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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Inland
Feindliche Übernahme unserer Köpfe zugunsten des Kapital
Gehirnwäsche durch Bertelsmann u.a.
Von Hans-Dieter Hey

"In Zeiten hoher Verschuldung und sinkender Staatsquote ist es notwendig, die Rolle des Staates zu überdenken und seine Regierungstätigkeiten zu optimieren. Eine Politik, die die Regierungsqualität auf lange Sicht erhöht und zugleich die Bürokratiebelastung der Wirtschaft senkt, birgt die Chance für mehr Dynamik, Wachstum und Arbeitsplätze." - So googelt man zum weltweiten Medien-Giganten Bertelsmann.

Hinterhältig Redlichkeit vortäuschend

Es klingt wie der Bericht einer Unternehmensberatung für eine Firma und vermittelt Zuversicht. Was der Text indessen offen lässt: Eine Demokratie und der Staatsapparat als ausführendes Organ sind keine Firma, sondern ein ungleich komplizierteres System mit vielen Spielern und Spielregeln, die weit über eine betriebswirtschaftliche Kostenrechnung hinaus gehen. Und so verfolgt der schlichte Text auch nur eine Botschaft: Das Desaster des Neoliberalismus liegt nicht in der Verantwortung der Wirtschaft selbst, sondern in der staatlichen Macht. Erst wenn Bürokratie abgebaut, der Staat "reformiert" ist, wir "weniger Staat" haben, entstehen Dynamik, Wachstum und Arbeitsplätze. Und das will doch jeder.

Auf ihren Webseiten versucht Bertelsmann mit einem Budget von 63 Mio. Euro, 300 Mitarbeitern und selbsternannten "Experten für politische Reformprozesse" mit dem Anschein einer echten Online-Zeitung hinterhältig, journalistische Redlichkeit vorzutäuschen, und implantiert statt dessen neoliberales Gedankengut in die Köpfe der Menschen. Längst beklagen Kritiker die "Bertelsmannisierung" des Bildungswesens, und Studenten protestieren gegen die Machenschaften dieses Konzerns. 1) Gleichzeitig macht sich Bertelsmann aber zum Verbündeten für die Sorgen, Nöte und Ängste der Bevölkerung, wenn das rettende Allheilmittel im alleinigen Besitz von Bertelsmann verkündet wird: "Das Projekt der Bertelsmann-Stiftung (...) erforscht systematisch politische Steuerungseffekte, erarbeitet ein zukunftsfähiges Verständnis von Politik und Staat und entwickelt Modelle zur Optimierung politischer Reformprozesse". 2) Bei Hartz IV haben sie schon mitgeholfen.

Gehirnwäsche
Foto: Karin Richert - Arbeiterfotografie


Profit durch Übernahme staatlicher Aufgaben

Denn was mit der "Optimierung" gemeint ist, hat German Foreign Policy herausgefunden: Die Firma Arvato AG ist eine der bedeutendsten Töchter von Bertelsmann und fährt nach RTL mit 310 Mio. Euro den höchsten Gewinn ein. Umsatz: 3,756 Mrd. Euro. Und das ist Bertelsmann offensichtlich zu wenig. Deshalb möchte man gern Profit aus staatlichen Aufgaben ziehen. Mit der britischen Stadt East Riding Yorkshire hat das bereits funktioniert. Dort wird von Arvato, sprich Bertelsmann, fast die gesamte Stadtverwaltung erledigt. So werden von Arvato auch Sozialleistungen ausgezahlt und Steuern und öffentliche Gebühren erhoben. 3)

Damit wird das wahre Ziel von Bertelsmann klar: "Bürokratieabbau" wird den Menschen mundgerecht als notwendig verkauft, um später die Gewinne einzufahren, die man sich von der Übernahme öffentlicher Aufgaben erwartet. Dass aber künftige Gewinne mit steigender Anzahl von Arbeitsplätzen zu erhalten sind, ist mehr als unwahrscheinlich. Bisher jedenfalls sind bei den Aktiengesellschaften die Kurse meist nach Entlassungen gestiegen. Ganz zu schweigen von den schlechten Erfahrungen mit so genannten Privatisierungen in Deutschland. Bürokratieabbau ist daher nichts anderes als Abbau von Arbeitsplätzen.

Vergewaltigung der Köpfe

Damit die feindliche Übernahme staatlicher Funktionen auch funktioniert, muss man die Demokratie weitgehend ausschalten und zuvor die Hoheit über die Sprache gewonnen haben. Die Vergewaltigung der Köpfe ist weit voran geschritten. Hierzu werden Floskeln gewählt, die jedermann versteht. Wir haben gerade gelernt, wie dies im Fall vom angeblich notwendigen "Bürokratieabbau" zu verstehen ist.

Das Perfide daran ist auch, dass häufig die sprachlichen Mittel nicht bemerkt werden, mit denen man sich unserer Köpfe bemächtigt. Es wird beispielsweise nicht deutlich, dass es sich um die Meinung von Lobbyisten und Unternehmern handelt. Am 01.12. meldet Bertelsmann online: "Lobbygruppen verhindern wirkungsvollen Bürokratieabbau", während man selbst zu eben den Lobbyisten zählt. Schon das zeigt die Verlogenheit dieser Meinungsmacher. Unter dem Deckmantel, die bestehende Ordnung der Demokratie verteidigen zu wollen, gründet man Stiftungen und schmeichelt sich in die Köpfe ein. Das Ziel ist aber oft genau das Gegenteil, oder man verfolgt zumindest eigene Interessen. Ihre Täuschung besteht im Verschweigen der Wirklichkeit.

Gehirnwäsche
Foto: Karin Richert - Arbeiterfotografie


Die Auslieferung des Denkens an das Kapital

Der Erfolg dieser Strategie liegt immer auch im primitiven Charakter der Botschaften. Und zwar in einpeitschender und sich ständig wiederholender Form. Bis zum Erbrechen haben wir alle die Notwendigkeit von "Reformen" vernehmen müssen. Nach dem Wörterbuch ist "Reform" die Beseitigung sozialer Missstände unter Beibehaltung der politischen Grundidee, in unserem Fall der Demokratie. Aber genau das ist mit den gegenwärtigen "Reformen" nicht gemeint, weil längst eine "Revolution von oben" stattgefunden hat. 4) Die Auslieferung ans Kapital war lange voraus zu sehen. Bereits 1980 hatte Herbert Marcuse angeklagt: "...die Auslieferung des Denkens, Hoffens und Fürchtens an die Entscheidungen der bestehenden Mächte angesichts des beispiellosen Reichtums enthalten in sich die unparteiischste Anklage". 5)

Die gleichen Botschaften werden uns vermittelt durch Begrifflichkeiten wie "Reform der Bildungspolitik", "Förderung der Selbständigkeit" und "Reform der Sozialen Sicherungssysteme". Dies gilt ebenso für die "zu hohen Lohnnebenkosten" und den Gürtel, der seit 30 Jahren enger geschnallt werden soll. Auch die aktuelle Wendung "Neue soziale Gerechtigkeit" 6) von Kanzlerin Merkel ist pure Täuschung und verschleiert ihre wirklichen Ziele, nämlich die Zerschlagung der sozialen Gesellschaft. Aber das wird als wahre Freiheit verkauft.

Noch ein "Think Tank": Die INSM

Dass man sich nicht der Sprache der Wirtschaft bedient, ist sicher nicht nur eine Frage des Inhalts: Man gibt sich bewusst demokratisch und nutzt die Form der manipulativen Propaganda. Nicht ohne Kalkül nennt sich beispielsweise die INSM "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" genau so. Denn es soll deutlich gemacht werden, dass man eigentlich die Demokratie und die "Soziale Marktwirtschaft" verteidigt. Nur eben neu - und damit besser als bisher. Es wird verkündet, "Wie es aufwärts geht - Deutschland muss einfacher werden." So hat Prof. Ulrich van Suntum für Deutschland "den" Masterplan entwickelt, damit endlich mit dem "Wirrwarr" von Reformen ein Ende ist. Und so präsentiert er gleich eine weitere "Reform", nur eben etwas "radikaler". Er bietet "keine billigen Patentrezepte an, sondern durchdachte Lösungen auf der Basis wissenschaftlicher Konzepte und ausländischer Erfahrungen". Man gibt sich wissenschaftlich und liefert die gewollten Interpretationen.

Tatsächlich ist die INSM ist ein Think Tank, der sich, genau wie Bertelsmann, die Scheinform demokratischer Öffentlichkeit gibt, aber letztlich im Auftrag der Wirtschaft die Gesellschaft umkrempeln soll. Auch hier wird die gewollte Verquickung der eigenen politischen Propaganda mit dem Journalismus im Dunkeln gehalten. Niemandem wird ohne weiteres deutlich, dass es Medienpartnerschaften mit der "Wirtschaftswoche", "impulse", "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", "Handelsblatt" oder "Die Welt" gibt oder dass man mit Tarnorganisationen wie dem "Bürgerkonvent" zusammenarbeitet. Ebenso bestückt die INSM die Talkshows von Christiansen und Illner, um neoliberale Themen zu transportieren. Auch durch die INSM werden den Menschen immer die gleichen Botschaften eingetrichtert. "Trotz aller Skepsis gegenüber den Ergebnissen der Medienwirkungsforschung kann man davon ausgehen, dass die Aktivitäten der INSM in den letzten Jahren massiv dazu beigetragen haben, Einstellungen in der Bevölkerung zu verändern und Themen wie Rückbau des Wohlfahrtstaates, Arbeitszeiten, verstärkte Eigenverantwortung, staatliche Ausgaben- und Aufgabenbeschränkung in die Diskussion zu bringen." 7) Für diese Gehirnwäsche hat die INSM von der Arbeitgeberorganisation Gesamtmetall allein bis 2003 ca. 100 Mio. Euro erhalten. 8)

Gehirnwäsche
Foto:Hans-Dieter Hey - Arbeiterfotografie


Die Propagierung der totalitären Gesellschaft erfordert Solidarität

Wenn es nicht längst die "Revolution von oben" gäbe, wäre die gewaltsame Erzwingung einer anderen Gesellschaft eigentlich eine Frage für den Verfassungsschutz. Bertelsmann und andere, vor allem aber auch die INSM, wollen nämlich "die Aufgaben des Staates und den Einfluss von Gewerkschaften und Verbänden auf ein Minimum reduzieren. Sie klammern die Frage nach einem sozialen Ausgleich vollständig aus", meint der Politologe Manfred Schmidt. 9) In den "Berliner Hauptgesprächen" äußerte denn auch der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) am 16.11.04: "Wir müssen ein Stück stärker den Gewerkschaften ihre Rechte nehmen... Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft ist eine Notwendigkeit, um die Flexibilität und die Wachstumsdynamik zu erhöhen." 10) Dies ist ein ungeschminktes Plädoyer für die totalitäre Gesellschaft.

Es wird deutlich, dass floskelhaft-stereotype Wiederholungen des immer Gleichen das eigenständige politische Denken verhindern und damit die Veränderbarkeit der politischen Verhältnisse. Die Formen eines solchen faschistoiden Sprachduktus macht die Wirklichkeit von Unterdrückung und Herrschaft aus. Und deshalb hatte Herbert Marcuse bereits 1980 damit Recht, dass in der faschistoiden Entwicklung am Beginn die Propaganda steht, mit der sich die Wirtschaft der Politik bedient. Erinnern wir uns auch, was Horckheimer bereits 1939 gesagt hat: "Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll über den Faschismus schweigen." Der Faschismus sei die Antwort auf die Krise des Kapitalismus. Was mit rein ökonomischen Mitteln nicht mehr aufrecht zu erhalten sei, würde nun auf despotische Weise gesichert. 11) Noch ist es weit bis zum offenen Terror, doch leider müssen wir die bisher durchgesetzten Folgen erkennen: "Die erreichten Kontrollgewinne des Kapitals gegenüber Politik führen dazu, dass die eigenen Logiken und Maßstäbe - ohne wirksame Gegenkräfte - autoritär gegen die Gesellschaft in Stellung gebracht werden können". 12)

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
"Karikatur: Kostas Koufogiorgos"


So wird diese Gesellschaft von den Meinungsmachern gespalten und desorientiert. 13) Gespalten in "Sozialschmarotzer" und "Asoziale" auf der einen und die Leistungsträger auf der anderen Seite. Daher bedeutet auch der Aufmacher von INSM "Chancen für alle" genau das Gegenteil seiner Überschrift. Während die einen durch soziale Apartheid ausgegrenzt werden, werden die anderen für die Erfordernisse der Wirtschaft durch Niedriglöhne, Einfacharbeitsplätze und Minijobs dressiert und an den Rand der Existenz getrieben. Die Spaltung ist gewollt. "Da die Eliten genau wissen, dass sie mit der Verfolgung neoliberaler Politiken immer mehr Menschen ausschließen und damit die Legitimation verlieren, greifen sie auf repressive Instrumente zurück". 14) "Vielleicht ist die Zerstörung des Charakters eine unvermeidliche Folge" dieser Entwicklung für die prekäre Gesellschaft, bemerkt der amerikanische Soziologe Richard Sennet. 15) Doch wer lässt sich gern zerstören.

Wir müssen wieder die Herrschaft über unsere eigenen Köpfe gewinnen. Es gilt daher mehr denn je, den Begriff der Solidarität wieder zu entdecken und wirksame Gegenkräfte entwickeln. Die Vision der Zukunft muss die solidarische Gesellschaft sein, um die Barbarei des Neoliberalismus zu verhindern, der in seinen Grundzügen faschistoid ist.

Dass die Bertelsmänner auch schon im "Dritten Reich" zu den Kriegsgewinnlern - nicht nur im Krieg um die Köpfe - gehörten, können Sie in dem Buch "Bertelsmann - Hinter der Fassade des Medienimperiums" von Frank Böckelmann und Hersch Fischler nachlesen. Erschienen im Eichborn-Verlag.

1) U. Schnabel, M. Spiewak, "Treibstoff für Reformen", Die Zeit v. 29.04.04
2) Bertelsmann Online, "Strategisches Politikmanagement nicht erkennbar", 10.11.2005
3) German Foreign Policy, " Unter deutscher Verwaltung" 05.04.2005
4) M. Gill, "Revolution von oben", Der Stern v. 18.12.03
5) H. Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Sammlung Luchterhand 1980
6) ARD-Tagesthemen v. 7.1.06
7) Dr. R. Speth, "Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", 2005
8) G. Frech, "Die Guerilla der Wirtschaftliberalen", Frankfurter Rundschau v. 3.11.04
9) N. Otte, Gelungene Lobbyarbeit der Unternehmer, in: Freitag v. 26.08.05
10) Tanja von Dahlern und Bärbel Schönafinger, KanalB, "Des Wahnsinns letzter Schrei"
11) Max Horckheimer, Die Juden und Europa, 1939
12) R. Sennet, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus in: "Die Zeit", 15.12.05
13) H.-D. Hey, Neue Rheinische Zeitung, "Es lebe der Pessimismus!"
14) U. Brand, Frankfurter Rundschau, "Die Politik kapituliert vom Kapital", 11.10.04,
15) Deutschlandradio, "Über die moderne Ökonomie des Kapitalismus", 22.08.05, 19:15 h


Online-Flyer Nr. 27  vom 17.01.2006



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