SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Kultur und Wissen
Der Fern-Seher - Folge 7
Mattscheibenkleister
Von Ekkes Frank
Manchmal wundern sich welche: Wie? Du hast wirklich keinen Fernsehapparat? Nein, sage ich, wozu auch? Kopfschütteln: aber man muss sich doch informieren! Auf dem "Stand der Dinge" sein. Und gelegentlich gibt es doch auch ganz schöne Filme. Das stimmt. Dafür gehe ich dann ins Kino. Da ist das Bild auch größer und der Ton besser. Ja gut, schon richtig. Aber wie gesagt: die Nachrichten!
Manchmal melden sich dann leise Zweifel in mir: sollte ich vielleicht doch...? Aber eigentlich lese ich ja lieber. Nicht nur Zeitung, vor allem auch Bücher. Auch Sachbücher. Und siehe da: eine Freundin schickt mir das Fischer-Taschenbuch "MattScheibe" von Jürgen Bertram. Ich lese, und die Zweifel verstummen: hier ist auf mehr als 200 Seiten ein Grund nach dem anderen, nicht mehr fernzusehen. Und zwar eben auch in der BRD, also nicht bloß hier in Italien auf Berlusconiveau.
Jürgen Bertram, seit fünf Jahren in Pension, kennt den Betrieb wie nur wenige. Als Autor, Redakteur und Asienkorrespondent hat er jahrzehntelang für "Das Erste" gearbeitet. Und was er in seinem Buch darlegt, ist der anhand zahlloser Beispiele nachvollziehbare Niedergang dieser Institution. Und zwar gerade auch auf ihrem ureigensten Gebiet, der Information, zu dem die ARD-Anstalten in den jeweiligen Staatsverträgen verpflichtet sind. Nicht erst, seit es "die Privaten" gibt (die man zutreffender "die Kommerziellen" nennen sollte).
Was der Hörfunk schon vorauseilend umgesetzt hat, gilt als Devise auch fürs TeVau: im Sturzflug hinunter zum Dudelfunk. Schlimm daran ist, dass man als ZuschauerIn das Nachrichtenangebot normalerweise nicht kennt, aus dem die Redaktionen ihre Meldungen auswählen. Man glaubt also, heute ist mal wieder nix passiert, nix Wichtiges, Aufregendes, wenn etwa die "Tagesthemen" als Aufmacher die Reaktion der italienischen Fußballfans auf das Ausscheiden ihrer Mannschaft bei der EM bringen. Dass am gleichen Tag (22.6.2004) im Irak, in Tschetschenien, in Dresden berichtenswerte Dinge geschehen sind, bleibt einem verborgen (dies nur ein Beispiel von Jürgen Bertram, S. 189 f.). Und schlimm ist vor allem, dass man sich informiert glaubt, wenn man die Nachrichtensendung angesehen hat.
Klar wird in dem Buch außerdem, dass daran Schuld nicht (nur) die Unfähigkeit und die rapide zunehmende Inkompetenz der Fernseh-Macher (auf allen Ebenen, vom Intendanten bis zum Freien Mitarbeiter) ist, sondern dass es massive Interessen sind, die diese Veränderungen angestoßen, vorangetrieben und verwirklicht haben: politische, aber vor allem auch wirtschaftliche Interessen. Das Pilatus-Argument: die Leute wollen es doch so, man kann ihnen Anderes (Intellektuelleres, "Schwereres") nicht zumuten. Aus meiner eigenen Geschichte bei den Medien ein Gegenbeispiel:
Als ich in den frühen 70er Jahren beim SDR-TV arbeitete, lehnte die Unterhaltungsredaktion Loriot ab: zu hoch, nix für die breite Masse. Der Mann ging in die Abteilung Dokumentation (die damals noch hochklassig war: "Notizen vom Nachbarn", "Polizeistaatsbesuch" z.B.) - und weil die Leute dort merkten, was in dem Angebot von Herrn von Bülow steckte, griffen sie zu. Loriot wurde also entgegen der Fürsorge der Unterhaltungsmacher ein Publikumsrenner...
Wenn in unseren Tagen dann eine Sendung wie "Sabine Christiansen" von einem Spitzenpolitiker wie Friedrich Merz so beglückwünscht wird: "Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mittlerweile mehr als der deutsche Bundestag" (Bertram, S. 185) - dann ist auf der nach unten offenen Debiltätsskala ein neuer Rekord erreicht. Sozusagen die Big Sister als Alternativprogramm zu Big Brother, 7. Staffel.
Übrigens: nicht nur die Informationssendungen (Tagesschauen, Tagesthemen, Politmagazine, Brennpunkte usw.) gehen diesen Weg - auch die Unterhaltung (die Machtergreifung der Volksmusik, die Vorabendserienschwemme, die endlosen Liveübertragungen der Karnevalssitzungen - gefährliche Körperverletzung am laufenden Band - und jetzt kommt noch der Tsunami der Telenovelas).
Unser Fern-Seher
Foto: NRhZ-Archiv
Manchmal wundere ich mich: Wie? Ihr habt wirklich noch einen Fernseh-Apparat? Und ich schüttele den Kopf. Und wenn ihr fragt, warum, dann empfehle ich - beispielsweise - dieses Buch von Jürgen Bertram. Mit dem ich übrigens in einem Punkt nicht übereinstimme: er hält eine Umkehr für möglich, zurück zu jenen Grundsätzen und Haltungen, die nach Ende des 2. Weltkriegs bei der Zulassung des NWDR (später auf Adenauers Betreiben dividiert in NDR und WDR) durch die Briten galten. Tut mir leid: das halte ich nicht für möglich. Die Wüste wächst - auch in Form von Mattscheibenkleister.
Online-Flyer Nr. 27 vom 17.01.2006
Der Fern-Seher - Folge 7
Mattscheibenkleister
Von Ekkes Frank
Manchmal wundern sich welche: Wie? Du hast wirklich keinen Fernsehapparat? Nein, sage ich, wozu auch? Kopfschütteln: aber man muss sich doch informieren! Auf dem "Stand der Dinge" sein. Und gelegentlich gibt es doch auch ganz schöne Filme. Das stimmt. Dafür gehe ich dann ins Kino. Da ist das Bild auch größer und der Ton besser. Ja gut, schon richtig. Aber wie gesagt: die Nachrichten!
Manchmal melden sich dann leise Zweifel in mir: sollte ich vielleicht doch...? Aber eigentlich lese ich ja lieber. Nicht nur Zeitung, vor allem auch Bücher. Auch Sachbücher. Und siehe da: eine Freundin schickt mir das Fischer-Taschenbuch "MattScheibe" von Jürgen Bertram. Ich lese, und die Zweifel verstummen: hier ist auf mehr als 200 Seiten ein Grund nach dem anderen, nicht mehr fernzusehen. Und zwar eben auch in der BRD, also nicht bloß hier in Italien auf Berlusconiveau.
Jürgen Bertram, seit fünf Jahren in Pension, kennt den Betrieb wie nur wenige. Als Autor, Redakteur und Asienkorrespondent hat er jahrzehntelang für "Das Erste" gearbeitet. Und was er in seinem Buch darlegt, ist der anhand zahlloser Beispiele nachvollziehbare Niedergang dieser Institution. Und zwar gerade auch auf ihrem ureigensten Gebiet, der Information, zu dem die ARD-Anstalten in den jeweiligen Staatsverträgen verpflichtet sind. Nicht erst, seit es "die Privaten" gibt (die man zutreffender "die Kommerziellen" nennen sollte).
Was der Hörfunk schon vorauseilend umgesetzt hat, gilt als Devise auch fürs TeVau: im Sturzflug hinunter zum Dudelfunk. Schlimm daran ist, dass man als ZuschauerIn das Nachrichtenangebot normalerweise nicht kennt, aus dem die Redaktionen ihre Meldungen auswählen. Man glaubt also, heute ist mal wieder nix passiert, nix Wichtiges, Aufregendes, wenn etwa die "Tagesthemen" als Aufmacher die Reaktion der italienischen Fußballfans auf das Ausscheiden ihrer Mannschaft bei der EM bringen. Dass am gleichen Tag (22.6.2004) im Irak, in Tschetschenien, in Dresden berichtenswerte Dinge geschehen sind, bleibt einem verborgen (dies nur ein Beispiel von Jürgen Bertram, S. 189 f.). Und schlimm ist vor allem, dass man sich informiert glaubt, wenn man die Nachrichtensendung angesehen hat.
Klar wird in dem Buch außerdem, dass daran Schuld nicht (nur) die Unfähigkeit und die rapide zunehmende Inkompetenz der Fernseh-Macher (auf allen Ebenen, vom Intendanten bis zum Freien Mitarbeiter) ist, sondern dass es massive Interessen sind, die diese Veränderungen angestoßen, vorangetrieben und verwirklicht haben: politische, aber vor allem auch wirtschaftliche Interessen. Das Pilatus-Argument: die Leute wollen es doch so, man kann ihnen Anderes (Intellektuelleres, "Schwereres") nicht zumuten. Aus meiner eigenen Geschichte bei den Medien ein Gegenbeispiel:
Als ich in den frühen 70er Jahren beim SDR-TV arbeitete, lehnte die Unterhaltungsredaktion Loriot ab: zu hoch, nix für die breite Masse. Der Mann ging in die Abteilung Dokumentation (die damals noch hochklassig war: "Notizen vom Nachbarn", "Polizeistaatsbesuch" z.B.) - und weil die Leute dort merkten, was in dem Angebot von Herrn von Bülow steckte, griffen sie zu. Loriot wurde also entgegen der Fürsorge der Unterhaltungsmacher ein Publikumsrenner...
Wenn in unseren Tagen dann eine Sendung wie "Sabine Christiansen" von einem Spitzenpolitiker wie Friedrich Merz so beglückwünscht wird: "Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mittlerweile mehr als der deutsche Bundestag" (Bertram, S. 185) - dann ist auf der nach unten offenen Debiltätsskala ein neuer Rekord erreicht. Sozusagen die Big Sister als Alternativprogramm zu Big Brother, 7. Staffel.
Übrigens: nicht nur die Informationssendungen (Tagesschauen, Tagesthemen, Politmagazine, Brennpunkte usw.) gehen diesen Weg - auch die Unterhaltung (die Machtergreifung der Volksmusik, die Vorabendserienschwemme, die endlosen Liveübertragungen der Karnevalssitzungen - gefährliche Körperverletzung am laufenden Band - und jetzt kommt noch der Tsunami der Telenovelas).
Unser Fern-Seher
Foto: NRhZ-Archiv
Manchmal wundere ich mich: Wie? Ihr habt wirklich noch einen Fernseh-Apparat? Und ich schüttele den Kopf. Und wenn ihr fragt, warum, dann empfehle ich - beispielsweise - dieses Buch von Jürgen Bertram. Mit dem ich übrigens in einem Punkt nicht übereinstimme: er hält eine Umkehr für möglich, zurück zu jenen Grundsätzen und Haltungen, die nach Ende des 2. Weltkriegs bei der Zulassung des NWDR (später auf Adenauers Betreiben dividiert in NDR und WDR) durch die Briten galten. Tut mir leid: das halte ich nicht für möglich. Die Wüste wächst - auch in Form von Mattscheibenkleister.
Online-Flyer Nr. 27 vom 17.01.2006