NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

Fenster schließen

Globales
Die palästinensische Wirtschaft hat unter Besatzungsbedingungen keine Chance
Israelische Checkpoints und die Seife von Adnan Tbeili
Von Hadas Lahav

Adnan Tbeili aus Nablus stellt die Seife her, die Sindyanna of Galilee weltweit exportiert. Seit April diesen Jahres hat er keine Einreiseerlaubnis nach Israel mehr bekommen. Wir von Sindyanna, einer israelischen Fair Trade Organisation, haben einen Anwalt eingeschaltet und Briefe geschrieben. Nichts half. Tatsächlich ist Tbeili, um seine Kontakte auf der anderen Seite der unendlichen Batterie von Checkpoints rund um Nablus zu bewahren, seit dem Jahre 2000 von der Gnade der israelischen Bürokraten abhängig.
Das „Industriegebiet“ von Beit Furik
 
Am 19. Juni gab ich es auf, auf Tbeilis Kommen zu warten. Ich fuhr in die Westbank zu seiner Fabrik, ein Familienunternehmen, das seine Familie seit drei Generationen betreibt. Sindyanna trifft sich routinemäßig mit seinen Produzenten, aber in den Besetzten Gebieten wird nichts Routine. Glücklicherweise liegt die Fabrik im Industriegebiet von Beit Furik. Aber das Wort „glücklicherweise“ ist irreführend. Es hat nichts mit Erfolg oder Wohlstand zu tun, sondern nur mit der Lage: Läge der Betrieb nördlich des Checkpoints von Beit Furik, innerhalb der Stadtgrenzen von Nablus, könnten wir dort überhaupt nicht hin und Tbeili könnte seine Seife nicht zu uns nach Israel bringen.

Sindyanna Beit Furik Westbank
Am 19. Juni gab ich es auf, auf Tbeili zu warten und fuhr in die Westbank

Der Begriff „Industriegebiet“ ist ebenfalls irreführend. Zehn Familienbetriebe liegen über die Terrassen östlich von Beit Furik verstreut. Die Palästinen- sische Autonomiebehörde, PA, hatte dieses Gebiet als Kronjuwel ihrer neuen Wirtschaft auserkoren. Und da ist es nun: eine Seifenfabrik, eine für Tierfutter und ein paar, die Zementblöcke herstellen. Sonst nichts. Kein Schild am Eingang. Keine befestigte Straße. Kein Telefon. Keine Verbindung zum Wassernetz. Elektrizitätsversorgung aus Israel. So sieht das aus, was man sich mal als das Singapur des Nahen Ostens erträumt hat.

… wie ein Wunder  

Auf dem Fabrikdach stehen zehn große Wasserkanister. Das Wasser kostet zehn Schekel pro Kubikmeter, etwa 2,5 US$, ein Unternehmen in Israel zahlt 2,215 Schekel. Das Wasser wird vom Gemeinderat in Beit Furik geliefert, der es von einem Brunnen im Beit Dajan Tal bekommt. Die nahe gelegenen Siedlungen Itamar und Eilon Moreh sind an die Wasserleitung angeschlos- sen, die am Beit Furik Checkpoint entlangläuft. Vor der Intifada im September 2000 hatte die PA einen Vertrag mit der israelischen Wassergesellschaft geschlossen und sogar schon begonnen, die Infrastruktur aufzubauen. Die Intifada hat alles gestoppt.
 
Vor vier Monaten ist es Tbeili gelungen, auf eigene Kosten eine Telefonverbindung zur Fabrik zu legen. In seinem nicht-klimatisierten Büro kann er telefonieren, faxen, E-Mails verschicken und im Internet surfen. Was für uns normal ist, scheint hier wie ein Wunder.
  
Beit Furik Nablus Olivenseife
In Tbeilis Fabrik in Beit Furik
 Die Palästinensische Autonomiebehörde begann im Jahr 2000, vor der Intifada, das Industriegebiet auszubauen, und Tbeili war der erste, der eine Baugenehmigung erhielt. Er kaufte für 70.000 Schekel (17.000 US$) einen Bauplatz – damals ein Schnäppchen. Als die Intifada ausbrach, hatte er grade zu bauen begonnen. Erst 2005 wurde der Bau beendet. Dann verlagerte Tbeili die Produktion von Nablus nach Beit Furik. Warum es so lange dauerte? Weil Beit Furik bis 2005 für Kraftfahrzeuge gesperrt war. Soldaten und Steinhaufen blockierten die Zufahrt und nur Fußgänger kamen hinaus und hinein. 2005 wurde der „moderne“ Beit Furik Checkpoint eröffnet und endlich hatten auch Kraftfahrer Zugang zum Dorf.
 
Spinnennetz  

Tbeili lebt in Nablus und sein größtes Problem sind die Checkpoints. Wie ein Spinnennetz liegen sie über der zuckenden palästinensischen Ökonomie. Um zu seiner Fabrik zu kommen, muss Tbeili erst durch den Checkpoint von Beit Furik, östlich von Nablus. Hier wartet er manchmal eine halbe Stunde, manchmal zwei Stunden oder drei oder auch den ganzen Tag, das hängt von der Sicherheitslage ab.
 
Den Checkpoint von Beit Furik dürfen nur Leute passieren, deren Ausweise sie als Bewohner von Beit Furik oder Beit Dajan ausweisen. Bewohner von Nablus dürfen nur die drei anderen Checkpoints, die um die Stadt herumliegen, benutzen: Huwara im Süden, Beit Iba im Westen und Badan (bei Taluza) im Norden. Wer bei Beit Furik durch will, braucht zwei Ausweise, einen der beweist, dass er in Nablus wohnt, und einen, der ihn als Bürger von Beit Furik ausweist

Checkpoint Nablus Israel
 Am Checkpoint von Beit Furik brauchen Palästinenser zwei Ausweise 

Mit Tbeili sind jeden Tag sein 76-jähriger Vater und der 60-jährige A.S. in der Fabrik. A.S., Vater von vier Kindern, hatte früher eine eigene Seifenfabrik in Nablus. Wie viele Andere gab auch er während der Intifada sein Geschäft auf. Heute arbeitet der Flüchtling aus Sarafand, das heute auf israelischem Staatsgebiet liegt, tagsüber in Tbeilis Fabrik und bewacht nachts den Platz.
 
Die Arbeiter, die in Tbeilis Fabrik in Nablus gearbeitet hatten, konnten ihrem Arbeitsplatz nicht nach Beit Furik folgen; sie kommen nicht durch die Checkpoints. Die meisten stammten aus Salem, das Israel dem Gebiet von Nablus zugeschlagen hat. Heute kommen Tbeilis Angestellte aus Beit Furik und Beit Dajan, denn ihnen versperren keine Checkpoints den Weg. Sechs Männer sind bei ihm beschäftigt, alle Alleinernährer ihrer Familien. 2000 waren es doppelt so viele Angestellte.
 
Dafür gibt es zwei Gründe, sagt Tbeili: Die Straßen sind dicht und die Leute haben kein Geld. „Vor der Intifada habe ich monatlich Seife im Wert von 150- bis 250.000 Schekel verkauft, davon für 100.000 auf dem israelischen Markt. Heute setze ich nicht einmal mehr 50.000 um, davon weniger als 20 % in Israel. An manchen Tagen nehme ich grade mal 100 Schekel ein.“

Viele Stunden unterwegs  

Auf der Hauptstraße dauert eine Fahrt von Beit Furik nach Huwara keine zehn Minuten. Die Straße ist wunderschön, sie schlängelt sich durch die Berge, der Blick schweift über Olivenhaine und gepflügte Felder. Doch meist ist die Straße leer, denn nur Israelis dürfen sie benutzen. Wird ein Palästinenser auf dieser Straße erwischt, wird festgenommen und bekommt eine Geldstrafe, falls man ihn nicht zuvor erschießt.

Ein Einwohner von Beit Furik, der nach Huwara fahren will, muss erst durch den Beit Furik Checkpoint nach Nablus fahren und von dort weitere drei Kilometer zum Checkpoint Huwara. Gelingt es ihm, dort durchgelassen zu werden, kann er sein Ziel erreichen. Damit wird eine zehnminütige Fahrt zu einem mehrstündigen Unternehmen.
 
Ein Warentransporter, der von Beit Furik z u welchem Ort in der Westbank auch
Sindyanna Nazareth Olivenöl
Sindyanna Olivenseife aus Nablus
immer gelangen will, muss dieselbe beschwerliche Fahrt unternehmen. Nur durch den südlich von Nablus gelegenen Huwara Checkpoint dürfen Waren die Stadt verlassen, selbst wenn ihr Bestimmungs- ort in deren Norden oder Westen liegt.

Ist ihr Ziel Israel, dürfen die Waren nur auf LKWs mit israelischem Nummernschild und nur durch den Checkpoint Anata nordöstlich von Jerusalem transportiert werden. Früher dauerte die Fahrt von Nablus in den Norden zu Sindyanna maximal anderthalb Stunden. Heute sind es mindestens vier Stunden, denn der Laster muss erst nach Süden nach Jerusalem fahren, in der Schlange am Checkpoint ausharren und dann auf israelischen Straßen wieder nach Norden tuckern. Das wirkt sich unmittelbar auf die Transportkosten aus. Der Preis einer Lieferung von Nablus in den Galil ist von 300 Schekeln auf, im besten Fall, 1.200 Schekel gestiegen, die 90 Schekel Steuerabgaben in Anata nicht mitgerechnet.

Wenn Not das Los aller ist
 
All dies bedeutet wirtschaftliches Elend. In Nablus hat das Chaos ein nie gekanntes Ausmaß erreicht: Diebstähle, Erpressung von Schutzgeldern und Einbrüche sind Alltag geworden. Junge Kriminelle errichten provisorische Straßensperren, halten die Autofahrer an und nehmen ihnen alles ab, was sie haben. „Ich tue keinen Schritt aus dem Haus mit mehr als hundert Schekeln in der Tasche“, sagt Tbeili.

Wir essen in Tbeilis Fabrik zu Mittag. Der Besitzer, die Gäste und die Arbeiter essen zusammen Humus, stippen das Pita-Brot in denselben Teller. Klassenunterschiede schrumpfen zusammen, wenn die Not das Los aller ist.

Sindyanna Frauen Nazareth
Die Frauen von Sindyanna machen die Seife versandfertig
Alle Fotos: (c) Challenge
 
Drei Wochen nach unserem Besuch wird ein Laster vor unserem Sindyanna-Betrieb in Cana bei Nazareth vorfahren, beladen mit vielen Tausend Seifenstücken. Einige Monate später werden diese, nachdem wir sie gereinigt, verpackt und versandfertig gemacht haben, zum Verkauf durch ganz Europa und Teile Nordamerikas verschickt, mit Hilfe des internationalen Netzwerks von Fair Trade Organisationen, die es auf sich genommen haben, den Fluch der Checkpoints zu brechen. (YH)

Sindyanna Nablus PalästinaHadas Lahav ist die Geschäftsführerin von ,Sindyanna of Galilee', einer von Frauen betriebenen israelisch-arabischen Fair Trade Organisation, die palästinensische Olivenöl und seine Produkte vermarktet. Sindyanna hilft damit Farmern aus den Besetzten Gebieten und bietet in seinem Betrieb in Cana zugleich arabischen Bürgerinnen Israels Arbeitsplätze.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Zeitschrift ,Challenge' erschienen.

Aus dem Englischen von Endy Hagen

Online-Flyer Nr. 115  vom 03.10.2007



Startseite           nach oben