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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Arbeit und Soziales
„Lohndumping ist Betrug an der Gesellschaft"
Hilferufe
Von Hans-Dieter Hey

Die Postzustellerinnen und Postzusteller in der Gewerkschaft ver.di beschweren sich, dass sie seit längerem nahezu hilflos einer millionenschweren Medienkampagne gegen einen gesetzlichen Mindestlohn für ihre schwere Arbeit ausgesetzt sind. Die Kampagne geht aus von denen, die an billigen Postzustellern verdienen möchten.

Multis profitieren von Löhnen im freien Fall


Seit der „Neo"-Liberalisierung der Post findet ein gnadenloser Wettbewerb um den Zustellermarkt statt. Inzwischen wird überdeutlich, dass dieser Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Die Löhne befinden sich im freien Fall und sind bei den grünen Beschäftigten der Firma PIN inzwischen bei ca. 7,38 Euro brutto angelangt, im Monat keine 1.200 Euro. Für manchen bleiben da nicht mehr als 635 Euro netto übrig. Dass davon niemand eine Familie ernähren kann, dürfte einleuchten. Da hilft nicht einmal mehr das Kindergeld.

Neben der WAZ- und Holzmann-Verlagsgruppe mischen auch noch andere Monopolisten gern beim Postzusteller-Deal mit: Der Springer-Konzern – mit Sitz in Luxemburg – und einem Anteil von 71 Prozent an der PIN-Group sowie der Otto-Konzern mit Beteiligung an TNT. Ihnen wirft ver.di vor, sie würden das Geschäftsmodell „Sozialdumping für alle" präferieren. „Lohndumping ist Betrug an der Gesellschaft" – so ein Flugblatt von ver.di Hamburg. Denn die Löhne müssten vielfach noch mit Hartz-IV aufgestockt werden. ShortNews meldete gar am 18. Mai, dass sich bei 60 Prozent dieser Fälle Konkurrenten der Deutschen Post mit Minijobbern bedienen, die häufig nur einen Lohn bekommen, der knapp über fünf Euro liegt. Betriebsräte und Tarifverträge seinen meist nicht vorhanden. Das heißt: Der Steuerzahler beteiligt sich an den Löhnen, die eigentlich der Arbeitgeber zahlen muss.


Aufruf an CDU-Bundestagsabgeordnete
Quelle: Postkarte ver.di, Hamburg

Um diesem Treiben ein Ende zu bereiten, hat die Gewerkschaft ver.di am 04. September für 173.000 Beschäftigte in der Briefbranche einen Mindestlohn von 9,80 Euro vereinbart. Er bietet den Beschäftigten ein Einkommen, das vor einem Armutslohn einigermaßen schützt.

Medienkampagne der Springer-Presse hilflos ausgesetzt

Bis Ende November sollte im „Entsendegesetz", auf dessen Grundlage in Deutschland in bestimmten Branchen durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales Mindeststandards für Arbeitsbedingungen festgelegt werden können, eigentlich ein gesetzlicher Mindestlohn für alle Briefzusteller geregelt sein. Da waren sich sogar der Bayrische Innenminister Beckstein (CSU) und SPD-Chef Kurz Beck einig. Der Bundestag hatte eigentlich bereits im August einem Mindestlohn für die 240.000 PostzustellerInnen zugestimmt. Doch seit ver.di den Mindestlohn für allgemeingültig erklären lassen will, sieht sich die Gewerkschaft mit ihren PostzustellerInnen durch Medienkampagnen einem enormen Druck ausgesetzt.


Unter Druck: Briefzusteller der Post AG
Quelle: Briefmarken der Post AG, gesichter zei(ch/g)en


Sie beschwert sich vor allem über die Methoden, mit denen gegen die Forderung nach einem allgemeingültigen Mindestlohn z.B. seitens der Springer-Presse vorgegangen wird. In einem Offenen Brief von ver.di Bayern heißt es: „Aufgefahren werden: Großflächige Anzeigen in vielen Tageszeitungen, unseriöse Presseartikel, bestellte Demonstranten gegen den Mindestlohn, falsche Angaben über die Zahl der Zusteller in den neuen Zustelldiensten gegenüber den Bundestagsabgeordneten, ja sogar vor der Gründung einer eigenen Gewerkschaft wird nicht Halt gemacht." Den Arbeitgeberverband hierzu gibt es schon, er nennt sich „Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste" und stellt sich stramm gegen eine Regelung über die Allgemeinverbindlichkeit. Mit ins Boot der Anti-Mindestlohn-Front stiegen auch Ronald Pofalla und Volker Kauder (beide CDU) und Dr. Peter Ramsauer und Michael Glos von der CSU.

Wortbruch: Merkel schwankt auf Druck der Lobby

Nun befürchtet die Gewerkschaft, mit der Verankerung des Mindestlohnes im Entsendegesetz in der Bundesratssitzung am 30. November am Abstimmungsverhalten von CDU und CSU zu scheitern. Kurt Beck sieht gegenüber Bild-online in dieser Frage vor allem das Verhältnis zu Kanzlerin Angela Merkel arg strapaziert. Denn die zeigt offensichtlich kein großes Interesse mehr an der Einführung eines Mindestlohns, von dem ihre Wählerinnen und Wähler auch leben können. FAZ.Net unkt bereits, was in der Sache wohl rauskommt: „Einen gesetzlichen Mindestlohn für Briefzusteller wird es wohl nicht mehr geben in dieser Wahlperiode. Damit hat die Union in der Sache gewonnen, in der Darstellung verloren." (HDH)

Die PostzustellerInnen haben das unappetitliche Gezerre um ihre existenzsichernden Löhne durch CDU und CSU langsam leid. Deshalb wollen sie am 26. November ab 12 Uhr vor dem Kaufhaus Karstatt in der Kölner Zeppelinstraße gegen die für sie unheilvolle Allianz von CDU und CSU und für einen gesetzlichen Mindestlohn demonstrieren.


Online-Flyer Nr. 122  vom 21.11.2007



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