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Lokales
Gedenken an Sinti im Kreis Merzig-Wadern (Saarland)
„Zigeuner“ oder „Künstler“?
Von Rüdiger Benninghaus

Merzig ist eine Kreisstadt im Saarland und wurde in den Medien bisher durch das am Überfall auf Jugoslawien beteiligte Luftlandebataillon der „Saarland- brigade“, durch das Wolfsgehege eines ehemaligen Soldaten und durch die AKTION 3.WELT SAAR im benachbarten Dorf Monheim bekannt. Rüdiger Benninghaus berichtet über Sinti in Merzig – im monatlichen Rundbriefes „Nevipe“ („Neuigkeiten“) des Kölner Rom e.V. – Die Redaktion.
 
Eine der beiden damals noch existierenden Zeitungen der an der Saar gelegenen Kreisstadt Merzig, die Merziger Zeitung, berichtete am 13. Januar 1892 (38.Jg., No.6): „Seit einigen Tagen hat eine Künstlergesellschaft mit 7 Wagen am hl. Kreuz dahier Standquartier. Man hat es hier nicht, wie andere Blätter [die Konkurrenz in Gestalt der Merziger Volkszeitung] schreiben, mit einer Zigeunerhorde zu thun, sondern es sind Landsleute von uns, die sich durch künstlerische Aufführungen ec. ehrlich durchschlagen. Mehrere der männlichen Mitglieder haben ihrer Militärpflicht bei der deutschen Armee genügt und einer sogar in Berlin bei der Garde. Die Gesellschaft scheint gut ‚bei Groschen’ zu sein, denn sie lebt gut und läßt viel Geld hier. 



„Zigeunergrab“ auf dem Merziger Friedhof

„Bewohner der Pusta“?
 
Auffallend sind ihre schönen Pferde, für die sich schon mehrere Liebhaber gefunden haben. Einzelne Mitglieder der Truppe treiben nämlich auch Pferdehandel. Leider hat sie einen Todesfall zu verzeichnen. Eine junge Mutter hat das Zeitliche gesegnet; ihr 9 Tage altes Kind lebt. Die Gerüchte, wie sie verbreitet sind, beruhen auf Erfindung. Heute Nachmittag 2 Uhr wurde die Entschlafene auf dem katholischen Friedhof beerdigt. Schon vorgestern ist das Grab mit Backsteinen ausgemauert worden. Die Grabstätte kostet 60 Mk., welche der Ehemann im Voraus entrichtet hat. Auch wurde ein sehr schöner und werthvoller Sarg gekauft und es fehlte nicht an reichen Kranzschmuck. Wie gesagt, die Leute scheinen wohlhabend zu sein und wenn sie auch einen Typus haben, als seien sie Bewohner der Pusta, so sind es doch keine Zigeuner, was wir zur Ehre der Gesellschaft gerne bemerken wollen. – Heute Abend findet im Gasthaus Adam ein Concert der Truppe statt. Vor einem Jahre produzirte sich dieselbe im Trier’schen Hofe und erinnern wir uns noch heute der guten Leistungen. Es empfiehlt sich daher, heute Abend zu Adam zu gehen, allwo auch noch ein Glas vorzüglichen Münchener Stoffel unserer wartet.“
 
Interessant bei dieser Darstellung ist die Betonung, daß es sich bei der Künstlergruppe nicht um Zigeuner gehandelt haben könnte und hätte – trotz ihres „Typus“ – mit der Begründung, daß sich in der Gruppe gediente Soldaten befanden, daß sie „gut betucht“ war, gute Pferde hatte und künstlerisch wertvolle Darstellungen bot. Alles dies traute man Zigeunern offensichtlich nicht zu; deshalb konnte es sich nicht um eine „Zigeunerhorde“ handeln.

So wurde also die Gute (Romanes: latschi) Lani Blum in einer gemauerten Gruft auf dem Merziger Propsteifriedhof bestattet. Bis in die 1950er Jahre, also über ein halbes Jahrhundert, ist das Grab noch von Angehörigen besucht worden, dann geriet das trotz der anderslautenden Deutung der Merziger Zeitung von der Bevölkerung „Zigeunergrab“ genannte Grab etwas in Vergessenheit.



Inschrift auf dem Grab von Lani Blum

Tatsächlich findet man den Familiennamen Blum besonders unter schlesischen Sinti (Schlesingere) und auch das Romanes-Wort „latchi“ (vermutlich nicht als Name aufzufassen) vor dem Namen der Lani Blum lässt auf eine Sinti-Herkunft schließen. Hermann Arnold (s.u., S.375) allerdings bezeichnet die Blums als „den Sinte nahestehende Komödianten (Seiltänzer)“.
 
„Begräbniß nach echt katholischer Art“
 
Etwas ungewöhnlich erscheint lediglich die Tatsache, daß trotz des Todesfalles eine Aufführung stattfand. Zwei Tage später (15.1.1892) berichtete die Merziger Zeitung (38.Jg., No.7) über das Begräbnis: „Es haben hier schon Begräbnisse stattgefunden, die eine sehr große Betheiligung aufzuweisen hatten, aber keines von all’ diesen zeigte so viele Theilnehmer als die vorgestern stattgehabte ‚Zigeuner-Beerdigung’. Da sah man Damen und Herren, die das ganze Jahr hindurch nicht auf dem Kirchhof gewesen sind. Natürlich trieb sie nur die Neugierde dorthin. Sie glaubten vielleicht, die ‚Zigeuner’ würden irgendeinem Gebrauch huldigen und einen Todtentanz oder sonst etwas aufführen. Man hat sich aber getäuscht; es soll ein sehr würdiges Begräbniß nach echt katholischer Art gewesen sein.“ 
 
Es war also nichts „Heidnisches“, was die Merziger Bevölkerung auf dem Friedhof zu sehen bekam. Auch heute noch sind Beerdigungen von Zigeunern nicht selten noch ein Ortsereignis. Am 18.1.1983 verfaßte der 1. Beigeordnete der Stadt Merzig eine Aktennotiz für den Bürgermeister, das Haupt- und das Gartenamt unter dem Betreff „Zigeunergrab auf dem Friedhof Propsteistraße“:
 
„Das Zigeunergrab auf dem Friedhof Propsteistraße stellt eine kultur-historische Besonderheit dar, die für unsere Gegend einmalig ist. Dieses Grab weist seit Jahren Schäden auf, die dazu führen, daß es ganz verfällt. Ich habe anlässlich einer Sendung im Saarländischen Rundfunk schon Ende 1981 darauf hingewiesen. Jetzt ist die Reparatur des Grabes unbedingt notwendig geworden. Die Angehörigen kümmern sich seit den 50er Jahren nicht mehr um Erhaltung und Pflege. Es sollte daher von seiten der Stadt unbedingt eine Instandsetzung erfolgen.“ 
 
Die, wenn auch späte Folge war, daß die Stadt es 1992 übernahm, das Grab mit einem Dach zu versehen, eine Inschrift anzubringen und für die weitere Erhaltung des Grabes als ein Denkmal der Ortsgeschichte zu sorgen. Anstelle der heutigen Inschrifttafel gab es vorher ein kleines Fenster mit Gittertörchen. Die Inschrift unter dem Namen lautet:„Latchi Lani Blum + 12. Januar 1892. In diesem Grab, von den Bürgern der Stadt Merzig ‚das Zigeunergrab’ genannt, wurde die im Kindbett verstorbene Latchi Lani Blum Mitglied einer wandernden Künstlergruppe, mit dem Segen der katholischen Kirche beerdigt. Die Instandhaltung des ‚Merziger Zigeunergrabes’ hat die Kreisstadt Merzig übernommen.“ 
 
Nicht das einzige „Zigeunergrab“
 
Möglicherweise war es die Bemerkung in der Merziger Zeitung von „Bewohnern der Pusta“, die in neuerer Zeit jemanden veranlaßte, über das Grab zu schreiben, daß Lani Blum „Mitglied einer aus Südosteuropa stammenden Künstlergruppe“ gewesen wäre und das Grab als „für südosteuropäische Völker typisch“ zu bezeichnen. Beides wird man für unzutreffend erklären müssen.
 


Inschrift auf dem „Buchela-Brunnen“


Es blieb nicht das einzige „Zigeunergrab“ auf dem Friedhof; 1982 und 2000 wurde ein Sinti-Ehepaar aus dem Ort beerdigt. Heute leben noch mindestens zwei Sinti-Familien (Sippen) in Merzig, und das schon seit Jahrzehnten; eine von ihnen mag, dem Namen nach zu urteilen, ebenfalls zu den Schlesingere zu gehören, die andere ist eine wohl traditionell im elsaß-loth-ringischen-südwestdeutschen Raum anzutreffende Familie.
 
„Madame Buchela“
 
Ebenfalls im Landkreis Merzig-Wadern liegt die zur Gemeinde Beckingen gehörige Ortschaft Honzrath. Am 12.Oktober 1899 wurde „unter einer Buche“, vermutlich am Ortsrand von Honzrath an der Straße zu Merchingen, in der Gemarkung Kutschert ein Mädchen geboren, das am Tage darauf im Nachbarort Haustadt auf den Namen Margaretha Merstein getauft wurde, von ihren Eltern, dem Musiker Anton Merstein und seiner Ehefrau Josephina, geb. Adel, jedoch nach dem Platz ihrer Geburt „Buchela“ genannt wurde.
 
Niemand hätte sich in Honzrath später für ein auf der Durchreise dort geborenes Zigeunerkind interessiert, wenn nicht Margaretha Merstein, später verheiratete Goussanthier, unter dem Namen „Madame Buchela“ eine bekannte Wahrsagerin bzw. Seherin, wie sie sich selbst lieber bezeichnete, geworden wäre, die u.a. etliche Politiker und Staatsoberhäupter beraten hat. Buchela, Angehörige einer elsaß-lothringischen Sinti-Familie, lebte vor allem in Stotzheim bei Euskirchen und Remagen (wo sie auch beerdigt ist; sie starb am 8.11.1986 in Bonn).
 
An der oben beschrieben Gemarkung haben in früherer Zeit häufiger Zigeuner gelagert; möglicherweise ist Buchela hier in der Nähe geboren worden. Es gab hier eine Wasserstelle, die zuletzt aus einem schon arg mitgenommenen Holztrog bestand. Der örtliche Heimatverein regte nicht nur an, einen Brunnen aus Sandstein (den man aus dem benachbarten Frankreich besorgte) zu errichten, sondern ihn auch nach Buchela zu benennen. Im Mai 2002 wurde der „Buchela-Brunnen“ feierlich eingeweiht. 



Der Roma Dig „Buchela-Brunnen“ von hinten.
Alle Fotos von: Rüdiger Benninghaus

Der damalige Heimatvereinsvorsitzende und langjähriger Ortsvorsteher hat in dem Saarbrücken benachbarten lothringischen Städtchen Forbach Helene Goussanthier-Meerstein – offenbar dieselbe, die in dem Tony-Gatlif-Film „Swing“ als ständig Zigaretten rauchende alte Frau eine Nebenrolle spielte – ausfindig gemacht, eine Nichte von Buchela. Sie wurde zusammen mit einer Sinti-Musikgruppe und anderen Familienangehörigen zur Brunneneinweihung eingeladen. Auf der Internetseite der Gemeinde Beckingen (-Honzrath) ist der bekannten „Tochter Honzraths“ ebenfalls ein Abschnitt gewidmet, ein Faltblatt über den Ort wirbt mit „Geburtsort der Seherin Buchela“, und in der Festschrift zur 700-Jahr-Feier von Honzrath im Jahre 2006 durfte sie auch nicht fehlen.
 
So sind also in diesem Landkreis zwei Sintizze zu Ehren gekommen und haben einen Platz in der jeweiligen Ortsgeschichte eingenommen. (PK)

 
Literaturhinweise: Hermann Arnold: „Fahrendes Volk – Randgruppen des Zigeunervolkes“

Neustadt/ Weinstraße 1980, Buchela: „Ich aber sage euch –  Das Vermächtnis der großen Seherin“, München 1983, Waltraud Riehm: Um das „Zigeunergrab“ rankt sich manche Legende, In: Saarbrücker Zeitung vom 27.10.1992

Webhinweise: http://members.e-media.at/Honzrath/ http://de.wikipedia.org/wiki/Honzrath

http://www.beckingen.de/content/beckingen/Gemeindebezirke/honzrath_ort,  

e-mail rom.ev[at]netcologne.de, Homepage www.romev.de

Online-Flyer Nr. 134  vom 20.02.2008



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