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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Globales
Bolivien in den Schlingen eines internationalen Telefonriesen
ETI gegen EVO
Von Carl H. Ewald

Im Januar diesen Jahres richteten sich mehr als 850 internationale Organisationen in einer Petition an Robert B. Zoellick, das Verfahren gegen Bolivien einzustellen. Zoellick ist Präsident der Weltbank, und „verhandelt“ wird der Fall vor dem „Internationales Zentrum zur Beilegung von Investitions- streitigkeiten“ (ICSID), einer Unterorganisation der Weltbank, dem der Bush-Protege ebenfalls vorsitzt. Doch die Institution, die sich gerne das Image einer „Entwicklungshilfe-Bank“ anheftet, ignoriert den Austritt Boliviens aus ihrem Verbund.

Telefonriese spart am ärmsten Land Südamerikas

Im Oktober 2007 nahm die ICSID die Klageschrift der Euro Telecom International (ETI ) – eines italienisch-spanisch-niederländischen Telefonkonsortiums – gegen den Staat Bolivien entgegen, obwohl die Regierung Evo Morales ein halbes Jahr vorher aus dem Weltbankverbund ausgetreten war. Im Jahre 1996 hatte die Vorgängerregierung 50 Prozent der Aktien der bis dato staatlichen Telefongesellschaft ENTEL an das internationale Konsortium verkauft. Die Firma mit Sitz in den Niederlanden – hinter der Telecom Italia und die zweitgrößte Telekommunikationskonzern Europas, die spanische Telefónica, stecken – ist mittlerweile mit 60 Prozent aller Telefondienstleistungen Marktführer in Bolivien.

Evo Morales Foto: Micky Hirsch
Evo Morales weist „die Hilfe" der Weltbank zurück | Foto: Micky Hirsch

Im April 2007 ersuchte Morales’ Regierung der „Movimiento al Socialismo“ den Global Player, einen Teil oder alle seiner Aktien dem Staat zurückzuverkaufen. Sie wirft dem Telefonriesen eine Verletzung des Privatisierungsvertrags vor, da ETI nicht genügend investiert hätte und zusätzlich Steuernzahlungen ausgeblieben waren. Gespräche zwischen der Firma und der Regierung führten zu keinem Ergebnis.

Im Mai 2007 hatte sich Bolivien, als erstes Land der Welt, aus dem ICSID zurückgezogen, mit der Begründung, das Gericht stelle in der Regel die Interessen der Unternehmen über das öffentliche Wohl. Seitdem weigert sich die Weltbank, die Haltung der bolivianischen Regierung zur Kenntnis zu nehmen, führt den Andenstaat weiterhin auf seiner Webseite als Mitglied und „verhandelt“ den ETI-Fall als „Investitionsstreitigkeit“.

Bechtel verklagt Bolivien

Der Austritt Boliviens aus dem Weltbankverbund kam nicht von ungefähr: 1998 hatte die Weltbank an Bolivien einen Kredit in Höhe von 25 Millionen US-Dollar vergeben: unter der Auflage, die Wasserwerke der rund 900.000 Einwohner starken Stadt Cochabamba zu privatisieren und die Wasserpreise nicht zu subventionieren. Eine Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Bau- und Wasserkonzerns Bechtel erhielt den Zuschlag. Die Wasserpreise stiegen daraufhin rasant, um fast 35 Prozent an.

Erklärung Tiawanaco Foto: Julian Burgos
Erklärung von Indigenen in Tiawanaco (Bolivien) | Foto: Julian Burgos

Nach massiven sozialen Protesten und nachdem die Landbevölkerung, die oft rund ein Drittel ihres Einkommens allein für Wasserversorgung aufbringen musste, die Stadt vier Tage lang lahm gelegt hatten, lenkte die damalige Regierung ein und trat von den Privatisierungsverträgen zurück. Nicht so der US-Konzern: Bechtel verklagte Bolivien vor dem ICSID auf rund 40 Millionen US-Dollar. Erst massive internationale Proteste führten zu einem Rückzug der Klage im Jahre 2006.

Und so erstaunt die Kritik der bolivianischen Regierung an der Weltbankinstitution nicht weiter: Die ICSID sei ein Instrument zugunsten multinationaler Unternehmen, denen es oft genug darum ginge, Regierungen um enorme Geldsummen zu verklagen, und das „Internationale Zentrum“ verhandele seine Fälle hinter verschlossenen Türen. Morales bot dagegen an, den Fall nach nationalem Recht zu verhandeln und forderte einen unabhängigen Ausschuss zur Überprüfung der Aktivitäten der ICSID.

Verstärkte Kritik an der Weltbank

Proteste gegen die Weltbank in Jakarta
Proteste gegen die Weltbank in Jakarta    
2004 | Foto: Jonathan McIntosh
Doch die Regierung des ersten indigenen Präsidenten Südamerikas ist nicht die einzige, die sich gegen den übermäßigen Schutz von „Investoren“ in Freihandels- abkommen und das Einklagen bilateraler vermeintlicher Vertragsverletzungen vor der ICSID wehrt: Venezuela und Nicaragua unterschrieben gemeinsam mit Bolivien eine gegen die Politik der Weltbank gerichtete Erklärung. Argentinien kritisierte „Mängel im System“, nachdem das Land rund dreißig Mal in den letzten Jahren wegen Investitionsstreitigkeiten angeklagt worden war. Die Regierung Ecuadors erklärte, sie werde „juristische“ Verhandlungen über nicht erneuerbare Ressourcen ihres Landes nicht länger hinnehmen, und sogar die Australische Regierung weigert sich, dem „Richterspruch“ der ICSID nach einem Investitionsstreit mit den USA nachzukommen.

Die neoliberalen Träume der Welthandelsorganisation, verkörpert durch GATS und das nach wie vor angestrebte Freihandelsabkommen FTAA, das nach den Wünschen der USA den ganzen amerikanischen Kontinent umfassen soll, stoßen in Lateinamerika ohne Zweifel auf immer mehr Widerwehr. Die Weltbank errechnete 2005, dass eine „vollständige Liberalisierung des Welthandels“ bis zum Jahre 2015 jährlich 250 Milliarden Euro an zusätzlichen Einkommen bringen würde. Dass die landlosen Campesinos in Paraguay, die indigene Bevölkerung Boliviens und die Bewohner brasilianischer Favelas nicht zu den Begünstigten gehören würden, errechnet sich ganz von selbst.

Robert Zoellick
                                      
Und so bleibt es äußerst fraglich, ob sich der ehemalige Finanzberater der Regierung Reagan, Staatsekretär bei George Bush I., persönlicher Berater von George Bush II. sowie heutiger Präsident der „Weltbank“ Robert Zoellick von dem Appell der rund 850 Organisationen beeindrucken lässt.
Sicher aber ist, dass auch Lateinamerikas Zukunft noch nicht geschrieben ist. (CH)

Robert B. Zoellick



Die Petition der unterzeichnenden Organisationen:
English: ips-dc.org/reports/080115-boliviapetition-en.pdf
Español: ips-dc.org/reports/080115-boliviapetition-es.pdf
Italiano: ips-dc.org/reports/080115-boliviapetition-it.pdf
Français: ips-dc.org/reports/080115-boliviapetition-fr.pdf


Online-Flyer Nr. 133  vom 13.02.2008



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