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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Krieg und Frieden
"Aus der Geschichte lernen - Brücken bauen!"
Blumen für Stukenbrock 2006
Von Elmar Klevers

"UND SORGET IHR, DIE IHR NOCH IM LEBEN STEHT,
  DASS FRIEDEN BLEIBT, FRIEDEN ZWISCHEN DEN
  MENSCHEN, FRIEDEN ZWISCHEN DEN VÖLKERN"


Diese in Stein gemeißelte Mahnung von Stukenbrock soll die Menschen daran erinnern, dass hier in der Senne zwischen Paderborn und Bielefeld, in der Nähe von Büren und der Wevelsburg, von 1941 bis 1945 65.000 sowjetische Kriegsgefangene durch Angehörige der Deutschen Wehrmacht - nicht durch die SS oder Waffen-SS - ermordet worden sind. Mit ihnen starben Gefangene aus Polen, Frankreich, Jugoslawien und Italien im Lager 326/VI-K Stukenbrock.

Die Mahnung soll die Menschen auch daran erinnern, dass ein Krieg Rückschritt und der Frieden Fortschritt für die Menschheit bedeutet. Deshalb fordert der Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock" die Menschen in unserem Lande auf: "Jeder Tag soll ein Antikriegstag sein!" Er appelliert an alle, die in unserem Land Verantwortung tragen: Setzen Sie sich dafür ein, dass deutsche Politik eindeutige Friedenspolitik ist! - Und deshalb lautet das diesjährige Motto: "Aus der Geschichte lernen - Brücken bauen!"

Werner Höner, Sprecher des Arbeitskreises, begrüßte die Gäste der diesjährigen Gedenkveranstaltung und zeigte in einer engagierten Rede die nicht friedlichen Problemfelder in der Welt auf. Er vergaß auch nicht, besonders eindringlich auf die nicht hinzunehmenden Vorgänge hinzuweisen, die in der BRD das friedliche Zusammenleben stören: zum Beispiel auf das verstärkte Auftreten der Neonazis und deren stillschweigende Duldung durch die Politiker von Mitte/Rechts und durch die letztinstanzlichen Urteile der obersten deutschen Gerichte, auf den sich verstärkenden Sozialabbau, auf die offene Kriegspolitik der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien und auf die Verlängerung und rechtliche Ausweitung der Anti-Terrorgesetze.  

Viele junge Menschen waren zum Gedenken an die hier Ermordeten gekommen. Auch das traditionelle Jugendcamp, das hier anlässlich des Antikriegstags jährlich durchgeführt wird, verzeichnete fast doppelt so viele Teilnehmer wie im Vorjahr. Das verstärkte Auftreten von Neo-Nazigruppen im Kreis Gütersloh hat die Jugendlichen aufgerüttelt, zu Gegenmaßnahmen ermutigt und zu Demonstrationen veranlasst.

Polizisten ersetzen die Landesregierung

Teilnehmer, die auch in den Jahren davor an der Gedenkveranstaltung teilgenommen haben, waren sehr erstaunt, dass die Landesregierung NRW diesmal nur durch einen Kranz des Ministerpräsidenten, getragen und abgelegt von zwei Polizeibeamten, vertreten war. Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter, die den Ministerpräsidenten vertreten sollte, hatte kurzfristig abgesagt. Ob das der neue Umgangsstil mit dem Gedenktag in Stukenbrock  und seinen Opfern ist? - Vielleicht sollte man das aber auch positiv sehen, weil einem dadurch  eine Rede oder ein Grußwort erspart geblieben ist, die man ohnehin lieber nicht gehört hätte....

Leider konnte auch keiner der wenigen Überlebenden des Lagers mehr aus Moskau kommen, weil deren Reisefähigkeit von Jahr zu Jahr abnimmt. Sie hatten aber ein Grußwort gesandt, das durch Professor Dr. Wladimir Naumov aus Moskau verlesen wurde. Er war als Jugendlicher nach Deutschland verschleppt worden und hatte 1945 nach der Befreiung den von den Überlebenden des Stalag 326/VI-K gebauten Obelisk mit errichtet.

Obelisk
Foto: Rita Grünewald


Frieden im Innern

Ein engagiertes Grußwort trug Landrätin Ulrike Boden im Auftrag des Landkreises Gütersloh vor. Unter Verweis auf die ermordeten und gequälten Menschen des Stalag 326 sagte sie auf die Zukunft bezogen, dass Wirklichkeit gestaltet werden könne, wenn sie noch nicht ist. Wir könnten heute versuchen, die Zukunft zu gestalten. Das sei unsere Pflicht unseren Nachkommen gegenüber: "In die Zukunft blicken - in der Gegenwart leben - aus der Vergangenheit lernen."

Ulrike Boden geißelte die aktuellen Kriege und die damit verbundenen menschenverachtenden Maßnahmen; sie wandte sich gegen die durch die Anti-Terror-Gesetze veranlassten unmenschlichen Behandlungen von Ausländern und die ausländerfeindlichen Anschläge in Deutschland und fragte: "Was ist das für ein Frieden, in dem wir leben? - Wenn Völkerrechte mit Füßen getreten werden, wenn Menschen verfolgt und ihrer Würde beraubt werden." Sie bedauerte, dass Anti-Kommunismus und Kalter Krieg es jahrzehnte lang nicht möglich gemacht haben, die Verbrechen, die hier begangen wurden, aufzuarbeiten. Deshalb wolle sie den Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock"  bei der jetzt begonnenen Aufarbeitung, soweit dies noch möglich sei, voll unterstützen.

Ihr ausdrücklicher Dank galt den Menschen im Arbeitskreis, die seit mehr als 35 Jahren die Erinnerung an die Verbrechen wach halten, die die Pflege und Instandhaltung der Gedenkstätte betreiben und durch ihre Öffentlichkeitsarbeit eine nicht unerhebliche Bildungsarbeit, besonders auch in den Schulen, ehrenamtlich leisten. Es sollten nunmehr weltanschaulichen Animositäten überwunden und gemeinsam an der Aufarbeitung unserer Vergangenheit gearbeitet werden, sagte die Landrätin und forderte eine Entschädigung für die hier als Zwangsarbeiter ausgebeuteten Gefangenen.

Die Menschen sollten weiter darauf achten, dass die Blumen von Stukenbrock nicht verwelken, ehe sie Samen ausgeschüttet und Früchte getragen haben, sagte sie und beendete ihre Rede mit einem Spruch von Mahatma Ghandi: "Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Friede ist der Weg".

Inschrift
Foto: Rita Grünewald


Hat Frieden global eine Chance?

Der frühere Botschafter der UdSSR in Bonn und heutige Abgeordnete in der Staatsduma in Russland, Juri Kwizinki, zog eine Bilanz nach den großen politischen Veränderungen seit 1990 und betonte, dass all die Versprechungen von damals auf Frieden, Abrüstung, Wohlstand für alle und blühende Landschaften, die nach der Beendigung des Kalten Krieges, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, des Warschauer Paktes und nach der Wiedervereinigung Deutschlands  abgegeben wurden, inzwischen in heißen Kriegen, verbrannter Erde, Hunger und Elend in vielen Teilen der Welt geendet haben. Wörtlich sagte er: "Wir haben den kalten Krieg abgeschafft, aber nur um festzustellen, dass das goldene Zeitalter eine Fata Morgana war". Heute sei der Krieg wieder ein legitimes Mittel der Politik und ein Rückschritt ins vorige und vorvorige Jahrhundert.

Konkret wies Kwizinky auf die aktuellen Kriege hin und und machte zugleich auf die zukünftig möglichen Kriegsziele Iran, Nordkorea, Syrien aufmerksam. Afrika werde zum bevorzugten Objekt von Nato-Interventionen. Seine Frage: "Woher kommt diese überall blühende Kriegslust? Wer schürt sie? Wer ist vorbehaltlos bereit, den Kriegsmoloch wieder in Bewegung zu setzen? Hat man die Lehren des Zweiten Weltkriegs vergessen? Hat man den heiligen Schwur der vereinten Nationen vergessen, die 1946 die Uno als Friedenshüterin ins Leben gerufen haben und sich verpflichteten, den Krieg aus dem Leben der Völker zu verbannen?"

Er kritisierte die USA, ohne sie beim Namen zu nennen, die als Weltordnungsmacht auftreten und nur die skrupellose Durchsetzung der eigenen illegitimen Interessen und Ziele zum Maßstab für das eigene Handeln machen. Die Verbündeten der USA seien für diese nicht mehr als ein Werkzeugkasten, dessen man sich nach Gutdünken bediene. Es gehöre viel Heuchelei dazu, eine solche Politik als Förderung von Freiheit und Demokratie zu bezeichnen und sie obendrauf noch in das christliche Gewand zu verpacken. Die Welt sei nach der Beendigung des Kalten Krieges nicht sicherer, sondern noch gefährlicher geworden. Die Militärausgaben der USA mit jährlich 450 Milliarden Dollar dienten nicht der Terroristenbekämpfung sondern der Erringung der globalen Herrschaft. Die Geschichte der Menschheit zeigt an mehreren solchen Beispielen, dass so etwas kläglich gescheitert sei, denn Hochmut komme bekanntlich immer vor dem Fall.

In dramatischen Worten ging Kwisinsky auf die Entwicklung bei den Atomwaffen ein. Auch mit diesen Waffen und mit dem Raketen-Abwehrsystem werde nicht Terror-Abwehr betrieben, denn Terroristen hätten keine interkontinentalen Raketen; sie dienten ebenfalls nur zur Erringung der Weltherrschaft. Deshalb sei der Aufruf des Arbeitskreises "Blumen für Stukenbrock" 2006 richtig, dass jeder Tag ein Anti-Kriegstag sein sollte und dass gegen die Bedrohungen gehandelt werden müsse.

Kwisinsky lobte die Arbeit des Arbeitskreises "Blumen für Stukenbrock" und versicherte, dass in Russland Millionen von Menschen die gleiche Gesinnung für den Erhalt des Friedens haben. - Als ich Argumente und Tatsachen seiner Rede durchdachte, fiel es mir schwer, noch an den Weltfrieden zu glauben. Meine Zweifel, dass dieser nur nach einer gewaltigen globalen Katastrophe möglich ist, wuchsen. Aber: Wer überlebt eine solche Katastrophe, und was bleibt dann zum Überleben auf dieser Welt?

Kränze
Foto: Rita Grünewald


Krieg dem Kriege

Tobias Pflüger, Abgeordneter im Europa -Parlament, stellte seine Arbeit dort als Mitglied im auswärtigen Ausschuss, im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung vor. Er ist Co-Präsident der interparlamentarischen Gruppe der Friedensinitiativen, erster stellvertretender Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu den Golfstaaten einschließlich Jemen und  Mitglied der Delegation für die Beziehungen zur parlamentarischen Versammlung der NATO.  Pflüger ist somit durch und durch Friedenskämpfer.

Er erinnerte an die Gründung der Friedensbewegung in den 50er Jahren und zog daraus seine Schlußfolgerungen für die Zukunft und zeigte sich beeindruckt von der großen Teilnehmerzahl bei der aktuellen Gedenkstunde und beim Jugendcamp. Er erinnerte an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 67 Jahren und an die Millionen von Opfern des  aggressiven Krieges der Deutschen und an den besonders hohen Blutzoll der Menschen aus der Sowjet Union. Alle Menschen, die sich der deutschen Wehrmacht entgegengestellt hätten, so auch die 65.000 Sowjet-Soldaten, die hier in Stukenbrock ermordet wurden, hätten zur Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus beigetragen.

Pflüger erinnerte an die in den 50er Jahren geführten Auseinandersetzungen gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und damit an die erste Niederlage der Friedensbewegung. Er zog den Vergleich zu der in den letzten Jahren erfolgten langsamen Gewöhnung der Deutschen an Kriege - über die Blauhelm-Einsätze und so genannte friedenserhaltende Maßnahmen bis zum ersten Kriegseinsatz in Jugoslawien und zur Verteidigung der deutschen Sicherheitsinteressen am Hindukusch. Inzwischen rege sich fast niemand mehr auf, wenn Einsätze in allen Teilen der Welt auch mit einem "robusten Mandat" erfolgten.

Den Jugoslawien-Krieg bezeichnete Pflüger als nicht aufgearbeitet und die Argumentation der Rot-Grünen-Bundesregierung dazu als verlogen. Eine gründliche Aufarbeitung könnte nur zum Ergebnis haben, dass die Verantwortlichen vor das Gericht in Den Haag kämen und wegen Völkermord und Vergehen gegen die Menschlichkeit bestraft würden. Als Konsequenz des Zweiten Weltkriegs und der Shoa sollte bekanntlich von deutschem Boden und mit deutscher Beteiligung kein Krieg, besonders kein Angriffskrieg mehr ausgehen.

Pflüger forderte eine weltweite Anerkennung des Staates Deutschland als Kriegsdienst-Verweigerer, weil er zwar einerseits den Ersten und den Zweiten Weltkrieg begonnen und Millionen von Menschen in Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern ermordet hat, andererseits aber nun eine Studie der Bundeswehr ergeben habe, dass 68 Prozent der deutschen Bevölkerung Kriegs- und Kampfeinsätze der Bundeswehr ablehnen. Die Konsequenz daraus wäre also seiner Auffassung nach, alle deutschen Truppen aus allen Ländern zurückzuholen.

Leider folge die Bundesregierung dieser Mehrheitsmeinung nicht. Und die Europäische Union, in der die Deutschen den Ton angäben, sei auf dem Weg eine militärische Weltmacht werden zu wollen, einerseits mit den USA, andererseits gegen sie. Aber zumindest alle militärischen Überlegungen der US-Regierung würden folgsam unterstützt. Das EU-Parlament sei bei der letzten Wahl erheblich nach rechts gerückt und viele Parlamentarier argumentierten militärisch. Man könne diese Leute schon als Stichwortgeber für Neonazis ansehen. Die Dominanz der USA und der EU den Ländern im Süden gegenüber bezeichnete Pflüger als Imperiale Politik.

Zuhörer
Foto: Rita Grünewald


Russische Ehrung

Professor Dr. Wladimir Naumov zeichnete im Namen der internationalen Stiftung in St. Petersburg "Frieden für immer" Werner Höner, Jochen Schwabedissen, beide Vorstandsmitglieder des AK und den Friedensforscher Professor Arno Klönne mit dem Diplom "Frieden für immer" aus. Als Gründe für die Auszeichnung nannte er den bedeutenden persönlichen Beitrag der Ausgezeichneten zur Versöhnung und für die gegenseitige Verständigung und Partnerschaft zwischen den Völkern Russlands und Deutschlands - außerdem ihre reale Hilfe und Unterstützung der Opfer der Diktatur.

Die Gedenkstunde endete nach einer "Erklärung zum Frieden" vom Sprecher des Jugendcamps, einem Grußwort des DGB-Landesvorsitzenden und mit einem Auftritt eines der letzten überlebenden Kölner Edelweißpiraten, Jean Jülich.

Online-Flyer Nr. 61  vom 12.09.2006



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