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Aktueller Online-Flyer vom 26. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Die frohe Botschaft fürs Alter:
Die Armut ist sicher
Von Hans-Dieter Hey

So oder ähnlich könnte die provokante Nachricht zu Weihnachten lauten. Zunehmende Armutslöhne, kein Geld zum Ansparen privater Altersvorsorge, lange Erwerbslosenzeiten, inflationäre Entwicklung bei einbrechender Konjunktur, Sozialhilfe bis 67, Vermögensumverteilung nach oben sind – zusammengefasst – für wachsende Altersarmut die wichtigsten Gründe. Genau die aber möchte die  schwarz-“rote“ Regierung lieber vertuschen, wenn sie die Medien den vermeintlichen Aufschwung für alle verkünden lässt.

Aus den Augen aus dem Sinn

Menschen über 50  sind erheblich stärker von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen als jüngere Erwerbslose. In Nordrhein-Westfalen sind über 25 Prozent, in Köln 68 Prozent aller Erwerbslosen über 50 Jahre alt. Die kürzlich medial groß verkündeten Erfolgszahlen über den angeblichen Rückgang der Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe war eine politische „Ente”. Nach Angaben des DGB stieg in den ersten neun Monaten 2007 die Anzahl älterer Erwerbsloser um 406.000, in Arbeit kamen erheblich weniger als noch im Jahr zuvor. Die Meldung hat auch noch zwei weitere Haken: Zum einen findet die Vermittlung als „Fordern nach Hartz IV” in die gefürchteten atypischen Beschäftigungsverhältnisse von Midi- oder Minijobs, in Leiharbeit und Zeitarbeit statt oder die Betroffenen verschwinden in dubiosen „Maßnahmen”. DGB-Chef Michael Sommer: „Wenn überhaupt, dann hat Hartz IV sogar negative Auswirkungen auf die Beschäftigungschancen Älterer”.


Anspielung auf die gewandelte SPD:
„Asoziale Partei Deutschlands"

Bereits im Jahr 2005 gab es nur noch 54 % der Haushaltsmittel des Vorjahres bundesweit für Arbeitsmarktmaßnahmen der ALG-II-Empfänger. Damit – so die Hans-Böckler-Stiftung – "entgingen diesen Arbeitslosen die Chancen zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt im Gegenwert von 711 Millionen Euro". Doch gespart wird weiter. In ihrer Ausgabe Impuls 13/07 lässt das Institut wissen, dass die Bundesagentur dazu übergegangen sei "den Ressourceneinsatz so anzulegen, dass dessen Wirkung noch innerhalb der Bezugsdauer von ALG I eintritt". Das heißt, dass in den nächsten Jahren noch weniger Arbeitsmarktförderung für Langzeitarbeitslose stattfinden wird und sich damit die Situation erheblich verschärft. Nach Hermann Ritschel – Präsident der Deutschen Rentenversicherung (DRV) – besteht Altersarmut nämlich vor allem dann, „wenn das Erwerbsleben unterbrochen wird” – und das stellt sich bei einer steigenden Zahl von Menschen heraus. Beispielsweise liegt die sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsquote bei den 55- bis 64-jährigen bei nur 30 Prozent, bei den 60 bis 64-jährigen bei nur 10 Prozent.

Sowohl die äußerst geringen Chancen auf einigermaßen gut bezahlte Beschäftigung, als auch die geringe Unterstützung älterer Langzeit-Erwerbsloser  als „Betreuungskunden” der Arbeitsagenturen werden kaum eine existenzsichernde Altersversorgung sicherstellen. Die Mini-Beiträge von 40 Euro monatlich zur Altersversorgung bei Arbeitslosengeld-II-Bezug dürften den Absturz in die Altersarmut noch deutlich verschärfen. Ein Jahr ALG-II-Bezug erhöht die Rente nämlich lediglich um 2,19 Euro. Hermann Ritschel: „Deshalb müssen wir dringend darüber nachdenken, ob für Zeiten der Arbeitslosigkeit von der Bundesagentur für Arbeit wieder höhere Beiträge an die Rentenversicherung gezahlt werden” –  so im Berliner „Tagesspiegel“ vom 11. August. Gleiches fordert auch Klaus Ernst, Vize-Chef der Fraktion DIE.LINKE im Bundestag.

Kürzung der Lohnnebenkosten ist Lohnkürzung

Kontraproduktiv wirkt sich  auch die Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung aus, die fälschlicherweise als „Lohnnebenkosten“ bezeichnet werden. Es handelt sich nämlich um Versicherungsbeiträge, die zu gesetzlichen Leistungsansprüchen bei Arbeitslosigkeit und Rente führen. Ihre Senkung ist deshalb eine Bruttolohnkürzung und zudem eine spätere Leistungssenkung.  In der Politik werden diese Fakten gleichwohl fast durchgängig weiter ignoriert. Auch bei den Grünen scheint bei diesem Thema, trotz Weggang der neoliberalen Plaudertasche Owald Metzger, einst selbst ernannter „Wirtschaftsexperte“ der grünen Partei und Fraktion und nach wie vor  „Botschafter“ der „Initiative Soziale Marktwirtschaft“,  keine Weisheit eingekehrt zu sein.

Thea Dückert,  „Sozialexpertin“ und  Parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion, gegenüber Sozialticker: „Wir haben das brennende Problem der Langzeitarbeitslosigkeit noch längst nicht im Griff. Hier ist die Bundesregierung aufgefordert, endlich auch zu handeln. Wir müssen die Lohnnebenkosten senken – gerade für gering Qualifizierte im unteren Einkommensbereich, damit da Arbeit entsteht.” Dass es hier gar keinen Zusammenhang gibt, wurde inzwischen längst nachgewiesen. Und Altersarmut wird so geradezu heraufbeschworen.


Die fetten Jahre sind vorbei

„Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen”

Die Bibelfesten würden bei Matthäus 25 folgendes finden: „Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, noch genommen werden”. Dies macht die Lage der Vermögensverteilung in Deutschland deutlich. Während wir nach den USA die meisten Milliardäre haben – nämlich 55 – arbeiten inzwischen bei uns über 6 Mio. Menschen für Niedriglöhne, 1,5 Mio. bekommen einen Lohn von unter 5 Euro die Stunde – Tendenz steigend. 1,1 Mio. Menschen bekamen Mitte 2007 zusätzlich Hartz IV zu ihrem Lohn, weil sie allein davon nicht existieren konnten. Von ihnen sind ca. 440.000 Vollzeitbeschäftigte. Schon nach der Verbraucher-Analyse 2005 hatten 18 Mio. Menschen in Deutschland nicht einmal 50 Euro im Monat als frei verfügbares Einkommen. Insgesamt gelten inzwischen 20 Prozent aller Haushalte als einkommensarm. Um die Zahlen der Armut auf die Spitze zu treiben: In Deutschland gibt es inzwischen schätzungsweise 400.000 Obdachlose, davon die meisten langzeitarbeitslos, so der Armutsforscher Prof. Dr. Gerhard Trabert in der arte-Gesprächsrunde vom 11. Dezember.

Auf der anderen Seite stieg in den letzten 15 Jahren unser Volkseinkommen um 40 % auf 500 Mrd. Euro. Doch während in diesem Zeitraum die Gewinne und Vermögenseinkommen um 60 Prozent gestiegen sind, blieb bei den Beschäftigten, die das Volkseinkommen erwirtschaftet haben, nichts hängen. Im Gegenteil. Seit vielen Jahren sinken die Reallöhne hinter der Entwicklung her, die Arbeitnehmerentgelte sanken in 15 Jahren um 6 Mrd. Euro. Netto hatten die Beschäftigten im Jahre 2006 fast 10 Prozent weniger Einkommen  als 1996. Durch die kurzfristige Beschäftigungszunahme  2006 und 2007 sind zwar die Rentenkassen wieder voller geworden. Doch dadurch, dass sich seit Jahren die Löhne im freien Fall befanden, ändern auch die Lohnzuwächse der letzten Zeit gar nichts. Nach Erkenntnissen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des DGB ist eine Wende nicht erkennbar: „Viele neue Stellen sind eher schlecht bezahlt. Das verstärkt weiter wirkende 'einkommensdämpfende Faktoren' wie die Ausweitung des Niedriglohnsektors” und demzufolge sinkende Zahlungen in die Rentenkassen. Und am volkswirtschaftlichen Horizont kommt inzwischen erheblicher Sturm auf: Das Schreckgespenst „Abschwung für alle” – so der Stern in seiner Ausgabe 49/07 – nimmt als Deflation dramatische Konturen an und der Spiegel warnt in Ausgabe 44/07: „Jetzt droht die Inflation. Und die macht die Armen ärmer”.

Bettelarm ins Grab

Penetrant wird in den Medien weiter die Eigenverantwortung des Einzelnen in der Altersversorgung verkündet und damit auch die Verantwortung für die eigene Versorgungslücke. Dabei ist Altersarmut kein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem. Die meisten können nämlich ihre Versorgung im Alter nicht durch eine freiwillige Riester- oder Rürup-Rente aufstocken, weil sie  die Versicherungsprämien nicht bezahlen können. Nur ca. 25 Prozent aller Langzeiterwerbslosen hat eine private oder betriebliche Zusatz-Rente. Acht Prozent aller Langzeiterwerbslosen haben überhaupt keinen gesetzlichen Rentenanspruch, darunter viele kleine Selbständige. Oskar Lafontaine brachte es am 21. November so auf den Punkt: „Behauptungen, die private und betriebliche Altersvorsorge würden die niedrigen gesetzlichen Renten ausgleichen, sind einfach zynisch”. Und von Vermögen kann man bei über der Hälfte der Bürgerinnen und Bürger ohnehin nicht reden, weil sie im Durchschnitt nur 5.000 Euro Erspartes haben.


Unfähig, neue Wege zu gehen
Plakate: arbeiterfotografie


Heute schon haben 8 Prozent aller Rentner weniger als 615 Euro monatlich. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) prophezeit daher: „Bereits im Jahr 2030 können 25 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Altersarmut geraten, wenn sie dann in Rente gehen”. Zudem ist davon auszugehen, dass bereits in 15 Jahren zwischen 40 und 50 Prozent der Renter eine Rente auf dem Niveau von Hartz IV haben. Die Absenkung des Rentenniveaus verschärft die Situation. Der Präsident der „Volkssolidarität“, Prof. Gunnar Winkler, sieht darin eine „zielgerichtete Politik” und fordert: „Die Eingriffe in die Rentenformel müssen wieder rückgängig gemacht werden. Der Kurs auf weniger Rente bei steigenden Lebenshaltungskosten kann nicht gut gehen.”

Das Problem ist noch ein ganz anderes: Nur noch 20 Prozent aller Beschäftigten schaffen es überhaupt vom Job in die Altersrente. Hier erledigt die oft aufgenötigte Frührente den Rest: In den letzten Jahren gingen laut Böcklerimpuls 18/07 von den Frauen 71,5 Prozent und den Männern 69,2 Prozent teils mit erheblichen Rentenabschlägen in den Ruhestand. Ab 1. Januar wird mit der Zwangsrente ab 63 für Erwerbslose die Situation noch erheblich verschlimmert.

Die dramatischen Folgen liegen auf der Hand. Eine bedrängende Situation zeichnet sich auch im Osten Deutschlands ab. In den nächsten Jahren sinken u.a. dadurch die Rentenanwartschaftszeiten um 15 Prozent bei Männern, bei Frauen um 12 Prozent. Die Bundesregierung wiegelt ab, und „erwartet kein übermäßiges Auseinandertriften der Renten in Ost und West”, so Lycos am 19. November. Deshalb hat die Fraktion DIE.LINKE kürzlich im Bundestag den Antrag gestellt, endlich die Angleichung von West-und Ost-Renten zu vollziehen.

Situation erfordert bedarfsunabhängige Sockelrente

Verantwortlich für die Situation ist neben dem ungehemmten Marktradikalismus auch die Agenda 2010 der damaligen rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder und nun ihre Fortsetzung durch die große Koalition. Gleichwohl soll, einem Bericht des Fernsehsenders ntv vom 11. Oktober 2007 zufolge, das Forsa-Institut in einer Umfrage herausgefunden haben, dass 56 Prozent der Deutschen für eine Fortsetzung der Agenda 2010 und damit offenbar auch für die Zunahme ihrer eigenen Armut sind.  Man kann nur hoffen, dass dieses „erfreuliche“ Resultat genauso daneben liegt, wie andere umstrittene Forsa-Umfragen. „Denn der eingeschlagene Weg des Ab- und Umbau des Sozialstaats in Richtung von Basissicherung, Privatisierung, Marktorientierung und Eigenverantwortung widerspricht den Zielen einer Gesellschaft, die durch soziale Sicherheit und sozialen Ausgleich charakterisiert ist und in der der Staat dementsprechend eine aktive und gestaltenden Rolle spielt. Erst auf dieser Basis bieten sich für alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten einer freien Entfaltung und gleichberechtigten Teilhabe”,  heißt es dazu in „Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland” (1). Und wer das zerschlägt, zerstört die Fundamente unserer Gesellschaft.


Trotz lebenslangen Einsatzes für die Gesellschaft: Alt – wehrlos – allein gelassen
Fotos: gesichter zei(ch/g)en


Angesichts der sich immer drohender abzeichnenden Lage fordert der Sozialverband „Volkssolidarität“ deshalb: „Die Höhe einer Rente nach einem langen Arbeitsleben muss deutlich über dem Niveau einer Grundsicherung liegen.” Auch viele andere fordern inzwischen von der großen Koalition, endlich über eine bedarfsunabhängige Sockelrente nachzudenken. Birgit Zenker, Bundesvorsitzender der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB): „Die Vermeidung von Altersarmut darf nicht den Versicherten allein überlassen bleiben. Die seit Jahrzehnten hohe Massenarbeitslosigkeit hat zur Spaltung der Gesellschaft geführt, die ihre Fortsetzung im Alter findet.” (HDH)

Zu Fragen der Gerechtigkeit auch das Interview mit Elif Özmen in dieser Ausgabe.

(1) Weiterführende Literatur:

Bäcker/Naegele/Bispinck/Hofemann/Neubauer (Hrsg.), Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, 4. Auflage, VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, Bände I und II


Online-Flyer Nr. 125  vom 12.12.2007



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