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Lokales
Eberhard Tresselt erzählt über seine Desertion als Soldat in der Nazi-Armee
„Im KZ wurden mir die Augen geöffnet"
Von Hans-Dieter Hey

Es gibt nicht mehr viele Ältere, die aus der Zeit der Nazi-Diktatur den Jungen davon erzählen können, um falschen Entwicklungen vorzubeugen. Einer davon – mit einem bewegten politischen Leben – ist Eberhart Tresselt aus Köln. Im Juli wurde er 91 Jahre und erzählt uns, wie er im Nazi- Deutschland nicht mehr in den Krieg wollte und welche Folgen das hatte. Die Redaktion.

Eberhart Tresselt: Mit über 90 im Interview
Quelle: gesichter zeich(ch/g)en


Hans-Dieter Hey: Wir möchten dass die NRhZ-LeserInnen Deine Geschichte kennen lernen. Wie begann alles?

Eberhard Tresselt: Seit Beginn des Krieges war ich dabei, erst in Polen, Frankreich, dann in Afrika. Ich war dort bei den ersten, die mit Rommel gelandet waren. All das hat mich einfach fertig gemacht. Ich kam zurück, weil ich total erledigt war. Ich wurde nach Hause geschickt, um zu „genesen", wie es damals hieß.

Auf dem Weg zurück kam ich nach Neapel. Dort warteten tausende Soldaten auf den Krieg. Für die war es aber schwierig, nach Afrika zu kommen, weil die Engländer inzwischen ihre Luftwaffe verstärkt hatten und den Luftraum beherrschten. Damals mussten sie auch an Malta vorbei, was aber zur englischen Krone gehörte. Für die maltesische Unterstützung wurde ihnen nach dem Krieg die Freiheit versprochen. Malta war auch Ausgangspunkt für die englischen U-Boote.

Erschien Dir Neapel als Gelegenheit, zu verschwinden?

In Neapel habe ich mich mit drei Weiteren zusammengeschlossen, weil wir abhauen wollten. Das war zu der Zeit aber schwierig, weil die Italiener noch auf der Seite der Nazis standen. Erst später kam der Zusammenbruch des italienischen Militärs und der Widerstand verstärkte sich. Davor konnten wir aber nichts über Widerstand oder Partisanen erfahren, die uns hätten unterstützen können. Hätten wir noch gewartet, wäre später Unterstützung durch den italienischen Widerstand möglich gewesen. Die spätere Aufkündigung der Kooperation mit den Nazis kam die Italiener aber teuer zu stehen. Tausende von ihnen sind ermordet worden oder wurden zu Kriegsgefangenen erklärt und zur Zwangsarbeit nach Deutschland gebracht.

Eine Flucht war also zum damaligen Zeitpunkt sehr schwierig?

Wir wagten trotzdem, abzuhauen. Wir tauchten unter und versuchten, uns mit Klauen am Leben zu erhalten. Eines Tages war einer von uns so schlau und hatte beim Klauen seine Mütze liegen gelassen, in der sein wunderschöner Name stand. Lehmann hieß er. Wir wurden noch in derselben Nacht von der geheimen Feldgendarmerie verhaftet. Die hatten die Aufgabe, alle staatsgefährdenden Bestrebungen, z.B. Spionage, Landesverrat, oder Wehrzersetzung im Operationsgebiet zu bekämpfen. Das war sozusagen die Gestapo im Ausland.


Von vielen gefürchtet: Feldgendarmerie oder
Auslands-Gestapo | Quelle: NRhZ-Archiv


Als Kriegsverweigerer bedeutete dies Erschießung oder das KZ?

Wir kamen dann alle dort vor das Kriegsgericht. Ich hatte noch Glück und wurde nur zu fünf Jahren Zuchthaus und drei Jahren Ehrverlust verurteilt. Wenn man als Soldat zu Zuchthaus verurteilt war, war man wehrunwürdig. Da war ich aber froh. Denn wehrwürdig, also würdig, sich die Gedärme aus dem Bauch schießen zu lassen, war man nur, wenn man nicht vorbestraft war.

Wo kamst Du anschließend hin?

Für mich hieß das: Sonderkonzentrationslager bzw. Soldatenkonzentrationslager. Ich dachte, dass ich dort besser überleben konnte, als wäre ich nur zu Gefängnis verurteilt worden. Dann wäre ich garantiert sofort an der Front gelandet. Ich kam also ins Moorlager Emsland, ins Lager Esterwegen. Fast drei Jahre war ich im SK. Dort fand ich viele Genossen wieder, die ehemalige Soldaten und Kriegsverweigerer waren. Insgesamt gab es sieben Lager. Es waren auch die ersten KZs der Nazis und sie galten für die späteren KZs als Vorbild. Die Lager gab es seit 1933, aber das war der Öffentlichkeit bekannt.


Schon seit 1933 bekannt: KZ-Lager der „Moorsoldaten" im Emsland
Bis 1945: 1.934 Häftlinge „verstorben"
Quelle: wikipedia


Wie waren dort Deine Überlebensbedingungen?

Von 1942 bis 1944 war ich dort im Lager und musste Zwangsarbeit leisten im Torfstich. Das war ganz furchtbar. Ungefähr zehn Prozent der Insassen waren „Berufskriminelle", und die wurden als Kapos zu unserer Bewachung eingesetzt. Sie durften in der Küche oder in den Werkstätten arbeiten und überlebten den Krieg oft hervorragend. Wir wurden oft verprügelt und bekamen kaum etwas zu essen. Ich wurde sehr krank und wog bei 1,92 m nur noch knapp über 40 Kilo.

Wir wussten nicht, ob wir am nächsten Tag noch lebten. Im KZ war es vorgesehen, dass es uns dreckiger ging, als allen anderen. Ich weiß noch, dass es vor den Unterkünften Blumenrabatte gegeben haben musste, als das Lager noch für ausländische Journalisten Vorzeige-KZ war. Man wollte zeigen, dass die Weltpresse über KZs und die sogenannten Schutzhäftlinge die Unwahrheit berichtete. Zu meiner Zeit brauchte man keine Rücksicht mehr aufs Ausland zu nehmen. Es gab auch keine Blumen mehr.

Gab es Überlegungen, auch von dort zu fliehen?

Die einzige Möglichkeit, dort rauszukommen war, sich wieder freiwillig für den Kriegseinsatz zu melden. Man konnte sich zur Bewährung melden. Ich wäre sonst vor die Hunde gegangen. Es hat nämlich nicht viel gefehlt, und ich wäre mangels Ernährung eingegangen.

Durch die Kontakte mit Genossen wurde ich nach und nach auch vom Sozialismus überzeugt. Obwohl die Bewacher versuchten, uns auseinander zu treiben, gelang es uns, miteinander zu sprechen. Wir mussten immer aufpassen, nicht in andere Baracken verlegt zu werden. Viele von der Gefangenen waren in der KP und haben mir im KZ endlich politisch die Augen geöffnet. Die Kommunisten im Lager mussten sich besonders zurückhalten, sonst wäre es ihnen schlecht ergangen. Merkwürdig für mich war nur, dass auch viele Kommunisten sich trotzdem noch als richtige Soldaten fühlten. Das zeigt, dass die Ideologisierung der Nazis total war. Später, nach dem Krieg, habe ich mich dann sehr ausführlich mit dem Kommunismus auseinander gesetzt.

Wie ging es aber dann mit Dir weiter?

Also, mit schlotternden Knien, furchtbar schwach und abgemagert meldete ich mich freiwillig. Der Militärarzt fragte dann auch, ob ich die Militärzeit in meinem Zustand überhaupt überstehen könne. Doch die Zeit war günstig, denn die Nazis merkten, dass ihnen langsam die Soldaten ausgingen. Die Begnadigungen liefen dadurch etwas zügiger. Leider kam ich aber nicht damit durch, dass meine Kriegsverletzungen und mein Gesamtzustand ausreichten, nicht wieder in den Krieg ziehen zu müssen.

Ich bekam dann ein Soldbuch und begann wieder als Schütze Arsch. In Torgau in Sachsen wurde ich dann gegen Ende 1944 in meinen Truppenteil eingewiesen, das war das Ersatztruppenteil 501, eine Bewährungskompanie für die ehemaligen Zuchthäusler. Doch dort stellte man fest, dass mit mir nicht viel im Krieg zu gewinnen sei. Obwohl ich wegen der Verletzungen kaum hören konnte, wurde ich einer „Hörkompanie" zugeteilt, was ziemlich albern war.

Bis auf Senf gab es hier nichts zu kaufen. Wir kauften wie irre Mostrich und aßen ihn auf Brot. Wenn man aus dem Lager kam, war das schon eine Delikatesse: In der Kantine sitzen, um Brot mit Senf essen zu können..


Moorlager Esterwegen: Heute eine Gedenkstätte
Quelle: wikipedia


Wie lief diese Bewährung in der Bewährungskompanie?

Darauf habe ich keinen Wert gelegt. In Olmütz, in Tschechien, traf ich dann auch wieder einen Mitgefangenen aus dem Emslager. Der hatte wirklich versucht, sich zu „bewähren". Inzwischen waren in seinem Soldbuch drei Punkte eingetragen, für eine vollständige Bewährung brauchte man fünf Punkte. Einen Punkt bekam man z.B., wenn man einen russischen T-64-Panzer in die Luft jagte mit all den Soldaten drin. Die wurden auch in die Luft gejagt, wenn sie eine weiße Fahne zeigten. Ich sagte noch zu meinem Ex-Mitgefangenen, er solle das mit dem Selbstmordkommando endlich sein lassen. Einen vierten Punkt hat er dann auch nicht mehr bekommen, ich habe ihn nie wiedergesehen. Da lief es genau umgekehrt. Ich habe auch keinen kennen gelernt, dem auf diese Art die Bewährung gelungen war. Der Krieg für mich bestand nur noch ein paar Wochen aus Rückzugsgefechten.

Wie kam das Ende des Krieges für Dich?

Anschließend kam ich in russische Gefangenschaft. Sie unterschieden, ob du als Nazi im Osten gewütet hast oder nur einfacher Soldat warst. Irgendwie hatte ich Angst, denen die Wahrheit zu sagen und meinte nur, ich wäre im KZ gelandet, weil ich einen Major verprügelt hätte. Bis auf die böse Kälte in Russland – wir waren ja nicht für den Winter gekleidet – war die Kriegsgefangenschaft gegenüber dem KZ eine wahre Idylle. Man wurde nicht verprügelt und die Ernährung war besser.

Später wurde ich dann aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und betätigte mich in der BRD politisch gegen Wiederaufrüstung, Notstandsgesetze, Kernkraftwerke und den Kapitalismus. Denn ich hatte ja inzwischen begriffen, wie die Zusammenhänge sind. Vor allem war ich lange in der Antifa aktiv.

Heute treiben Neonazis und NPD ihr Unwesen. Müssen wir den Anfängen wehren?

Das reicht heute nicht mehr aus, wehret den Anfängen. Auch keine Verbote. Die Anfänge sind schon viel weiter. Ich verstehe auch gar nicht, wie es nach diesen Erfahrungen wieder Menschen geben kann, die so denken. Offenbar verstehen die nur die Sprache der Gewalt, und das Hirn reicht nicht zum Denken aus. Man sollte sie alle verprügeln. Die Körpersprache verstehen sie wohl am besten. Leider ist das ja verboten, und die Neonazis oder die NPD werden durch die Polizei vor der Antifa geschützt. (PK)




Online-Flyer Nr. 118  vom 24.10.2007



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