intellektuellen 68er Bewegung – unter anderem in der ehemals angesehenen Frankfurter Rundschau – ausladend pervertiert. Pervertieren, banalisieren, sexualisieren, kriminalisieren, diffamieren, torpedieren, exekutieren, infiltrieren: Es sind mehrere Todesstöße zu beobachten, die der 68er Protestbewegung versetzt werden sollten und sollen, heute im nachhinein, um die Ideen dauerhaft zu diskreditieren, und damals auf dem Höhepunkt, um die Bewegung selbst unschädlich zu machen.

„Die rebellierenden Studenten sollen mit geheimdienstlichen Mitteln bekämpft werden: Agenten und V-Männer sollten eingeschleust werden, um die Steuerung der Protestbewegung zu übernehmen. Die in diesen Dingen erfahrenen Behörden der USA entwickeln für solche Fälle gar ein Handbuch: das „Field Manual 30-31“, insbesondere den Anhang B. [...] Dieser Anhang zum „Field Manual 30-31“ der US-Armee ist vermutlich nichts anderes als das wahre Gründungsdokument der RAF: In die Protestbewegung eingeschleuste Provokateure sollten gewalttätige oder nicht gewalttätige Aktionen durchführen, um durch „die Behörden des Gastlandes (also zum Beispiel die Bundesregierung) Gegenmaßnahmen zu provozieren“, schreibt in seiner Studie „Verschlußsache Terror, wer die Welt mit Angst regiert“ der Politologe Gerhard Wisnewski, der im Herbst im Rahmen der 68er-Veranstaltungsreihe nach Köln kommen wird.


Berlin, 1968

Die fundierte 68er Protestbewegung war als eine öffentliche Kraft an den kontrollierbaren Medien vorbei zu fürchten. Im Februar 2003 befand die New York Times im Vorfeld des sich anbahnenden Irak-Krieges, dass es jetzt zwei Supermächte auf der Erde gäbe: Die USA und die öffentliche Meinung der Welt. Präsident Bush finde sich nun Auge in Auge mit einer hartnäckigen Widersacherin, nämlich der weltweiten Antikriegsbewegung, wieder.

Viele ProtagonistInnen wurden ihrer Träume und Hirne beraubt. Viele – nicht allein Martin Luther King und Benno Ohnesorg – wurden real exekutiert. Dennoch – so sagte es die damals 75jährige US-amerikanische Feministin und emeritierte Professorin Jean Grossholtz im Jahre 2004 auf einem Deutschlandbesuch: „Alle für die Menschen wichtigen Bedürfnisse wurden nicht im Parlament, sondern auf den Straßen erkämpft.“ (CH)


Günter Zint 1941 geboren – wurde bekannt durch Fotos im Hamburger Star-Club, durch Standfotos zum Film mit John Lennon: „Wie ich den Krieg gewann – 1969“. Er ist Mitbegründer der linken Boulevardzeitung St. Pauli-Nachrichten, die sich nach ihrem Verkauf (1971) zur Sexpostille entwickelte – arbeitete für illustrierte Magazine, APO-Press, Gewerkschaften, wirkte in der Antiatom- und Ökologie-Bewegung mit. Sein fotografisches Spektrum reicht von der Musikszene, Zeitgeschehen, Kiez-Fotos, bis zu Akt und Erotik. Seit 1961 trug er mit Fotos zu Undercover-Reportagen des Journalisten Günter Wallraff bei, wirkte an der Gründung des DOK-Verbandes gegen die digitale Manipulierbarkeit von Dokumentar-Fotografien mit und betreibt mit Hinrich Schultze und Marily Stroux das Pan-Foto-Archiv, das heute die Bestände der 1966 gegründeten Pan-Foto-Agentur verwaltet. Günter Zint war und ist in zahlreichen Buch- und Ausstellungsprojekten vertreten, zuletzt „ZintStoff – 50 Jahre deutsche Geschichte“.


Ausstellung bis 25. April 2008
Galerie Arbeiterfotografie
Merheimer Straße 107, 50733 Köln-Nippes
Tel. 0221 727 999
Mi/Do 17-20 Uhr, Sa. 10-14 Uhr

Do, 17. April 2008 – 17 Uhr/19.30 Uhr
ZINT kommt! und stellt das Buch „ZintStoff – 50 Jahre deutsche Geschichte“ vor Kurt Holl liest aus der Neuerscheinung von „1968 am Rhein“ (2008 emons)

Fr. 25. April, 19.30 Uhr
Finissage mit Klaus der Geiger
Wolfgang Bittner liest aus „Der Aufsteiger“, Neuauflage 2008 im Horlemann-Verlag

Mehr Informationen unter: www.arbeiterfotografie.com/68



John Lennon als Soldat bei den Dreharbeiten zum Antikriegsfilm „How I Won the War", Lüneburger Heide, 1966




Golden Girls, 1965




Berlin, 1968 - aus einer Reihe von APO-Polit-Postkarten 1967/68




Springer-Blockade, 1968



Berlin, 1968




Der „Schnulzenkönig" vom Kiez (Hundert Mann und ein Befehl – Der Junge von St. Pauli – Tulpen aus Amsterdam): Ernst Bader, Hamburg, St. Pauli, 1965 (+ 1999)




Putzfrau Berta




Kampf um die Bäume auf dem Gelände des Zwischenlagers für Atommüll, Gorleben, 1979




Atomkraftwerk Brokdorf, 1985

Online-Flyer Nr. 140  vom 02.04.2008



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