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Aktueller Online-Flyer vom 28. August 2025  

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Globales
"Das nordafrikanische Syndrom" von Frantz Fanon
"Menschen wollen vermenschlicht werden"
Von Heinrich Frei

Dieses Essay, «Das nordafrikanische Syndrom» von Frantz Fanon, wurde 1952 in der Zeitschrift Esprit veröffentlicht. Es handelt vom Unverständnis des Arztes gegenüber psychosomatischen Störungen, die gerade beim Nordafrikaner auftreten können, der allein in Paris am Rande der Gesellschaft lebt, und gerade gut genug ist als Arbeitssklave der kapitalistischen Wirtschaft zu vegetieren. Dieses Essay zeigt eindrücklich, wie eine Medizin, die ohne die Erkenntnisse der Psychologie arbeitet zum Monstrum wird, zur leelaufenden Tinguely Maschine, die dem Menschen nicht helfen kann, die ihn elendiglich im Stich lässt. Dieser Exkurs zeigt, aber auch dass die Problematik des kranken Menschen nie isoliert, betrachtet werden darf, dass der Mensch vielmehr in einem Netz von Beziehungen lebt, in einem Netz von sozialen und politischen Gegebenheiten, die ihn krank machen können, die oft stärker sind als er. Fanon vernachlässigt dabei vielleicht ein wenig die individuelle psychologische Perspektive.


Frantz Fanon

Frantz Omar Fanon wurde vor 100 Jahren am 20. Juli 1925 in Fort-de-France, Martinique; geboren und starb am 6. Dezember 1961 in Bethesda, Maryland). Fanon war ein französischer Psychiater, Politiker, Schriftsteller und Vordenker der Entkolonialisierung.

Ich frage mich, ob die Ärzte von 1969 Fortschritte gemacht haben. Als ich vor einigen Jahren mit Ärzten wegen psychosomatischen Störungen in Berührung kam, schien dies nicht der Fall zu sein sie reagierten ganz ähnlich wie die Ärzte beim Fanon im Jahr 1952.

Frantz Fanon wurde 1925 auf der Insel Martinique geboren, Aimé Césaire der berühmte schwarze Dichter war einer seiner Lehrer am Gymnasium. Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er mit Auszeichnung auf Seiten der Alliierten. Nach dem Krieg studierte er in Frankreich Medizin und Psychiatrie. 1952 veröffentlichte er sein erstes Buch «Schwarze Haut und weiße Maske». In diesem Werk untersuchte er die Vorurteile der Weißen gegenüber den Schwarzen und die ungeheuren Minderheitskomplexe der Menschen seiner Hautfarbe, die unglücklicherweise schwarz war. Von 1953 – 1957 leitete er in Blida einer Stadt in der Nähe von Algier eine psychiatrische Klinik. Bei dieser Arbeit wurde er Tag für Tag konfrontiert mit der systematischen Entmenschlichung der kolonialen Unterdrückung. Er sah von Tag für Tag, dass diese Gesellschaft krank war, nicht mehr lebensfähig, dass sie ersetzt werden müsste durch eine Neue. (Ergänzung 2025: In der Klinik in Blida hatte Fanon Patienten die psychisch erkrankt waren, nachdem sie Menschen gefoltert hatten und Patienten, die gefoltert wurden.)


Frantz Fanon mit seinem Team in der psychiatrischen Klinik in Blida/Algerien

Bald kam Fanon in Algerien in Kontakt mit der algerischen nationalen Befreiungsfont, der FLN. (Ergänzung 2025: Algerienkrieg von 1954-1962) Seine Klinik wurde zum berüchtigten Unterschlupf für verfolgte Widerstandkämpfer. 1957 musste er Algerien verlassen. In Tunis arbeitete er für die neue Presse des revolutionären Algeriens, verfasste verschiedene Studien über die koloniale Unterdrückung und war auch wieder als Arzt tätig. Später wurde er Botschafter des FLN in Accra und Vertreter der Befreiungsfront, der FLN bei der UNO. 1961 starb er an Leukämie erst 36 Jahre alt, kurz nachdem er sein Buch «Die Verdammten dieser Erde» beendet hatte. Den Sieg des blutigen siebenjährigen Revolutionskrieges erlebte er nicht mehr. Es blieb ihm die Enttäuschung erspart, später die pseudosozialistische Entwicklung des befreiten Algeriens mitzuverfolgen.


Das nordafrikanische Syndrom

Dieses Essay von Frantz Fanon wurde 1952 in der Zeitschrift Esprit veröffentlicht (Übersetzung: Heinrich Frei)

Man sagt oft, dass der Mensch sich in Frage stellt und dann schwört nicht mehr derselbe zu sein. Dennoch sollte es eine Möglichkeit geben, das wesentlichste menschliche Problem zu beschreiben. Ich stelle mir das so vor: Alle Probleme, die sich der Mensch über sich und andere stellt, lassen sich auf die Frage zurückführen: Was habe ich getan oder unterlassen, um die Menschlichkeit zu verhindern?

Eine Frage die man auch so formulieren könnte: Habe ich in jedem Augenblick an den Menschen gedacht in mir? In diesen Zeilen möchte ich zeigen, dass im Falle des Nordafrikaners eine Theorie der Unmenschlichkeit entstanden ist, welche ihre Folgen und Auswirkungen hat.

Diese Menschen die Hunger haben, diese Menschen die kalt haben, diese Menschen die Angst haben…

Diese Menschen, die uns Angst machen, die die Smaragde unserer Träume zerdrücken, die unser zerbrechliches Lächeln erstarren lassen, diese Menschen uns gegenüber, die uns keine Fragen stellen, denen wir aber oft ganz unverständliche befremdliche Fragen stellen.

Wer sind Sie?

Ich frage euch, ich freue mich. Was sind das für Kreaturen, die ausgehungert von jeder Menschlichkeit leben, getrennt von uns durch unfühlbare Grenzen (ich kenne sie aus meiner eigenen schmerzlichen Erfahrung)

Wer sind Sie?

Wer sind Sie, in Wirklichkeit, diese Kreaturen, welche sich verstellen, welche entstellt werden als Barackenhocker, Stinkratte, Sidi, schmutzige Araber usw.

###1. These – Das Verhalten des Nordafrikaners ruft oft beim medizinischen Personal Misstrauen hervor, und man zweifelt an der Realität seiner Erkrankung.

Ausser in Notfällen: Wie etwa Blinddarm, Verletzungen bei Unfällen usw. präsentiert sich die Erkrankung des Nordafrikaners als ganz unbestimmt. Er hat Schmerzen im Bauch, im Kopf, im Rücken, überall hat er Schmerzen. Er leidet grässlich, sein Leiden hat sich in sein Gesicht eingegraben.

Was hast du mein Freund?
Ich werde sterben, Herr Doktor.
Die Stimme ist unmerklich gebrochen.
Wo hast du Schmerzen?
Überall, Herr Doktor.

Vor allem, verlangen sie keine genaue Beschreibung, sie werden sie nicht erhalten. Bei Geschwüren zum Beispiel wäre es wichtig die Zeiten der Schmerzanfälle zu kennen. Doch der Kategorie Zeit gegenüber scheint der Nordafrikaner feindlich gesinnt zu sein. Das ist nicht unbegreiflich, da er oft von einem Dolmetscher begleitet wird. Es fällt ihm schwer Vergangenes vorzubringen. Die Vergangenheit ist für ihn schmerzlich. Er hofft nur noch, nie mehr zu leiden, nie mehr dieser Vergangenheit gegenüberzustehen. Dieses schmerzverzerrte Gesicht sollte es uns beweisen. Er begreift nicht, warum man in den Erinnerungen wühlt, die doch längst vergangen sind. Er versteht nicht, warum ihm der Arzt so viele Fragen stellt.
Wo hast du Schmerzen?

Im Bauch (er zeigt auf den Brustkasten)
Zu welchen Zeiten?
Immer.
Auch in der Nacht?
Vor allem nachts.
Vor allem Tag oder nachts, Sag?
Nein, die ganze Zeit.
Aber nachts mehr als tagsüber?
Nein, die ganze Zeit.
Und wo macht es am meisten weh?
Hier (er zeigt wieder auf den Brustkasten)

So geht es. Draußen warten andere Patienten und man gewinnt langsam den Eindruck die Zeit ändere überhaupt nichts bei dieser Angelegenheit. Man beendigt den Fall mit einer ungefähren Diagnose und verschreibt einige Medikamente.

Folge dieser Behandlung während einem Monat. Ist es dann nicht besser, komme wieder zu uns.

Dann können zwei Sachen passieren:

1. Der Klient ist nicht sofort befreit von seinen Schmerzen, er kommt drei oder vier Tage später wieder in die Konsultation zurück. Dies nimmt uns gegen ihn ein, denn wir wissen das jedes Medikament eine bestimmte Zeit braucht, um zur Wirkung zu kommen.

Man gibt ihm das zu verstehen, oder man sagt es ihm direkt ins Gesicht. Aber unser Patient hat uns nicht verstanden. Er hat seinen Schmerz und widersetzt sich jeder Mitteilung, und es geht nicht mehr lange dann sagt er sich: Nur weil ich Araber bin, pflegt er mich nicht wie die anderen.

2. Der Klient ist nicht sofort befreit von Schmerzen kehrt aber nicht in die gleiche Klinik zurück, auch nicht zum gleichen Arzt. Er geht woanders hin, er sucht bis er Befriedigung erhalten wird, er klopft an alle Türen, er klopft. Und er klopft, mit Erbitterung, er klopft bescheiden, klopft in rasender Wut. Er klopft. Man öffnet ihm. Immer öffnet man. Und er erzählt von seinem Schmerz. Dieser Schmerz verschmilzt immer mehr mit ihm. Er erklärt ihn jetzt mit Beredsamkeit. Er greift ihn jetzt im Raum, setzt ihn auf die Nase des Arztes. Er nimmt ihn, berührt ihn mit seinen zehn Fingern, entwickelt ihn, stellt ihn aus. Bei jedem Anblick wird er grösser. Auf der ganzen Oberfläche seines Körpers sammelt er sich. Und nach einer viertelstündigen handgreiflichen Erklärung übersetzt uns der Dolmetscher, ihn unterbrechend: Er sagt, dass er Bauchweh habe. Alle diese Streifzüge im Raum, all diese Grimassen, all dieses auseinanderspreizen wollte nur diesen unbestimmten Schmerz erklären. Wir sind nicht zufrieden mit diesen Erklärungen. Die Komödie oder das Drama beginnt von neuem: Diagnose und Rezept.

Der Wagen rollt weiter, niemand hält ihn auf. Eines Tages wird man vielleicht eine Röntgenaufnahme machen, vielleicht kommt dabei ein Geschwür zum Vorschein oder etwas Ähnliches. Meistens wird man überhaupt nichts finden. Man wird dann sagen, dass die Schmerzen eben funktionell seien.

Dieser Begriff ist von Bedeutung und es lohnt sich eine Pause zu machen. Eine Sache ist unbestimmt, wenn es an einem feststellbaren Inhalt fehlt einer objektiven Realität. Der Schmerz des Nordafrikaners, zu welchem wir keine Ursachen finden, wird als inhaltlos, als irreal bezeichnet.

Oder etwas ganz anderes.

Der Nordafrikaner kommt in die Klinik wegen Müdigkeit, Asthenie und Ohnmachtsanfällen. Man verschreibt ihm eine Behandlung mit Stärkungsmitteln. Nach zwanzig Tagen lässt man ihn gehen.

Plötzlich kommt eine andere Krankheit zum Vorschein.
Das Herz macht Sprünge, da drinnen.
Der Kopf will zerplatzen…

Er hat Angst fortzugehen, man beginnt sich zu fragen, ob die ganze Schwäche, für die er behandelt wurde, nicht ganz einfach ein Schwindel war. Man beginnt sich ernsthaft zu fragen, ob man nicht ganz einfach das Spielzeug dieses Patienten ist, aus dem man sowieso nie so drausgekommen ist. Dieser Verdacht kommt. Von nun an misstraut man diesen angeblichen Symptomen.

Die Sache wird deutlich im Winter, wenn es kalt wird. Gewisse Kliniken werden zu dieser Zeit buchstäblich überflutet von Nordafrikanern, Es ist dann so schön in einem Spitalzimmer.

In einer anderen Klinik musste der Arzt oft mit europäischen Patienten schimpfen, weil sie den ganzen Tag im Zimmer herumspazierten. Er musste ihnen erklären, dass Bettruhe zur Therapie gehöre.

Mit den Nordafrikanern ist es anders, ihnen muss man keine Ruhe verschreiben: Sie sind den ganzen Tag im Bett.

Trotz diesem Schmerz ohne Ursache, kehrt die Krankheit in den Körper zurück, das Leiden geht weiter. Die leichteste Schlussfolgerung und wohl auch die einfachste ist es nun, wenn man jeden krankhaften Zustand beim Patienten abstreitet. Im Extremfall nennt man den Nordafrikaner einen Simulanten, einen Lügner, einen Feigling, einen Faulenzer, einen Heuchler, einen Dieb. Und die Krankenkasse, die bezahlen wir.

###2. These - Die Haltung des medizinischen Personals ist oft voller Vorurteile. Der Nordafrikaner wird nicht als Gleichwertiger betrachtet, die Europäer wissen angeblich schon im Voraus wie er ist. Oder anders gesagt: Der Nordafrikaner wird spontan in ein feststehendes Schema eingefügt, sobald er auf der Bildfläche erscheint.

Seit einigen Jahren hat sich eine medizinische Orientierung entwickelt, die man Neohypokratismus nennen könnte. Diese Richtung strebt nicht so sehr eine Diagnose des Organs an, als vielmehr eine Diagnose der Funktion. Diese neue Tendenz wurde von den medizinischen Lehrstühlen noch nicht zur Kenntnis genommen. Das Denken des Praktikers wird immer noch von recht zerbrechlichen Konstruktionen dominiert, die sich oft als recht gefährlich erweisen.

Schauen wir sie einmal in der Praxis an.

Ich bin zu einem dringenden Fall gerufen worden. Es ist zwei Uhr morgens. Das Zimmer ist schmutzig, der Kranke ist schmutzig, seine Eltern sind schmutzig. Alles weint. Alles schreit. Der Tod scheint nicht mehr Ferne zu sein.

Der junge Arzt verscheucht alle Furcht aus seiner Seele. Er stürzt sich fachgerecht auf diesen Bauch, der so sehr nach Chirurgie aussieht. Er berührt, er klopft, er betastet, er fragt, aber erhält nur ein Stöhnen als Antwort. Er berührt wieder, von neuem klopft er, und der Bauch wehrt sich, verteidigt sich. Aber, er sieht nichts. Doch, vielleicht ist es ein chirurgischer Fall, wenn man nur etwas sehen könnte. Die Untersuchung war negativ, aber er wagt es nicht fortzugehen. Nach langen Zweifeln lässt er seinen Kranken in die Klinik einliefern, um den Bauch chirurgisch zu untersuchen. …. Drei Tage später taucht der chirurgische Fall in meinem Sprechzimmer auf und lächelt komplett geheilt.

Der Kranke merkt dabei nicht, dass er das ganze medizinische Wissen verspottet hat. Das medizinische Wissen geht vom Symptom aus zur körperlichen Verursachung. An all den glanzvollen medizinischen Kongressen hat man schon längst die Wichtigkeit des neurovegetativen Systems festgestellt, der psychosomatischen Verbindungen, aber man unterrichtet die Mediziner immer noch auf die alte Art und Weise: Man fordert von jedem Symptom eine organische Ursache. Der Kranke beruft sich auf seine Schmerzen, sein Ohrensausen, seinen Schwindel, und es zeigt sich erhöhter Blutdruck. Ein anderes Mal, bei den gleichen Symptomen findet man weder erhöhten Blutdruck noch einen Tumor. Nichts Positives. Der Mediziner sieht sein zerbrechliches Wissen. Jedes Denken ist ein Denken einer Sache. Er wird den Fehler beim Patienten sehen, der undiszipliniert und ungelehrig ist und die Regeln des Spieles missachtet. Diese strengen Regeln verlangen, dass jedes Symptom eine organische Ursache haben muss.

Was mache ich mit diesem Patienten?

Von der Klinik kommt er wieder zurück, ohne dass sie einen Eingriff vorgenommen haben. Die Diagnose lautet: Nordafrikanisches Syndrom. Nun wird der junge Hypochonder, mit allen Nordafrikanern in der Klinik mit Molière in Verbindung gebracht. Wenn Molière (und nun werde ich eine Dummheit sagen, doch diese Linien wollen ja nur noch eine größere Dummheit erklären), wenn Molière im Zwanzigsten Jahrhundert gelebt hätte, hätte er sicher den eingebildeten Kranken nicht geschrieben, weil für niemand heute ein Zweifel besteht, dass Argan krank ist, richtig krank.

Das Nordafrikanische Syndrom. Der Nordafrikaner, der sich in der Klinik meldet, trägt die Last aller seiner Mitbürger auf seinen Schultern. Alle jene die nur Symptome haben, alle jene von denen man sagt: Nichts, dass man essen könnte. Verstehen sie: keine organische Ursache. Aber der Kranke ist da, mir gegenüber. Ich bin durch mein Gewissen gezwungen diesem Körper zu helfen, dieser Körper, der nicht mehr ganz Körper ist, oder dann plötzlich ein doppelter erschreckter Körper. Auf diesen Körper soll ich hören, ohne mich immer zu irren, das empört mich.

Wo hast du Schmerzen?

Im Magen (und er zeigt auf die Leber)

Ich werde wütend. Ich sage ihm, dass der Magen links ist und dort die Leber liege. Er lässt ich nicht aus der Fassung bringen, er fährt mit der Handfläche über diesen geheimnisvollen Bauch.

Das macht alles weh.

Ich weiß, dass dort drei Organe sind oder ganz genau fünf oder sechs.

Und jedes Organ hat seine Pathologie. Und diese Pathologie, die der Araber erfunden hat, interessiert uns nicht. Das ist eine Pseudo-Pathologie. Der Araber ist ein Scheinkranker. Der Araber ist durch und durch ein eingebildeter Kranker. Der junge Mediziner oder der junge Student, der noch nie einen kranken Araber gesehen hat (die alte medizinische Tradition) weiss das diese Typen Simulanten sind. Etwas könnte nachdenklich stimmen. Der Araber wird vom Studenten und vom Mediziner meistens in der zweiten Person Einzahl angesprochen. Das ist doch ganz nett, sagt man. Man bringt sie dadurch in gute Stimmung, und, sie sind es sich gewohnt. Entschuldigung. ich fühle mich nicht fähig dieses Phänomen zu analysieren, ohne die Objektivität zu verlieren die ich anstrebe.

Das ist stärker als ich, sagte mir ein Internist, ich kann sie ganz einfach nicht wie die anderen Patienten ansprechen.

Das ist stärker als ich, wenn ihr wüsstet, was stärker ist in meinem Leben als ich. Wenn ihr wüsstet, was in meinem Leben mich quält in Stunden wo andere schlafen, wenn ihr wüsstet --- aber ihr wisst es nicht.

Das medizinische Personal entdeckt die Existenz eines nordafrikanischen Syndroms, Nicht experimentell, sondern vom Hörensagen. Der Nordafrikaner nimmt Platz in diesem unsympathischen Syndrom, und wird sofort als undiszipliniert abgestempelt. (er verstößt gegen die medizinische Disziplin, die bei jedem Symptom nach der organischen Ursache sucht.) Er sagt, dass er leidet, aber wir wissen das es gar keine Gründe gibt zu leiden. Ein Gedanke geistert herum, an der Grenze meiner guten Laune, während der Araber sich entschleiert, mit seiner Sprache: Herr Doktor, ich werde sterben.

Dieser Gedanke, hat schon viel Gehirnwindungen durchlaufen, und er drängt sich immer mehr auf: Diese Typen kann man nicht ernstnehmen, ganz sicher nicht.

###3. These - Der beste Willen, die reinsten Bestrebungen sollte geklärt werden ---- Von der Notwendigkeit der Situationsdiagnose.

Dr. Stern schrieb in einem Artikel über psychosomatische Medizin, er stützt sich dabei auf Arbeiten von Heinrich Meng: Man sollte nicht nur herausfinden was einem Organ fehlt, welche organischen Störungen und Schädigungen, oder welche Mikrobe den Organismus angreifen. Es genügt nicht den körperlichen Zustand des Kranken zu kennen, man sollte versuchen seine Situation kennenzulernen. Das will heissen: seine Beziehungen zur Umwelt, seine Beschäftigungen, seine Sexualität, sein Innenleben, seine Sicherheit oder seine Unsicherheit, die Gefahren, die ihn bedrohen, und nicht vergessen seine Entwicklung, seine Lebensgeschichte. So soll man eine Situationsdiagnose machen.

Dr. Stern hat uns diesen schönen Plan vorgeschlagen, folgen wir ihm einmal.

1. Beziehungen mit der Umwelt - Muss man wirklich davon etwas sagen? Ist es nicht ein wenig komisch von Beziehungen zu Umwelt zu sprechen beim Nordafrikaner in Frankreich. Hat der Beziehungen? Hat er eine Umwelt? Ist er nicht allein? Sind sie nicht allein? Scheint er nicht bodenlos dazustehen, sinnentleert, im Tram, im Trolleybus? Woher kommen Sie? Wohin gehen Sie? Manchmal sieht man sie in einem Gebäuden arbeiten, oder, man sieht sie nicht, man konstatiert sie, man ahnt das sie da sind. Umwelt? Beziehungen? Es gibt für ihn keine Kontakte, er erregt nur Anstoß. Wissen sie dass das Wort Kontakt etwas Angenehmes, etwa Warmes bedeutet? Hat er hier Kontakte, hat er hier Beziehungen?

2. Arbeit und Freizeitbeschäftigung - Er arbeitet, er ist beschäftigt, er beschäftigt sich, man beschäftigt ihn. Seine Freizeitbeschäftigung? Ich glaube nicht das dieses Wort in seiner Sprache existiert. Mit was soll er sich beschäftigen?

Pardon Madame, ihrer Meinung nach, was macht der Nordafrikaner in seiner Freizeit?

3. Sexualität - Ich höre es schon, er ist für Vergewaltigungen geboren. Um zu zeigen, wie weit eine Studie von Vorurteilen geprägt sein kann bei der Beschreibung von Tatsachen will ich hier eine medizinische Doktorarbeit wiedergeben, die von Doktor Léon Mugnier, 1951 in Lyon ausgearbeitet wurde. Er schreibt unter anderem:

«In dieser Region haben acht von zehn Nordafrikanern Prostituierte geheiratet. Die Mehrzahl der anderen lebt in kürzeren oder längeren Bindungen, manchmal fast wie verheiratet. Oft beherbergen sie bei sich eine oder mehrere Prostituierte, die sie dann ihren Freunden zur Verfügung stellen.

Die Prostituierte scheint im nordafrikanischen Milieu eine wichtige Rolle zu spielen. Das kommt vom riesigen sexuellen Appetit welche den heißblütigen Mittelmeervölkern eigen ist.»

Weiter unten schreibt er:

«Ohne Zweifel könnte man zahlreiche Beispiel anführen, dass alle Versuche fehlgeschlagen haben, Nordafrikaner in ordentlichen Verhältnissen zu logieren. Es handelt sich vor allem um junge Männer (zwischen 25 und 35) mit starken sexuellen Bedürfnissen, welche bei diesen zeitlich begrenzten Bindungen oft Tendenzen zur Homosexualität entwickeln die sich zerstörerisch auswirken. Es gibt nur wenige Lösungen dieses Problems. Gut, trotz der Risiken des gewaltsamen Eindringens arabischer Familien bilden würde, sollte man die Vereinigung von Familien begünstigen und junge Mädchen und arabische Frauen kommen lassen oder man sollte Bordelle bewilligen.

Wenn man diese Tatsachen nicht zur Kenntnis nehmen wird, riskiert man, dass immer mehr Vergewaltigungen vorkommen, von denen die Zeitungen immer wieder berichten. Die öffentliche Moral hat davor mehr Angst als vor öffentlichen Häusern.»

Zum Schluss klagt Dr. Mugnier: Die Irrtümer der französischen Regierung an und schreibt folgenden Satz mit großen Buchstaben: «DIE ERTEILUNG DER FRANZÖSICHEN STAATBÜRGERSCHAFT WAR VOREILIG. GLEICHES RECHT FUER DIESE RASSE IST NICHT BERECHTIGT, WENN MAN DIE SOZIALE UND INTELEKTUELLE ENTWICKLUNG DIESER RASSE BETRACHTET? UND WENN MAN SIEHT WIE PRIMITIV DIE FAMILIAEREN UND HYGIENISCHEN VERHÄLTNISSE SIND.»

Muss man noch mehr sagen, oder soll man noch einige absurde Sätze wiederholen, oder muss man Doktor Mugnier daran erinnern, dass der Nordafrikaner sich mit Prostituieren begnügt, weil er nur Huren findet und keine arabischen Frauen (welche diese Nation überfluten könnten)

4. Sein Innenleben - Gibt es das? Wie soll man vom Innenleben eines Steines sprechen? Nichts als eine Lüge.

5. Sein Sicherheits- und Unsicherheitsgefühl. Das erste kann man streichen. Der Nordafrikaner ist immer unsicher. Seine Unsicherheit ist vielschichtig. Ich frage mich manchmal, ob es gut wäre dem Durchschnittsfranzosen einmal zu sagen, dass es ein Unglück ist Nordafrikaner zu sein, Der Nordafrikaner ist nie sicher. Er hat doch alle Rechte, werden sie mir sagen, er kennt sie nur nicht. Aha, er kann sie kennenlernen. Aha, wir fallen auf unsere Füsse. Rechte, Aufgaben, Staatsbürgerschaft, Gleichheit, alles schöne Sachen. Der Nordafrikaner an der Schwelle der französischen Nation, welche auch die seine ist.  - Im Gebiet der Politik ja, im Zivilen aber, eine Farce die niemand durchschauen will.

Welcher Zusammenhang besteht da zwischen dem Nordafrikaner und dem Milieu des Spitals?

Ja, da gibt es einen ganz gewichtigen Zusammenhang.

6. Die Gefahren die ihn bedrohen.

Er ist bedroht in seinem Gefühlsleben.

Er ist bedroht in seiner sozialen Aktivität.

Er ist in der Stadt bedroht durch sein Äußeres.

Der Nordafrikaner vereinigt in sich die Bedingungen, die einen kranken Menschen ausmachen,

Ohne Familie, ohne Liebe, ohne menschliche Beziehungen, ohne Verbindung mit einer Gemeinschaft. Wenn man ihn zum ersten Mal trifft, wird sich das auf eine neurotische Art und Weise abspielen auf eine krankhafte Art. Er fühlt sich entleert, leblos, Kopf an Kopf mit dem Tod, ein Tod diesseits des Todes, ein Tod im Leben. Es ist ergreifend, wenn dieser muskulöse Mann mit weinerlicher Stimme sagt: Herr Doktor, ich werde sterben.

7. Seine Entwicklung und seine Lebensgeschichte

Er würde sagen, die Geschichte seines Todes, ein ganz alltäglicher Tod.
Ein Tod im Tram.
Ein Tod bei der ärztlichen Konsultation.
Ein Tod mit der Prostituierten.
Ein Tod auf dem Bauplatz.
Ein Tod im Kino.
Ein vervielfältigter Tod in der Zeitung.
Ein Tod nach Mitternacht, was alle braven Leute fürchten.
Ein Tod,
Ja, ein Tod.

Das ist alles schön, wird man uns sagen, aber was für eine Lösung schlagen sie vor?

Erkennen sie nicht wie unbestimmt, und unkonkret sie sind…

Man muss hinter ihnen her sein.
Man muss sie aus dem Spital schmeißen.
Wenn man zu lange auf sie hört, schiebt man ihre Genesung bis zu Unendlichkeit heraus.
Sie können ja nichts erklären,
und alle sind Lügner
und Diebe auch noch (Diebe wie die Araber)
und, und, und
Der Araber ist ein Dieb.
Alle Araber sind Diebe.
Das ist eine Rasse von Heuchlern.
Dreckig.
Alles Sauhunde.
Da ist nichts zu machen.
Da kommt nichts heraus.
Ganz sicher, es ist zwar hart so zu sein,
aber schlussendlich liegt der Fehler nicht bei uns.
Das ist es eben, der Fehler liegt bei uns.
Diese Fehler sind deine Fehler.

Diese Menschen irren in einem Korridor herum, den du gebaut hast, ohne dass du daran gedacht hast eine Bank hinzustellen, worauf sie sich erholen könnten.

Du hast eine Horde von versteinerten Vogelscheuchen aufgestellt, welche ihn wütend umflattern, die ihm ins Gesicht hacken, in die Brust in das Herz.

Sie finden keinen Platz.
Du machst ihnen keinen Platz.
Es gibt gar keinen Platz für sie
und du wagst mir zu sagen das interessiere dich nicht,
dass das nicht dein Fehler sei.

Diesen Menschen, den du zeichnest in dem du ihn immer wieder Mohamed nennst, von welchem du dir eine Schablone gebaut hast, oder den du ignorierst, den du immer unter der Voraussetzung betrachtest, dass er ein Sauhund sei. Du weißt ganz genau, dass du ihm etwas wegnimmst, für das du vor nicht zu langer Zeit dein Leben geopfert hättest. Also gut, hast du nicht den Eindruck, dass du diesen Menschen seines Inhalts entleerst? Sie sollen doch ganz einfach zu Hause bleiben.

Ach ja, das ist das Drama, sie sollen ganz einfach zu Hause bleiben. Nur, man hat ihnen gesagt, dass auch sie Franzosen seien. Sie haben es in der Schule gelernt, auf der Straße, in den Kasernen (wo sie noch Schuhe an den Füssen hatten) auf dem Schlachtfeld. Man hat ihnen Frankreich überall eingetrichtert, in ihren Körpern, in ihre Seele, es hat dort angeblich Platz für so etwas Großes. Man wiederholt in allen Tonarten, dass sie hier zuhause sind. Und wenn es ihnen hier nicht passe, könnten sei ja wieder in ihre Kasbah zurückkehren, und doch dort hat es ein Problem.

Welches auch sein Schicksal sein wird, zuhause wäre der Nordafrikaner glücklicher, sagen gewisse Leute…

Man hat in England beobachtet, dass gutgenährte Kinder, die außerhalb des familiären Milieus leben, auch bei guter Pflege eine zweifach erhöhte Krankheitsanfälligkeit haben als Kinder, die bei ihren Eltern leben und dort oft schlechter ernährt werden.

Soweit, wenn man nun an die denkt, die in ihrem Land bleiben und ein Leben ohne Zukunft führen, ohne grosse Aussichten wie in der Fremde. Was nützen große Chancen, wenn das familiäre Milieu fehlt, wenn die Entfaltungsmöglichkeit in einem zu Hause fehlt?

Die psychoanalytische Wissenschaft hält das Verlassen des Heimatlandes als ein krankmachender Faktor. Da hat sie durchaus recht.

Diese Überlegungen erlauben uns eine Zusammenfassung zu machen:

1. Der Nordafrikaner wird in Europa nie so glücklich werden, wie bei sich zu Hause, weil ihm wesentliches fehlen wird in seinem Gefühlshaushalt. Abgeschnitten von seinem Ursprung, abgeschnitten von seiner Zukunft, wird er zum Gegenstand, der herumgeworfen wird, der sich krümmen muss unter dem leblosen Recht.

2. In diesem Vorschlag zeigt sich ein gewisser abschätziger gemeiner Glaube… Wenn der Lebensstandard, der dem Nordafrikaner zur Verfügung steht (Fragezeichen) höher ist als der zu Hause, will das nur heißen, das dort, auf diesem anderen Teil Frankreichs noch viel zu machen wäre. Dass man dort Wohnhäuser bauen sollte, Schulen eröffnen, Stassen ziehen, Elendsviertel niederreißen, Städte aus dem Boden stampfen sollte. Männern, Frauen und Kindern endlich das Lächeln ermöglichen.

Das will heißen, dass es dort Arbeit gibt, menschliche Arbeit. Das will heißen, Arbeit, die das Kennzeichen des häuslichen Herds trägt. Keine solche einer Zelle, einer Kasernierung. Das will heißen, dass auf dem ganzen Gebiet des französischen Territoriums Tränen zu trocken, Unmenschlichkeiten zu bekämpfen sind. Es sollte verunmöglicht werden, dass man gewisse Leute abschätzig als Mohamed anspricht. Menschen wollen vermenschlicht werden. Straßen wie die rue Moncey in Lyon sollten beseitigt werden. (eine Straße, an der arme Nordafrikaner wohnen)

Ist das ihre Lösung, mein Herr?

Machen sie mich nicht fertig, zwingen sie mich nicht etwas zu sagen, was sie eigentlich wissen sollten, mein Herr?

Wenn du den Menschen nicht siehst, wie soll ich annehmen das auch in dir ein Mensch steckt? Wenn du den Menschen in dir nicht wagst, wenn du den Menschen in dir nicht hergibst für den Menschen, welcher mehr als ein Körper ist, mehr als nur ein Mohamed, durch welchen Schlüssel eröffnest dann du mir, dass du meiner Liebe wert bist?


Vortrag an der Arbeitstagung der Psychologischen Lehr und Beratungsstelle Zürich, (Leitung Friedrich Liebling), Herbst 1969, Im Saal des Restaurant Rigiblick, 8044 Zürich

Online-Flyer Nr. 850  vom 20.08.2025



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