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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Krieg und Frieden
Bundeswehr sorgt in der Kölner ARGE für Ausbildung und Arbeitsplätze
Arbeitslose an die Waffen!
Von Hans-Dieter Hey

Vergangenen Donnerstag machten rund dreißig FriedensaktivistInnen der Gruppe "Bundeswehr wegtreten" öffentlich, was sie von den neuen Rekrutierungsmethoden der Bundeswehr halten. Anlass waren Wehrberater, die im Berufsbildungszentrum (BIZ) der Kölner Arbeitsagentur auf Soldatenfang gingen. Die Agentur für Arbeit entpuppte sich dabei als Rekrutierungsbüro. Mit künstlichen Totenschädeln, Plakaten und Faltblättern machten sie deutlich, dass Notlagen von Menschen wegen fehlender Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten für Kriege im Zeichen der Globalisierung missbraucht werden.
Vor Beginn des 18. Jahrhunderts wurden unwillige junge Männer noch mit Stockschlägen fürs Militär "rekrutiert", oder einfach besoffen gemacht und auf einem Karren mitgeschleppt. Das wäre heute verboten und würde zu einem öffentlichen Skandal führen. Unter Kaiser Wilhelm I. wurde die Rekrutierung von Soldaten unter Gewaltanwendung verboten, und man empfahl, "mit möglichster Listigkeit" vorzugehen. Denn schon damals hatten die meisten jungen Männer - vor allem aus den ärmeren Bevölkerungsschichten - keine Lust zum Kriegsdienst. Inzwischen geht die Rolle rückwärts. Es gibt wieder eine Rekrutierungskeule, und die heißt Hartz IV, Jugendarbeitslosigkeit und fehlende Ausbildungsplätze. Da zerren Politik, Arbeitsagentur und Bundeswehr an einem Strick. Seit vergangenem Jahr laufen die Projekte "Gewinnung arbeitsloser Jugendlicher als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr" und "Arbeitgeber Bundeswehr". Doch heute regt sich offensichtlich kaum jemand darüber auf.

FC JungKriegsminister Jung braucht billiges Kanonenfutter, Foto: Bundeswehr

An diesem Donnerstag wartete der junge Rainer K. geduldig vor dem Gruppenraum 4 in der Arbeitsagentur. Er interessiert sich für eine Dienstverpflichtung über acht Jahre, vielleicht auch für eine Ausbildung als Automechaniker. Er schaute aus dem Fenster auf die Friedensdemonstranten unten und meinte zu seinem Kumpel: "Guck mal, voll die Looser dort unten". Darauf wurde er gefragt, ob nicht er selbst der Looser sei, wenn er für vielleicht 1700 Euro brutto im Monat eines Tages in einem Zinksarg der Bundeswehr nach Hause kommen werde. Seine Antwort war so spontan wie klar: "Ich brauche doch nur einen Job oder einen Ausbildungsplatz". Das führt unzweideutig den Zusammenhang vor Augen, in dem die beruflich Ausgegrenzten stehen: 70 % aller BewerberInnen bei der Bundeswehr geben an, sie aus Gründen der Arbeitsplatzsicherheit auszuwählen und 60 % wegen der Verdienstmöglichkeiten, so Thomas Bulmahn in Sowi-News 4/04.

Demonstration „Bundeswehr wegtreten!
Demonstration „Bundeswehr wegtreten!“
Foto: Bundeswehr


Fehlende Ausbildungsplätze als Rekrutierungskeule

Wie groß die Not sein muss, sagen uns auch die Zahlen des IAB-Berufsbildungsberichts für das Jahr 2006 vom 27. Dezember. Von 763.000 Lehrstellenbewerbern haben nur 371.000 eine Lehrstelle erhalten. Der Rest tummelt sich aus dieser Zwangssituation heraus in so genannten "Qualifizierungsmaßnahmen", z.B. bei der Bundeswehr. Oder er war "anderweitig verblieben", wie es in dem Bericht heißt. Wahrscheinlich ist, dass ein Teil aus der Statistik gedrängt wurde, wie dies regelmäßig in der Arbeitsmarktstatistik mit Erwerbslosenzahlen praktiziert wird. Angesichts dieser Situation ist es schon sehr merkwürdig, dass es dem Radiosender WDR 5 gelang, am 29. Januar darüber regierungsfreundliche positive Nachrichtenmeldungen zu machen. Und so, wie die Erwerbslosen zu Schuldigen an der eigenen Erwerbslosigkeit gemacht wurden, werden Jugendliche durch Wirtschaft und Politik zu Schuldigen an der Ausbildungsplatzmisere gemacht und nicht die, die über Jahre Ausbildungsplätze vernichtet haben. Die von Arbeitgeberseite medial produzierte, angeblich massenweise Nichteignung der Bewerber macht dies deutlich. Es steht dem nämlich nichts entgegen, die Messlatte so hoch zu hängen, dass theoretisch eben alle nicht geeignet sein könnten.

Über die Not der Jugendlichen freut sich der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan: "Die derzeitige Bewerberlage ist ausgesprochen erfreulich. Auch die Bedarfsdeckung gelingt uns überdurchschnittlich gut" zitiert ihn die Zeitschrift Wehrtechnik in ihrer Ausgabe 4/06.

Wir haben nicht erfahren, ob Rainer K. am Donnerstag durch den Wehrberater in der Arbeitsagentur ausreichend über die Risken beim Militär informiert wurde. Beispielsweise darüber, dass viele nach ihrer acht- oder zwölfjährigen Dienstzeitverpflichtung die größten Schwierigkeiten haben werden, wieder in einem Zivilberuf Fuß zu fassen. Oder ob es Rainer mal so geht wie dem Reservisten, der nach seiner Bundeswehrzeit kein Arbeitslosengeld bekam, weil er Sold bezogen hatte und sich gegen alle "zivilen" Risiken selbst hätte versichern müssen. Oder darüber, welche persönlichen Risiken er trägt, weil er sich zum Auslandseinsatz verpflichten muss. Denn in Zeiten des kalten Krieges hatte "Bundeswehr absitzen" noch einen gewissen Sauf- und Spaßfaktor. Seit sich Deutschland im globalisierten Krieg befindet, ist Schluss mit Lustig.

ARGE-Ausbildungsplatz Afghanistan
ARGE-Ausbildungsplatz Afghanistan“
Fotos: A. Bersch und H-D Hey, Arbeiterfotografie


Töten als Ausbildungsziel

Entsprechend dem bekannten Tucholsky-Zitat "Soldaten sind Mörder" hat der Wehrdienstberater dem Rainer wohl nicht gesagt, dass man bei der Bundeswehr vor allem eines lernen muss: das Töten. Die neoliberale Weltordnung benötigt heute keinen demokratisch erzogenen und gesinnten Soldaten, sie braucht dem Main-Stream zufolge neue Killer, getreu der Überschrift von Welt.de am 20.11.06: "Alarmierend: Deutsche haben das Töten verlernt oder dem Spiegel-Leitartikel vom gleichen Tag: „Die Deutschen müssen das Töten lernen. Wie Afghanistan zum Ernstfall wird.“ Rainer K. ist leider noch zu jung, um diese Zusammenhänge zu begreifen. Vielleicht ist er erst 17, denn ab da kann man zur Bundeswehr. Wäre Rainer älter, würde er vielleicht das Gedicht von Bert Brecht kennen: „Die Oberen sagen: Es geht in den Ruhm. Die Unteren sagen: Es geht ins Grab.“ Das hat Brecht im Jahre 1939 geschrieben. Damals herrschte der Hitlerfaschismus. Heute, im Jahre 2007, führen Deutsche wieder Krieg und bezeichnen ihr System als Demokratie.


Stattdessen erfuhr Rainer K. sicher viel über die Möglichkeiten bei der Bundeswehr, deren tolle Technik kennenzulernen - Panzer und Hubschrauber, all das. Unter Schlagworten wie „Karriereportal“ und „Teambereicherung“ schlägt man jungen Leuten wie ihm "Kompetenztraining" vor, in dem man sich beruflich orientieren, soziale Kompetenzen trainieren, Kenntnis der englischen Sprache erwerben, Computerkurse oder Kurse in Staatsbürgerkunde absolvieren könne. Vielleicht stehen auf seinem Programm auch Besuche von Bundesrat und Bundestag, Kirchen, Synagogen und Moscheen. So wie auf der Website "Jugend und Bundeswehr" eben nur die halbe Wahrheit dargestellt wird. Wie war das zur Zeit Kaiser Wilhelm I.? Man musste nur "mit möglichster Listigkeit" vorgehen. Dass, Jugendliche - wie es schon immer war - für imperiale oder globale Machtinteressen "verheizt" werden - diesmal, um andere Länder für deutsche Ziele gefügig zu machen. wird ihm der Wehrberater natürlich nicht gesagt haben.

Billiges "Kanonenfutter"

Wenn er schon etwas älter und erwerbslos wäre, würde Rainer K. zu lesen bekommen, der deutsche Kriegsminister Franz Josef Jung (CDU), ihn gern für den Anti-Terrorkampf am Hindukusch zwangsverpflichten würde, weil Afghanistan eben das ideale Einsatzgebiet für Erwerbslose sei. Für den Verteidigungsminister hätte das auch den Vorteil, dass Erwerbslose preiswerter als „normale Berufssoldaten sind. Und die Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit könnten weiter steigen. Bekommen wir demnächst eine "Armee der Arbeitslosen", wie die Informationsstelle Militarisierung im Oktober 2006 befürchtete. Billiges Kanonenfutter?

In den Mainstream-Medien wird man in der Regel diese Zusammenhänge vergeblich suchen - auch den, dass die steigenden Militärausgaben durch sinkende Sozialausgaben erst möglich werden. Drum ist es auch nicht verwunderlich, dass die, denen man die Transferleistungen kürzt, diejenigen sind, die man auch zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr verpflichten möchte: ausbildungswillige junge Leute wie Rainer K. und Erwerbslose in Zeiten von Hartz IV.


Online-Flyer Nr. 80  vom 31.01.2007



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