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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Medien
„Strahlende Zukunft“ - ein nicht ganz alltäglicher Tatort-Krimi
Mal eine mutige ARD-Sendung
Von Jürgen Groschupp

Am 26. August wurde der Krimi „Strahlende Zukunft“ in der Tatort-Serie von Radio Bremen gesendet. Warum „Strahlende Zukunft“, konnte man zunächst fragen. Haben wir die strahlende Gegenwart nicht seit langem zu ertragen? Doch es zeigte sich rasch, dass die Sendung über den Rahmen üblicher Verharmlosungen in den Medien weit hinausging. Mit erbärmlichen Beispielen solcher Verharmlosung hatte sich das Projekt Medien-Kultur der
„Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie“ gerade auseinandergesetzt (siehe NRhZ 98, 100, 104, 111).

SPIEGEL, WDR, MDR, ARD pro Mobilfunkindustrie

Der SPIEGEL-Artikel „Der Hamster ist Zeuge“ (30.4.07) und eine WDR-Sendung von „Quarks & Co.“ von Rangar Yogeschwar in der ARD (19.6.07) hatten herausragende Beispiele tendenziöser, konzernabhängiger Berichterstattung geboten (vgl. www.kompetenzinitiative.de, Rubrik Demokratie, Unterrubrik Medienkritik). Ein Beispiel der Verdrängung und Beschneidung von Kritik hatte auch der MDR, eine co-produzierende Anstalt der ARD, geliefert. Er brachte den Film „Der Handykrieg“ von Klaus Scheidsteger am 6.12.06 in einer stark verkürzten und aller brisanten Stellen beraubten Fassung und versteckte ihn im Vormittagsprogramm unter einer verschleiernden Ankündigung. Hatte die Verantwortlichen ihr Mut verlassen, oder reagierten sie auf ‚Einwirkungen von Außen’?

Ganz anders im Falle dieses Tatort, dem die Brisanz des Themas belassen wurde. Und sie sorgte für reichlich Wirbel. Radio Bremen wurde in einer zweistündigen Sondersendung mit Anfragen und Kommentaren geradezu überhäuft. Von Unruhe wurde offensichtlich auch das Informationszentrum der Mobilfunkindustrie (IZMF) erfasst, das Medien und die ganze Gesellschaft in seinem Sinne aufzuklären versucht. Auf seiner Internetseite liest man seit der Sendung unter der Überschrift „Mobilfunkmasten keine Gefahr für die Bevölkerung: Tatort-Geschichte missachtet wissenschaftliche Erkenntnisse“.

Direkte Verbindung zu Leukämie

Fotos: Gisela Segieth
 „Gefährdet eine Mobilfunkantenne in der Nachbarschaft die Gesundheit? Können die elektromagnetischen Felder des Mobilfunks Krebs auslösen? Wer den Tatort "Strahlende Zukunft" auf der ARD verfolgt hat, dem dürften diese Fragen durch den Kopf gegangen sein. Denn in der Sendung wird eine direkte Verbindung zwischen Mobilfunkantennen und der Erkrankung an Leukämie hergestellt. Doch was in der Krimiserie für Spannung sorgt, hat mit der Realität nichts zu tun. Der Krimi stellt unsachgemäße Zusammenhänge her, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Wissenschaftliche Fachgremien … kommen in der Auswertung der vorliegenden Studienergebnisse zu dem Schluss, dass unterhalb der in Deutschland gesetzlich festgelegten Grenzwerte keine gesundheitlichen Folgen zu befürchten sind und die Bevölkerung zuverlässig geschützt ist.“

Was es mit den ‚Fachgremien’ auf sich hat, wäre manche Aufklärung wert, auf die zu hoffen ist. Was aber die Leukämie betrifft, so ist die Zukunft längst gut dokumentierte Gegenwart: In England werden deshalb schon heute Mobilfunkantennen wegen der Häufung von Krebsfällen abgebaut. Nachzulesen ist dies und anderes u.a. auf der informativen Internetseite der Bürgerinitiative Bismarckstraße in Stuttgart unter „Handy und Krebsgefahr“. Hunderte Studien und Berichte über biologische Effekte und Gesundheitsgefährdungen durch die Mikrowellenstrahlung liegen vor; über hundert kann die Homepage bereits mit Zusammenfassungen eines amtlich anerkannten und keineswegs von Mobilfunkkritikern veranstalteten Informationsportals dokumentieren.

Sogar BILD äußert sich mal kritisch
Selbst die BILD-Zeitung, die sich bislang nicht gerade durch mobilfunkkritische Beiträge ausgezeichnet hat, macht der kritischen Diskussion in ihrem Beitrag „Nach Krebs-Drama im ‚Tatort’: Strahlenangst!“ vom 27. August 2007 überraschende Zugeständnisse. Sie ist in der Realität der Gegenwart angelangt, wenn sie berichtet: „Der Mediziner Hans-Joachim Petersohn warnt aber: „Wir registrieren veränderte Hirnströme. Das EEG (Messung der Hirnströme) zeigt eindeutige Reaktionen auf die Strahlung. Nach spätestens zwei Minuten Telefonat ist die Blut-Hirn-Schranke aufgebrochen, Giftstoffe können daher ungehindert in das Gehirn eindringen.“

Die Mobilfunkindustrie heult auf. Oder trifft auch hier das Sprichwort zu, dass ‚getroffene Hunde bellen’? Enthielt ein scheinbarer Science fiction-Krimi zu viel an Information über eine totgeschwiegene heutige Realität? Die medizinische Datenbank auf der erwähnten Internetseite
www.der-mast-muss-weg.de dokumentiert u. a. eine Auswahl von zehn Studien, die die Öffnung der Blut-Hirnschranke nachweisen ( Salford 1992, 1993, 1997, 2003 ; Albert 1979; 1981; Goldmann 1984; Lange 1991; Neubauer 1990; Oscar 1977; Schirmacher 2000; Vojtisek 2005 ); ebenso dutzende Studien zu EEG Veränderungen. Doch natürlich: Verkaufsfördernd sind Erkenntnisse dieser Realität nicht!


Kommunikationsmittel oder Strahlenwaffe?
Foto: NRhZ-Archiv

Interview mit Drehbuchautor
Radio Bremen und diesem Tatort gereicht es zur Ehre, dass im Hinblick auf das delikate Thema eigenständig und sorgfältig recherchiert wurde. Hintergrundinformationen werden unter geboten, darunter auch ein Interview mit Drehbuchautor Christian Jeltsch aus dem ich einige Passagen zitiere:

Frage Radio Bremen: „Diese Frau vermutet eine Verschwörung aus Mobilfunkindustrie und Staat und behauptet, dass sie selbst bestrahlt wird. Klingt das nicht ziemlich absurd?“

Antwort Christian Jeltsch: „Wenn ich es für absurd hielte, hätte ich es nicht so erzählt. Es gibt viele Fälle, in denen Menschen unter Elektrosmog leiden. Aber sie werden meist nicht wirklich ernst genommen. Ihre Zurechnungsfähigkeit wird infrage gestellt. Auch weil sie Fragen stellen, die der Industrie wehtun. Für mich geht es im Film aber nicht nur um Mobilfunkstrahlung. Das ganz zentrale Thema ist das von Macht und Ohnmacht. Die Macht hat in diesem Fall der Staat im Schulterschluss mit der Industrie – und der Einzelne steht dem ohnmächtig gegenüber“.

Frage Radio Bremen: „Ihr Film verwebt das Thema Mobilfunkstrahlung mit dem Thema Strahlenwaffen. Was ist daran Tatsache und was Science-Fiction?“

Antwort Christian Jeltsch: „Nach meinen Recherchen weiß ich, dass das nicht so weit auseinander liegt. Es geht um Strahlen. Und die treten sowohl bei Handys als auch bei diesen Waffen auf. Auch deutsche Firmen entwickeln zum Beispiel Strahlenwaffen, die mit Mikrowellen arbeiten. Das kann jeder auf deren Internetseiten nachlesen. Sie werden da im wahrsten Sinne ‚gepriesen’ als ‚nicht-tödlich’. Im Irak wurden diese Waffen schon eingesetzt, um elektronische Systeme wie Funk lahm zu legen, heißt es offiziell. Es gibt eine Szene im Film, in der eine Strahlenwaffe als Handy getarnt wird. Das mag vielleicht nach Science-Fiction klingen, aber nach meinen Informationen wird auch schon an solchen Dingen geforscht.“

US-Dokumentation und Radio Bremen-Bericht
Wer sich für die angesprochenen Mikrowellenwaffen interessiert, findet eine US-Dokumentation dazu auf der Internetseite von Diagnose-Funk (Schweiz), aber auch bei Radio Bremen  wo Jeff Hymes (Pentagon), der Direktor des amerikanischen Entwicklungsprogramms für nichttödliche Waffen zitiert wird: „Für Waffenentwickler haben sie eine große Zukunft. Das ist eine der
Schlüsseltechnologien der Zukunft.“

Aber der Bericht von Radio Bremen fährt fort: „Doch ganz so harmlos sind die Strahlenwaffen offenbar nicht. Wo ist die Grenze zwischen bloßem Schmerz und bleibenden Schäden? Und was passiert, wenn ein Opfer nicht in der Lage ist, aus dem Strahl der Waffe zu fliehen? Und sollte die Strahlenkanone in die falschen Hände geraten, mag man sich die Folgen gar nicht ausmalen. Eine Waffe, die unvorstellbare Schmerzen auslöst, ohne Spuren zu hinterlassen - auf solch ein Instrument haben die Folterknechte dieser Welt seit Jahrhunderten gewartet.“

Fazit: Ein nicht ganz alltäglicher, ein mutiger, ein gut informierter Krimi! Ein Kompliment zahlreicher gut informierter Zuschauer an Sender und Autor!


Karikatur: Larusa

Die Sendung konnte aber auch Menschen wieder Mut und Hoffnung machen, die Anlaß hatten, am Beispiel des Spiegel-Artikel und der Quarks-Sendung des WDR im Ersten medialen Machtmissbrauch zu kritisieren. Der wird nur von den Zuschauern in der Regel nicht durchschaut – weshalb Rangar Yogeschwar mit seinen „Gesundheitssendungen“ der ARD auch so gute Einschaltquoten bringt. 

Wo aber stehen in dem Spiel der Mächtigen die Medien? Nach der Idee der Demokratie hätten sie die Aufgabe, Bürger angemessen zu informieren, aber auch vor Willkür und Machtmissbrauch zu schützen. Unabhängige Information und Kritikfähigkeit sind die Instrumente ihrer schützenden Macht. Doch wo Medienmacher die Mächtigen der Gesellschaft nicht mehr kontrollieren, sondern einträchtig mit ihnen im Boot gemeinsamer Interessen sitzen, ist auch der mediale Machtmissbrauch unterwegs. Einseitige Information
und geistige Manipulation der Öffentlichkeit sind seine geläufigsten Formen.

Das IZMF weiß zu beschwichtigen: „Was in der Krimiserie für Spannung sorgt, hat mit der Realität nichts zu tun“. Ich sehe das anders, und weiß mich in dieser Überzeugung mit ungezählten Menschen einig!

Jürgen Groschupp ist Vorstandsmitglied und Sprecher des Mobilfunk Bürgerforum e.V.

www.mobilfunk-buergerforum.de, info@mobilfunk-buergerforum.de, Geschäftsstelle: D-71315 Waiblingen, Postfach 5029, und Mitbegründer des Netzwerks Risiko Mobilfunk, www.netzwerk-risiko-mobilfunk.de, sowie Mitunterzeichner der Gründungsdeklaration der Kompetenzinitiative zum Schutz von Mensch, Umwelt und Demokratie, www.kompetenzinitiative.de. (PK)

Online-Flyer Nr. 113  vom 19.09.2007



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