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Aktueller Online-Flyer vom 19. August 2025  

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Globales
Nigeria-Veranstaltung in der "Alten Feuerwache"
"Wer Shell kritisiert, ist
seines Lebens nicht sicher."
Von Hans-Detlev von Kirchbach

Wer in Nigeria Ölkonzerne wie Shell und die konzernabhängige Regierung kritisiert, ist seines Lebens nicht sicher. Daran hat sich auch zehn Jahre nach der Ermordung des Bürgerrechtlers und Schriftstellers Ken Saaro Wiwa nicht viel geändert. Die nigerianische Journalistin Ibiba Don Pedro ließ jedenfalls am Montag bei einer Informationsveranstaltung in der "Alten Feuerwache" in Köln keinen Zweifel daran, dass sie sich in ihrem Land nicht sicher fühlen kann. Da nützt ihr auch wenig, dass sie 2003 von CNN als "afrikanische Journalistin des Jahres" ausgezeichnet worden ist, denn  der Grund dieser Auszeichnung, ihre Berichte  aus dem Ölfördergebiet im Nigerdelta, rückt sie ins Fadenkreuz von Konzernen und Regime.

Auch den Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saaro Wiwa hatte seine internationale Anerkennung als Literat und geistiger Kopf einer machtvollen Widerstandsbewegung gegen die Ausbeutung des Nigerdeltas durch westliche Ölkonzerne, allen voran Shell, nicht vor seiner Ermordung durch eine willfährige Terrorjustiz bewahren können. Fast auf den Tag genau zehn Jahre nach der Erhängung Saaro Wiwas habe sich für die Bevölkerung im Nigerdelta so gut wie nichts geändert, betonten Ibiba Don Pedro und ihr Co-Referent Ben Naanen, der ehemalige Generalsekretär der Organisation MOSOP, der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes.

Undercover-Recherchen

Ibiba Don Pedro hatte sich, um nicht direkt als Journalistin erkannt zu werden, in traditioneller Ogoni-Tracht ins Nigerdelta "eingeschmuggelt" und ihre weltweit Aufsehen erregenden Reportagen über die anhaltende Armut und Rechtlosigkeit im Ölpumpgebiet quasi undercover recherchiert. Ein Leben ist dort nach wie vor nicht viel wert. Soldaten, so eine ihrer Beobachtungen, hielten einen Bus an und griffen einen Mann heraus, bei dem sie Geld vermuteten; er sei wohl beraubt und erschossen worden. Fünf Soldaten fielen unter offenem Himmel über eine Frau her und vergewaltigten sie - all dies seien völlig normale Formen der Gewalt, unter der die Bewohner der Region alltäglich leiden müssten.

"Während Konzerne Milliarden aus unserem Land herauspumpen, verkommt die Bevölkerung im Elend", so Ben Naanen. Eine Folge davon sei eine wuchernde Korruption, die alle Lebensbereiche durchziehe; auch Polizisten und sogar Lehrer hielten sich mit Bestechungsgeldern über Wasser. Wehe aber dem, der den Konzernen in die Quere kommt, weiß Ben Naanen: Ein Aktivist, der Elf Aquitaine mit seinen Protestaktionen lästig wurde, sei als Räuber denunziert und vom Militär ermordet worden. Wen sie für die eigentlichen Räuber im Nigerdelta halten, daran ließen die beiden Experten allerdings keinen Zweifel.

480 Milliarden Dollar hätten die Konzerne in etwa dreißig Jahren als Öl-Erträge aus dem Nigerdelta herausgepumpt, berechnete Ben Naanen, doch bei der Bevölkerung sei davon nichts angekommen.  Der Unmut über Verarmung, Willkür und die ökologische Verwüstung ihrer  Region verschaffte der Widerstandsbewegung MOSOP einen regelrechten Massenzulauf: Sie erfasste schließlich fast die gesamte Volksgruppe der Ogoni, und für Shell brachen harte Zeiten an. Die Shell-Manager und -Ingenieure konnten sich Anfang der neunziger Jahre in ihren luxuriösen Camps nicht mehr sicher fühlen, und der Konzern stand  wegen seiner Praktiken im Nigerdelta international am Pranger. Ken Saaro Wiwa trug den Protest des Ogoni-Volkes in alle Welt: "The Flames of Shell are flames of hell!"

Ken Saaro Wiwa vor zehn Jahren erhängt

Doch das Imperium schlug zurück. Am 10. November 1995 wurde Ken Saaro Wiwa mit neun seiner Mitstreiter erhängt. Selbst westliche Regierungen einschließlich der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien kamen nicht umhin, diesen barbarischen Akt als "Justizmord" zu kritisieren. In Europa brach eine Protestbewegung los, die einen monatelangen Boykott von Shell organisierte. Zehn Jahre später aber, so die aus ihrer Sicht deprimierende Zustandsbeschreibung der beiden nigerianischen Referenten, ist business as usual eingekehrt - an den Shell-Boykott erinnert sich kaum noch jemand. Im Niger-Delta machen die westlichen Ölpumper wieder Milliarden-Profite, die von Polizei und Soldateska terrorisierte Bevölkerung hingegen ist arm wie eh und je. Anstelle einer politischen Widerstandsbewegung gibt es marodierende Banden von Jugendlichen, die, wie Ben Naanen erzählte, von Shell mit Telefonen und Waffen ausgestattet würden, statt ihnen eine anständige Ausbildung zukommen zu lassen.

Schuld an dieser Situation sind aber auch die tiefen ethnischen Gräben, die  Nigeria zerreißen. Nach dem alten kolonialen Muster "Teile und herrsche" nutzten Konzerne und Regime diese "irrationale  Spaltung" zur Herrschaftssicherung, sagte Ben Naanen. Auch die MOSOP sei fatalerweise ethnisch weitgehend "ogonisch" abgeschottet und erfasse andere Volksgruppen kaum.

Ken Saaro Wiwa
Ken Saaro Wiwa
Bild: NRhZ-Archiv


Internationale Solidarität gefordert

So konnten denn Ibiba Don Pedro und Ben Naanen auch nur vage Zukunftsperspektiven formulieren. Don Pedro rief zu internationaler Solidarität mit den Opfern der nachkolonialen Ausbeutung auf, und Ben Naanen forderte eine "Rechnungslegung", aus der hervorgehen müsse, wohin die Erträge aus den Geschäften mit dem nigerianischen Öl flössen und einen "gerechten Anteil unserer Menschen am Reichtum unseres Landes".

"Am Mittwoch verlassen wir Köln -  Ben Naanen geht - glücklicherweise für ihn - nach Washington, wo es sich sicher leben lässt, und ich gehe unglücklicherweise zurück nach Nigeria, um meine Arbeit fortzusetzen", verabschiedete sich Ibaba Don Pedro vom Publikum...

Online-Flyer Nr. 17  vom 09.11.2005



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