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Wirtschaft und Umwelt
Interview mit der ethecon-Preisträgerin Vandana Shiva
„Die Agro-Industrie bringt Hunger und Zerstörung der Natur“
Von Hubert Ostendorf

Die Berliner Stiftung „ethecon“ hat, wie in NRhZ 121 berichtet, der Inderin Dr. Vandana Shiva (55) den „Blue-Planet-Award 2007“ verliehen. Die promovierte Quantenphysikerin, Umweltschützerin, Feministin und Bürgerrechtlerin erhält die Auszeichnung „in Anerkennung ihres herausragenden Einsatzes für den Erhalt unserer Erde“ am 1. Dezember in Berlin überreicht. Hubert Ostendorf von der Düsseldorfer fiftyfifty-Galerie hat sie interviewt. – Die Redaktion.
Frage: Frau Shiva, Sie haben immer wieder den Hunger in der Welt angeprangert.
 
Antwort: Der Hunger kommt in den Ländern des Südens ausgerechnet in bäuerlichen Gegenden vermehrt vor, also dort, wo Menschen Nahrungsmittel anbauen. Das ist doch absurd. Wie kann es sein, dass Bauern, die Nahrung anbauen, Hunger leiden? Sie geraten in eine Lage, die es ihnen nicht ermöglicht, ihre eigenen Nahrungsmittel für sich und ihre Familien zu behalten. Die Ursachen liegen in der Abhängigkeit von Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden, die die Agro-Industrie ihnen für teueres Geld verkauft. Dies führt nicht nur zu Hunger sondern auch zur Zerstörung der Natur. Tausende von Bauern bringen sich selbst um, weil die Schuldenlast sie erdrückt. Ich weiß auch von einigen, die ihre Frau oder Kinder verkauft haben, andere haben eine Niere verkauft.


Witwe und Sohn eines Bauern, der Selbstmord begangen hat

Manche sagen, die Gentechnik könne den Hunger bekämpfen.

Das ist falsch. Allerdings wurde die Biotechnologie sogar auf dem offiziellen Welternährungsgipfel der Vereinten Nationen in Rom 2002 als Wunderwaffe gegen den Hunger propagiert. In Wahrheit dient sie nur dem Geschäft von Nahrungsmittelkonzernen wie Monsanto und Nestlé.

Warum wird die Gentechnik dann nicht geächtet?
 
Die amerikanische Regierung und auch andere ignorieren frühere Vereinbarungen zur Bekämpfung des Hungers, weil es personelle Verflechtungen gibt: Viele Regierungsmitglieder waren zuvor bei Konzernen beschäftigt. Das ist eine Gefahr für die Demokratie.

Was spricht denn gegen die Biotechnologie?
 

ethecon-Preisträgerin
Vandana Shiva
Die Biotechnologie bietet überhaupt keinen Ansatzpunkt gegen den Hunger in der Welt. Es wird etwa behauptet, dadurch käme es zu höheren Erträgen in der Landwirtschaft. Das ist einfach falsch. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen verbessern nirgendwo in der Welt die Ernten der Bauern und bringen die Kleinbauern in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von den Konzernen. Eine Greenpeace-Studie über die Landwirtschaft in Argentinien beweist sogar, dass die Ernte-Erträge durch Gentechnik geringer werden. Gleichzeitig steigt aber der Verbrauch an gefährlichen Pestiziden und teuren Düngemitteln.

Also alles nur eine Frage des Profites?


Ja, leider. Die armen Länder sind ein riesiger Absatzmarkt für die Produkte der Agro-Industrie, der größten der Welt. Die Konzerne pressen unseren Bauern Lizenzgebühren ab, Geld für patentierte Samen, Dünger und Pestizide. Gleichzeitig bestimmen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds die Bedingungen für den Außenhandel. Die indische Bevölkerung etwa bezahlt für das eigene Getreide doppelt so viel wie die Exporteure. Also verhungern meine Landsleute, weil ihnen die Nahrungsmittel verwehrt werden, die sie selbst produzieren.


Vandana Shiva verteilt natürliches Saatgut

Was muss geschehen?
 
Die Regierungen des Nordens sollten dafür sorgen, dass die Konzerne sich aus der Nahrungsmittelproduktion heraushalten. Außerdem müssen wir verhindern, dass diese Unternehmen gentechnische Pflanzen anbauen. Sie tun dies oft ohne rechtliche Regelungen und schaffen damit Tatsachen. Wir brauchen ein neues System der Nachhaltigkeit. Schlüsselfragen müssen sein: Wie nutzt man den Boden am besten, was ist am gesündesten, was ist gerecht, wie nutzen wir die Artenvielfalt am besten?

Gutes Stichwort: Artenvielfalt ist sozusagen das Credo Ihrer Bewegung „Navdanya“ – „Neun Samen“.

                 Roter Reis
Genau. Wir sammeln Saatgut in den Bergregionen Indiens, wo wir zum Beispiel roten Reis gefunden haben. Mein erster Gedanke war, wenn er rot ist, muss er viel Eisen oder Beta-Carotin enthalten. Ich ging also ins Labor und stellte tatsächlich fest, dass der rote Reis extrem viel mehr Vitamine und Eisen enthält als Gen-Reis.

Aber das ist nur ein Beispiel ...

... das sich übertragen lässt. Ökologie in der Landwirtschaft vor allem in der Dritten Welt ist das Ziel von „Navdanya“. Wildkräuter eignen sich zudem für die Bekämpfung von Krankheiten. Hinzu kommt: Mit angestammten Arten lassen sich faire Bedingungen des Handels aufbauen.

Ein besonderes Problem ist die Privatisierung.

Nehmen Sie zum Beispiel das Wasser. Da, wo das Wasser von großen Konzernen privatisiert wurde, ist es um das Zehnfache teurer geworden. Und diese horrenden Summen lassen sich über die von der Weltbank diktierten Dumping-Erträge nicht wieder einfahren. Hinzu kommt, dass das ganze ungerechte System auch noch mit öffentlichen Mitteln subventioniert wird. Wir müssen unbedingt dafür kämpfen, dass dieses öffentliche Geld, also unser Geld, in die ökologische Landwirtschaft der Kleinbauern fließt. Außerdem hoffe ich, dass die europäische Bevölkerung sich gegen die Einfuhr gentechnisch belasteter Nahrungsmittel zur Wehr setzen wird. (PK)

Fotos: www.navdanya.org/images

Online-Flyer Nr. 122  vom 21.11.2007



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