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Globales
Nachbetrachtung zum dritten OPEC-Gipfel im saudiarabischen Riad
Die schwarze Quelle der Aggression
Von Harald Neuber

Alle Mikrofone waren ausgerichtet und alle Kameras angeschaltet, als Hugo Chávez am 17. November den dritten Gipfel der Organisation Erdölfördernder Staaten (OPEC) im saudiarabischen Riad einleitete. Die Eröffnungsrede, die Chávez als Gastgeber des letzten Gipfels zukam, versprach politisch brisant zu werden. Seit seiner Wahl Ende 1998 setzt der venezolanische Staatschef immerhin alles daran, dem 1960 gegründeten Handelsoligopol eine politische Ausrichtung zu geben.

Ein Konflikt war schon allein deswegen vorprogrammiert, weil der Großteil der dreizehn Mitgliedsstaaten im Handelsstreit zwischen den exportierenden und konsumierenden Staaten bislang eine neutrale Position einnimmt oder den USA als führende Industrienation nahesteht. Dabei hat das Ringen um die künftige Linie der OPEC eine enorme Bedeutung: Ihre Mitglieder kontrollieren vierzig Prozent der weltweit nachgewiesenen Erdölvorkommen.


Kuwait burning oilfield crop
„Quelle der Agression" – brennendes Ölfeld in Kuwait 1991

Diese Ressource, erklärte Chávez schon zu Beginn des Gipfels, „ist die Quelle aller Aggression“. Nicht direkt, aber unterschwellig sei der Kampf um das Erdöl für die Kriege im Irak und in Afghanistan verantwortlich. Sollte Washington so „verrückt“ sein, den Iran oder gar sein eigenes Land anzugreifen, könne der Ölpreis nicht nur die gefürchtete 100-Dollar-Marke pro Barrel (159 Liter) durchbrechen. Er würde auf mehr als 200 US-Dollar klettern, prophezeite Chávez. Mit der politisch brisanten Eröffnung wandte er sich direkt gegen die Position des Gastgebers, des saudischen Herrschers Abdallah, der in der OPEC nichts weiter als einen Garanten für die Versorgung der Industriestaaten, allen voran der USA, sieht. In seiner Entgegnung forderte der Monarch von der OPEC dann auch den „Schutz des Weltmarktes“ ein, wo sie „unerwartete Störungen des Ölpreises“ entgegenwirken sollte.

Die Auseinandersetzung zwischen dem südamerikanischen Sozialisten und dem saudischen Autokraten bestimmte das Treffen und war zugleich Ausdruck eines tiefergreifenden Konfliktes in der Erdölorganisation. Natürlich ist die OPEC eine politische Organisation, denn auch die von den US-alliierten Saudis verfochtene Beschränkung auf eine reine Marktpolitik entspricht politischen Interessen, wenn auch nicht denen Venezuelas. Chávez’ provokanter Auftritt – bei dem er sich vor Gastgeber Abdallah, der auf seinen Beinamen „Hüter der heiligen Stätten des Islam“ Wert legt – mehrfach bekreuzigte und auf Jesus Bezug nahm, räumte jeden Zweifel daran aus, dass der Südamerikaner den Konflikt suchte.


Abdullah Bush
Bewegt George einen Schalter an Prinz Abdullah?
Foto: US-Regierung


Spannender als das symbolische Kräftemessen auf dem zweitägigen Gipfel war daher die neue Bündnispolitik der progressiven Staaten um Venezuela. Sie treten dafür ein, Erdöl zur Entwicklung der Förderstaaten zu nutzen und mittelfristig einen fairen Ausgleich zwischen Produzenten und Konsumenten zu erreichen.

Vor diesem Hintergrund fand in den Medien der Wiedereintritt des links regierten Ecuador kaum Beachtung. Der südamerikanische Staat war 1992 aus der OPEC ausgetreten. Damals wurde der Schritt darauf zurückgeführt, dass Quito seine Beiträge nicht mehr zahlen konnte. Inoffizielle Versionen, nach der die USA die damalige Regierung des Andenstaates zu einem Austritt aus der OPEC gedrängt hatten, um die ungenehme Organisation zu schwächen, konnten nie ausgeräumt werden.

Rafael correa Roosewelt Pinheiro agencia brasil
Equadors Präsident Rafael Correa           
Foto: Roosewelt Pinheiro
Agencia Brasil
Umso furioser war nun die Rückkehr des Landes, das kurz vor der dritten Riad-Konferenz wieder der OPEC beigetreten war. Der amtierende Präsident Ecuadors, Rafael Correa, trat dafür ein, „die geopolitische Rolle“ der Erdölorganisation zu stärken. Den politischen Charakter der OPEC zu leugnen „hieße, vor der Realität die Augen zu verschließen“, sagte Correa, der sich mit Chávez Positionierung „zu einhundert Prozent einverstanden“ erklärte: „Wir brauchen eine politische Vision für eine adäquate öffentliche Politik, für ein adäquates gemeinsames Vorgehen und um unsere strategischen Ressourcen wie Erdöl adäquat zu verwalten.“ Indirekt sprach sich der südamerikanische Staatschef und Wirtschaftswissenschaftler auch für eine Abkehr vom US-Dollar als Leitwährung für die Organisation aus. Wenn die erdölexportierenden Staaten weiter auf einen immer schwächer werdenden US-Dollar setzten, „bedeutet das nichts anderes als ein Transfer unserer Reichtümer in die Staaten mit stabilen Devisenwährungen“.

Zuvor hatten sich auch andere OPEC-Mitgliedsstaaten besorgt über den Wertverfall des US-Dollars geäußert. Wegen dessen Schwäche verlieren die Ölstaaten effektiv Geld bei internationalen Geschäften. Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad formulierte die Frage, die sich viele Teilnehmer stellten, besonders krass: „Sie kriegen unser Öl, und sie geben uns dafür ein wertloses Stück Papier“.


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Kann die US-Wirtschaft bald nur noch Jesus tanken?

In das Abschlussdokument fanden all diese Diskussionen keinen Eingang. Auf Drängen der saudischen Gastgeber hieß es in der Erklärung von Riad lediglich, man werde den Weltmarkt „zuverlässig und ausreichend“ mit Öl beliefern. Das Kräftemessen zwischen den beiden Lagern in der OPEC wurde damit noch einmal zugunsten der Kräfte entschieden, die den USA und den übrigen Industriestaaten nahestehen. Doch das könnte sich ändern: Am Rande des Gipfels führte Hugo Chávez zahlreiche Gespräche mit bislang unentschiedenen Mitgliedsstaaten. Mit Algerien und Angola wurden wirtschaftliche Kooperationsabkommen unterzeichnet. Beide sind Staaten, die auf eine starke antikoloniale Tradition zurückblicken. Sie stehen Caracas damit näher als Riad – oder gar Washington. (CH)

Online-Flyer Nr. 123  vom 21.11.2007



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