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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Medien
Warnung: Wer Kapitalismuskritik öffentlich äußert, gehört in den Knast
Christian Klar als warnendes Beispiel
Von Anna Bachmann

Wir ahnten es seit langem, doch die Reaktion von Politik und Medien auf das Grußwort des RAF-Häftlings Christian Klar an die Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13. Januar in Berlin macht es deutlich: Wer es wagt, sich in Deutschland öffentlich gegen das Großkapital, seine Politiker und Propagandamedien zu äußern, ist ein Verbrecher, ein potentieller Mörder, ein Unverbesserlicher, ein Menschenverächter und gehört lebenslang hinter Gitter.
Regierungsparteien und Mainstream-Medien einig

Das versuchen Regierungsparteien und große Teile der Opposition unter Mitwirkung der Mainstream-Medien dem Volk seit einigen Tagen öffentlich klar zu machen. Die Warnung lautet: Distanziert Euch von Kapitalismuskritikern, sie sind gefährlich, sind Terroristen, gegen die mit aller Härte vorgegangen werden muss. Sie haben nur eins im Sinn: die Zerstörung der Demokratie. Hütet Euch davor, ebenfalls dieses Boot zu besteigen, denn es wird Euch teuer zu stehen kommen! Zumindest mit Berufsverboten, die wir ja schon einmal angewendet haben.

Erste Erfahrungen mit Repressalien dieser Art gegen Kapitalismuskritiker durfte Tatort-Kommissar Bruno Ehrlicher (Peter Sodann) schon vor der letzten Bundestagswahl machen. Als PDS-Mitglied wollte er 2005 für den Bundestag kandidieren, zog dann jedoch - auf Druck der ARD - seine Kandidatur zurück. Man hatte ihm mit Rausschmiss gedroht.

Der Rausschmiss erfolgt nun trotzdem – anderthalb Jahre später und unter dem Deckmäntelchen des Alters. Man schickt den Publikumsliebling zu seinem 70. Geburtstag (1.Juni) in Rente. Horst Saage, Vorsitzender des MDR-Rundfunkrats, dürfte wohl kräftig an Sodanns Tatort-Stuhl gesägt haben. Der TV-Star sei „für die Rolle ein bisschen zu alt“, und überall würden Arbeitnehmer vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Für die meisten sei spätestens mit 65 Jahren Schluss.

Nach Peter Sodann nun auch Claus Peymann?

Der wahre Grund dürfte das kaum sein. Anzunehmen ist, dass Saage einen politisch unliebsamen Künstler entfernen will. Ähnlich wird es wohl bald Claus Peymann, dem Intendanten des Berliner Ensembles, ergehen, der auch bald 70 wird. Rufe nach seiner Entlassung werden bereits laut. Denn Peymann, der Christian Klar nach der Entlassung einen Praktikumsplatz angeboten hat, stellt sich hinter dessen Kapitalismuskritik: „Das sind auch meine Ansichten.“

Klar spreche das aus, so Peymann weiter, was der weitaus größte Teil der Weltbevölkerung außerhalb von Westeuropa und Amerika denke. Und: „Es kann nicht sein, dass dieses kapitalistische System von Korruption und Verantwortungslosigkeit der Weisheit letzter Schluss ist.“ Obwohl er deshalb heftig unter Beschuss geriet, erneuerte der Theaterintendant sein Angebot, Klar ein Praktikum als Bühnentechniker in seinem Haus zu ermöglichen.

An den aufgezeigten Beispielen wird nur allzu deutlich, dass es mit der angeblich zu verteidigenden Demokratie und der damit verbundenen Garantie für freie Meinungsäußerung in Deutschland nicht mehr sehr weit her ist. Die Forderung nach Menschenwürde, Menschenrechten, Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit ist nur noch Lippenbekenntnis, denn diese Werte gelten heute ausschließlich für die selbst ernannten Eliten. Fürs Fußvolk ist ihre Gültigkeit Schnee von gestern. Wer die Frechheit besitzt, diese Rechte für alle Bürger einzufordern, gilt als gefährlich, als ewig „Gestriger“, als Links-Terrorist, der hinter Schloss und Riegel gehört. Er stört, ja, gefährdet nämlich die weltweite Verarmungs- und Enteignungskampagne der elitären Abzocker, auch Kapitalisten genannt.

Auch in Deutschland wächst der Widerstand

Und gegen diese Gefahr hat die Regierung massiv vorzugehen. Christian Klar bietet sich gerade im richtigen Augenblick an – es hätte ebenso ein anderer sein können. Jeder Strohhalm muss ergriffen werden, sobald Kritik an den Herrschenden laut wird. Die Macht George W. Bushs gerät zunehmend ins Wanken, etliche südamerikanische Staaten bieten den Kapitalismus-Piranhas die Stirn, Wladimir Putin erdreistet sich ebenfalls, das Vorgehen des Westens zu kritisieren – nun muss jede sich bietende Gelegenheit genutzt werden, um diese Schlimmlinge, die Sozialisten, als Demokratiezerstörer zu „enttarnen“.
Denn auch in Deutschland selbst wächst offenbar der Widerstand gegen die Regierenden und ihre verlängerten Arme. Das wird jedoch von den Mainstream-Medien aus Kalkül totgeschwiegen. Allein im Jahr 2006 sollen mehr als 1.600 Übergriffe auf Mitarbeiter der Arbeitsagenturen erfolgt sein – berichtet wurde darüber nicht. Mehr als 500 Studien weisen mittlerweile auf die verheerenden Folgen der Regierungspolitik hin – solche Warnungen werden jedoch eisern ignoriert, die Zerstörung der Bundesrepublik Deutschland wird fortgesetzt.

„Unzufriedenheit, Desillusionierung und soziales Ungleichgewicht zerstören unsere Gesellschaft wie ein Krebsgeschwür von innen. Eine gefährliche Mischung, die sich vielleicht schon bald in offenen Revolten entladen wird“, warnen Marita Vollborn und Vlad Georgescu in dem gerade erschienen Buch „Brennpunkt Deutschland“. Und weiter: „Die Effizienz der kommenden Revolten wird jedoch weit höher sein als die der vergangenen, großen sozialen Revolutionen. Es ist nicht mehr das gemeine ‚Proletariat’, das sich erheben wird. Die Revoluzzer von morgen sind arbeitslose, verarmte, aber gut ausgebildete Eliten, die sich nicht mehr für die Gesellschaft, sondern gegen sie einsetzen.“

Kehrtwende könnte Frieden garantieren

Doch Beck, Merkel, Müntefering, Schäuble, Beckstein, Schmidt, Jung, Steinbrück, Söder, Koch, Niebel, Missfelder, Stoiber & Co. schalten weiterhin jeden gesunden Menschenverstand aus, erklären das Grundgesetz für null und nichtig, wo es ihnen nicht in den Kram passt, malträtieren Minderheiten immer ein wenig mehr und hetzen gegen alle, die ihnen gerade passend erscheinen: Arme, Alte, Arbeitslose, Kranke, Ostdeutsche, Ausländer, Andersdenkende…

Mit diesem Vorgehen leisten sie zunehmender Wut und Gewalt Vorschub – egal, aus welchem „Lager“ diese drohen. Schäuble glaubt, mit dem beabsichtigten Einsatz der Bundeswehr im Innern und einer Totalüberwachung aller Bürger ein Patentrezept gefunden zu haben, wähnt sich so auf der sichereren Seite.

Doch ist das wirklich so? Wenn ein ganzes Volk aufbegehrt, werden weder Polizei noch Bundeswehr die Millionen stoppen können. Nur eine Kehrtwende in der Politik könnte Frieden garantieren. Mehr hat Christian Klar in seinem Grußwort an die Rosa-Luxemburg-Konferenz nicht gefordert.

Was ist wohl wirklich verwerflich? Das Forderung Christian Klars nach Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle - oder die bewusste und gezielte Ausbeutung der Mehrheit eines ganzen Volkes einhergehend mit massiver Selbstbereicherung der „Eliten“? Eine Antwort darauf erspare ich mir! Stattdessen folgt nun noch das Grußwort Christian Klars, wegen dem ihm die Hafterleichterungen erst einmal gestrichen wurden und der Bundespräsident den Begnadigungsantrag ablehnen soll.

Grußwort von Christian Klar

„Liebe Freunde, das Thema der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz ´Das geht anders´ bedeutet – so verstehe ich es – vor allem die Würdigung der Inspiration, die seit einiger Zeit von verschiedenen Ländern Lateinamerikas ausgeht. Dort wird nach zwei Jahrzehnten sozial vernichtender Rezepte der internationalen Besitzerklasse endlich den Rechten der Massen wieder Geltung gegeben und darüber hinaus an einer Perspektive gearbeitet.

Aber wie sieht das in Europa aus? Von hier aus rollt weiter dieses imperiale Bündnis, das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neuverteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die propagandistische Vorarbeit leisten dabei Regierungen und große professionelle PR-Agenturen, die Ideologien verbreiten, mit denen alles verherrlicht wird, was den Menschen darauf reduziert, benutzt zu werden.

„Das geht anders“

Trotzdem gilt hier ebenso: ´Das geht anders´. Wo sollte sonst die Kraft zu kämpfen herkommen? Die spezielle Sache dürfte sein, dass die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen ´Rettern´ entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen.

Es muss immer wieder betont werden: Schließlich ist die Welt geschichtlich reif dafür, dass die zukünftigen Neugeborenen in ein Leben treten können, das die volle Förderung aller ihrer menschlichen Potenziale bereithalten kann und die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung vertrieben sind.“

Online-Flyer Nr. 85  vom 07.03.2007



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