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Literatur
Ulrich Heyden: Ein Krieg der Oligarchen - Das Tauziehen um die Ukraine
Immer noch brandaktuelles Ukraine-Buch
Buchkritik von Hannes Sies

Der Osteuropa-Korrespondent Ulrich Heyden wurde durch das Odessa-Massaker vom 2. Mai 2014 zu seinem immer noch brandaktuellen Ukraine-Buch motiviert. Das bis heute nicht aufgeklärte Verbrechen gegen die Menschlichkeit kurz nach dem „Euro-Maidan“-Putsch wurde in Westmedien totgeschwiegen. Es liefert uns heute wertvolle Fakten, um den aktuellen Krieg zu verstehen. „Das Buch weist nach, dass das Massaker von Odessa keine spontane, sondern eine geplante Aktion war, mit dem Ziel, die Befürworter einer Föderalisierung der Ukraine einzuschüchtern.“ (Heyden S.8) Obwohl das Verbrechen von Odessa gut dokumentiert ist, blockierten alle prowestlichen Regierungen in Kiew eine Aufklärung, trotz Protesten der UNO. Jazenjuk, Poroschenko und heute Selenski beharrten auf der unglaubhaften Version, nur 42 Menschen wären ermordet worden. Heyden spricht von über 100 Opfern (S.93) und beschreibt die Ereignisse, an deren Ende die teils gefolterten oder vergewaltigten Opfer lebendig verbrannt wurden, minutiös. Betroffene und Aktivisten versuchten damals mit ihrem Dokumentarfilm auch in Deutschland auf das Massaker aufmerksam zu machen: „Lauffeuer - Eine Tragödie zerreißt Odessa zu Beginn des Ukrainischen Bürgerkriegs“, (Film von 2014 war auf Youtube).

Mainstream: Blinder Fleck Odessa-Massaker

Vergebens: ARD und Mainstream reagierten mit eisigem Schweigen und den üblichen Ablenkungsmethoden („Verschwörungstheorie“, „Fakenews“ etc.). Russische Medien berichteten und man muss annehmen, dass diese Diskrepanz ein bedeutsamer Teil der Vorgeschichte des derzeitigen Ukrainekriegs ist. Die Täter waren ukrainische Rechtsextremisten, Faschisten und Nazis, die Verantwortlichen für die Vertuschung in Kiew waren Marionetten des Westens (Jazenjuk), durch zweifelhafte Wahlen an die Macht gekommen (Poroschenko, der die Opposition und kritische Journalisten unterdrücken ließ) und der aktuelle Präsident Selenski. Der Westen sah weg, genau wie in den folgenden acht Jahren, als die Regime in Kiew die russische Minderheit im Donbass bombardieren ließen. Das ist kein Entschuldigung für den Angriffskrieg, aber eine Erklärung für den Rückhalt, den Putin dafür in seiner eigenen Bevölkerung findet.

Die Westmedien schweigen bis heute verbissen, weil der grausame Massenmord von Odessa nicht ins Propaganda-Kalkül passen will. Kaum jemand in Westeuropa weiß vom Lynchmord eines faschistischen Mobs, der in Odessa an russischsprachigen Ukrainern, Kritikern des prowestlichen Putsches und links oder gewerkschaftlich orientierten Demonstranten begangen wurde. Ulrich Heyden recherchierte vor Ort, befragte Zeugen und arbeitet den bis heute wichtigen Fall auf.

Von den Maidan-Morden zum Odessa-Massaker

Vor Odessa gab es das Massaker auf dem Maidan vom 20.Februar 2014, das als Startschuss und Rechtfertigung für den illegalen Putsch fungierte: „Für viele Deutsche war es im Februar 2014 schwer, den Durchblick zu wahren. Die Informationen aus Kiew wurden von BILD und anderen führenden deutschen Zeitungen so aufbereitet, dass es für Beobachter fast unmöglich wurde, sich ein ausgewogenes Bild von den Ereignissen zu machen… Alle paar Tage ließ der Boxer Vitali Klitschko seine BILD-Kolumne über die Ereignisse in Kiew in die Tasten hämmern… Kolumne vom 20.Februar, Klitschko: ‚Gestern konnte jeder das blutige Werk von Präsident Janukowitsch besichtigen: 30 Tote, mehr als 1500 Verletzte auf dem Boden.‘ Kein Wort über die toten und verletzten Polizisten, die sich durch von Maidan-Aktivisten geworfene Molotowcocktails in lebende Fackeln verwandelten. Kein Wort von dem Ingenieur Vladimir Sacharow, der zu Tode geprügelt wurde, als Maidan-Anhänger bewaffnet das Büro der Partei der Regionen stürmten.“ (S.61,62)

Während in Berlin BILD wahre Kriegs- und Hasspropaganda gegen den demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine machte, der sich einem vom Westen gepushten, finanzierten und, wie wir heute wissen, bewaffneten Mob gegenüber sah, legten auf dem Maidan unbekannte Scharfschützen an und töteten 100 Menschen. Die Schuld wurde vom Westen umgehend dem amtierenden Präsidenten in die Schuhe geschoben, obgleich zu den Opfern Maidan-Demonstranten wie Polizisten gehörten. Es folgte der Sturm aufs Parlament, die Flucht Janukowitschs nach Russland und die Paramilitär-Diktatur von Jatzenjuk, dem Mann Washingtons. Berlin hatte bekanntlich auf Klitschko gesetzt, wurde aber mit dem berühmten „Fuck EU“ von der US-Putsch-Beauftragten Victoria Nuland ausgebootet (den Beweis verdankt die vermutlich alten KGB-Abhörexperten). Das leugnet der Westen nicht. Sogar das Einsickern von US-Söldnern der berüchtigten Blackwater-Truppe wurde zugegeben, wenn auch nicht an die große Glocke gehängt (Heyden erwähnt es nicht). Bei unseren Medien fragte keiner, was Blackwaters Hundertschaft im Bürgerkrieg der Ukraine zu suchen hatte, einem Krieg, der völlig tendenziös als Ringen friedlicher Demonstranten mit einem blutrünstigen Diktator hingestellt wurde.

Heyden verweist auf die Studie des ukrainisch-stämmigen kanadischen Professor Ivan Katchanovski, die belegt, dass auf dem Maidan am 20.21.Februar 2014 terroristische Heckenschützen durch Massenmord an beiden Seiten offenbar die dann folgende Eskalation provozieren sollten. Heyden zitiert als Zeugen den BBC-Reporter Gabriel Gatehouse und das deutsche TV-Magazin Monitor (ein gelegentlich kritisch berichtendes Feigenblatt im gleichgeschalteten Mainstream-Sumpf), das am 10.April 2014 berichtet hatte, die Maidan-Schüsse seien möglicherweise aus dem Lager der (der angeblich völlig friedlichen) Maidan-Aktivisten gekommen. Putsch, Regierungswechsel zum Jazenjuk-Regime, das brutalste Ausschreitungen im Land deckte oder beging - gegen Anhänger des gestürzten Präsidenten und Gegner einer erzwungenen West-Orientierung des Landes.

Der Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa

Dann folgt Heydens Bericht über den „Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa“, der als unabhängige Quelle das UNO-Büro für Menschenrechte zitiert, den „Report on the human rights situation in Ukraine“ vom 15.Juni 2014: „Die UN-Menschenrechtskommission bedauert, dass die zentralen Stellen im Geheimdienst und beim Innenministerium bei der Aufklärung nicht ausreichend kooperieren.“ Bei der Analyse ökonomischer Hintergründe kommt Heyden endlich zu einem der in seinem Buchtitel angesprochenen „Oligarchen“, im Kapitel „Oligarch Kolomoiski greift nach Odessa“: „Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass der Gouverneur von Odessa und Besitzer der ‚Privatbank‘, Igor Kolomoiski, den Überfall auf das Gewerkschaftshaus in Odessa eingefädelt hat.“ Dafür soll der mächtigste Oligarch des Lande freie Hand von der (von den USA eingesetzten) Regierung Jazenjuk in Kiew erhalten haben, „für eine Strafaktion gegen die russlandfreundlichen Kräfte in Odessa“. Als Gegenleistung berief Jazenjuk den ‚Privatbank‘-Manager Igor Paliza zum Gouverneur von Odessa, was Kolomoiski Zugriff auf den wichtigsten Hafen des Landes gab. Heyden konnte noch nicht wissen, dass der übernächste Präsident für seine Rolle im TV-Sender des Oligarchen Kolomoiski aufgebaut werden sollte: Selenski durfte dort den satirischen Präsidentendarsteller geben, gegen Korruption der Oligarchen kämpfen (feine Ironie kann man das kaum nennen) und am Ende gegen das diabolische Russland triumphieren.

Korruption im Westen, Noworossia im Osten

Das restliche Buch widmet sich weitsichtig dem Leiden der Zivilbevölkerung im Donbass, einem Hauptgrund für den derzeitigen Krieg, und separatistischen Träumen von einem „Noworossia“ im Osten und Südosten der Ukraine, die der russische Angriffskrieg derzeit wohl zu verwirklichen strebt. Zuvor kritisierte Heyden die IWF-Verschuldung Kiews nebst der unter dem Oligarchen-Präsidenten Poroschenko eingesetzten Minister, derer drei aus Georgien (Gesundheitsminister), Litauen (Wirtschaft) und den USA (Finanzen) kamen. Insgesamt ergibt sich ein völlig anderes Bild der jüngsten ukrainischen Geschichte als wir es aus den Medien kennen. Man begreift wie unerträglich die Situation der Ukraine für Russen wirken muss, besonders die Vertreibungen, Folterungen und Morde an russischsprachigen Ukrainern, geduldet oder betrieben durch die Regime dreier westorientierter Präsidenten.

Völkerrechtswidrig und abzulehnen bleibt der Angriffskrieg Moskaus selbstverständlich gleichwohl. Doch ihn auf eine Stufe stellen mit den imperialistischen Angriffskriegen der Nato auf Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und vielen weiteren vornehmlich ölreichen oder strategisch wichtigen Staaten? Das wäre falsch. Imperialismus pur war der mit Lügen gerechtfertigte Überfall auf den Irak der USA nebst Bush-Juniors kriegswütiger „Koalition der Willigen“, aus der Kanzler Schröder unser Land immerhin heraus hielt, einem Raubkrieg, dem ein Ausplündern der Ölreserven und ein unsägliches Folter-Regime folgte. Unsere Mainstream-Medien tun heute so, als wären Irak, Somalia, Libyen, Syrien, Jemen Schnee von gestern. Doch die Welt sieht es anders und fragt sich, was das große Geschrei des selbst so kriegswütigen Westens über den Krieg Moskaus soll.

Kriegspropaganda, die auf einseitiges Mitleid setzt

Wie glaubwürdig sind unsere medialen Schreihälse aus Washington, Berlin, Paris, London, die plötzlich vor Mitleid zu zerfließen scheinen, wenn ukrainische Zivilisten leiden - obwohl die weit größeren Leiden der Zivilisten im Jemen und anderen vom Westen (Riad ist Teil des Westblocks) überfallenen Staaten sie all die Jahre und Jahrzehnte vergleichsweise einen Dreck kümmerten. Erinnert man sie daran, kommen sie mit der alten rassistischen Ku-Klux-Klan-Parole aus dem Kalten Krieg, dem „Whataboutism“. Damit wollten US-Ideologen punkten, die sich in ihrer Propaganda gegen Stalin gestört fühlten - durch Einwände über rassistische Massenmorde an Schwarzen in den USA. Dialogmuster: „Stalin betreibt Gulags! Ihr verbrennt Schwarze! Whataboutism - wir reden über Gulags, sonst nichts!“

Unser Mitleid für ukrainische Flüchtlinge ist berechtigt und die daraus folgende Hilfe sei ihnen herzlich vergönnt. Die Hilfe für andere Flüchtlinge anderer Hautfarben darf aber nicht darunter leiden - der globale Süden nimmt den Westen deshalb bereits als rassistisch wahr. Das ist ein Grund für die geringe Akzeptanz des westlichen Sanktions-Terrors gegen die russische Bevölkerung außerhalb des Westblocks. Indien, China, Afrika, Araber, sogar Israel machen den totalen Wirtschaftskrieg der Nato gegen Moskau nicht mit. Unsere Medien nuscheln das nur selten in ein Mikrofon, zwischen ellenlangen Bildreportagen über ukrainische Zivilisten, vornehmlich blonde Frauen mit ihren Kindern.

Unser Mitleid speist sich aus einem Trommelfeuer von Bildern, das anderen Kriegsopfern von unseren Medien verweigert wird. Es ist leider, das muss man wohl vermuten, Teil einer perfiden Propaganda gegen Russland, das auf Putin reduziert wird. Einer Kriegspropaganda, deren Ziel es ist, den Westen brachial (noch weiter) zu militarisieren, die Taschen der Rüstungskonzerne zu füllen und eine Bereitschaft für weitere, noch brutalere imperialistische Raubkriege um Öl, Ressourcen und globale Macht in der Bevölkerung zu schaffen. Die Lektüre von Ulrich Heydens Buch kann der Kriegspropaganda durch eine völlig andere Perspektive und ausgewogen-mitfühlende Berichte aus der Ukraine entgegenwirken, ohne dabei die Sichtweise russischer Medien zu übernehmen, deren Propaganda natürlich entgegengesetzt wirken soll. In einer Zeit, in der RT (Russia Television) im Westen trotz der sonst verfochtenen Pressefreiheit totaler Zensur unterworfen wird - ganz so, als wären wir schon Kriegspartei - und uns verboten ist, uns selbst ein Bild über beide Seiten zu machen, ist dieses Buch umso wertvoller. Es verdient eine Neuauflage unter einem weniger irreführenden Titel (über das Gerangel der neben Kolomoiski anderen Oligarchen in Kiew erfährt man nicht viel), einen Titel, der das Odessa-Massaker beim Namen nennt.


Ulrich Heyden: Ein Krieg der Oligarchen - Das Tauziehen um die Ukraine



Verlag PapyRossa, Köln 2015, 175 Seiten, 12,90 Euro (Restexemplare bei PapyRossa [https://shop.papyrossa.de/Heyden-Ulrich-Ein-Krieg-der-Oligarchen] für 7,50 Euro)

Verlagstext: Ausgehend vom Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa am 2. Mai 2014 wird die soziale und politische Entwicklung in der Ukraine analysiert. Detailliert wird beschrieben, wie Oligarchen und Regierungsmitglieder die extreme Rechte stark machten und sie zu Einschüchterungsaktionen gegen die Kräfte ermunterten, die für eine Föderalisierung der Ukraine eintraten. Es wird dargestellt, wie über Jahre zielgerichtet der Boden für eine nationalistisch / anti-russische Stimmung bereitet wurde. Dies war der rote Teppich, auf dem Faschisten und Nationalisten bis in höchste Ämter gelangten. Die Regierung weigert sich bis heute, das von unbekannten Scharfschützen verübte Massaker auf dem Maidan in Kiew, das ihre Machtübernahme einleitete, aufzuklären. Dasselbe gilt für den Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus in Odessa, mit dem die Bevölkerung in der Südostukraine eingeschüchtert wurde. Diese Verbrechen, bei denen jeweils etwa 100 Menschen starben, leiteten zum Bürgerkrieg über. Dagegen gibt es auch Widerstand.

Online-Flyer Nr. 790  vom 04.05.2022



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