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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Lokales
Alternative Nobelpreisträgerin aus Israel auf dem Kölner Antikriegstag:
"Nicht in unserem Namen!"
Von Felicia Langer

Trotz der nur knapp 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern beim Auftakt auf dem Friesenplatz hat das Friedensforum Köln am Antikriegstag bewiesen, dass es in der Lage ist,  Menschen anzusprechen und zu informieren. Eine besondere Rolle spielte dabei Felicia Langer, Trägerin des alternativen Nobelpreises und 23 Jahre lang Menschenrechtsanwältin in Israel, als Rednerin bei der Auftaktkundgebung. Die Redaktion.

Wir haben eine Waffenstillstandsresolution im Libanon einen Monat zu spät; eine Resolution mit einem USA-Stempel und Zeichen des europäischen Gehorsams... Es gibt keine Frist für den Abzug der 30.000  israelischen Soldaten, für das Ende der See- und Luftblockade. Kofi Annan sagte am 30.8., dass die Blockade erniedrigend ist und die Souveränität des Libanon verletzt. Israel gibt keine Pläne über Minen und Streubomben heraus - eine tödliche Gefahr für die zurückkehrenden Flüchtlinge, die zu den Ruinen und den Toten zurückkommen...13 Libanesen sind nach dem Krieg von Streubomben getötet worden, 46 verletzt.

Die israelischen politischen  Führer und Generäle sprechen schon über die zweite Runde, in der Knesseth (Olmert) und überall: Und dann werden wir das besser machen können! "Die Hisbollah jagen ist eine moralische Pflicht," sagte Olmert, und Verteidigungsminister Peretz (Arbeitspartei) äußert sich ähnlich ... Israel hat am 19.8. die Resolution klar verletzt mit einer Bombardierung und einem Angriff westlich von Baalbek, 100 km von der israelischen Grenze entfernt. Es wurde von Kofi Annan scharf kritisiert, die Europäer - und die Deutschen sowieso - schweigen. Israel hat (laut "Haaretz" vom 22.8.) nach dem Waffenstillstand schon  15 Hisbollahkämpfer getötet. Der Außenminister von Italien, D´Alema sagte, Israel solle endlich aufhören zu schießen, andernfalls schicke Italien keine Soldaten! Aber diese Äußerung war in Deutschland keine Fußnote wert.

Felicia Langer:
Felicia Langer: "Man bestraft das Volk, weil es demokratisch gewählt hat."
Foto: arbeiterfotografie.com



Im Libanon keine "Kollateralschäden", sondern militärische Strategie

Ich kehre zum Libanonkrieg zurück. Er war seit langer Zeit geplant und geübt, so sagen unsere Friedenskräfte und der bekannte USA-Enthüllungsjournalist Seymour Hersh. Die Entführung der zwei Soldaten war ein Vorwand. Israel hat vorsätzlich zivile Ziele im Libanon zerstört, rund 1200 Menschen getötet, davon 30 Prozent Kinder, 4000 Menschen verletzt, 30.000 Wohnungen zerstört und noch viele beschädigt, und eine knappe Million Menschen wurden in die Flucht getrieben.

Amnesty international klagte am 23.8.2006 Israel der Kriegsverbrechen an. Ich zitiere aus der taz vom 24.8.: "Die Bombardierung von Brücken, Straßen, Kraftwerken, Kläranlagen, Leitungen, Tankstellen, Molkereien, Krankenhäusern, Schulen und Moscheen sei überdies ein klarer Beleg dafür, dass die israelischen Angriffe zum Ziel hatten, die Regierung und die Zivilbevölkerung im Libanon zu bestrafen und dazu zu drängen, sich gegen die Hisbollah zu wenden. Dies aber könne kein legitimes Kriegsziel sein.

Nach Ansicht von amnesty belegen die Erklärungen hochrangiger israelischer Militärs, dass zivile Einrichtungen vorsätzlich unter Beschuss genommen wurden. So habe Generalstabschef Dan Halutz am 24. Juli den Befehl erteilt, für jeden Katjuscha-Angriff auf Haifa zehn Gebäude in der Hauptstadt Beirut in Schutt und Asche zu legen. Amnesty beruft sich dabei auf ein Briefing der israelischen Armee, von dem auch die Jerusalem Post berichtete. In einem Interview habe Halutz die Hisbollah überdies als "Krebsgeschwür" bezeichnet, von dem sich der Libanon befreien müsse, oder "das Land wird einen sehr hohen Preis bezahlen."

Es habe sich eben nicht um "Kollateralschäden", sondern um die Umsetzung einer geplanten "militärischen Strategie" gehandelt: "diese Art von Kriegsführung stelle aber ein Kriegsverbrechen dar", so Amnesty, das nicht unbeachtet und unbestraft bleiben soll! Das sagen Menschen mit Gewissen, auch in Israel.

Ich verurteile die Angriffe der Hisbollah auf Zivilisten in Israel, auch wenn sie eine Reaktion auf die Aggression Israels sind. Ich bin gegen Entführungen und gegen Angriffe auf Zivilisten, und jeder Tote dieses Krieges ist ein Toter zu viel, weil es keine militärische Lösung gibt. Das ungelöste Palästinaproblem rächt sich! Und über entführte und gefangene Palästinenser und Libanesen kann ich etwas aus eigener Erfahrung sagen: Es gibt ca. 10.000 palästinensische Gefangene - ich weiß nicht wie viele Libanesen - 900 von ihnen so genannte "administrative Gefangene" ohne Gerichtsverfahren, manche schon seit drei Jahren. Auch sie sind kein Thema, sie sind ohne Namen und Gesicht. Ich habe mich bemüht, ihnen in meinen Büchern Namen und Gesichter zu geben. Die Medien hier tun es leider nicht.

Felicia Langer (rechts) und Moderatorin Ariane Dettloff vom Kölner Friedensforum
Felicia Langer (rechts) und Moderatorin Ariane Dettloff vom Kölner Friedensforum
Foto: Hans-Peter Keul



Gaza ist das größte Gefängnis der Welt

Der Krieg im Libanon hat die israelische Barbarei im Gazastreifen und in der Westbank überschattet: Gaza steht unter einer strikten Blockade. Es ist das größte Gefängnis der Welt mit über 1,4 Millionen Insassen.

Die israelische Invasion seit dem 26. Juni, seit der Entführung des israelischen Soldaten geht unter dem unschuldigen Namen "Sommerregen" weiter - ein Sommerregen von Bomben und Raketen ... Die fünftgrößte Militärmacht der Welt kämpft gegen die Zivilbevölkerung, man zerstört die Infrastruktur, man zerstört Häuser. Seit dem 26.Juni wurden 208 Palästinenser getötet, darunter 58 Kinder und 25 Frauen, 783 Menschen wurden verletzt. Auch her begeht Israel Kriegsverbrechen!

Die Bevölkerung leidet unter bitterer Armut wegen des Boykotts der demokratisch gewählten Hamas-Regierung durch Israel, obwohl die Hamas, schon vor der Invasion, die Zwei-Staaten-Lösung akzeptiert hatte, was eine de facto Anerkennung Israels bedeutet. Man verhaftet Minister und Abgeordnete der Hamas, als Provokation. Man bestraft das Volk, weil es demokratisch gewählt hat. Und die Welt schweigt ...

Es gibt schockierende Berichte der Menschenrechtsorganisation "Betselem" in Israel über eine besonders sadistische Gewalt gegenüber Palästinensern in der Westbank, bei den Sperren während des Krieges im Libanon, es gibt Berichte über die Tötung von Palästinensern in Nablus und Jenin, in Kalkilien.

So ist, sehr kurz gefasst, der Brandherd Nahost, dessen Auslöser die schon fast 40 Jahre andauernde israelische völkerrechtswidrige, kolonisatorische Besatzung der palästinensischen Gebiete wie auch der syrischen Golanhöhen ist.



Demonstration
Foto: Hans-Peter Keul


Bushs Milliarden zur Unterdrückung der Palästinenser

"Wenn du eine Insel bist, sollst du mit dem Meer nicht streiten", sagt ein Sprichwort. Israel, unter dem Schutz der USA und dem Schweigen der Welt, missachtet dieses Sprichwort. Es gibt doch ein völkerrechtliches Instrumentarium, um Frieden zu schaffen - die Resolution 242 von 1967, von Israel wie viele andere Resolutionen ignoriert, die klar besagt, dass man die besetzten Gebiete räumen muss und dass Landerwerb durch Kriege unzulässig ist. Die arabische Welt, das "Meer", sagt Ja dazu (siehe die historische saudische Initiative für Frieden mit Israel von 2002). Die Palästinenser, inklusive Hamas, sagen Ja zur Zwei-Staaten-Lösung ebenso wie auch unsere Friedenskräfte. Aber nicht die israelische Regierung. Sie steht unter der Schirmherrschaft von G.W. Bush, seines Vetos in den UN und seiner Milliarden, die Israel weitere Unterdrückung der Palästinenser, Enteignung und Annexion ihres Landes ermöglichen. Das alles, um sie zur Kapitulation zu bringen ...

Aber die Palästinenser werden nicht kapitulieren, so wie es die Libanesen nicht getan haben! Diese Lektion sollte auch G.W. Bush beherzigen, in Zusammenhang mit seinen Plänen gegen Syrien und Iran... Auch Donald Rumsfeld, der schon kriegsbereit ist !!!!

Und was die Verurteilung von Israels Taten betrifft, so geht das auch Deutschland an: Deutschland akzeptiert die israelische Politik aus missverstandener historischer Verantwortung! Auch die zwei U-Boote - ein Geschenk von 333 Millionen Euro - sind kein Gefallen für das israelische Volk! Glauben Sie mir! Das sagen auch unsere Friedenskräfte. Hören Sie ihnen zu!

Israel hat kein Recht, die Toten des Holocaust zu missbrauchen

Und ich sage Ihnen: Israel hat kein Recht, unsere Toten, die Toten des Holocaust zu missbrauchen, um die Welt zum Schweigen zu bringen und weiter ungestört seine aggressive Politik, die auch eine Tragödie für die Israelis ist, fortsetzen zu können! Die Toten können sich nicht wehren, aber wir, die Überlebenden und die Nachkommen, wehren uns und sagen: "Nicht in unserem Namen!"

An diesem Antikriegstag sage ich Ihnen als eine, die als Kind den ersten Kriegstag, den 1.September 1939, erlebt hat: Unsere Herzen schlagen mit den Entrechteten und Geschundenen überall! Wir werden sie nie vergessen! Zusammen sind wir stark, wir haben die Macht der Gerechtigkeit und der internationalen Solidarität! Zusammen, für den gerechten Frieden im Nahen Osten! Für alle!
Danke!

Online-Flyer Nr. 60  vom 05.09.2006



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