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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Krieg und Frieden
Erinnern an das geheimgehaltene Massaker im griechischen Dorf Chortiatis
"Jagdkommando Schubert"
Von Eberhard Rondholz

Wie jedes Jahr gedachten die Einwohner der kleinen Gemeinde Chortiatis im Norden von Thessaloniki der Opfer eines Wehrmachtsverbrechens, das sich am 2. September 1944, nur wenige Wochen vor dem Abzug der Besatzungstruppen, dort ereignet hat. Neben einer griechischen Regierungsdelegation und dem Präfekten von Thessaloniki waren auch Vertreter von anderen Märtyrerstädten sowie ein Vertreter des deutschen Generalkonsulats und der Leiter des Goetheinstituts Thessaloniki, Karl-Heinz Thalmann, anwesend.

Als das deutsche Generalkonsulat voriges Jahr beim Militärarchiv in Freiburg eine Recherche über den Hergang des Verbrechens initiierte, fand sich in den Kriegstagebüchern der Wehrmacht, wo im allgemeinen sehr sorgfältig (wenn auch nicht immer der Wahrheit verpflichtet) Buch geführt wurde über Taten und Untaten der Truppe, darüber praktisch nichts. Tatsächlich gehört das Massaker von Chortiatis, bei dem insgesamt 149 Menschen, in der Mehrzahl Frauen, Kinder und Greise, hingemordet, zum Teil lebendig verbrannt wurden, zu den am sorgfältigsten beschwiegenen Wehrmachtsverbrechen überhaupt. Nicht nur in  Freiburg, auch in der für die Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen zuständigen Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg wird man nicht fündig, und für die deutschsprachige Sekundärliteratur gilt weitestgehend das gleiche, wie der griechische Historiker Stratos Dordanas in seiner Dissertation über die deutschen Okkupationsverbrechen in Mazedonien erstaunt registrierte.

Was ist der Grund dafür, dass der Fall Chortiatis sich in den deutschen Archiven nicht wiederfindet? Einer, der sicherlich darüber hätte Auskunft geben können, saß im September 1944 in einer deutschen Wehrmachtsdienststelle, nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt. Es war der spätere UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim, damals Ordonnanzoffizier (Feindlagesachbearbeiter) im Hauptquartier der Heeresgruppe E, und als solcher einer der bestinformierten Männer der Besatzungstruppe. Doch als ihn im Januar 1988 der Athener Historiker Hagen Fleischer zum Fall Chortiatis befragte (er war Mitglied jener Historiker-Kommission, die die NS-Vergangenheit des österreichischen  Präsidenten untersuchte), gab Waldheim vor, davon noch nie gehört zu haben. Auch sei er am Tag des Geschehens gar nicht in Arsakli gewesen, sondern erst einen Tag später an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Eine faule Ausrede - es war ohnehin erst am Tag danach, dass die schrecklichen Details des Verbrechens im Hauptquartier der Heeresgruppe E bekannt und erregt diskutiert wurden. Vieles spricht dafür, dass eben dort beschlossen wurde, die Untat von Chortiatis gänzlich totzuschweigen.

Dass sie dennoch außerhalb Griechenlands aktenkundig wurde, ist u.a. dem Roten Kreuz zu verdanken. Es war der Rot-Kreuz-Beauftragte Wenger, dem es fünf Tage nach der Tat gelang, den Ort des Verbrechens aufzusuchen, wo noch nicht einmal alle Leichen begraben waren und er in den rauchenden Trümmer noch auf verkohlte Kinderleichen stieß.

Und dies ist die Geschichte des Massakers: bei einem der sich in den letzten Tagen der deutschen Besatzung in Griechenland häufenden Partisanenangriffe waren mehrere deutsche Soldaten umgekommen. Die Wehrmacht griff, das war schon stumpfsinnige Routine, zum Mittel des Terrors gegen unbeteiligte Zivilisten, ein Mittel, das sich längst als wirkungslos erwiesen hatte. Mit der Ausführung beauftragt wurde der bereits durch seine Bestialität bei so genannten "Sühnemaßnahmen" auf Kreta übel beleumundete Feldwebel Fritz Schubert. Das so genannte "Jagdkommando Schubert", das sich zum großen Teil aus extra für solche Zwecke rekrutierten griechischen Kriminellen in Wehrmachtsuniform zusammensetzte, hatte nicht etwa (wie der Name der Einheit glauben machen könnte) mit der Verfolgung von Widerstandskämpfern zu tun. Seine Aufgabe war, Angst und Schrecken unter der Bevölkerung zu verbreiten. Und die Wehrmachtsführung ließ der Schubert-Bande bei der Wahl der Mittel freie Hand, ganz im Sinne eines berüchtigten Führerbefehls, bei der Bekämpfung des Widerstandes zu den brutalsten Mitteln auch gegen Frauen und Kinder zu greifen. Dabei wussten die "Schubertianer", dass der Führerbefehl ein Strafverfolgungsverbot enthielt, was auch immer die Täter anstellten.

Mit anderen Worten: Schubert und seine Leute durften ungestraft  morden und, vor allem, plündern. Mit den Regeln des Kriegsrechts, die für die Durchführung von Repressalmaßnahmen eine Reihe strenger Voraussetzungen vorsah, gab man sich bei der Heeresgruppe E eingestandenermaßen in dieser Phase des Kriegs längst nicht mehr ab. Doch was das "Jagdkommando" in Chortiatis anstellte, übertraf noch die Rachefeldzüge der berüchtigten Killertruppen der 1. Gebirgsdivision ("Edelweiß") und der SS-Polizei-Panzergrenadierdivision in Kommeno und Distomo. Mit etwa 20 LKW rückte die Truppe am Morgen des 2. September 1944 in dem Ort ein und trieb zunächst alle anwesenden Frauen, Männer und Kinder auf der Platia zusammen, um dann etwa 300 Häuser auszurauben und anzustecken. Darauf sperrten sie die Einwohner in mehreren noch stehenden Gebäuden ein, 35 Frauen und Kinder allein im Backhaus des Stephanos Gouramanis, und nachdem sie mit Maschinenpistolen durch ein Fenster hineingeschossen hatten, legten sie Feuer. Aus dem Backhaus konnten sich 5 Kinder und 2 Erwachsene durch ein kleines Fenster retten, um später von dem schrecklichen Geschehen zu berichten. Die anderen, die die Kugeln nicht tödlich getroffen hatten, verbrannten bei lebendigem Leib. Lebendig verbrannt wurden auch einige Dutzend Opfer in anderen Häusern, die übrigen erschossen oder abgestochen. Gesamtzahl der Opfer: 149 Menschen.

Den Überlebenden von Chortiatis wurde später zumindest eine Genugtuung zuteil: Während in allen anderen Fällen von Wehrmachtsverbrechen in Griechenland die unmittelbaren Täter ungestraft davonkamen, sind im Fall Chortiatis zumindest zwei der Mörder ihrer Strafe nicht entkommen: einer von Schuberts übelsten griechischen Spießgesellen bei dem Massaker, ein gewisser Kyzeridis, wurde nur wenige Tage nach der Tat in Kalamaria von Partisanen gefasst und noch am selben Tag von den Bewohnern des Ortes gelyncht. Fritz Schubert reiste (wohl auf der Suche nach einem Rest seiner reichen Beute) drei Jahre später mit falschen Papieren nach Griechenland, wurde aber erkannt und wegen vielfachen Mordes, begangen von Kreta bis Mazedonien, in Athen zum Tode verurteilt.  Am 22. Oktober 1947 durften Angehörige der Opfer im Gefängnis Eptapyrgion in Thessaloniki seiner Erschießung beiwohnen. Und dies war etwas Einmaliges in Griechenland. Wie viele überlebende Opfer anderer Wehrmachtsverbrechen in Griechenland mussten nicht nur damit leben, dass die deutschen Täter unbehelligt blieben, so mancher der Kriegsverbrecher setzte, nur wenige Jahre nach der Tat, seine militärische Karriere bei der Bundeswehr fort, als wäre nichts geschehen.

Online-Flyer Nr. 63  vom 26.09.2006



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