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Aktueller Online-Flyer vom 18. April 2024  

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Inland
Erfolg deutscher Geheimdienstagenten beim US-Überfall auf Irak
Zurück blieben Tote
Von Hans Georg

Die Bundesrepublik Deutschland hat am Angriffskrieg gegen den Irak teilgenommen und damit zum zweiten Mal binnen weniger Jahre Verbrechen gegen die UN-Charta begangen. Wie im Fall der völkerrechtswidrigen Bombardierung Jugoslawiens wurde der Bruch internationaler Verträge und der deutschen Verfassung auch im Irak unter der Regierung Schröder-Fischer vollzogen. Die unmittelbare Beteiligung an den Gewaltoperationen ergibt sich aus Einlassungen des Staatssekretärs im Innenministerium und früheren Chefs der deutschen Auslandsspionage (BND), Dr. August Hanning. Hanning hat die kriegswirksame Tätigkeit mehrerer deutscher Agenten eingeräumt.

Die Zuarbeit des Bundesnachrichtendienstes für den US-Überfall war wegen jahrzehntelanger Geheimdienstkooperationen möglich und bediente sich exklusiver Verbindungen. Die deutsche Auslandsspionage sei in der Ausforschung der arabischsprachigen Staaten ihren westlichen Partnerdiensten nach wie vor weit überlegen, heißt es unter Geheimdienstexperten. Das herausragende Wissen des BND beruht auf Traditionslinien, die bis in den Ersten Weltkrieg zurückreichen und nach 1945 zur Revitalisierung alter NS-Verbindungen führten.

Lohnende Bombenziele

Betroffen ist neben dem Irak auch Syrien, ein weiteres Objekt westlicher Umsturzdrohungen. Die Zuliefer-Tätigkeit des BND für die Invasionstruppen der USA und ihrer Verbündeten ist von der deutschen Geheimdienstzentrale inzwischen grundsätzlich zugegeben worden. Bei den eingestandenen BND-Aktivitäten handelt es sich um die Eingrenzung lohnender Bombenziele durch Ausgrenzung anderer Objekte. Die Verantwortlichen möchten glauben machen, bei ihrer Fokussierung des Bombengeschehens habe es sich um eine Art humanitärer Zielsteuerung gehandelt. Presseberichten zufolge wirkten deutsche Spione in Bagdad nicht nur indirekt, sondern auch direkt an der Bestimmung von Angriffszielen mit. Besonders schwerwiegend ist der Vorwurf, BND-Mitarbeiter wären an der Vorbereitung eines fehlgeschlagenen Angriffs auf den damaligen Staatspräsidenten des Irak beteiligt gewesen. Auch Truppenbewegungen und Verteidigungsstellungen der irakischen Streitkräfte sollen von den deutschen Agenten über die BND-Zentrale und Dritte an das US-Militär weitergeleitet worden sein. [1]

Wie US-Quellen bereits vor mehreren Monaten berichteten, haben deutschen Spionage-Stellen schon in der Eröffnungsphase des Krieges zur Legitimation des Überfalls beigetragen. Maßgeblich dadurch konnte es zur Täuschung der UNO-Vollversammlung kommen [2]; die politisch Verantwortlichen sind weiterhin in Spitzenpositionen tätig und arbeiten heute im Innenministerium (August Hanning), in der Führung des Spionageapparats (Ernst Uhrlau, damals Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt) sowie im Auswärtigen Amt (Frank-Walter Steinmeier, damals Beauftragter der Bundesregierung für die Nachrichtendienste). [3]

Anleitung bei Kampfgasen


Die exklusiven Erkenntnisse des BND, die die deutsche Geheimdienstzentrale den US-Invasionstruppen direkt oder über Dritte zur Verfügung stellte, beruhen auf einer jahrzehntelangen und engen Zusammenarbeit des deutschen Dienstes mit der Regierung des Irak. Nach undementierten Berichten hat der damalige BND-Präsident und spätere Außenminister Klaus Kinkel bereits im Sommer 1979 die Ausbildung irakischer Agenten in der Bundesrepublik in die Wege geleitet sowie der Regierung in Bagdad persönliche Daten irakischer Oppositioneller übergeben.[4] Kinkel bot später außerdem Rüstungslieferungen sowie die Ausbildung irakischer Polizisten an. [5] Allein die vom BND angeleitete Firma Telemit exportierte Militärgüter im Wert von rund 100 Millionen DM in den Irak; mehr als die Hälfte aller ausländischen Unternehmen, die während der 1980er Jahre zur Aufrüstung des Irak beigetragen hatten, stammten aus der Bundesrepublik. [6] Irakische Polizisten wurden im Jahr 1982 in Deutschland instruiert; die Maßnahmen umfassten auch Anweisungen zur "Anwendung verschiedener Arten von Kampfgasen". [7]

Syrien vorsichtiger geworden


Nach Auskunft des Geheimdienst-Experten Erich Schmidt-Eenboom gegenüber german-foreign-policy.com war der deutsche Auslandsgeheimdienst "bei den nachrichtendienstlichen Kontakten zur arabischen Welt (...) immer weit besser als die Amerikaner oder auch als europäische Konkurrenten". [8] Die Kontakte betreffen unter anderem Syrien, in dessen Hauptstadt der BND im Jahr 1989 eine Legalresidentur etablierte. Wie Schmidt-Eenboom berichtet, ist man in Syrien nach dem jüngsten US-Überfall auf den Irak bei der Geheimdienstkooperation mit den Deutschen "vorsichtiger" geworden - das behinderte freilich die vertrauensvolle Zusammenarbeit im Zuge der Folterhaft des Deutschen Haydar Zammar nicht. Zammar, der in einem syrischen Gefängnis sitzt, ist dort im Jahr 2002 von deutschen Geheimdiensten vernommen worden.

"Berater für Judenfragen"

Die bundesrepublikanische Geheimdienstkooperation mit Damaskus reicht bis in die 1950er Jahre zurück. Zu diesem Zeitpunkt entzog sich der ehemalige SS-Obersturmbannführer Alois Brunner, der für den Massenmord an europäischen Juden unmittelbar verantwortlich ist, mit Unterstützung des deutschen Spionagechefs Reinhard Gehlen der Strafverfolgung durch Flucht nach Syrien. Dort wurde Brunner als Geheimdienstexperte für den Nahen Osten tätig. Brunner beteiligte sich innerhalb des BND-Vorläufers "Organisation Gehlen" auch am Aufbau des ägyptischen Geheimdienstes. [9] In Syrien galt er zeitweise als "Berater für Judenfragen". [10]

Pendelverkehr Bagdad - Kabul

Brunners Entrée in die nahöstliche Agentenszene folgte der Einzug deutscher Geheimdienstmitarbeiter in praktisch sämtliche arabischen Staaten. Die Arbeit in Bagdad galt lange Zeit als schwierig, da das irakische Baath-Regime selbstbewusster auftrat als seine syrische Variante und den Systemkampf besser zu nutzen wusste: Zeitweise operierten in Bagdad die Geheimdienste beider deutscher Staaten parallel und hielten sich gegenseitig in Schach. Sofern die BND-Tätigkeit in der irakischen Hauptstadt reduziert werden musste oder zu einem vollständigen Rückzug der Agenten führte, wichen die deutschen Spionagebehörden unter anderem nach Afghanistan aus - so auch während der heutigen Besatzung. Der Pendelverkehr zwischen Bagdad und Kabul ist legendär und dürfte angesichts der jetzt bekannt gewordenen Tatsachen zunehmen.

Alter Stützpunkt Afghanistan

Alternierende Stützpunkte in Bagdad und Kabul gehören zum üblichen Operationstableau der deutschen Auslandsspionage. Bereits 1917 flohen deutsche Agenten aus der unsicher gewordenen irakischen Hauptstadt nach Afghanistan, wo sie - wie heute - dem Kriegsgeschäft nachgingen. Aufgabe der Gruppe um Ritter Oskar von Niedermayer war die Aufstachelung der afghanischen Führung, die zum heiligen Krieg gegen Russland und Großbritannien bewegt werden sollte. Die anti-koloniale Attitüde der Deutschen, die sich als Freiheitsfreunde und Gegner des westlichen Eroberungskampfes ausgaben, trug ihnen erhebliche Sympathien ein; sie nutzten sie nach Ende der Kriegsereignisse. Ab 1920 wurde die Berliner Agententätigkeit im Schatten ziviler Projekte ausgeweitet und zog Abgänger der deutschsprachigen Oberrealschule "Maktab al Nedschat" heran. Das 1924 gegründete Institut brachte es 1938 auf über 900 afghanische Schüler, aus denen V-Leute und Perspektivagenten rekrutiert wurden. Über ihre abschließende Eignung entschieden Studienaufenthalte in Berlin. Weiteres heimisches Agentenpersonal bezog das NS-Regime von der deutsch geführten Generalstabsschule in Kabul, die eine afghanische Polizeischule ergänzte - unter Leitung eines deutschen Polizeimajors.

"Teheran-Connection"

Teile des afghanischen Agentennetzes blieben auch nach 1945 intakt und bildeten den Grundstock der Spionagezange, die im Westen von Damaskus, im Osten von Kabul aus operierte und Bagdad umfasste. Mit der Teheran-Connection, die unter Schah Reza Pahlevi blühte und den berüchtigten Geheimdienst SAVAK zum Partnerdienst des BND machte, konnte das BND-Tableau zu einem Dreieck erweitert werden: Damaskus-Teheran-Kabul. Trotz wechselnder Herrschaftskonjunkturen in Zentralasien und im Mittleren Osten verfügte die deutsche Auslandsspionage damit über logistische Fähigkeiten, die sie bei Planung und Durchführung des Überfalls auf den Irak zu einem begehrten Dienstleister machte. Keiner der Angreifer hatte historische Beziehungen wie Berlin vorzuweisen; keiner konnte die Angriffsopfer derart täuschen, da man in Bagdad weiterhin an den anti-kolonialen und anti-westlichen Grundzug der deutschen Politik glaubte.

Osthoff-Einsatz gescheitert

Wie der durch Geiselnahme gescheiterte Einsatz der angeblichen Archäologin Susanne Osthoff zeigte, ist das Trugbild einer deutschen Außenpolitik, die sich der altruistischen Friedensliebe verpflichtet, in den arabischen Staaten noch immer lebendig. [11] Von diesem Mythos hat die deutsche Spionage bereits im Fall Osthoff profitiert; schwerwiegender und für die Betroffenen fürchterlich war die Täuschung, die der irakischen Bevölkerung am Vorabend des Überfalls angetan wurde, als man in Bagdad den Verbleib deutscher Geheimdienstagenten hinnahm. Zurück blieben Tote.


[1] Kampfhilfen aus Pullach; Süddeutsche Zeitung 13.01.2006. BND meldete den Amerikanern auch Truppenbewegungen; Spiegel Online 14.01.2006
[2] s. dazu Bloßgestellt
[3] s. dazu Straflosigkeit und Eskalation
[4] Bundestags-Drucksache 13/4374 vom 17.04.1996
[5] Erich Schmidt-Eenboom: Schnüffler ohne Nase. Der BND - die unheimliche Macht im Staate, Düsseldorf 1993
[6] s. dazu Deutschland: Bedeutendster Waffenlieferant des Irak und "Gängige Kaliber
[7] Der Exportweltmeister als Todeshändler. Die Beteiligung der Bundesrepublik an der Aufrüstung des Irak; epd-Entwicklungspolitik 15/2002
[8] s. dazu Interview mit Erich Schmidt-Eenboom
[9] s. dazu Ankerland
[10] Georg Hafner, Esther Schapira: Die Akte Alois Brunner, Frankfurt am Main 2000
[11] s. dazu Rückzugsgebiet und Lügen

Weitere Informationen finden Sie unter:
http://www.german-foreign-policy.com




Online-Flyer Nr. 27  vom 17.01.2006



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